Die Clai-re, die Lene und die Lina

Ich möchte von den Frauen an der potse schwärmen. Weil es unzählige, Bekannte und Unbekannte sind, die seit mehr als 100 Jahre hier an der Potsdamer Straße in Sachen Aufklärung, freie Liebe, Soziales, Bildung, Kunst und Leben unterwegs sind.

Ich picke mir Claire Waldoff und Lina Morgenstern heraus. Beide sind dieser Tage wieder in der Gegend – kabarettistisch, kulinarisch, kulturell sozusagen. Zwei Veranstaltungen sind ihnen gewidmet.

Kleine Kalenderpause – gleich geht’s weiter:
Für Kurzentschlossene: Heute abend, 21. August, 19.30 Uhr, Theater O-TonArt, Kulmer Straße 20a
„Ich will aber gerade vom Leben singen“ – Claire Waldoff – Eine musikalische Bigorafie von und mit Sigrid Grajek
Dann noch mal am 3. Oktober, 7. November, 5. Dezember jeweils 15 Uhr am selben Ort.

Zum Vormerken: Kommenden Freitag, 27. August um 19 Uhr, Café Palladin, Pallasstraße 8/9
„Lina Morgenstern – Gründerin der Berliner Volksküchen“
Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Die Potsdamer Straße. Eine Charme-Offensive“.
Ende Kalenderpause – Jetzt geht’s weiter

Die lebenslustige, lesbische Claire Waldoff sang wie ihr der Schnabel gewachsen war. Als einer ihrer ersten Auftritte im „Roland von Berlin“ von der Zensur bedroht war (sie wollte nach 22 Uhr im Anzug anti-militaristische Liedern singen!!!) sah es so aus, als gäbe sie klein bei. Sie wollte doch unbedingt auf die Bühne, ihre Karriere nicht beenden, bevor sie angefangen hatte. Also kaufte sie sich ein hochgeschlossenes braunes Samtkleid aus dem kein kleiner Zeh herauslugte. Sie bekam von Hermann Frey (Text) und Walter Kollo (Musik) „Das Schmackeduzchen“ – da konnte man doch wirklich nicht meckern, nur schnatternd lachen.

Das war so um 1906. Walter Kollo wohnte damals in der Potsdamer Straße 54, kurz vor der Bülowstraße. Claire Waldoff war unbekannt, doch er hatte sie schon längst „entdeckt“. Schmackeduzchen machte beide berühmt.

Und dann sang sie wieder, wie ihr der Schnabel gewachsen war. Und lebte auch so. Mit ihrer Freundin Olly Roeder eine lesbische Liebe, was in Schöneberg zu der Zeit gar nicht so ungewöhnlich war, denn hier tummelte sich die Bewegung der Homosexuellen und Frauen. Zum Beispiel in der „Pyramide“ in der Schwerinstraße, einer der vielen Nachtclubs im Kiez, wo nachts auch Anita Berber und andere Zelibritäten auftauchten.

Komisch und zu Herzen gehend offen und ernsthaft sensibel ist dieser biographische Abend von Sigrid Grajek alias Claire Waldoff im Theater O-Ton-Art, das passenderweise im gleichen Haus in der Kulmer Straße lokalisiert ist wie die Lesbenberatung Berlin – die wohl älteste Kontaktstelle dieser Art in jüngerer Zeit.

Und Sigrid Grajek alias Claire Waldoff erzählen auch von Armut. Eine Situation, die Jahrzehnte zuvor Lina Morgenstern umtrieb und in Aktion brachte. Die Schriftstellerin, Redakteurin, Verlegerin und Frauenrechtlerin hatte den Spitznamen „Suppenlina“, denn 1866 gründete sie die Berliner Volksküchen, in denen arme Menschen zum Selbstkostenpreis eine warme Mahlzeit erhielten. Dann sammelte sie über 80 Rezepte für Großküchen und veröffentlichte ein Buch über Leitung und Management der Volksküchen. Aus der Rezeptesammlung entstand später das „Illustrierte Universal-Kochbuch.“

Ob am kommenden Freitag wohl die französiche Kartoffelsuppe von Lina Morgenstern kredenzt wird, wenn mit der Veranstaltung „Lina Morgenstern – Gründerin der Berliner Volksküchen“ die Veranstaltungsreihe „Die Potsdamer Straße. Eine Charme-Offensive“ eröffnet wird. Zu verdanken haben wir diese Leckerbissen den AutorInnen Sibylle Nägele und Joy Markert. In der Pause gibt es Kulinarisches à la Morgenstern von den Azubis des Palladins, denn des ist ein Ausbildungscafé.

Über Lina Morgenstern wird da noch viel mehr zu erfahren sein. Sie war eine unglaublich produktive Frau, unter anderem Mitgründerin der Fröbelschen Kindergärten, des ersten Bildungsvereins für Arbeiterinnen, des Berliner Hausfrauenvereins und und und. Und sie lebte zuletzt in der Potsdamer Straße 82A (heute 177) und zuvor in der Potsdamer Straße 92 (heute 139).

Da schließt sich ein weiterer Kreis, denn auch heute ist die Potsdamer Straße 139 ein rein von Frauen bewohntes Haus. Bekannt hauptsächlich durch die Begine – Treffpunkt und Kultur für Frauen und das Reisebüro Frauen unterwegs. Bereits seit 1986 sind beide Fraueninitiativen dort tätig. Einige Jahre zuvor hatte im Zuge der Hausbesetzerszene die Hydra – die Beratungsstelle für und von Prostituierten – das Haus zugesprochen bekommen.

Claire Waldoff, Lina Morgenstern, Hydra, Lesbenberatung, Begine, Frauen unterwegs. Ihnen ist gemeinsam, dass sie nah dran waren am Leben von Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen Not litten und die normalen Bahnen nicht gehen wollten. Die also etwas Besonders waren.

Doch wer ist Lene aus der Titelzeile?

Na wegen ihr kamen Frauen in Bildung, auch Claire Waldoff, die 1896 die ersten Mädchengymnasialkurse von Helene Lange in Hannover besuchte. Da war die revolutionäre Bildungsoffensive bereits weit gereist. Denn die ersten Kurse fanden 1889 in der Pohlstraße 60-62 statt – ja, genau dort wo heute das Lernhaus und die fusionierte Grundschule ist (ehemals Fritzlar Homberg und Grips, bis dato noch ohne neuen Namen).

Wenn die Jungs mittags nach Hause gingen, dann kamen die Mädchen wissbegierig und enthusiastisch, um nun endlich auch für sich den Stoff zu bekommen, aus dem Bildung ist. Die Pohlstraße hieß noch Steglitzer Straße. Heute ehrt der Name Ottilie Pohl, Berliner Stadtverordnete der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) im Bezirk Tiergarten. Im November 1942 wurde sie aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nach Theresienstadt deportiert und starb dort 76-jährig im Dezember 1943. Denn sie war eine entschiedene und trotz Gefängnisaufenthalt unbeugsame Gegnerin der Nazis.

Unter anderem war sie in der „Roten Hilfe“ aktiv. Wie andere Frauen – zum Beispiel Claire Waldoff – organisierte sie die Betreuung von Kindern, bei denen ein Elternteil verhaftet worden war und sammelten Geld für Angehörige Inhaftierter oder Untergetauchter.

Auch bei Claire Waldoff stand die Staatsmacht deshalb irgendwann vor der Tür und beschuldigte sie der Hilfe von Kommunisten. Schlagfertig entgegnete sie, dass sie Kindern hülfe und dabei nicht nach dem Parteibuch der Eltern frage. Claire und Olly verließen dann Berlin, nicht nur zur eigenen Sicherheit, sondern auch aus Trauer darüber, dass so viele ihrer jüdischen FreundInnen emigrieren mussten oder ermordet wurden.

Doch von 1907 bis 1935 waren die Gassenhauer von Claire Waldoff die Hits der Berliner Straßen. Heute gehört, sind sie noch hochaktuell. Sie sang von dem Unsinn der Schönheitschirugie aufgrund „Emil seine unanständige Lust“, von Zille „das war sein Milljöh“, pries „die Zwiebelkur“ als Hausmittelchen und empfahl „Raus mit den Männern“ aus dem Reichstag. Und sie war sich ganz sicher: „Die praktische Berlinerin“ – det war die super Nummer.

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