Ich hab‘ am Sonntag die Langenscheidts besucht

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In den letzten Wochen finde ich mich unverhältnismäßig oft auf Friedhöfen wieder. Am Sonntag auf dem Südwestkirchhof in Stahnsdorf, circa 25 Fahrradkilometer von der Potsdamer Straße. Angeregt wurde dieser Besuch durch die Ausstellung Kunstraum Mausoleum, die vor kurzem auf dem St. Matthäi-Kirchhof eröffnet wurde. Die beiden Begräbnisorte verbindet eine gemeinsame Geschichte.

Schon einmal vorab: der 1909 eröffnete Friedhof in Stahnsdorf ist wunderschön. Eine 206 Hektar große Waldlandschaft, mit wunderbar ruhigen Wegen, mit Unterholz, in der man außer viel Grün und Holz auch alte und neue Grabsteine sieht.

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Doch erstmal zurück zu den Langenscheidts. Ja, die Langenscheidts aus der Crellestraße, die mit den gelben Wörterbüchern. Im Jahr 1856 gründete der Kaufmannssohn Gustav Langenscheid (1832 – 1895) in Schöneberg zunächst die Langenscheidtsche Verlagsbuchhandlung, die 12 Jahre später durch eine Buchdruckerei und Buchbinderei ergänzt wurde.

Ursprünglich begraben wurden er, viele seiner Familienangehörige und weitere honorige BerlinerInnen auf dem St. Matthäi-Kirchhof in der Großgörschenstraße. Dieser gehörte ursprünglich zur Gemeinde der St. Matthäi-Kirche auf dem heutigen Kulturforum. Das war damals keine Kulturbrache sondern dicht bebautes und von gut situierten BürgerInnen bewohntes Tiergarten-Süd.

Fast wäre der Friedhof der Welthauptstadt Germania, das heißt den größenwahnsinnigen Bauplänen Albert Speers, zum Opfer gefallen. Denn die Umgestaltung Berlins beinhaltete unter anderem den Bau einer Nord-Süd-Achse. Da war der Friedhof im Weg.

Deshalb wurden 1938/39 über 200 große Erbbegräbnisse und über 3.000 Grabstellen von Schöneberg nach Stahnsdorf verbracht. Die Erbbegräbnisse befinden sich in der sogenannten „Alten Umbettung“ an einer Längsseite des Friedhofes. Darunter sind übrigens auch Lebensmittelhändler Otto Reichelt (1854 – 1899), der Namensschöpfer des Begriffes Seidenstrasse und Geograph Ferdinand von Richtholfen (1833 – 1905) und viele mehr zu finden.

Es gibt noch zwei weitere Schöneberger Abteilungen mit schlichten Grabsteinen. Dort befinden sich alte und neue Grabstätten, denn auch heute noch finden SchönebergerInnen dort ihre letzte Ruhe.

Grabsteine werden in Stahnsdorf nicht entsorgt, viele stehen dort schon seit über 100 Jahren. Manche sind umgefallen, auf vielen die eingemeißelten Buchstaben verblasst. Die ewige Ruhe währt bei ihnen schon über 100 Jahre. Sie werden der Zeit übergeben.

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—— Wie anders als eine Entdeckung, die ich vor zwei Wochen auf dem St. Thomas-Friedhof in Neukölln machte. Dort fand ich viele Grabsteine völlig lieblos auf einen Haufen geworfen. Teilweise waren sie zerbrochen. Sie stammten offensichtlich von Grabstellen, deren 25-Jahres-Frist abgelaufen war. Als ich bei der Verwaltung mündlich darauf aufmerksam machte und nachfragte, wurde mir erklärt, dass eben alles ganz schnell gehen müsse, wenn erst einmal die Aufträge kämen, die Gräber einzuebnen. Da wäre keine Zeit. Ich habe inzwischen eine email-Anfrage an eine weitere kirchliche Stelle geschickt, jedoch noch keine Antwort erhalten. ——

Zurück nach Stahnsdorf, wo die Gräber und das Angedenken in Ruhe gelassen werden. Neben ganz alten Grabsteinen, befinden sich völlig neue Grabstätten. Das gab mir ein unendliches Zeitempfinden.

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Ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen, doch noch ein Hinweis: in Stahnsdorf sind sehr viele berühmte Persönlichkeiten begraben. Die Geschichte des Friedhofes dokumentiert auch Bestattungskultur in Deutschland. Wer möchte, kann mit dem folgenden Fotoalbum einen kleinen virtuellen Fotospaziergang machen, der jedoch die direkte Erfahrung, Besinnlichkeit, Gedanken über Tod und Leben nur anklingen lassen kann.

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Per Klick - Eindrücke vom Südwestkirchhof

In Stahnsdorf sind naturnahe Bestattungen unter Bäumen möglich. Auf den kleinen Steinen steht der Name und die Lebensdaten. Manche Familien kommen zu Besuch, haben sich eine Bank in die Nähe des Baumes gestellt. Andere wählen diese Bestattungsform, weil sie zu weit entfernt sind, um regelmäßig zu kommen oder weil für sie das Gedenken auf dem Friedhof nicht die angemessene Form ist.

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Heute vor fünf Jahren ist mein Vater Walter Wosnitza gestorben. Ich widme ihm diesen Artikel. Und meiner noch lebenden Mutter, Irmgard Wosnitza.

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