Von HU-Gastbloggerin Jennifer Wilken , die auch für die neue Ausgabe von mitte(d)ran, der Kiezzeitung in Tiergarten-Süd schreibt, die im November erscheint.
120 x 62mm Papier aus stärkefreier Baumwolle, oder auch 37,5 Gramm in jeweils 2,33mm dicken Nickel-Messing Scheiben, das sollen erwachsene EmpfängerInnen von Regelleistungen zur Grundsicherung (umgangsspr. Hartz IV) bald mehr in der Tasche haben. 5 Euro genau. Davon könnte man beim Netto in Höhe Lützowufer nach aktueller Preislage einen Brokkoli pro Woche mehr kaufen, jede zweite Woche eine Kiwi. Selbst ohne Transferleistungen wird es für viele Menschen immer schwerer ihren Lebensstandard zu bestreiten. 14% der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, wie eine Studie des DIW 2010 ergab. Über 40% sind Alleinerziehende mit Kleinkindern, fast immer Frauen.
Ein Pony wird jedenfalls von 5 Euro nicht satt, und einen vernünftigen Haarschnitt gibt‘s dafür erst recht nicht. Mit einem Euro mehr könnte (Mit nur einem Euro mehr hingegen, kann sich Frau snicht nur frisieren lassen, sondern auch die Wohnung renovieren, Gitarre spielen, oder Französisch lernen – das ganze Jahr über. 6 Euro beträgt nämlich der Jahresbeitrag des Lesben- und Frauen-Tauschrings „Ladies Tauschtraum“ im Schöneberger Frauentreff BEGINE. Zumindest, wenn das Einkommen monatlich unter 750 Euro liegt. Wer mehr verdient, zahlt 12 Euro pro Jahr. Immer noch ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, wie vielfältig das Tauschangebot ist. Das Konzept ist nicht neu, aber aktueller denn je.
Ladies Tauschtraum: „Jede Arbeit ist gleich viel wert“
„Zur Zeit sind wir ein Netzwerk aus ca. 50 Frauen. In letzter Zeit haben wir bei fast jedem Treffen mindestens einen Neuzugang“, erklärt Mahoney, die den Tauschring vor ca. 15 Jahren mit 3 anderen Frauen gründete. Die Idee dahinter war ein gemeinschaftliches Wirtschaften ohne Geld, bei dem keine Arbeit weniger wert ist als die andere.
Jede geleistete Stunde wird mit einer „Perle“ verrechnet, die man auf einem Konto gutgeschrieben bekommt und gegen eine andere Leistung aus dem Katalog online tauschen kann. Faires, bedarfsorientiertes Handeln, ganz ohne Geld.
„Die Frauen handeln die Details untereinander aus. Die Idee beim Tauschring ist ja auch, dass man miteinander kommuniziert, ein Netzwerk bildet.“ Arbeit soll nicht länger anonym und ohne menschlichen Bezug stattfinden, sondern wieder Spaß machen. Dabei gehe es auch immer um ein Stück Lebensqualität und Mitgestaltung, ganz unabhängig davon, wie viel Geld einem zur Verfügung steht. Deswegen wird jede neue Teilnehmerin darum gebeten nur Dinge anzubieten, die sie gerne macht.
„Ich bin zum Beispiel mal umgezogen. Ich musste nur den Transporter bezahlen. Eine andere Frau hat den Wagen geholt, wir haben die Kisten in einer Reihe die Treppe weitergereicht, zum Schluss wurde das Futon aufgerollt und zu zweit unter den Arm geklemmt, schon war alles oben. Am Ende haben wir dann alle gemütlich Pizza gegessen. Das war richtig schön so in einer neuen Wohnung anzukommen!“ erzählt Mahoney. Die Künstlerin bietet auch schon mal an zur Axt zu greifen, wenn es an‘s Brennholz machen geht. „Das kann sehr befreiend wirken.“
Die Tauschladies kommen längst schon nicht mehr ausschließlich aus dem Berliner Raum. Eine Frau bietet nach ihrem Umzug nach Frankreich nun zum Beispiel Übernachtungen an.
Und das Konzept funktioniert tatsächlich reibungslos?
„Einmal gab es einen Beschwerdebrief vom Steuerberaterverband: Steuererklärung gegen selbst gemachte Marmelade tauschen, das geht so nicht!“ erzählt Mahoney belustigt. Natürlich gebe es auch immer mal Frauen, die bestimmte Sachen besser können, aber letztendlich seien alle zufrieden. Über die Tauschregeln wird schließlich gemeinschaftlich abgestimmt.
Lesben- und Frauen-Tauschring: Ökonomische Nische oder ernsthafte Alternative?
Perlen statt Geld. Tausch und Hilfe statt unreflektiertem Konsum. Vielleicht nur eine Nische im Turbo-Kapitalismus. Auf jeden Fall eine, die immer mehr an Attraktivität gewinnt:
Tauschplattformen wie Kleiderkreisel werben in ihren Bannern mit dem „stilvollen Kampf gegen Verschwendung“. In Kreuzberg eröffnete in diesem Jahr ein neuer Umsonstladen, Nachbarschaftsgärten finden wieder vermehrt Zulauf, und das alternative Gesellschafts-Magazin „Oya“ widmet eine ganze Ausgabe (03. 2010) dem Schenken und solidarischen Wirtschaften.
Für die Zukunft ist bei den Tauschrausch Ladies ein Basar angedacht, ähnlich der Kleidertausch-Party, der jetzt schon regelmäßig in der BEGINE stattfindet. Einen Verleih von Fahrrädern, Werkzeugen und Büchern gibt es im Tauschring ohnehin schon.
Zusätzlich sollen wieder Grillfeste und Partys stattfinden, damit sich die Beteiligten gegenseitig kennen lernen.
Interessierte dürfen sich jedenfalls eingeladen fühlen, jeden 1. Mittwoch und 3. Freitag im Monat von 18-20:00h in der BEGINE mehr über den Tauschring zu erfahren. Dann werden auch Anmeldungen entgegen genommen.
BEGINE – Treffpunkt und Kultur für Frauen e.V.
Potsdamer Str. 139
10783 Berlin-Schöneberg
Tel. 030/215 14 14
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