Von HU-Gastbloggerin Ilona Scholl
“Mama, ich will ein Tattoo!“ – diese Forderung hat vielleicht in den 70ern so manch bundesdeutsches Wohnzimmer zum Austragungsort eines Generationenkonflikts gemacht, im Jahr 2010 jedoch birgt sie kaum mehr das Potential, Erziehungsberechtigte an den Rand des Myokardininfarkts zu katapultieren. Tätowierungen sind längst salonfähig geworden. Sie schmücken oder verunstalten Ärzterücken und Bänkerbeine. Selbst eine derartig staatstragende Extremität wie der Arm der deutschen First Lady Bettina Wulff, ist keine No-Go-Area für Tätowierpistolen mehr. Er sorgt allenfalls bei der FAZ noch für moralische Entrüstung, wo man sich ein über das Tattoo als “Import aus der Unterwelt“, hier in Gestalt eines bunten Tribals auf Wullfs rechtem Bizeps, echauffiert.
Waren Tätowierungen in der westlichen Welt früher insbesondere unter Seefahrern, Sträflingen oder Prostituierten gang und gäbe, so gelten sie längst nicht mehr als Signum ‚Randständiger‘ und ‚Unanständiger‘. Einer Studie der Universität Leipzig zufolge, sind in Deutschland derzeit ungefähr 26% aller 25 bis 34 – jährigen Männer tätowiert, 2003 waren es noch 22,4% . Bei den Frauen dieser Altersgruppe stieg der Anteil der Tätowierten sogar von 13,7% im Jahr 2003 auf aktuell 25,5%.
Angesichts der hohen Popularität von Tattoos bei Frauen ist es verwunderlich, dass der Tätowiererberuf nach wie vor eine Männerdomäne ist. Der prozentuale Anteil weiblicher Artists lässt sich nicht exakt ermitteln, da die Berufsbezeichnung “Tätowierer“ hierzulande ungeschützt ist. Einen staatlich anerkannten Ausbildungsweg gibt es nicht, ebensowenig eine offizielle Datenbank, die die Praktizierenden erfasst. Prinzipiell darf sich jeder diesem Berufsbild zuordnen, dem anderer Leute Hautpartien zur Spielwiese tintenbefüllter Nadeln werden.
Dass Frauen in der Szene noch eher die Ausnahme als die Regel bilden, kann man jedoch auch ohne die Statistik konstatieren. Berit Uhlhorn, die Besitzerin des Tatau Obscur in der Potsdamer Str. 93, hat sich im letzten Jahrzehnt nicht nur unter Enthusiasten permanenter Körperkunst einen Namen gemacht hat. Sie weist darauf hin, dass in der Branche vor kurzem überhaupt keine praktizierenden Frauen existierten: “Ich habe 1994 angefangen zu stechen, damals gab es in Deutschland neben mir zwei, vielleicht drei weitere Tätowiererinnen.“
Inzwischen gibt es bedeutend mehr und einige unter ihnen, wie Uhlhorn selbst, Miss Nico von All Style Tattoo oder Yvonne von Blut und Eisen, sind derart stilbildend und populär, dass der Kunde monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen muss, um ihnen zur lebenden Leinwand zu werden.
Obwohl Frauen auf dem Terrain permanenter Körperkunst also unbestreitbar Boden gutmachen, zeigt ein Blick auf die Teilnehmerlisten der größten Tattoo Conventions Deutschlands, dass sie zumindest in den Studios, die die größte mediale Resonanz erfahren, in nur kleiner Zahl vertreten sind.
Über die Gründe dieses Missverhältnisses der Geschlechter kann nur spekuliert werden.
Es ist naheliegend hier anzuführen, dass die Branche in Deutschland, wie oben bereits erwähnt, erst vor gut 15 Jahren von Frauen als Berufsfeld entdeckt wurde. Eine relativ kurze Zeitspanne also, um sich die Fähigkeiten anzueignen, die Netzwerke aufzubauen, die dazu nötig sind, auf sich aufmerksam zu machen.
Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass das reine Handwerk eine sehr kraftraubende Angelegenheit ist. Das oft stundenlange Spannen der Haut und der permanente Rückstoß der Tätowierpistole stellen eine extreme Belastung für Muskulatur und Gelenke des Tätowierenden dar und so verursacht die Prozedur nicht selten Schmerz auf beiden Seiten der Nadel. Dass der Tätowiervorgang für Frauen tendenziell strapaziöser ist, als für Männer, führt beispielsweise Berit Uhlhorn in einem Interview mit dem Zeitmagazin (Ausgabe 16, 11. April 1997) an.
Inwiefern die Aura des Besonderen, die weiblichen Tätowierern anhaftet, auf potentielle Anwärterinnen abschreckend wirkt, ist nicht geklärt.
Die Frauen, die sich für diese Karriere entschieden haben, fühlen sich jedoch nur in den seltensten Fällen von männlichen Kollegen oder Kunden gemobbt.
Natürlich sei der Einstieg für alle schwer, weiß Berit Uhlhorn zu berichten, doch führt sie die anfänglichen Unwegsamkeiten mitnichten auf ihr Geschlecht zurück: “ Ich seh da kein Genderproblem. Wenn du als Pimpf in einem Studio anfängst, bist du immer der Arsch.“
Auch Sara Rosenbaum, ebenfalls eine ständige Mitarbeiterin des Tatau Obscur, attestiert ihrer Branche Vorurteilsfreiheit: “Wenn jemand das Tätowierhandwerk erlernen möchte, ist das Geschlecht egal. Früher war das vielleicht anders, heute hast du als Frau vielleicht sogar einen Bonus, weil es so thematisiert wird.“ (Interview mit Tätowier Magazin; 03/2008)
Der Exotenstatus weiblicher Tätowierkunst befeuert das öffentliche Interesse an Akteurinnen dieses Gewerbes mitunter tatsächlich. Kat von D und ihre Kolleginnen zum Beispiel, sind Protagonistinnen einer Reality-Show, die in den USA seit einigen Jahren auf TLC ausgestrahlt wird. Der Hype um sie ist sicherlich nicht ausschließlich ihrer fachlichen Kompetenz geschuldet.
Auch deutsche Fachmagazine folgen diesem Trend und portraitieren vermehrt weibliche Künstler.
Inwiefern sich die gesteigerte weibliche Medienpräsenz auf das Image des Tätowierberufs langfristig durchpaust, bleibt abzuwarten.Immerhin achten die Veranstalter der einschlägigen Tattoo-Messen inzwischen darauf, die Gäste nicht mehr wie 2005 in Dortmund mit: Hallo an unsere Jungs, die Tätowierer!“ zu begrüßen.