Mit 11 Jahren wusste Dawit Shanko ganz genau, warum er im äthiopischen Addis Abbeba Schuhe putzte. Als Dienstleister wollte er Schuhe „glänzend machen“ (Listro, die äthiopische Bezeichnung für Schuhputzer, bedeutet wörtlich „glänzend machen“). Und als Junge wollte er für seine Bildung Geld verdienen, denn später als Erwachsener wollte er etwas bewirken.
Gestern eröffnete Dawit Shanko, als 42jähriger inzwischen in Berlin zu Hause und Initiatior und Vorstand von Listros e.V., die Veranstaltungsreihe „Berliner Glanzwerke“. Sie ist auf ein Jahr angelegt und wird Ausstellungen, Filme und Diskussionen zur Förderung des deutsch-afrikanischen Dialogs umfassen.
„In unserem Projekt geht es nicht um Kolonialismus und die Folgen,“ erklärte Dawit Shanko den 700 BesucherInnen, die zum Festaktes ins Atrium der Daimler Financial Services gekommen waren. Zuvor hatte er Bundespräsident Christian Wulff das erste Projekt der einjährigen Reihe – die Ausstellung „Perspektivwechsel“ in den Potsdamer Platz Arkaden – gezeigt.
„Es geht um einen Perspektivwechsel und darum, sich vom jungen schöpferischen Afrika inspirieren zu lassen,“ fuhr Dawit Shanko fort. „Zum Beispiel davon, wie persönliches Wachstum geschieht, wenn man sein Schicksal in die eigenen Hände nimmt und aus der Opferrolle heraus tritt.“
Dawit Shanko bedankte sich für den Satz „die Zukunft gehört den Nationen, die offen sind für kulturelle Vielfalt, für neue Ideen und für die Auseinandersetzung mit Fremden und Fremdem“ aus der Rede des Bundespräsidenten zum Tag der deutschen Einheit 2010 und fügte hinzu: „Wir Afrikaner können Deutschland bereichern.“
Dies ist ganz deutlich bei der Ausstellung „Perspektivwechsel“, die bis zum 7. November in den Potsdamer Platz Arkaden zu sehen ist. Sie vereinigt 120 Werke zum Thema von Malern, Bildhauern und Fotografen in Deutschland und Äthiopien.
Das Herzstück der Ausstellung sind 3.500 original Schuhputzboxen, in denen die Listros normalerweise ihre Schuhputzmaterialien aufbewahren, auf die die Kunden ihre Schuhe stellen und die in Wartezeiten auch als Sitzhocker benutzt werden.
Im Sommer 2010 schrieben dann 3.500 Listros einen persönlichen „Brief an die Welt“, verstauten ihn in ihre Schuhputzbox und schickten diese nach Deutschland. Im Projekt „Shine On“ fertigten sie dann mit Unterstützung des Unternehmen Sara Lee KIWI für sich neue Boxen.
„Mit meiner Arbeit bringe ich mein Leben zum Glänzen.“
„Ich sage euch, dass ich durch meine Arbeit eines Tages ein hohes Ansehen haben werde.“
„Nur große Leute können kleine Arbeit machen.“
„Wir wollen mit der Welt in Kontakt treten, wir warten auf eure Antwort.“
„Jede Arbeit ist wichtig, deshalb lasst uns die Arbeit gemeinsam tun, in gegenseitigem Respekt.“
„Auch wenn ich heute zu Füßen von anderen Menschen sitze, so habe ich doch einen Wert.“
Selbstbewusstsein, Ideen und Mitmenschlichkeit sprechen aus den Botschaften. In seiner Rede wies Bundespräsident Wulff darauf hin, dass Bilder von jungen Schuhputzern bei uns hingegen meist als „Symbol der Armut, Ausbeutung und Erniedrigung“ gelten.
„Dawit Shanko ist ein Architekt und Künstler, der große Kreise begeistern kann und ein Gewinn für unser Land ist,“ fuhr der Bundespräsident fort. „Mich freut, dass BürgerInnen mit Wurzeln in Afrika hier in Deutschland etwas tun, damit wir wiederum für Afrika etwas tun.“ Er betonte, dass die Ausstellung „Interesse aneinander, den Respekt voreinander und die Verantwortung füreinander“ fördere.
Dawit Shanko kam 1985 zunächst nach Leipzig und dann vor dem Fall der Mauer nach West-Berlin. Er studierte Architektur und gründete 2003 den Verein Listros e.V., um mit vielseitigen Projekten Kinder und Jugendliche in Äthiopien zu unterstützen. Damit unterstützt der Verein Kinder, die arbeiten, nicht aber Kinderarbeit.
„Wir werben für einen Perspektivwechsel und fordern auf, über das Thema Kinderarbeit differenzierter nachzudenken,“ sagt Dawit Shanko in einem Interview. „60 % aller Äthiopier sind jünger als 18 Jahre. Weder die Familien noch der Staat haben genügend Geld, allen den Schulbesuch zu finanzieren. Die Listros übernehmen in jungen Jahren Verantwortung für ihre Leben und sind stolz darauf. Mit dem Geld kaufen sie oft Hefte oder eine Schuluniform. Wer das verbieten möchte, hat nichts von den Lebensrealitäten junger Afrikaner verstanden und weiß auch nicht, wie ermutigend die Erfahrung ist, sein Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Diese Kultur der Eigenverantwortung unterstützen wir und helfen den Listros, ihre Ziele zu erreichen: Als Schüler oder als Selbständige. Jeder nach seinen Möglichkeiten.“
Gleichzeitig organisiert Listros e.V. Bildungsprojekte in Berlin und ganz Deutschland, die einen Perspektivwechsel ermöglichen. Seit vielen Jahren arbeitet er zum Beispiel mit einer Klasse an der Kreuzberger Hunsrückschule. Die Fünftklässler waren natürlich bei der Eröffnung dabei und sangen ihre Klassenhymne „Gemeinsam geht’s besser“, die im Rahmen der Arbeit entstanden ist.
Ein weiterer Ansatz von Listros e.V. ist die Einbindung von Menschen und den ihn eigenen Qualifikationen in die Projektarbeit. Sie lernen in der konkreten Arbeit an Projekten wiederum, die Lebenszusammenhänge der Listros anders einzuschätzen.
So wird das Projekt „Glanzwerke“ in enger Zusammenarbeit Professor Hans-Hendrik Grimmling und StudentInnen der Berliner Technischen Kunsthochschule (btk) in der Bernburger Straße realisiert. „Ich musste mich zu Beginn erstmal mit der Idee anfreunden, dass dies Kinderarbeit ist,“ sagt Elena Brandenstein. „Doch mit der Zeit wurden die Zusammenhänge für mich immer logischer und ich fand unsere Arbeit sehr spannend real und hilfreich.“
Elena Brandenstein studiert Information und Interface Design an der btk und gestaltete mit Kommilitoninnen und in Kooperation mit Listros e.V. und der Jettainer GmbH aus einem ausrangierten Luftfrachtcontainer eine mobile Schuhmacher-Ausbildungswerkstatt, die später in Äthiopien zum Einsatz kommen wird. Im Herbst 2011 werden Listros und Jettainer den Designwettberb „Business in a Box“ ausschreiben, in dem StudentInnen eingeladen sind, einen „Mobile Business Unit“ aus einem Luftfrachtcontainer zu gestalten.
Eric Berg studiert Kommunikationsdesign und war einer von sieben btk StudentInnen, die seit einem Jahr bei Listros e.V. in der Kurfürstenstraße das Ausstellungsprojekt mit entwickelten. „Es war ein schwieriger Anspruch, diese Ausstellung in einem Einkaufszentrum zu realisieren,“ sagt er. Doch mit der Zeit wurde aus der Herausforderung eine Botschaft. „Die Leute kommen in diesen Tempel, um Geld auszugeben. Und wir zeigen ihnen, dass in Äthiopien sehr gute Sachen gemacht werden.“
Drei StudentInnen der btk fuhren im Juli 2010 nach Addis Addeba und produzierten einen Dokumentarfilm über die Listros, ihre Arbeit und den Bau neuer Schuhputzboxen.
Und bei der Ausstellungseröffnung selbst schlüpften SchülerInnen von drei Berliner Partnerschulen in die Rolle der „Listros“. Dadurch hatten sie und die Gäste ebenfalls die Chance zu einem Perspektivwechsel.