Was wir von äthiopischen Listros lernen können

Stellen Sie sich vor, Sie würden hier in Berlin für einen Tag oder auch nur wenige Stunden als SchuhputzerIn arbeiten: Wem würden Sie die Schuhe putzen wollen? Und von wem würden Sie sich die Schuhe putzen lassen?

Dies ist eine Frage, die Dawit Shanko vom Listros e.V. regelmäßig Berliner SchülerInnen stellt (Listro werden in Äthiopien Schuhputzer genannt. Übersetzt heißt es so viel wie „glänzend machen.“)

In den Räumen von Listros

Dawit Shanko mit Berliner SchülerInnen

Einige Achtklässler, die in der vergangenen Woche für ein Halb-Tagesprojekt zu Listros in die Kurfürstenstraße kamen, reagierten nicht nur auf diese Frage, sondern auch auf die Übung, sich gegenseitig die Schuhe zu putzen, extrem.

Schuhe putzen ist keine Selbstverständlichkeit

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Eine Jungengruppe, erzählt Dawit Shanko, kam sich beim gegenseitigen Schuhe putzen „gedemütigt“ vor, doch als sie die Rolle des Kunden einnahmen fühlten sie sich als „King – toll – mächtig – überlegen“. Ihre Präsentation begannen sie vorsichtshalber mit „Nicht falsch verstehen“. Dann erklärten sie: nie würden sie selbst jemandem die Schuhe putzen. Sollten sie die Arbeit in Anspruch nehmen, dann nur „von Schwarzen, Türken und Ausländern inklusive Polen“. In der Pause änderten sie dann plötzlich ihre Meinung, schnappten sich Schuhputzkästen und gingen hinaus auf die Kurfürstenstraße zu den Prostituierten.

Dawit Shanko lacht beim Erzählen. Aus Erfahrung mit vielen Schulklassen weiß er, dass es Zeit braucht, bis sich die Sichtweisen ändern. In einem dreistündigen Schulprojekt kommt er mit seiner Botschaft nicht gleich rüber.

Dennoch lauschen die SchülerInnen besonders aufmerksam, wenn er seine eigene Geschichte erzählt. Wie er erst Schuhe putzte („Je dreckiger, je besser, denn dann verdiente ich mehr Geld“), dann Eier verkaufte („Das war ein Schritt nach oben, denn jeder braucht auch Eier“), sich weiter Geld für die eigenen Bildung verdiente, bis er dann als Student nach Deutschland kommen konnte.

Er weiß also aus eigener Erfahrung, dass in Äthiopien die oft sehr jungen Schuhputzer viel Engagement und Selbstständigkeit zeigen, als Kleinunternehmer fungieren und sich so viel Respekt verdienen.

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Auch an diesem Morgen gibt er den SchülerInnen Briefe zu lesen, die Listros an die Welt geschrieben haben und die Teil der im Oktober in den Potsdamer Platz Arkaden gezeigten Ausstellung Berliner Glanzwerke waren. „Wir tun nicht nur etwas für uns, sondern auch für unsere Familie und unsere Nachbarn,“ schreibt ein Listros. „Wir sind wie jeder andere, der sein Leben verbessern möchte,“ ein anderer.

In einer Abschlussrunde wälzen die SchülerInnen dann Fragen, die in jeder Talkshow über Entwicklungshilfe auch von Erwachsenen ins Spiel gebracht werden und eher in der Luft hängen bleiben: Wie kann man ihnen helfen? Kommt das Geld an, das ich spende?

Bittet denn einer der Schuhputzer in einem Brief um Hilfe?“ fragt Shanko schließlich die SchülerInnen? Diese Frage müssen alle verneinen.

Und so tragen die Projekte, die Dawit Shanko seit 2004 inititiert, Titel wie „Ansehen statt Übersehen“ und  „Für mich die Liebe, Respekt für meine Arbeit“.

Denn Dawit Shanko ist überzeugt, dass SchülerInnen in Deutschland Haltungen wie Engagement und Selbstständigkeit von seinen jungen Landsleuten lernen können, wenn sie sich dieser unbekannten Arbeit unvoreingenommen nähern, in die Rolle eines Schuhputzers schlüpfen und mit Respekt vor andere treten.

Einige SchülerInnen nehmen diese Anregungen in ihren Abschlussbemerkungen auf. „Ich finde es gut, dass ohne Unterschied gearbeitet wird,“ schreibt einer. „Wenn es sein muss und mich niemand kennt, würde ich es für meine Familie tun,“ ein anderer.

P.S. Danke an Heinz V. für die Fotos.

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