Von HU-Gastblogger Verena Schöbel
Draußen dämmert es schon, als Feti Bayram in der Kluckstr. 11 die Treppen zum 2. Stock erklimmt. Bis zu unserem Treffen war er noch unterwegs und in einer halben Stunde muss er auch schon wieder weg – ein vielbeschäftigter Mann. Wir treten in einen kahlen Gang, von dem kahle Zimmer abgehen. „Noch sind wir noch nicht ganz angekommen, wir nutzen diese Räume erst seit Kurzem“, erklärt er.
‚Wir’ ist in diesem Fall die Kiezbildung Tiergarten e.V., eine von engagierten Eltern gegründete Initiative, die sich vor allem um schulische Nachhilfe für Kinder im Kiez kümmert. Die Idee zu diesem Projekt ist entstanden, als zwei vom Senat geförderte Nachhilfeprojekte aus finanziellen Gründen eingestellt wurden. So war Eigenengagement der Eltern gefragt, welches leider auch mit einigen Problemen einhergeht: Da die Initiative ehrenamtlich ist, gibt es keine Einnahmequelle, und wo kein Geld ist, kann weder Miete noch Mitarbeiter bezahlt werden. Kiezbildung Tiergarten e.V. ist daher auf kostenlose Räume sowie auf freiwillige Helfer angewiesen.
Momentan unterrichten in der Kluckstraße circa fünf Eltern und einige weitere Anwohner des Kiezes um die 15 Grundschüler jeweils montags und freitags ab 18 Uhr. Bis zu den Sommerferien dürfen sie den zweiten Stock des Jugendtreffs nutzen, dann muss neu verhandelt werden.
Gerne würde Herr Bayram das Angebot ausbauen und mehr Schüler betreuen, denn die Nachfrage ist riesig. Doch es mangelt an Helfern. „Es wäre schön, wenn wir auch Oberschülern helfen und sie auf den Schulabschluss vorbereiten könnten. Dazu benötigen wir aber Lehrer.“ Und die sind noch nicht in Sicht.
Als zweites großes Ziel will sich Kiezbildung Tiergarten e.V. auch der Beratung von Eltern und Senioren widmen. Viele ältere Anwohner sprechen nur geringfügig deutsch und sind mit Amtsgängen und dem deutschen Schulsystem überfordert, weiß Feti Bayram zu berichten. Informationen sickern meist nicht bis zu ihnen durch, so wissen schätzungsweise nur 1-2 % der ausländischen Eltern, dass sie ihre Grundschulkinder nach der vierten Klasse auch auf ein Gymnasium schicken können. Empfehlungen dafür werden von der Schule kaum ausgeschrieben – „die Lehrer wollen die guten Schüler solange wie möglich in der Grundschule halten.“
Spricht Herr Bayram über die Schule und die dortigen Probleme, merkt man sofort: Bildung ist sein Thema hier im Kiez. Hier sieht er die größten Probleme und den Schlüssel zu einer gelungenen Integration. Es fange schon damit an, dass die Grundschule Tiergarten-Süd eine Ganztagsschule ist und damit ein außerschulisches Nachhilfeangebot eigentlich überflüssig macht. Zumindest in der Theorie. In der Realität kommen die Schüler abends trotzdem mit ungelösten Hausaufgaben nach Hause.
Auch befinden sich in den Klassen kaum deutsche Schüler, da die deutschen Familien im Kiez ihre Kinder lieber auf außerhalb liegende Schulen verteilen: „Die Deutschen haben Angst, dass ihre Kinder schlechter in der Schule werden, wenn sie mit zu vielen ausländischen Kindern in einer Klasse sind. Da stellt sich doch die Frage, wer sich hier nicht integriert.“
Eine Mitschuld am negativen Bild von ausländischen Jugendlichen und Kindern sieht Herr Bayram auch bei den Medien, die in Sachen Integration konstant über Negativbeispiele berichten. „Wenn den Kindern ständig vorgehalten wird ‚So seid ihr!’, dann ist es ihnen irgendwann egal und sie denken sich ‚Nagut, dann sind wir halt so’“, sagt er. Und „wir brauchen mehr Positivbeispiele in den Medien, Cem Özdemir zum Beispiel.“
Am Ende des Interviews ist klar: Feti Bayram ist wütend, und das zu Recht. Engagiert man sich in der Bildungs- und Integrationsarbeit, ist der Aufwand hoch und der Ertrag verhältnismäßig klein. Doch er gibt nicht auf und hofft, dass sich auch die neue Initiative Kiezbildung Tiergarten e.V. langfristig etablieren und ausbauen lässt.