„Nichts für kleine Kinder!“

Von HU-GastbloggerLukas Hecht

Im Dezember 2010 feierte der Kurzfilm „Ugo“ nach dem gleichnamigen Theaterstück von Raymond Dikoumé in Berlin Premiere. Die Produzenten: Vier Jugendliche aus Schöneberg, die in ihrem 45-minütigem Werk den Selbstmord eines jungen Mannes thematisieren und dabei eine Seite der Hauptstadt zeigen, die zerfressen ist von Gewalt, Drogen und Missbrauch.

Im Jugendclub Villa Schöneberg lerne ich Abner, Dorothea, Kїen und Luka kennen. Gemeinsam entwickelten sie in einem Zeitraum von acht Monaten den Kurzfilm Ugo. Wie die meisten Jugendlichen im Kiez haben auch sie ihre Wurzeln in den unterschiedlichsten Ecken der Welt. Diese Interkulturalität spiegelt sich auch in ihrem Film wider.

Die Entstehung des Projekts begann in Frankreich, als ich dort das erste Mal das Theaterstück „Ugo“ sah“, erzählt Kїen. Dass er damals wie heute kein Französisch spricht, konnte seine Begeisterung für das Stück jedoch nicht bremsen und es wuchs der Traum, einen Film zu drehen. Schnell kam Kїen mit dem Autor Raymond Dikoumé in Kontakt, welcher schließlich einwilligte, sein Stück übersetzen und verfilmen zu lassen.

Ugo-Autor Raymond Dikoumé im Gespräch mit Abner und Kїen.

Ugo-Autor Raymond Dikoumé im Gespräch mit Abner und Kїen.

Die Idee war geboren, doch wie sollte man sie umsetzen? Im Rahmen des Programmes „Vielfalt tut gut“ wurden schließlich insgesamt 3.800 Euro für das Projekt zur Verfügung gestellt und die Dreharbeiten konnten beginnen. Doch die Finanzierung des Films sollte sich als das kleinste Problem herausstellen. Denn bis der Film schließlich fertig gestellt war, bedurfte es einer Menge Arbeit. „Die letzten drei Monate haben wir praktisch jeden Tag durchgearbeitet, manchmal die ganze Nacht lang.“, sagt Luka.

Denn die Produktion des Self-Made-Filmes lag allein in den Händen der vier Jugendlichen. Ob Drehbuch, Regie, Casting, Schnitt oder Musik: Alles wurde selbst in die Hand genommen, wobei fremde Hilfe von außen für das Film-Team nicht in Frage kam. „Das Schneiden und der Umgang mit der Kamera waren anfangs gar nicht so einfach.“, verrät Dorothea. Schließlich musste die Premiere des Films sogar um einige Tage verschoben werden. Aufgeben kam für die Vier jedoch nie in Frage. „Keiner hat jemals daran gedacht, das Handtuch zu werfen!“, sagt Abner.

Und die Mühe zahlte sich aus. Am 23. Dezember war es so weit. Nach monatelanger Schweißarbeit feierte „Ugo“ in der Villa Schöneberg Premiere. „Viele haben völlig geschockt auf den Film reagiert.“, sagt Luka, „weil sie nicht erwartet haben, dass wir das Leben im Kiez so unverzerrt und schonungslos darstellen.“ Die meisten der Jugendlichen im Film leiden unter Persönlichkeitsstörungen, können ihre Emotionen und Gefühle nicht richtig ausdrücken. „Sie können keine Liebe zeigen, weil sie nie gelernt haben, was Liebe ist.“, sagt Kїen. Das ist nur einer der Aspekte, worauf die Jugendlichen mit ihrem Film aufmerksam machen wollen. „Viele im Kiez wissen einfach nicht, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen und kennen niemanden, der ihnen hilft. Sie existieren einfach nur.“, sagt Abner.

Jungproduzenten unter sich: Abner, Luka, Kїen und Dorothea

Jungproduzenten unter sich: Abner, Luka, Kїen und Dorothea

Die Geschichte beginnt mit dem Selbstmord des dunkelhäutigen Protagonisten Ugo. In den folgenden Rückblenden erfährt der Zuschauer unter anderem um die Beweggründe Ugos, Suizid zu begehen und erhält einen unverfälschten Einblick in das Leben und die Probleme der Jugendlichen im Schöneberger Kiez.

Früh von Mutter und Vater verlassen, muss sich der 20-jährige Ugo um seine jüngere Schwester Ines kümmern und wächst dabei in die Rolle des Vaters und Liebhabers hinein. Ugos Verhältnis zu seiner Freundin Sen ist geprägt von Machtbesessenheit, Hassliebe und Gewalt. Als er erfährt, dass Sen ihn betrügt, sieht er schließlich keinen anderen Ausweg, als sich umzubringen.

Mit ihrem Projekt zeigen die Jugendlichen, was mit Eigeninitiative und harter Arbeit alles möglich ist und haben damit das erreicht, was viele im Vorherein nicht erwartet hätten. Nämlich die Problematik des Kiezalltags so roh und wirklich darzustellen und die Menschen dabei gleichzeitig auf einer tieferen Ebene zu erreichen. „Unser Film ist nichts für kleine Kinder, deswegen auch ab 16.“, bemerkt Luka mit einem Augenzwinkern.

Bisher war die Uraufführung des Filmes in der Villa Schöneberg auch dessen letzte. Das soll sich ändern. Bald wird der Film auch in Schulen und sogar im Kino laufen. Schluss ist damit für die vier Jungproduzenten noch lange nicht. Weitere Projekte sind bereits in vollem Gange. Ein Animationsfilm, bei dem es wieder um das Leben im Kiez gehen soll, ist schon in Arbeit. Dorothea ist beim Peer-Helper-Projekt engagiert, wo sie u.a. Jugendliche aus Schöneberg unterstützt. Auch Kїen ist an weiteren Projekten beteiligt, gibt sogar Graffiti-Unterricht.

Am Ende des Gesprächs frage ich, wie sich die Vier gefühlt haben, nachdem der Film endlich fertig war. „Stolz.“, sagen alle im Chor.

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