Von HU-Gastblogger Antje Drobig
Jeder wird mal alt, auch die türkischen Gastarbeiter in Berlin. Als der Vater von Güllü Albayrak pflegebedürftig wurde, wurde eines offensichtlich: An alte Türken hat Berlin nicht gedacht. Denn eine Einrichtung, die speziell auf deren Bedürfnisse abgestimmt ist, konnte sie nicht finden. Was also tun? Es entstand die Idee einer interkulturellen Tagespflegestätte. Mit viel Kultur, Folklore, muslimischen Feiertagen, Heimatverbundenheit und Türkisch.
Am 1. Juli 2007 war es geschafft. Frau Albayrak öffnete die Türen für ihre Tagesgäste in der Kamil-Tagespflege, benannt nach ihrem Vater „Kamil“, der den Denkanstoß gegeben hatte. Und als würde sich hier ein Kreis schließen, bedeutet „Kamil“ „Vollkommen im Alter“.
Zu dieser Vollkommenheit zählt auch der gewählte Ort in der Potsdamer Straße Nummer 53, Ecke Schöneberger Ufer. Zentraler liegen geht fast nicht. Im Hinterhof gibt es eine Grünanlage, fußläufig ist die Evangelische Elisabeth-Klinik erreichbar. Eine gute Verkehrsanbindung lässt auch Ausflüge in den Kiez zu.
Schauen wir ins Innere – durch die spiegelverglaste Front, die ein wenig an den Palast der Republik erinnert: Auf 200 Quadratmetern findet man Ruheräume, einen Speiseraum, ein behindertengerechtes Bad und Aufenthaltsräume. Nichts Spektakuläres. Wären da nicht die unterschiedlich farbliche Gestaltung aller Räume zur besseren Orientierung, die hauseigene Küche inklusive engagierter Köchin (brät auch mal Extrawürste, nur nicht aus Schweinefleisch) und natürlich das außergewöhnlich große Team (fast eine Eins-zu-Eins-Betreuung).
Die absoluten Highlights jedoch für alle Tagesgäste sind die Massagestühle, um die auch schon mal ein Streit entbrennt. Frau Albayrak begründet die Anschaffung mit einem gewissen Alleinstellungsmerkmal. So etwas hat man schließlich noch nirgends gesehen. Und das hat auch seinen Preis, der sich aber letztlich lohnt. Jeder solle sich schließlich wohlfühlen.
Derzeit können täglich 16 Tagesgäste im Alter von 58 bis 91 Jahren die Tagespflege besuchen. Türken, Serben, Araber und Deutsche verbringen hier einen Großteil ihres Tages. 80 Prozent von ihnen sind dementiell erkrankt, Tendenz steigend. „Der Körper ist oftmals noch intakt, aber die ganzen kognitiven Fähigkeiten sind nicht mehr vorhanden.“, sagt die gelernte Krankenschwester Albayrak. Deshalb sind im täglichen Umgang ein festgelegter Tagesablauf und viel Feingefühl notwendig. Die Klienten übernehmen kleine Aufgaben, die ihren früheren Alltag repräsentieren. Tisch decken, basteln, Äpfel schneiden, backen – und immer ist eine helfende Hand in der Nähe. Alle geben ihr bestes. Denn jeder wird mal alt…