Die Potse im Schatten der Heiligen

Über den Bilderzyklus „Nine Saints of Ethiopia“ von Robert Weber in der GALERIE LISTROS

Von HU-Gastbloggerin Maria Buro-Witzik

Schaut man aus dem Fenster der GALERIE LISTROS dorthin, wo die Kurfürstenstraße sich mit der Potsdamer trifft, versteht man vielleicht, was der Philosoph Emil M. Cioran meint, wenn er in seinem Werk Im Schatten der Heiligen von „Gelegenheitswelt“ spricht. Alle paar Meter wartet die Gelegenheit, seinen Herzenswünschen nachzugeben: billiges Essen ohne Ende, billige Textilien, billiger Sex, Kaffee in Pappbechern und andere Mittel, um die Sehnsüchte eine Seelenetage tiefer nicht laut werden zu lassen.

Heim- oder Fernweh – Zeitdruck oder Nutzlosigkeit – Angst vor dem Altern – Beziehungskrisen, wer kennt das nicht? All diese Probleme beschert uns unsere Menschenwelt, weil sie gegliedert ist in Zeiten und Räume. Die Heiligen sind dieser begrenzten Gelegenheitswelt entschwebt, haben ihr Leben lange vor uns vollendet. Trotzdem senden sie uns eine Botschaft aus ihrer Heiligenwelt: Weiten wir unseren egozentrischen Blick auf die Schicksale anderer Menschen, scheinen unsere Schwierigkeiten oft lächerlich und gleich viel erträglicher.

Gemälde "San Antonio"

„San Antonio“ weicht der neuen Ausstellung in der Galerie LISTROS

Den Blick weiten kann die Kunst, und genau das geschieht hier oben in der Galerie zu Ausstellungszeiten. Jetzt in der Zeit zwischen zwei Ausstellungen steht das Bildnis des Hl. Antonius, welcher als Begründer des christlichen Mönchtums gilt, allerdings dort, wo er sich zu Lebzeiten am wohlsten gefühlt hat: abseits allen Trubels in einer stillen Ecke. „Was ist das?“, wundere ich mich als bekennende Kunst-Nichtversteherin. „Das ist ungegenständliche Malerei“, erklärt mir dessen Schöpfer Robert Weber, Cioran-Verehrer und Künstler mit sakraler Thematik, trocken.

Moderne Kunst trifft Traditionsbewusstsein

Während einer Künstlerreise durch Äthiopien setzt Weber den Neun Heiligen des Landes ein künstlerisches Denkmal. Auf Initiative der LISTROS Galerie treffen deutsche und äthiopische Künstler zusammen, lassen sich auf einander ein. So nimmt sich Weber vor, sein Kunstwerk nur mithilfe der Dinge, die sich im Land auftreiben lassen, zu kreieren.

Gemälde "Glaube, Liebe, Hoffnung"

„Glaube, Liebe, Hoffnung“ mit aufgeklebter Bibelseite ganz unten

Auf zwölf Weißbleche, die in ihrer Heimat eigentlich zum Hüttenbau bestimmt waren, malt er mit stinkenden chinesischen Industrie-Lackfarben die neun äthiopischen Kirchenväter. Der Offenheit und Neugier der deutschen Künstler steht das Traditionsbewusstsein der äthiopischen Studenten gegenüber. „Für ein Bild zu den christlichen Tugenden, Glaube, Liebe und Hoffnung“, sagt Robert Weber, „habe ich die Seite mit der Bibelstelle aus einer Bibel ausgerissen, aufgeklebt und mit Farbe überkippt. Da waren unsere äthiopischen Begleiter entsetzt.“

Die Heiligen lassen sich verewigen

Gleich einem Wunder kam das Thema zu Weber, nämlich in Gestalt Abba Gabriels: Noch vor dem Morgengrauen saß der Klostervorsteher eines Tages vor ihrem Reisebus. Gegen die Regel des äthiopischen Fahrers, keine Fremden zu transportieren, nimmt die deutsche Künstlergruppe den heiligen Mann in ihren Bus auf. Als Dank führt der Mönch die interessierten Besucher in einige Klöster ein.

Abba Gabriel

Abba Gabriel

Zur Verwunderung der Deutschen werden hier hunderte Jahre alte Kodizes zur täglichen Bibellektüre genutzt, während sie in Europa schon längst in den großen Museen als Zeuge einer frommeren Welt herumlägen. Überhaupt scheint der Gottesglaube hier noch ursprünglicher zu sein. „Im Heimatkloster von Abba Gabriel befindet sich in einer Felsenhöhle das Grab des legendären Königs Yemrehana Krestos aus dem 11. Jh. Dieses soll man dreimal betend umrunden, dann zeigt Christus dir den Weg, haben die Mönche erzählt. Das habe ich gemacht“, erzählt Weber. Daraufhin ist im Foyer der Addi Abeba University of Fine Arts and Design sein Bilderzyklus „Nine Saints of Ethiopia“ entstanden.

Gelbe Wolltücher sind bis heute das typische Attribut des im Land weit verbreiteten Mönchstums. Abba, Vater, werden die Heiligen genannt. Einer Gewissensentscheidung wegen müssen sie im 6. Jh. die Heimat verlassen, verbrüdern sich in Ägypten und kommen mit der berühmten Pachomiusregel hierher. Trennen sich wieder und gründen überall im Land Klöster, die man heute noch besuchen kann. Auf den fruchtbaren Inseln des Tanasees stehend, in Lalibela und überall im Norden des Landes in Felsen eingehauen setzen sie ein Zeichen der Beständigkeit in einer Gelegenheitswelt.

Die Heiligen erreichen die Hauptstadt

Nun stehen sie hier oben an der Berliner Kurfürstenstraße, die Neun Heiligen Äthiopiens. Erzählen jedem, der Augen zum Von-sich-selbst-wegblicken hat, ihre Geschichte. Schade, dass man die Blechtafeln von dort unten nicht sieht. Die Heiligenbilder sollten in der Gelegenheitswelt da unten Gelegenheit zum Wirken bekommen, mit der Sonne im Rücken ihren Schatten runter werfen. Die herkömmlichen Bilder unten auf der Straße lenken den Blick auf das, was man gerade nicht hat – aber haben sollte. Diese abstrakte Kunst kann analog zur Funktion der Heiligen den Blick ihres Betrachters weiten auf das, was man gerade nicht ist – aber werden kann.

Heiligkeit ist die Genialität des Herzens“, meint Cioran. Die Kraft, die im Herzen entsteht, ist aber die Liebe.

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2 Antworten zu “Die Potse im Schatten der Heiligen

  1. Vielen Dank für diesen Beitrag. Ich war auch mit auf dieser Äthiopienreise. Dieser Artikel schickt mich auf dieses zeitlich doch lange zurückliegende Ereignis wieder, als ob es erst letzten Monat gewesen wäre.

  2. Freut mich, dass der Artikel dem Initiator dieser Reise gefällt. Und eine Gratulation hiermit an die Studentin, die ihn schrieb.

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