Von HU-Gastblogger Marko Eitel
Das Berlin eine Stadt der Gegensätze ist, ist ja allgemein bekannt. Eben läuft man noch auf einer pulsierenden Hauptstraße, dann biegt man einmal ab und schon ist man von Stille umgeben. Und dann biegt man noch einmal ab, sieht sich um und denkt, dass es bis zum Ende der Welt jetzt nicht mehr weit sein kann. So ein Ort ist die Flottwellstraße.
Knappe 500 m Luftlinie trennen sie vom Potsdamer Platz, doch wenn man in sie vom Schöneberger Ufer kommend hineinläuft, ist alles Städtische auf einmal fort. Auf der linken Straßenseite gibt es nur einen Bürgersteig, der von einer unansehnlichen Mauer aus gelben Backsteinen, wie sie für alle alten Bahngebäude so typisch ist, begrenzt wird. Wenn man weiß, dass sich hinter dieser Mauer bis vor einigen Jahren die Überrestes des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhofs befanden, bekommt man eine Ahnung, dass hier wirklich eine Welt endete und eine andere begann. Denn wer wollte schon auf der rechten Straßenseite mit Blick auf ein endloses Meer aus Schienen nebst dazugehörigem Rangierlärm wohnen?
Wollen sicher niemand, doch gewohnt haben dort natürlich die Arbeiter. Dementsprechend bestand die rechte Straßenseite ursprünglich auch aus einer Aneinanderreihung von Mietskasernen, die sich ebenso lang hinzogen wie die gelbe Backsteinmauer. Schon damals stand diese Gegend zum geographisch gesehen nahen Herzen der damaligen Weltstadt Berlin in scharfem Kontrast. Der Krieg riss dann große Lücken in diese geschlossene Häuserfront, welche anschließend nie wieder geschlossen wurden. Da die ganze Bahnhofsanlage in der Zeit der Teilung der Stadt ohne Funktion war, verwilderte das Gelände, was die Flottwellstraße und die sich anschließende Dennewitzstraße nicht attraktiver machte.
Ein schönes Beispiel, wie weit unten der Straßenzug schon immer in der Gunst der Raumplaner stand, lässt sich in Form einer architektonischen Sehenswürdigkeit am Übergang von der Flottwellstraße in die Dennewitzstraße bewundern. Als in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts das Wachstum der Stadt eine neue U-Bahnlinie erforderlich machte, gab es wegen der dichten Bebauung mit Mietskasernen keinen Platz für die Bahn. Also kaufte man einfach die benötigten Grundstücke und, nein, man riss die Häuser nicht ab, sondern baute die Strecke einfach durch die Häuser hindurch.
Da bekommt man in Zeiten von S21 nur das Kopfschütteln und kann sich aber auch ausmalen, für wie unwichtig diese Gegend und ihre Bewohner galten. Wobei die Vergangenheitsform unangebracht ist, denn nach dem Ende der Teilung wurde der Betrieb der Strecke wieder aufgenommen. Und so fährt man auch heute noch mit der U-Bahn zwischen den Bahnhöfen Gleisdreieck und Kurfürstenstraße unter den Fußböden von im 5. Stockwerk liegenden Wohnungen entlang.
Kurz nach der Unterquerung des U-Bahn-Viaduktes kommt man dann an einen Ort Berlins, der trotz seiner abgelegenen Lage nach dem Ende des Kalten Krieges weltbekannt wurde. Auf dem Gelände einer ehemaligen Autowerkstadt stand direkt an der Kreuzung zur Kurfürstenstraße das „90 Grad“. In den 90er Jahren gehörte dieser Club zu den bekanntesten Partyadressen der Welt. Viele Größen aus Politik, Wirtschaft und dem Showbiz feierten hier: Georg Clooney ebenso, wie Sarah Connor oder Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Übrig geblieben ist davon heute nur noch das Goldfarben gestrichene Tor. Der Rest wurde abgerissen.
Denn das Gelände gehört zum im Entstehen begriffenen neuen Park, der die Fläche des ehemaligen Güterbahnhofs wieder einer sinnvollen Nutzung zuführen soll. Attraktiver und wohnlich hochwertiger soll diese lange Zeit von der Stadt so sträflich vernachlässigte Gegend werden. Noch ist nichts davon zu sehen. Höchsten zu ahnen: die lange gelbe Backsteinmauer wurde an einigen Stellen durchbrochen, um Zugänge zur Parkanlage zu schaffen. Und auf vielen Brachflächen in der Flottwellstraße hat sich eine rege Bautätigkeit entfaltet. Es sieht also alles danach aus als rücke die Gegend in den nächsten Jahren vom Ende der Welt ein Stück weg und näher an das Zentrum einer sich in Entwicklung befindenden Weltmetropole heran.