von HU-Gastbloggerin Nele
Es ist in den vergangenen sieben Jahren zum alltäglichen Ritual geworden: In aller Frühe, wenn der Tag bestenfalls angebrochen ist, leert André Bojahr den Briefkasten der „Pallasseum Wohnbauten KG“. Sein Arbeitstag beginnt mit der Durchsicht der Mängelmeldungen der Mieter. Rund 2000 Einwohner hat Berlins wohl prominentestes Mietshaus „Pallasseum“, in dem André Bojahr als Chefhausmeister 514 Wohnungen umsorgt. Die Mängelbriefe verraten ihm, wo in dem Wohnkomplex Fenster nicht schließen, Abschlüsse verstopft sind oder Renovierungsarbeiten ausstehen. Bojahr hat die Beschwerdemeldungen der Bewohner nicht ganz frei von Ironie „Liebesbriefe“ getauft.
Versammelt um die heiße dampfende Kaffeekanne werden dann die darin enthaltenen Arbeitsaufträge an die Mitarbeiter verteilt. Zwei Maler, ein Schlosser, ein Sanitärmonteur, ein Tischler und sechs Hauswarte kümmern sich um alle erdenklichen kleinen und großen Schäden des 35 Jahre alten Gebäudes. Während gewöhnliche Hausmeister, den Wasserrohrbruch an Sanitärfirmen delegieren, legen der technische Leiter und sein Team – wo immer es möglich ist – selbst Hand an. Bei einem derartigen Objekt erfordert das auch Koordinationsarbeit. Doch aller Rastlosigkeit zum trotz: André Bojahr liebt seinen Job und freut sich über jeden Arbeitsauftrag.
Chronologie eines unermüdlichen Einsatzes
Das war nicht immer so. „Früher“ erinnert er sich zurück „hatte ich oft ein ungutes Gefühl, wenn ich an den Wohnungstüren klingelte. Man wusste nie was Einen erwartet.“ Früher – das waren die Zeiten als der Gebäudekomplex an der Pallasstraße noch unter dem Namen „Sozialpalast“ bekannt war. Vandalismus, Drogendelikte und Gewalt verhalfen dem ehemaligen Pilotprojekt des sozialen Wohnungsbaus zu tragischer Berühmtheit weit über Berlin hinaus. Statt mit nachhaltiger Investitionsmaßnahmen, wollte der damalige Senat die Probleme um das „Pallasseum“ 1998 mit der Abrissglocke bekämpfen. Das beschwörte ungeahnte Widerstandskräfte bei den Bewohnern hervor. Zusammen mit dem „Quatiersmanagment Schöneberger Norden“ und dem neuen Geschäftsführer der Eigentümergesellschaft kämpfte der Mieterbeirat des Hauses unerschütterlich für den Erhalt des Gebäudes.
Initiativen und Projekte wie Straßenfeste, Beratungsangebote, ein Bewohnercafé und Kunstaktionen haben den ehemaligen sozialen Brennpunkt zum friedlichen Miteinander werden lassen. Zugleich ist das Wunder vom ehemaligen „Sozialpalast“ auch der Verdienst großer Investitionen und handwerklicher Unrast: Knapp 6,5 Millionen hat sich die „Pallasseum Wohnbau KG“ die Sanierung der Wohnanlage in den letzten zehn Jahren kosten lassen. Neben neuen Fahrstühlen, sanierten Eingangsbereichen und renovierten Fahrstühlen, gibt es nun auch ein Videoüberwachungssystem.
Und dennoch: André Bojahr und sein Team kommen nicht zur Ruhe. Als nächstes sollen die Küchenzeilen Strang saniert werden. Daneben müssen immer wieder alltäglich anfallende Schäden beseitigt werden und das möglichst schnell: „Einige Bewohner haben sich an unserer Serviceangebot so sehr gewöhnt, dass eine knarrende Tür innerhalb von 24 Stunden behoben werden muss“ schmunzelt Bojahr.
Mehr als eine Aufwandsentschädigung
Doch so viel Einsatz bleibt nicht unentlohnt. Dort wo vor einem Jahrzehnt noch Leerstand allgegenwärtig war, gibt es heute Wartelisten: „Im Schnitt wartet man heute auf eine Einzimmerwohnung im Pallasseum knapp zwei Jahre“, erklärt Sigrid Witthöft, die Prokuristen der „Pallasseum Wohnbauten KG“. Wer indes akuten Wohnungsbedarf hat, wird bevorzugt behandelt, ob mit Einkommen oder ohne. Auch wenn sich das Mietshaus ohne staatliche Unterstützung heute ausschließlich selbst finanziert, darf hier jeder wohnen. Die Metamorphose des „Sozialpalastes“ zog keine Mieterhöhungen nach sich, noch immer leben nach Schätzungen des ansässigen Quartiersmangaments 40% der Einwohner von staatlichen Transferleistungen.
Vielleicht wissen gerade deshalb die meisten Mieter den Service des „Hotel Palace“ – wie Bojahs ganz privater Spitzname für seinen Arbeitsplatz ist – sehr zu schätzen. Der technische Leiter des „Pallasseums“ ist zumeist ein willkommener Gast, ob zum Frühstück oder zum Nachmittagskaffee. Wenn sein Terminplan es erlaubt, stellt er seinen roten Handwerkskasten ab und verweilt bei den Bewohnern, denn das, was ihm an seinen Arbeitsplatz am meisten gefällt, ist das „familiäre Miteinander“. Gelegentlich wird Bohjar für seinen Einsatz sogar mit Präsenten gedankt, doch der allergrößte Lohn bleiben seine „Liebesbriefe“. Davon wird er auch morgen wieder einen ganzen Stapel bekommen, wenn er in aller Frühe den Briefkasten öffnet.