Artikel von Gastblogger Moritz, geschrieben im Rahmen des Sommerkurses 2012 “Online-Journalismus – Recherchieren und Bloggen” am Career Center der Humboldt Universität
Gleich meine ersten Gehversuche im Rahmen dieses Sommerprojektes in der Potse brachten mich auf dieses Thema: Radfahren auf der Potsdamer Straße. Gefährlich soll es sein, mit im Weg stehenden Briefkästen, einer deutlich zu engen Fahrbahn, und dann auch dem viel zu dichten Verkehr. Einen Foto-Blog darüber gibt es auch. Aber geändert wird bei dem wohl unfähigsten Senat des Landes an der Situation auf absehbare Zeit auch nichts. Zeit für einen Selbstversuch.
Potsdamer Straße – wo?
Potsdamer Straße, wo ist die überhaupt? Ich kannte den Potsdamer Platz. Damit muss das irgendwie zusammenhängen, waren meine ersten Gedanken. Beim ersten Besuch noch über die Kurfürstenstraße-Haltestelle per U-Bahn aus dem beschaulichen Moabit angereist, wunderte ich mich bereits über die sichtbare Vielfalt und darüber, dass dieser Bereich bisher auf meiner eigenen Landkarte Berlins überhaupt nicht aufgetaucht war. Bis ich selbst Ende 2010 nach Berlin zog, hatte ich schon häufiger Freunde in Berlin besucht und deshalb auch den einen oder anderen Bezirk aus der Nähe gesehen. Aber dieser Bereich Berlins zwischen Kudamm und Kreuzberg war mir bis dato verborgen geblieben.
Der erste Rundblick nach dem Verlassen des U-Bahn-Schachtes deutet an, dass das älteste Gewerbe der Stadt hier nicht all zu weit entfernt ist. Der Blick auf die wie immer knappe Kleidung ließ für mich erkennen, dass die Damen hier schon etwas länger ihrem Beruf nachgehen als die frisch importierten in der Oranienburger Straße; sieht man hier doch deutlich mehr Baumwolle und weniger Lack, Leder oder Kunststoffe. Die langen Beine stecken zwar auch in höchsten Schuhen, aber in solchen mit lang nicht so lauten Farben. Die anderen Mitaussteiger aus der Bahn scheinen gar keine Notiz von dieser Umgebung zu nehmen, es ist wohl nichts besonderes. In der Tat macht das Straßenbild einen unaufgeregten, alltäglichen Eindruck.
Galerie Listros: erneut eine Überraschung und eine Aufgabe
In der wunderschönen Galerie Listros neben einer Einführung in die Räumlichkeiten dort mit der ersten Aufgabe versorgt, nämlich sich einen Eindruck zu verschaffen, was die Potse ausmacht, mache ich mich sogleich auf, linksherum in die Potsdamer Straße und bleibe sofort stehen bei der Fleischerei Staroske. Es ist zwar erst 11 Uhr vormittags, aber Currywurst-Pommes geht immer. Außerdem sagt meine innere Stimme, kann man mit einem vollen Teller Leckereien vor einem viel besser rausgucken, die Menschen beobachten und vielleicht das eine oder andere Gespräch aufschnappen.
Ich werde von einer Auszubildenden gefragt, was ich denn gerne hätte. Eine Auszubildende? So etwas gibt es noch? Fast schon verunsichert von der für mich seltenen Erscheinung, kenne ich doch schon eine gefühlte Ewigkeit nur noch Praktikanten oder Werkstudenten, also in der Regel oft Menschen, die eigentlich ganz andere Absichten haben, als sich für das zu interessieren, was vor ihnen passiert, stammele ich meinen Wunsch.
Während ich warte, schaue ich mich um und entdecke Menschen, die dem Alltag nachgehen in einer unaufgeregten Art und Weise. Sie tragen keine Markensonnenbrillen als normale Brillen, sie nehmen ihrem 3-jährigen Sohn nicht das iPhone weg – weder iPhones noch 3-Jährige sind anwesend – und sie sprechen nicht von ihren Ausflügen nach London, New York oder Paris oder dem letzten Meeting. Familiäres wird besprochen, dass die Preise insgesamt wieder gestiegen sind und dass die Wurst ja etwas teurer als gedacht war, aber ja auch nicht die aus dem Angebot. Hier fühle ich mich wohl. Und die Currywurst-Pommes sind auch lecker.
20 Minuten sind schon rum, dann also noch schnell ein wenig gehen. Ach Quatsch, hier ist ein Café, das sieht doch gut aus, nach Currywurst-Pommes ist ein Kaffee genau das Richtige, und vor allem kann man da gut Leute beobachten und auch das eine oder andere mithören. Der Milchkaffee zum Mitnehmen kommt pronto, gerade kaum andere Leute da, und wenn, so lesen sie in Zeitungen. Also raus auf die Straße, andere Menschen anschauen, vielleicht kriegen wir ja so langsam den Einstieg in diese Straße und in das, was die Leute hier bewegt. Ein Punkt ist schnell ausgemacht: die Abwechslung ist es, was diese Straße ausmacht. Hier ist BurgerKing neben Dönerbude. Bäcker neben Woolworth. Da ist ein India-Store neben einer Lesehalle und gegenüber ein weiteres seltenes Exemplar: ein Geschäft für Bürobedarf. Wer auf die Klingelschilder schaut, entdeckt Galerien und Rechtsanwälte in denselben Häusern. Zeit um, ab zurück.
Die zweite Aufgabe, leider baut sie auf der ersten auf
Neue Aufgabe: interviewt Leute auf der Straße zu dem, was ihr herausgefunden habt. Soll ich sie zur Currywurst-Pommes oder zur Abwechslung der Geschäfte befragen? Ich versuche es mit der Frage, was denn die Besonderheit der Potsdamer Straße ist und hole mir fast einen verbalen Einlauf ab: Besonderheit ist fehl am Platz. Hier wird vor allem gearbeitet, der Lebensunterhalt verdient und besonders ist in erster Linie nur der unfähigste Senat, den es nur irgendwo geben kann. Milliarden werden in den Bau eines unnötigen Flughafens gesteckt, aber hier kriegt man nicht mal die Radwege hin. Die Situation sei lebensgefährlich, wenn man überhaupt so weit kommt, und nicht schon am Briefkasten scheitert. Da wird seit Ewigkeiten nichts getan.
Hamburg, wo ich herkomme, hat ja auch einen Flughafen, Elbphilharmonie nennt er sich dort, warum der Berliner Senat das kopiert? Oder ist es gar anders herum? Hamburg jedenfalls wird deutlich günstiger wegkommen, oder?
Radfahren schein ein emotionales Thema zu sein, mein Beschluss ist gefasst. Darüber schreibe ich. Einen Blog soll es dazu auch geben. Und nach ein wenig Recherche zeigt dieser auch gleich, das Unfälle wohl nicht selten sind. Wie kann ich dem also am besten nachfühlen? Wie gehe ich diesem Thema am besten auf den Grund? Durch Ausprobieren!