Das Portrait ist entstanden im Rahmen des Sommerkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Centers der Humboldt-Universität zu Berlin.
Der Weg zum Kindergarten führte an der Mauer entlang. Auch an Geisterbahnhöfe kann er sich erinnern. „Wie hat sich das angefühlt?“ Ulrich kommt ins Grübeln. „War das nicht bedrohlich?“ – „Nein.“ Geboren in Tuttlingen bei Stuttgart, wuchs er im kreuzberger Wrangelkiez auf, keine 500 Meter entfernt verlief die Grenze. Als die Wende kam, war er acht Jahre alt. Gefragt nach seinen Gefühlen und Gedanken bleibt er wortkarg. Was heute seltsam und unvorstellbar erscheint, war wohl damals, für das Kind, Normalität.
Er zog früh aus, ohne Abitur, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. „Zeitungsträger, Kellner, Call-Center… Eine Zeitlang habe ich für ein Musikmagazin geschrieben. Manchmal hatte ich vier Jobs gleichzeitig.“ Schließlich arbeitete er in einem Biomarkt der LPG und wurde Mitglied im Betriebsrat. Das kam ihm später zu gute, als er sich um ein Stipendium bei der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung bewarb.
Das Kulturnetzwerk Neukölln bot ihm Raum für Engagement. Ziel war es, Einwohner mit Künstlern ins Gespräch zu bringen. „Die konnten auch ziemlich elitär sein. Wenn dann Kinder durch Ausstellungen führten und Werke interpretiert haben, das war schon etwas Besonderes.“ Sofort denke ich an Buschkowski, seine holzschnittartigen Thesen über inkompatible Kulturen. „Was hältst du davon?“ – „Der Kulturverein arbeitet vor allem im öffentlichen Raum, jede_r ist willkommen. Gruppen bilden sich dadurch nicht. Bei einem Projekt haben wir Einweg-Kameras an die Jugendlichen verteilt. Alle kamen wieder zurück.“ Offenheit und Vertrauen statt Paternalismus und Stigma. Das Konzept geht auf.
Heute studiert er, mit Anfang 30, Kulturwissenschaft. Wie sollte es anders sein? „In Kombination mit Soziologie und Politikwissenschaft, das gibt dem ganzen eine Richtung.“ Ich bin gespannt, wie es bei ihm weiter geht, welche Umwege ihn ans Ziel bringen werden. Spießig und langweilig wird es sicherlich nicht. Da ist er ganz der (fast) echte Berliner.
Von Christina Hirsch