An der Graswurzel der Politik

Die Mediengestalterin Gabriele Hulitschke eckte im Osten immer wieder an, weil sie sich nicht anpassen wollte. Ihre Suche nach Freiheit führte sie ins Ehrenamt.

Eine Frau, viele Ämter

Gleisdreieckpark Berlin, an der Schnittstelle zwischen Ost- und Westseite des Parks, zwischen Kreuz- und Schöneberg. Zwei blonde Touristen mit ratlosem Blick nähern sich der dunkelhaarigen Frau, die dort in der Landschaft herum steht, die Hände in den Taschen ihrer Jeans. Sie suchen das Technikmuseum, in diesem weitläufigen Niemandsland hilft ihnen auch ihr Reiseführer nicht weiter. Gabriele Hulitschke runzelt kurz die Stirn und überlegt, sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht; es ist sehr windig.

Quelle: commons.wikimedia.org

Der Park im Gleisdreieck beeindruckt durch seine Weitläufigkeit – Eine grüne Insel inmitten der Großstadt

Nachdem sie ihnen den Weg erklärt hat, bedanken sich die beiden und laufen weiter. Sie wissen nicht, dass sie Hulitschke auch nach ganz anderen Sachen hätten fragen können – die hochgewachsene Frau hätte ihnen auch die Birke zeigen können, für die man, um sie zu erhalten, eine Einbuchtung in den Weg machte, oder sie hätte sie ins Gestrüpp des ehemaligen Stellwerks führen können, um ihnen die mit Moos und Bäumen überwachsenen Gleise zu zeigen. Sie hätte sie mitnehmen können in ein verschlafenes Cafe inmitten einer erhaltenen Kleingartensiedlung am westlichen Ende des Parks. Denn Gabriele Hulitschke, die seit fast zwanzig Jahren auf der Schöneberger Seite vom Park wohnt, hat sich als Anwohnervertreterin in der Projektbegleitenden Arbeitsgruppe Gleisdreieck lange Zeit selbst mit seiner Gestaltung auseinandergesetzt.

Dieses ist nur eines von zahlreichen Ehrenämtern der Inhaberin eines Büros für Mediengestaltung. Zusätzlich vertritt sie die Interessengemeinschaft Potsdamer Straße im Quartiersrat “Magdeburger Platz” und organisiert Kunstaktionen für Kinder, auch eine Fraueninitiative hat sie schon gestartet.

Ein geheimer Garten im Zentrum Berlins

Als Hulitschke 1995 in die Kurfürstenstraße in Schöneberg zog, nahm sie das erste Mal an einer Führung über das Gelände am Gleisdreieck teil. Der ehemalige Kopfbahnhof war nach dem zweiten Weltkrieg auf Grund verworrener Besitzverhältnisse aufgegeben und sich selbst überlassen worden, eine verwunschene, verwilderte Insel in einer geteilten Stadt.

Quelle: flickr.com

Das Gelände vor seiner Öffnung. Die Birken sind heute noch größer, auch die alten Gleise kann noch finden, wer im Gebüsch danach sucht

“Man ist dann mit dem Rad an dem Gebiet entlang gefahren”, erzählt Hulitschke, und ihre blauen Augen leuchten mit den Ohrringen um die Wette. “Aber was hinter der Absperrung war, blieb ein Geheimnis.” Heute ist der Gleisdreieckpark, der im Mai 2013 fertiggestellt wurde, ein Modellprojekt, ausgezeichnet mit dem Europäischen Gartenpreis. Dass dieser an die Architektinnen vergeben wurde und nicht an die Anwohnerinnen, die sich in ihrer freien Zeit seit Jahren, manchmal seit Jahrzehnten für die Entstehung des Parks eingesetzt haben, nimmt Hulitschke mit einem Schulterzucken hin.

Werden Sie SED-Mitglied, dann können wir was für Sie tun”

Geboren in einer Kleinstadt in Thüringen, aus der sie mit 16 nach Jena floh, hat sie schlechte Erfahrungen gemacht mit allem Offiziellen, mit dem, was sie “starres Denken” nennt. Die DDR-Funktionäre boten ihr ein Studium an – unter der Bedingung, dass sie für die Staatssicherheit arbeite.

Quelle: privat

Die Mediengestalterin Gabriele Hulitschke im Café am ehemaligen Stellwerk

“Werden Sie Mitglied in der SED”, sagten sie zu ihr, “dann können wir was für sie tun”. Hulitschke lehnte ab, ihr Traum, Humanmedizin zu studieren, rückte damit in die Unmöglichkeit. Stattdessen wurde sie Handweberin. Um dann nach dem Fall der Mauer doch noch eine Hochschulausbildung zu machen: Anfang der Neunziger studierte sie drei Jahre Freie Kunst in Baden-Württemberg.

Kreativität gibt Kraft

Noch im Osten reiste sie viel, mit einer Freundin trampte sie im Sommer 1982 bis ans Schwarze Meer. Auf dem Rückweg durch Ungarn kamen die beiden zu einem Spielzeugmuseum, wo ein internationaler Filzworkshop stattfand. Dort trafen sie auf Leute aus aller Welt, “Kanadier und so, auf einmal mussten wir Englisch sprechen. Da habe ich das erste Mal gemerkt: Diese Welt kann so toll sein.” Und dass Kunst verbindend und wie sie sagt “sinnstiftend” sein kann.

Dieser Gedanke leitet sie auch bei der Ausrichtung der Kindermagistrale, einem eintägigen Kunstevent für kleine und große Kinder im Kiez. Das Wort Magistrale, welches eine Hauptverkehrsstraße bezeichnet, bezieht sich auf die Potsdamer Straße, diese laute Lebenslinie im Herzen eines Quartiers, das man noch immer als Problemkiez bezeichnen kann. Hier wohnen arme und reiche Menschen aus vielen Gegenden der Welt, hier befindet sich der heruntergekommenste Straßenstrich der Stadt. Genau in diese Buntheit wollte Hulitschke. 2009 übernahm sie die Leitung der Kindermagistrale. Seitdem erlebt sie immer wieder, wie die Kunst Menschen verbindet und jedem Einzelnen ein Gefühl von Freiheit gibt.

Quelle: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/Ich-sehe-was-was-Du-nicht-siehst-Bunte-Kindermagistrale.4862.0.html

Kindermagistrale 2012 Foto: S. Wolkenhauer

Das gemeinsame Erlernen von kreativen Techniken gebe den Kindern Kraft, sagt sie, eine Kraft, die sich auch auf den Alltag übertragen lasse: “Meine eigene Kreativität hat mir immer in schwierigen Situationen geholfen.” Das praktische Engagement in Kinderprojekten stellt auch einen willkommenen Kontrast zur Arbeit am Schreibtisch dar. Wenn die Deadlines drücken, verbringt die Mediengestalterin manchmal Tage allein vor dem Computer.

Freiwillig kommt von Frei

Auf keinen Fall will sie jedoch ihre freiwillige Arbeit gegen einen politischen Posten tauschen. Im Ehrenamt sei sie eben freier, ungeschützter – und unberechenbarer. Es gehe um ein ständiges Finden von gemeinsamen Positionen. “Daran wächst man, auch wenn es manchmal bitter ist.” Die Suche nach Mitbestimmung führte sie damals in die Freiwilligenarbeit. Ins Projekt Gleisdreieckpark ist sie eingestiegen, weil sie herausfinden wollte, wie Politik im Westen funktioniert, denn auf einmal lebte sie “in einer Gesellschaft, in der alles möglich ist” – und das kann schwierig sein. Genau wie das Treffen auf Menschen aus anderen Kulturen, das sie als “bereichernd und verwirrend” beschreibt.

Hulitschke spricht mit Bedacht, sie macht es sich nicht einfach. Ihr Kiez ist schon mittendrin im Prozess der Gentrifizierung. Auch der Park, das Prestigeprojekt, trägt seinen Teil dazu bei.

Quelle: commons.wikimedia.org

Im Park trifft Design auf Natur

Auf der Nordseite, zum Potsdamer Platz hin, reiht sich Baukran an Baukran. Hier werden, man kennt das schon, Häuser für Leute gebaut, die sich später über den nächtlichen Lärm im Park beschweren werden. An den Wochenenden ist der Park überfüllt, eine einzige Freiheitsfläche reicht nicht in diesem Kiez.

Der Wandel geht weiter

Gleichzeitig ziehen immer mehr Familien weg. In einem Projekt, das sie 2010 initiierte und das Sprach- und Computerkurse für Frauen anbot, “kamen auf einmal die Türkinnen und fragten, wie sie mit der Suchmaschine eine neue Wohnung finden können.” Diesen Prozessen kann man nicht entgegenwirken. Man kann nur versuchen, so unberechenbar und so unbequem wie möglich zu bleiben. So wie Gabriele Hulitschke.

Von Isabelle

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