Morgens um halb elf auf dem Marktplatz in Eberswalde, aus einer neueröffneten Boutique dröhnt Elektropop. Etwa zehn Leute in Fahrradmontur stehen im Kreis. Ihnen nähert sich eine kleine Frau mit weißem Zopf, auch sie auf dem Fahrrad, und fragt: “Gehts hier nach Afrika?” – “Ja”, schallt es ihr einstimmig entgegen. “Hier gehts nach Afrika!”
Fahrrad fahren und Gutes tun
Die Fahrradfahrer_innen gehören zur Aktionsgemeinschaft Solidarische Welt (ASW), einer entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisation, die ihren Sitz in der Potsdamer Straße hat. Seit vier Jahren veranstaltet die ASW eine eintägige Radtour in ein Örtchen namens Afrika in der Uckermark, um auf den Verein aufmerksam zu machen und Spenden für die Projektarbeit zu sammeln: Vor Beginn der Fahrt soll jede Teilnehmerin einen Spendenaufruf starten und Freund_innen und Verwandte dazu animieren, Geld zu spenden. Zwei Euro werden pro Kilometer veranschlagt, bei 55 Kilometern von Eberswalde nach Afrika käme man so auf 110 Euro pro Person – theoretisch. In der Praxis sieht es etwas anders aus.
“Wir wollen die Welt nicht mit unseren Ideen beglücken”
1957 als “Aktionsgemeinschaft für die Hungernden” gegründet, war die ASW eine der ersten entwicklungspolitischen Organisationen in Deutschland. Anfangs förderte sie vor allem Kinderpatenschaften in Indien. Bald erkannte man jedoch, dass diese Form der Hilfe mehr schadet als dass sie nützt. Heute geht es ausschließlich um die Weiterleitung von Spenden.
“Wir wollen nicht die Welt mit unseren Ideen und Konzepten beglücken”, sagt Michael Franke, der bei der ASW zuständig für die Afrikaprojekte ist. Der kleine, drahtige Mann arbeitet seit 25 Jahren für die Aktionsgemeinsschaft, außerdem organisiert er Radtouren in Afrika für deutsche Tourist_innen. Auch bei der Fahrt nach Brandenburg ist er Tourenleiter.
Statt Entwicklungshelfer_innen zu entsenden, kümmert sich die ASW also um die Förderung einheimischer Projekte in Brasilien, Indien und vier afrikanischen Ländern – im Senegal, Burkina Faso, einem Flüchtlingslager in der Westsahara und Simbabwe. Derzeit sind es rund sechzig an der Zahl, wobei der Schwerpunkt auf Frauen- und Umweltthematiken liegt. Diese Art von Entwicklungszusammenarbeit mag sinnvoll sein – populär ist sie nicht, so scheint es, in Zeiten, in denen viele junge Menschen ihr Engagement mit einer Art Selbstfindungstrip ins Ausland verbinden. Denn ein solcher macht sich auch gut im Lebenslauf (Link führt zu Video).
Spenden ist out
Dieses Dilemma wird sichtbar, wenn man sich die Tourteilnehmer_innen ansieht. Während im letzten Jahr immerhin 40 Menschen mitgefahren sind, sind es dieses Jahr nur rund ein Dutzend – allesamt ältere, gebildete und weitgereiste Personen, oft seit Jahrzehnten eng mit der ASW durch die gleiche Philosophie und regelmäßige Spenden verbunden.
“Vor dreißig Jahren war es noch üblicher, dass man Dritte-Welt-Projekten regelmäßig gespendet hat”, erzählt Franke. Heute ist das schwieriger, Spenden sind eher einmalige Ereignisse, und um sie zu bekommen, brauche man “viel Energie, und immer neue Ideen”. Die Fahrradtour nach Afrika in der Uckermark war eine solche Idee. Ein Gag, um Aufmerksamkeit zu erregen, der Höhepunkt der Fahrt sollte das gemeinsame Foto unter dem Ortsschild “Afrika” sein.
Klein und fein
Die ASW ist im Vergleich mit den großen Organisationen wie Brot für die Welt ein Winzling. Sie hat einen Jahresetat von 1,1 Mio Euro, der Großteil kommt aus privaten Spenden. Nothilfe bei aktuellen Katastrophen, die bei anderen NGOs die Spenden kurzfristig in die Höhe treibt, wird nicht gemacht. Für die Arbeit der Aktionsgemeinschaft braucht es nicht unbedingt viel Geld, sondern vor allem Wissen darum, wo dieses Geld etwas bringt.
Die Spender_innengruppe schüttelt den Kopf über Organisationen mit schlechtinformiertem Personal und großem Budget, denen es hauptsächlich darum ginge, dass nachher im Bericht alles stimmt. Afrikareferent Franke erzählt von Entwicklungshilfeprojekten in Westafrika, bei denen man die Männer zusammentrommelte, um ihnen etwas über Landwirtschaft beizubringen – ohne zu wissen, dass dies dort seit Menschengedenken Frauenarbeit ist.
Eine unbeabsichtigte Pointe
Nach einer fünfstündigen Fahrt durchs schöne spätsommerliche Brandenburg kommen wir am Nachmittag in Afrika an. Hier die Enttäuschung: Das Ortsschild wurde geklaut, wahrscheinlich von Souvenirjäger_innen. Also lassen wir uns symbolträchtig unter dem leeren Schildrahmen fotografieren, lächelnd und in die Luft zeigend. Michael Franke hält ein Bild aus dem Vorjahr mit dem damals noch intakten Schild in die Höhe.
Mehr als ein paar Häuser gibt es hier nicht, und so fahren wir noch zwei Kilometer weiter in den nächsten Ort, wo wir ins Gasthaus “Alte Schule” einkehren. Hier gibt es einen Laden für Souvenirs aus Westafrika – der Wirt hat eine besondere Affinität zu Gambia, auch seine Küche ist westafrikanisch geprägt: Zum Abendessen gibt es senegalesisches Hühnchen und Süßkartoffeln mit Spinat und Palmöl nach einem Rezept aus Ghana.
Vorher versammeln sich die Teilnehmer_innen noch im Gemeinschaftsraum. Die Heizung wird aufgedreht: Abends wird es doch etwas kühl in Afrika. Der Referent für Öffentlichkeitsarbeit der ASW, Marek Burmeister, gibt einen Überblick über die Arbeit des Vereins. Wieder werden Sorgen laut. “Wir werden alle älter, auch wenn wir noch sehr gut radfahren können”, gibt ein Spender zu bedenken, von einem “Generationenkonflikt” ist die Rede. Etwas muss sich ändern, das ist klar. Für den September ist ein Spieleabend zur Spendensammlung geplant. Mit Hilfe einer Agentur sollen neue Unterstützer_innen gewonnen werden.
Die heutige Tour hat immerhin 2000 Euro eingebracht – auch wenn nur drei Menschen die Möglichkeit des privaten Fundraisings genutzt haben. Viele haben, wie es ihre Gewohnheit ist, einfach selbst gespendet. Nächstes Jahr fahren die ASWler_innen wieder von der Potsdamer Straße nach Afrika. Hoffentlich mit mehr Leuten, mehr Geld – und einem erneuerten Ortsschild.
Von Isabelle