O-TonArt Theater? Ja, unbedingt!

Von HU-Gastblogger Kay

Das Schöneberger Kieztheater kämpft ums Überleben. Es geht dabei um mehr als einen Kleinkunstbetrieb. Es ist auch die Frage nach dem Kulturverständnis einer ganzen Stadt.

Kürzlich ist mir zum ersten Mal ein Satz über Berlin zu Ohren gekommen, der normalerweise nur über Städte wie New York, Paris oder London geäußert wird: Das Tolle an Berlin sei ja, dass man zu jeder Zeit so viele verschiedene Dinge machen könne, dass man auch ruhig mal zu Hause bleiben könne.

Mal davon abgesehen, dass der kausale Zusammenhang zwischen der Vielfältigkeit der Erlebnismöglichkeiten und der Entscheidung, in seiner Wohnung zu bleiben, während draußen das wilde Leben tobt, sich mir nicht in Gänze erschließen mag, will ich nicht anzweifeln, dass das Zuhause-bleiben seinen ganz eigenen Reiz haben kann. Was allerdings die vielfältigen Erlebnismöglichkeiten angeht, so möchte ich zwar nicht laut und bestimmt widersprechen, aber doch ein wenig grüblerisch die Stirn in Falten legen.

Nun will ich keineswegs den Untergang der Kleinkunstszene Berlins beschreien, nur weil mir jemand diesen doch sehr phrasischen, stadtspezifisch neu modifizierten  Ausspruch entgegen säuselte. Und es ist wahrscheinlich ja noch nicht einmal wahr, weder der Spruch selbst, noch die Annahme, dass es in den Weltstädten, die schon länger moderne, kapitalistische Weltstädte sind, weil sie nicht jahrzehntelang von einer mitten hindurch verlaufenden Mauer an eben dieser Entwicklung gehindert wurden, keine Kleinkunst mehr gäbe. Andererseits lassen sich eben doch ganz schnell unzweideutige Fälle finden, die eine solche Befürchtung zumindest nähren.

Idealist zu  sein bedarf es wenig.

IMG_0976So kam mir nämlich kürzlich nebst besagtem Spruche auch noch ein Spendenaufruf unter, der in seiner etwas unorthodoxen Aufmachung dazu führte, dass er mir und hoffentlich auch anderen im Gedächtnis blieb. Da sucht Bernd Boßmann, seines Zeichens Besitzer des Friedhofcafés „finovo“ und Leiter des Theaters „O-TonArt“ in der schönen Kulmer Straße in Schöneberg, „20000 Idealisten und Förderer“, die, wenn sie für die Rettung der Bühne einen Euro spenden, gegen Vorlage der Spendenquittung im „finovo“ eine Berliner Brause kostenlos erhalten. Die Brause ist die „Berlinade“, ihres Zeichens ausgedacht von Boßmann und gleichzeitig einziger privater Sponsor des Theaters, deren Gewinne gänzlich kulturellen Projekten zukommen.

Szene aus “Marika Rökk – Heißes Blut und kalter Kaffee” © O-TonArt

Wie wunderbar eigentümlich, denke ich mir und will natürlich sogleich mehr über das Theater erfahren. 5 Jahre ist es alt und alle Mitarbeiter sind ehrenamtlich engagiert. Die Stücke sagen mir bis auf wenige Ausnahmen nichts, klingen aber alle interessant, weil skurril („Schwester Cordula liebt Groschenromane“) oder weil an zumeist längst Vergessenes erinnernd („Marika Rökk – Heißes Blut und Kalter Kaffee“).

Meine Neugier leuchtet nur noch freudiger und ich mache mich auf den Weg, mir den bedrohten Ort mal näher anzuschauen. Im ersten Stock des dritten Hauses, also im zweiten Hinterhof gelegen, schreit erst mal noch nichts nach einem unvergleichlichen Kulturort, den es zu bewahren gilt. Doch – und darin liegt schon gleich der zweifelsohne sehr einzigartige Charme des „Hoftheaters für königliche Unterhaltung“ – kaum betrete ich das Eingangssalönchen, werde ich der besonderen Atmosphäre gewahr, die man eben nur in diesen Nischenorten im zweiten Hinterhof, niemals aber in den riesigen Publikumspalästen und schon gar nicht mit 3D-Brille bewaffnet, auf  20 Meter breite Leinwände starrend findet. Hier atmet man die Luft des Kleinkunstgewerbes. Backstage und Zuschauerraum verschmelzen schon im Eingangsbereich zu einem unwiderstehlich familiären Gemisch.

Ehrenamt: Theaterliebhaber

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Die Berlinade gibt’s natürlich auch hier.

Ich treffe Alexander Katt. Er hat sich gleich wärmstens für ein Gespräch mit mir begeistern können. Nachdem die grundlegenden Fragen geklärt sind („Gib uns mal zwei Wasser – oder möchtest du was Härteres? Nein? Ok.“) erzählt er mir von diesem Ort, an dem das SchwuZ einst zum Tanz einlud, an dem die Redaktion der Siegessäule saß. Ein Ort mit Tradition, der wie auch alle Mitarbeiter „aus dem queeren Subtext kommt“, auch Queeres zeige, aber eben nicht nur.

Boßmann alias Oma Kläre steht im O-TonArt auch selbst auf der Bühne © O-TonArt

Kurz darauf stößt Boßmann selbst dazu, zu dritt lümmeln wir also in den plüschigen Lehnsesseln. Die Wände sind bepflastert mit Plakaten von Shows, Varietés und Gesangsabenden. Ich höre mir Anekdoten an und bekomme einen Einblick in eine Welt, die sich wie eine Großstadtnovelle anhört, in die ich lieber eintauche, statt mich der knallharten Realität und den ausgebufften Interviewfragen zu widmen, die vergeblich auf Beantwortung warten.

Und doch kommt wie von allein die Gegenwart zurück ins Gespräch, denn bei allem Zauber, den man hier versucht zu verbreiten und bewahren, so muss eben auch die nun steigende Miete gezahlt werden, die Künstlersozialkasse verlangt Abgaben, Tantiemen sind fällig. Kurzum: Wenn das Geld fehlt, muss auch diese kleine Oase der Berliner Kleinkunstszene den Mechanismen des profithungrigen Großstadtbetriebs Tribut zollen und den Vorhang schließen.

Das will ich überhaupt nicht!“, sagt Boßmann ganz entschieden. Und Katt pflichtet dem bei: „Dann wird das hier die trostloseste Ecke in Schöneberg.“ Und er hat wohl Recht. Ein paar Straßen weiter am Winterfeldtplatz ist das Ende des Puppentheaters „Hans Wurst Nachfahren“ wohl beschlossene Sache.

Momentan führt das „O-TonArt“ Verhandlungen mit dem Vermieter, der städtischen GEWOBAG, dem die Theatermacher im Übrigen sehr dankbar sind für die niedrige Miete in den ersten fünf Jahren und auch ein nun gestellter Spielstättenförderantrag soll für Entlastung sorgen und den Fokus wieder auf den kreativen Teil der Arbeit lenken.

Theater für’s Publikum, Theater für Künstler.

Während also meine Gedanken kurzzeitig zu den knallharten Zusammenhängen von Kultur und Wirschaftlichkeit in der Moderne abschweifen, holen mich Katt und Boßmann wieder zurück in die gemütliche Runde, erzählen von Märchenlesungen für Kinder und Solostücken mit Puppen und Popschnipseln vom Band zum Text klassischer Dramen (Bridge Markland: leonce + lena in the box). Weder wüsste ich auf Anhieb, wo sonst ich derartiges geboten bekäme, noch käme ich auf die Idee, das selbst zu machen, aber ich will es mir auf jeden Fall anschauen. Das weiß ich sofort.

Und dann fällt der Satz, der sowohl das Selbstverständnis als auch den Anspruch der, größtenteils, Theaterveteranen bildet: „Wir sind immer ein Grund, nicht zu Hause zu sein“, so Katt. Und weiter: „Wir stellen einen Spielplan zusammen gemäß der Leute, die sich bei uns bewerben und der Künstler, die wir kennen und versuchen eine Mischung zu finden, die auch für unser Publikum gut ist.

v.r. Boßmann, Katt und weitere Mitarbeiter erwarten gut gelaunt die Theatergäste

Mittlerweile sind alle Sessel im Vorraum des Theaters voll besetzt. Es wird lebensfroh geraucht und Mitarbeiter wie Künstler wuseln munter umher, während auch schon die ersten Zuschauer der heutigen Vorstellung „Prinzessin Hans“ erscheinen. Die Aufnahme des Interviews ist schon beendet, kein Grund für Boßmann allerdings nicht noch ein bisschen weiter zu plaudern, über seine Limonade und seine Pläne, das Ehrenamt in Deutschland der Wortbedeutung gemäß die Anerkennung zukommen zu lassen, die es nun einmal verdiene.

Ich fühle mich heimisch, kann den Vorstellungsbeginn kaum noch ertwarten und kreuze im Kopf schon die weiteren Shows auf dem Programmheft an, die ich sehen möchte. Das ist die Leistung, die das Team um Boßmann und das Theater als Ort auszeichnen. Die wundervolle Show reiht sich nahtlos in den Abend ein. Beseelt radele ich durch die Berliner Nacht. Wer mir jetzt tief und gründlich in die Augen schaut, müsste neidisch werden, denn da blitzt und funkelt es nur so vor diebischer Freude ob des Gesehenen. In Zukunft werde ich also sagen: Das Schöne an Berlin ist ja, dass man noch die Möglichkeit hat, Dinge zu sehen, die anderswo wohl schon längst verschwunden sind, weshalb man unbedingt das Haus für sie verlassen, aber wenigstens ihnen zu Ehren eine Limonade trinken sollte.

2 responses to “O-TonArt Theater? Ja, unbedingt!

  1. Jürgen Dropik

    Dieses Sensationelle Theater muss man unbedingt besucht haben.
    Ich habe schon an vielen Veranstaltungen Teil genommen und wurde immer gut unterhalten.
    Vielen Dank dafür. Jürgen

  2. Danke für den Kommentar, Jürgen. Ja, das O-TonArt Theater ist wirklich ein Juwel im Kiez. Wenn Sie von einer Show besonders begeistert sind, können Sie gerne als Gastblogger darüber berichten.

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