Herr Odes hinter der Säule ODER Hinter einige Fassaden der Flottwellstraße geschaut

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Beim Anblick des Schriftzuges muss ich lachen. Und gleich tauchen Fragen auf. Ist Herr Odes groß, kraushaarig, jung, dich, dünn, bartlos? Warum steht er hinter der Säule? Steht da wirklich jemand hinter der Säule?

Belustigt und neugierig betrete ich das Flottwell Berlin. Herrn Odes kann ich nicht finden, doch sehe „Palme“ an den Säulen, „hohe Tür“ an einer Glastür und „Shalom“ an der Rezeption. „Was soll das?“ ist mein erster Satz an Geschäftsführer Stephan Kühne.

Flottwellstrasse_1000px_11„Als mir diese Weihnachtsdekoration, nachempfunden der Bauhaus-Krippe, vorgeschlagen wurde, hab ichs nicht ganz verstanden, aber ich habe der Frau, die mir es vorgeschlagen hat, vertraut,“ antwortet er. „Der Gepäckwagen heißt jetzt heißt Kamel.“

Wenig später im Gespräch fügt er – passend zur Jahreszeit – hinzu, er sei zu seiner Position als Geschäftsführer gekommen, „wie die Jungfrau zum Kind.“ Der Vorschlag hier in der Flottwellstraße ein Hotel zu eröffnen, sei an ihn herangetragen worden. Als IT-Fachmann hätte er keine Ahnung von der Hotellerie gehabt. „Da hab ich in München erstmal ein zweiwöchiges Praktikum in einem Hotel gemacht, bin überall mitgelaufen und hab ganz viel mitgeschrieben,“ erzählt er. „Danach wusste ich, dass ich im Team unbedingt gute Hotelfachleute haben musste.“

Stephan Kühne hat Humor, liest gerne die Titanic und ist wie seine Geschäftspartner autolos. Man braucht hier in der Stadt kein Auto. Wir nicht und die Gäste auch nicht,“  ist seine Überzeugung.  So entstand die Idee für „DAS Fahrrad-Hotel“ und in jedem Zimmer und auf den Gängen hängen Berliner Fahrradportraits, die in Zusammenarbeit mit der Universität der Künste entstanden sind.

Zum Interview verabredet hatte ich mich mit Stephan Kühne aufgrund eines anderen Spruches, den ich vor 10 Tagen in der Flottwellstraße sah.

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Als ich ihn fotografierte, kam ein Familie – Mutter, Vater, zwei kleine Kinder –aus dem Haus. Er sagte betrübt, dass so etwas ja kommen musste. Ein anderer Neubewohner sagte nur trocken, dies sei in der Diktion von Leuten geschrieben „die ihr Feindbild haben.“ Mir fällt ein Gespräch mit einer anderen Neubewohnerin der Flottwellstraße ein. Nachdem sie mir erzählt hatte, wie gerne sie hier ins Gebiet der Potsdamer Straße gezogen sei, fügte sie erschrocken hinzu, sie sei aber keine Gentrifiziererin.

Wer also sind die neuen NachbarInnen?

So wie viele andere hier im Gebiet beschäftigt mich der Bauboom in der Flottwellstraße und die damit verbundenen Fragen nach Veränderung, Aufwertung und Konsequenzen, wenn in den kommenden Jahren circa 1.500 Menschen in einen Kiez ziehen, der mit seinen circa 8.000 BewohnerInnen zum Großteil von Prekarität geprägt ist. Begegnet bin ich einigen neuen NachbarInnen seit dem ersten Spatenstich am 23. August 2009 in der Flottwellstraße 2. Fünf Jahre später sind die Wohnungen in den Baugemeinschaften der Flottwell 3, Dennewitz 1 und bei Metropolis schon fast vollständig bezogen. Auf westlichen Seite gibt es nur einen privaten Bauträger in der Lützowstraße 1. Auf der östlichen Seite in Friedrichshain-Kreuzberg dominieren die privaten Bauträger wie die Groth Gruppe. Beim Betrachten ihrer Webseiten stieß mir immer wieder ungut auf, dass sie die Potsdamer Straße gar nicht erwähnen.

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Meine Suche nach NeubewohnerInnen in der letzten Woche folgte Zufälligkeiten und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. So klopfte ich spontan an einem Ort, der mir aufgrund seiner Transparenz schon immer aufgefallen war und hatte Glück, sofort zu einem Gespräch empfangen zu werden.

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Wir hatten ein Büro in Mitte, in der Jägerstraße zwischen Ministerien in einer reinen Beamtengegend, da herrschte eine sehr sterile Atmosphäre,“ sagt Innenarchitektin Christa Fischer. „Hier können wir Kinder, die RadfahrerInnen, Hunde aus dem Fenster beobachten. Im Park haben wir gute Freizeitmöglichkeiten. Wir sind einfach sehr angetan von der Authentiziät der Gegend und haben hier im Gebiet auch schon in einigen Objekten gearbeitet.“ Beim späteren Öffnen der Webseite der Fischerinnen, lande ich sofort auf Station 2A der Evangelischen Elisabeth Klinik in der Lützowstraße.

Als ich von der Idee einer Baugemeinschaft in der Flottwellstraße hörte, hab ich den Mann, der mir davon erzählte gar nicht ausreden lassen, sondern sofort gesagt, dass ich dahin ziehen möchte,“ erinnert sich Franziska von Malaisé. „Wir haben dann einen Spaziergang gemacht. Damals war noch nichts hier, außer Stretchlimos, Pariser und Hundekot. Das war 2010 oder 2011. Doch die Bandbreite der Potsdamer Straße von Prostitution zu Devotionalien hat mich schon immer begeistert. “

Von einer anderen hörte ich, sie hätte die Eintönigkeit des Kurfürstendammes satt, andere zogen den rauhen Charme des Gebietes, jedem schicken Schnick-Schnack-Gebiet vor. Ein älteres Paar konnte aufgrund von Gehbehinderungen nicht in der Wohnung am Schöneberger Ufer bleiben, wollte aber den Kiez nicht verlassen. Wieder andere überzeugten Bekannte und Verwandte mit hierher zu ziehen. In den Jahren der gemeinsamen Planungstreffen lernten sich die Mitglieder der Baugemeinschaften bereits ein wenig kennen.  Sie wissen, dass ihre NachbarInnen als Angestellte, ArchitektInnen, KünstlerInnen, PianistInnen, KulturmangerInnen, BühnenbildnerInnen, in der ökologischen Landwirtschaft oder im medizinisch-psychologischen Bereich arbeiten.

Flottwellstrasse_1000px_07Es wurden Rückschläge gemeinsam durchlitten, wie zum Beispiel in der Dennewitz 1, wo der Fund von Bodengiften den Bau erheblich verzögerte. Es gab die hehren Ziele, keine Monotonie entstehen zu lassen in den architektonischen Entwürfen, doch der Grundsatz alles gemeinsam zu planen ist inzwischen den Prioritäten Einzelner gewichen. Der konstante Baulärm und -staub wird billigend in Kauf genommen, weil er in absehbarer Zeit aufhören wird. An der Prostitution kommen auch sie nicht vorbei, ja sie rückt durch den Vollzug in den Gärten und verbleibenden Freiflächen sehr nahe. Das wirft den Wunsch nach Lösungsmöglichkeiten, doch nicht unbedingt Vertreibung, auf.

Unaufgeregte Heterogenität

Letztendlich haben sich alle nach reiflichen Überlegungen für das Gebiet wie es ist entschieden, weil die Vorteile offensichtlich waren. „Ich wusste genau, worauf ich mich einlasse,“ sagt auch Carl-Wilhelm Oesterley, den ich über diesen Aushang kennen lernte.

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Zwei Mal schon hat er in Berlin gewohnt, ist dann wieder in die Lüneburger Heide gegangen, nun nach Tiergarten-Süd gezogen. „Dies ist immer spannende Gegend gewesen und ich beginne gerade, mich genauer umzugucken nach Einkaufsmöglichkeiten, Friseuren, Restaurants, also Sachen des täglich Bedarfs.“

Doch seine ersten Erkundungswege und Einschätzungen ähneln denen seiner neuen NachbarInnen, die schon länger hier wohnen. Immer wieder höre ich:

Der Park ist unschlagbar, die Weite, die Perspektive.“ – „Die Kinder finden den Gleisdreieckpark super – treffen sich dort zum Chillen.“

Hier findet man auf hochverdichtetem Raum alles – Kultur, das Alte, unaufgeregte Heterognität.“ – „Der Kiez ist kulturell interessant mit den Galerien, dem Anton von Werner Haus, der Camarro Stiftung.“

Die Verkehrsanbindung ist irre gut.“ – „Man ist schnell im Bergmannkiez, in der Akazien- und Golzstraße, im Tiergarten, Kulturforum,“ – „Wir sind hier in der Mitte Berlins, man kann mit einem Zirkel einen Zehn-Minutenkreis ziehen und ist an super vielen interessanten Orten von Berlin.“

Das Café Eule ist der Hit, weil nicht so perfekt.“ – „Die Joseph-Roth-Diele, die Viktoria Bar, das P103, die Maultauschemanufaktur, das Café Climats.“

Getränke hole ich beim Großhandel in der Pohlstraße und den Wein im Les Climats“ – „REWE ist klasse, aber ein bisschen klein.“

Immer wieder ist zu hören, dass es ruhig noch mehr Restaurants und mehr Lebensmittelläden geben könnte. Viele hoffen auf die Gewerbeeinheiten, die entlang der Straße und auch auf dem Quartiersplatz entstehen werden. Ein Café, ein Bioladen und einige Büroeinheiten sind wohl schon beschlossene Sache, doch weitere harren noch guter Ideen und Umsetzungen. „Nachdem sie lange angeboten wurden wie sauer Bier, habe ich mir die Bedingungen geben lassen und halte sie für kaufmännisch interessante Objekte,“ analysiert er. „Die Leute, die hier wohnen, sind bereit ihr Geld hier im ganzen Gebiet auszugeben, wenn sie ein Angebot finden, das sie anspricht.“

Nun ist das Flanieren an der Potsdamer Straße für kaum jemanden aufgrund des hohen Verkehrsaufkommens eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Doch wenn die ZuzüglerInnen nach Monaten die Restaurants und Läden mit Alleinstellungsmerkmal hier im Gebiet noch nicht gefunden, wie sind Hotelgäste an der Straße zu halten, besonders wenn sie, wie im Flottwell Hotel, zu temporären KiezbewohnerInnen werden. „Wir haben unser Konzept bewusst auf Dauergäste ausgerichtet und merken, dass Menschen aus Indien, Südamerika, Russland und auch Deutschland, die bei Unternehmen in der Umgebung arbeiten, auch gerne annehmen,“ sagt Stephan Kühne. „Ich kenne das aus eigener Erfahrung, denn ich bin früher als ITler wochenlang in der ganzen Welt unterwegs gereist. Da kriegst du ein kleines Hotelzimmer und das ewig gleiche Frühstück. Deshalb hat bei uns jedes Zimmer eine Kitchenette, in der man sich auch selbst versorgen kann. Doch die Leute, die im Hotel arbeiten, müssen die Gegend noch viel besser kennen lernen, um Fragen der Gäste beantworten und Empfehlungen geben zu können.“

Die Stadt ist immer im Wandel“ UND „Wir wollen den Kiez mitformen“

Informationen über die lokale Ökonomie sind also wichtig, doch auch die Außenansicht und Auslagen könnte bei vielen einladender werden einem  Schicki-Micki-Trend zu verfallen. Denn die Erschließung der neugierigen, neuen Kundenkreise, ist eine veritable Möglichkeit, den steigenden Mieten zu begegnen.

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Dass die in der Flottwellstraße und an anderer Stelle im Kiez neu entstehenden Bauten zu einer Veränderung des Gebietes beitragen, ist den meisten NeubewohnerInnen bewusst. Der Begriff Gentrifizierung fällt in den Gesprächen immer wieder. Manche behaupten einfach, der Druck käme nicht von den Neubauten, sondern von den Alt-Immobilienbesitzern. Den Anstieg des Mietspiegels aufhalten zu wollen, sei eine Sozialutopie. Andere wollen, dass der rauhe Charme, der sie hierher ziehen ließ, nicht verloren geht und sind sich über den inhärenten Widerspruchs ihrer Ausagen im Klaren.

Bauen ist Veränderung, egal ob es einem passt oder nicht,“ sagt Christa Fischer und klingt lakonisch.“Doch die Stadt kann nicht nur verbraucht werden, sie muss auch gemacht werden.“

Deshalb engagiert sie sich, wie viele andere NachbarInnen bei der Verkehrsplanung der Flottwellstraße. Andere sind im Quartiersrat Magdeburger Platz und dem neuen Nutzerbeirat des Park auf dem Gleisdreieck aktiv. Familien nutzen den kleinen Fußballplatz in der Pohlstraße und freuen sich über die Kiezkinder, die inzwischen dazu gekommen sind. In den Gesprächen entstehen spontane Ideen für mögliche Straßenfeste, einem Tag der offenen Tür, einem Kiezwochenende.

Ich möchte, dass die Straße hier lebenswert ist und nicht durch die Gewinnmaximierung der Anleger bestimmt wird,“ sagt Franziska von Malaisé und gibt damit die Wünsche von vielen ZuzüglerInnen wieder. „Es ist doch unser aller Raum, egal ob wir wohlhabend oder arm reich, an was wir glauben oder woher wir kommen. Wenn wir uns dessen bewusst sind, dann haben wir alle was davon.“

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