Heut/Morgen bleibt die Küche kalt

Christiane Latendorf_Urzeitvogel_2013

Christiane Latendorf „Urzeitvogel“ 2013

Mittwoch und Donnerstag sind die kulinarischen Tage in der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde in der Kurfürstenstraße. Nur selten schließen die Pforten so wie heute und morgen zur Feier der Jahreswende 2014/2015.

Sonst wird – wochein/wochaus – am Nachmittag wird geschnippelt und gekocht. Am Abend wird geschlemmt.

Und wie bei jeder köstlichen Mahlzeit trägt jedes Ingredienz zum Wohlgeschmack bei. Wobei zur Zeit wieder Menschen gesucht werden, die Lust haben, die Kochtöpfe zu füllen und die Gäste zu bewirten. *(Infos am Ende des Artikels)

Wie Sie auf den Geschmack zum Mitmachen kommen, erfahren Sie in der folgenden Suppenküchen-Kochanleitung

Mittwochs-Initiative
Vor über 20 Jahren entschloss sich die Kirchengemeinde, im Umfeld der Kirche aktiv zu werden und den Prostitutierten und Drogensüchtigen ein warmes Essen in der Woche anzubieten. Außerdem konnten die Gäste Spritzen tauschen, Kondome abholen und in kleinen Fällen auch medizinisch betreut werden.

Auch die Kleiderkammer stand ihnen offen. Der Bedarf für dieses Angebot jeden Mittwoch abend ist in den vielen Jahren nicht zurück gegangen. Im Gegenteil. Vor circa drei Jahren, baten besondes die weiblichen Gäste um einen Abend ohne Männer. Sie wollten die wenige Zeit entfernt von der Straße ohne Männer, Freier und Gaffer verbringen.

Apostelstuben
So wurde das Angebot erweitert und am Donnerstag ein Abend für Männer und Frauen etabliert, die auf der Straße leben, Hartz-4 empfangen oder anderweitig bedürftig sind. Zu den ersten Abenden kamen gleich 40 Personen und jetzt nach drei Jahren werden zwischen 90 und 100 Menschen verköstigt. Die meisten verbringen den ganzen Abend hier und nehmen die Gelegenheit wahr, in der Kleiderkammer nach Neuerscheinungen zu stöbern.

Christiane Latendorf_Sie hat es auf den Reim gebracht_2013

Christiane Latendorf „Sie hat es auf den Reim gebracht“ 2013

Die Teams
Auffällig ist die lose Organisationsstruktur an beiden Tagen. Stabile Teams haben sich für die Nachmittags- und Abendschicht wie von selbst gebildet. Manche HelferInnen nehmen gleich beide Schichten mit. Doch nicht nur aufgrund von Zuverlässigkeit oder sogar dem Helfersyndrom kommen die Ehrenamtlichen immer wieder. Inzwischen haben sich Freundschaften gebildet, Ehrenamtliche haben ihre KollegInnen, AnwohnerInnen ihre NachbarInnen mitgebracht. Das gemeinsame Kaffee trinken und Kuchen essen nach getaner Arbeit am Nachmittag ist ebenso wie der Absacker an den Abenden ein wichtiges Ritual. Geburtstage, eine Konfirmation und eine Taufe sind gemeinsam gefeiert, Umzüge gemeinsam gestemmt worden.

Christiane Latendorf_Die Blüte_2012

Christiane Latendorf „Die Blüte“ 2012

Die Ehrenamtlichen
Bei der Mittwochs-Initiative waren von Anfang an neben den GemüseschnipplerInnen, EinkäuferInnen, SoßenbinderInnen, Eintopfexperten und StullenschmiererInnen auch MedizinstudentInnen dabei, die sich um den Spritzentausch und die medizinische Beratung kümmern. Ansonsten geht es zu wie in der Villa Kunterbunt. Da ist die Mutter, die witzige Fragen stellt; die Frau, die von dem nächsten erfolgreichen Casting träumt; der Musiklehrer, der super gut den Gemüseeintopf mischt; der Pfarrer, der durch seine Sprüche auffällt; die Hartz IV Empfängerin, die ihre eigenen CDs aufnimmt; der Akademiker, der etwas von geschleiften Messern versteht; die Angestellte, die ihre PraktikantInnen zum Renovieren der Essstube motiviert; die medizinische Fachkraft, die den Gästen auch mal die Meinung geigt und der Selbständige, der nach der Ableistung seiner Sozialstunden als ehrenamtlicher Koch geblieben ist. Einfach weil es so nett ist.

Christiane Latendorf_Morgen_2013

Christiane Latendorf „Morgen“ 2013

Das Essen
Berühmt und beliebt sind sowohl die Mittwochs-Initiative als auch die Apostelstuben für die riesigen Schüsseln mit Obstsalat und frischem Salat, also die Vitamine, die sonst kaum irgendwo in dieser Reichhaltigkeit zu erhalten sind. Die wöchentliche Improvisationskochkunst geschieht hier auf höchstem Niveau. Denn es ist nie vorherzusehen, was die Berliner Tafel bringt. Was dann auf dem Tisch liegt ist immer inspirierend und entfaltet in immer wechselnden Kombinationen seine kulinarische Kraft. In der flachen Hierarchie sind die Antworten der Köche zu fundamentalen Fragen entscheidend: erst der Kohlrabi oder die Kartoffeln geschält? Das Fleisch gewürfelt oder scheibiert? Brokoli in den veganen Eintopf oder in den Auflauf? Karotten in den Salat oder zum Verschenken? Ansonsten schnappt sich jedeR, was er/sie am liebsten bearbeitet, erzählt Alltagsgeschichten oder meditiert einfach schnippelnd vor sich hin. Und abends beim Austeilen des Essens an die Gäste werden die Komplimente geerntet und sich am Delektieren der Gäste erfreut.

Christiane Latendorf_Auf der Welt_2012

Christiane Latendorf „Auf der Welt“ 2012

Die Gäste
Viele von ihnen sind inzwischen mit ihren Namen und auch Eigenheiten bekannt. Denn sowohl bei der Mittwochs-Initiative als auch bei den Apostelstuben gibt es inzwischen viele Stammgäste dabei. Da ist der Mann, der so gerne mit seinem Wissen prahlt; da ist die Frau, die einen Partnerhund gefunden hat; da ist die Frau, die niemals genug haben kann; da ist der Mann, der sehr höflich um den Nachschlag bittet; da ist das Pärchen, das immer gut gelaunt ist; da ist die zickige Diva und der übergewichtige Mittvierzieger. Sie alle lieben die Atmosphäre in dem Kellerraum des Gemeindehauses. Hier geht es neben dem Essen darum, einen gemütlichen Abend mit alten Bekannten zu verbringen. Hier wird viel Lob für das Essen und große Dankeschöns an die Ehrenamtlichen von Herzen ausgesprochen.

Christiane Latendorf_Himmlische Freude_2011

Christiane Latendorf „Himmlische Freude“ 2011

Heut/Morgen bleibt die Küche kalt
So war es auch bei dem großen Weihnachtsfest vor einer Woche. Reichlich gedeckt waren die Tische mit Keksen, Mandarinen und Schokolade. Am Buffet gab es Braten, Klösse, Rotkohl, belegte Brötchen, Rote Grütze mit Vanillesauce, Glühwein, Kaffee, Tee und nicht-alkoholische Getränke. Die 10 Hits der Weihnachtsliedercharts wurden gesungen und der Weihnachtsman mit seinen Geschenken fröhlich begrüßt. Satt und zufrieden gingen dann viele in die Mitternachtsmesse.

Die Verabschiedung fiel an diesem Abend noch freundlicher aus als gewöhnlich, bezog sie sich doch nicht nur auf die einwöchige „Küchenschließung“, sondern auf die Feiertage und den Jahreswechsel. „Schöne Feststage,“ tönte es. „Pass auf dich auf,“ und die besten Wünsche“, war zu hören. „Kommt gut rein,“ und natürlich „Wir sehen uns im nächsten Jahr.“

Die Scherenschnitte sind dem Jahreskalender 2014 der Künstlerin Christiane Latendorf entnommen. Weitere Arbeiten auf ihrer Webseite.

**** Wenn Sie Lust haben, bei der Mittwochs-Initiative oder den Apostelstuben als ehrenamtliche HelferIn mit dabei zu sein, kann kommen Sie am besten Mittwochs oder Donnerstags zwischen 16 und 20 Uhr im Gemeindehaus der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde, An der Apostelkirche 1/10783 Berlin vorbei. Dort treffen Sie die MitarbeiterInnen für genauere Fragen oder Sie machen gleich mit und erleben alles live.

Telefonischer Kontakt für die Mittwochs-Initiative zu den oben genannten Zeiten: 264 42 22

E-Mail Kontakt für die Apostelstuben: regine@wosnitza-berlin.de

Weitersagen! Danke.
Facebook
Twitter
LinkedIn
RSS
SHARE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.