Misstönige Fanfarenstöße für die Allegro Grundschule

ODER
Die Zementierung eines schulpolitisch unbefriedigenden Zustandes

Haben Sie schon einmal in der Philharmonie musiziert und sind von Tausenden von ZuschauerInnen beklatscht worden? Nein?

Dann stellen Sie es sich doch einfach mal vor. Sie stehen mit 50 – 80 MusikerInnen auf der Bühne und spielen, singen, trommeln ein Stück, das sie zuvor gemeinsam einstudiert haben. Es gelingt gut, schon das ist ein Grund zur gemeinsamen Freude. Und dann kommt der Applaus des Publikums. Sie wissen, dass im Raum auch ihre Geschwister, FreundInnen oder Verwandte sitzen und jetzt ihr Können bejubeln. Vielleicht ist die Zuhörerschaft auch so begeistert, dass Sie noch eine Zugaben spielen müssen.

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Auch für Erwachsene sind das jedes Mal wieder wunderbare Momente. Für Kinder und Jugendliche sind sie jedoch noch viel einprägsamer. Ich weiß das, denn ich spreche aus jahrzehntelanger Musizier- und Konzerterfahrung.

Allegro GS_Philharmonie 2012_Bianka Flemig_01Den SchülerInnen der Allegro Grundschule ist die Philharmonie ein vertrauter Ort. Im Kammermusiksaal stehen sie ebenfalls regelmäßig auf der Bühne.

Und vor einigen Wochen – im Februar 2015 – dann wieder im Großen Saal. Da probten sie erst mit anderen Berliner SchülerInnen in den Gitarren-, Flöten-, Percussion,- Chor, Big Band Workshops und standen dann erfolgreich beklatscht auf der Bühne.

Es war ein großes Programm, denn gefeiert wird in diesem Jahr das 40jährige Jubiläum der musikbetonten Grundschulen in Berlin. Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft in Berlin, unterstrich in ihrer Ansprache die Bedeutung für soziales Verhalten und auch Lernchancen, die das Musizieren bietet. „Gemeinsames Musizieren macht Kinder glücklich, fit und schlau. Musikalisches Training fördert die sprachliche Entwicklung, die Kinder entwickeln schneller Kompetenzen im Lesen und Schreiben, in Mathematik und im räumlichen Denken,“ schwärmte sie. „Jedes Kind kann sich mit seinen Möglichkeiten einbringen. Was am Ende jedoch zählt, ist das Ergebnis der Gruppe. Gemeinsames Musizieren ist immer ein Erlebnis.“

Die Rede der Senatorin war einigermaßen lang und dennoch erwähnte sie mit keinem Wort DIE Ressource, um die die Allegro Grundschule seit Monaten mit einer Allianz aus Schulleitung, Kollegium, Eltern, Quartiersmanagement, QuartiersrätInnen, Interessengemeinschaft Potsdamer Straße (IGP), AnwohnerInnen und anderen musikbetonten Schulen in Berlin kämpft.

Es ist Musik im Quartier
Als ich vor vielen Jahren hörte, dass die Allegro Grundschule ( respektive damals noch Fritzlar-Homberg-Schule) in Tiergarten-Süd musikbetont sei, war ich sehr froh für die Kinder und Jugendlichen, die aus dem Kiez dorthin gehen. An dieser Schule ist Musik neben Deutsch eine gemeinsame Sprache unter den Kindern, deren Eltern aus vielen unterschiedlichen Herkunftsländern stammen. Es freut mich jedes Mal, wenn ich die Jungen und Mädchen mit ihren Geigen-, Gitarren-, Cello-, Saxonphon-, Posaunenkästen auf der Straße treffe.

Allegro GS_Einschulung 2014_Bianka Flemig_01

Das regelmäßige Üben ist natürlich manchmal mühselig, doch die Gruppenproben und das Spielen im Orchester wiegen das wieder auf. Jedes Konzert in der Schule ist ein Fest. Es gibt mehrere Aufführungen, weil die Eltern und auch NachbarInnen die Kinder hören, bestaunen und beklatschen möchten. Und die Auftritte in der Philharmonie – sei es im Großen Saal oder im Kammermusiksaal – sind natürlich noch einmal ganz besonders wichtige Augenblicke.

Allegro GS_Schulausschuss 2014_Brigitte Noke-Mann_01Musik braucht Raum versus Musterraumprogramm
Die Ressource, die Senatorin Scheeres ausblendete, heißt Raum zum Musizieren. Die Raumfrage brachte vor einigen Wochen die Mitglieder des Schulausschusses der Bezirksverordnetenversammlung-Mitte zu einer Sitzung in die Schule. Aus dem sterilen Sitzungssaal im Rathaus Mitte in der Karl-Marx-Allee waren die BezirkspolitikerInnen in die Allegro-Grundschule gekommen, um zu diskutieren, was der bürokratische Terminus „Musterraumprogramm“ (MRP) im Unterrichtsalltag bedeutet. Sie wurden übrigens vom Schulorchester begrüßt und zum Singen gebracht.

Das „Musterraumprogramm“ (MRP) errechnet anhand der Zahl der SchülerInnen die Anzahl der Räume, die einer Schule für den regulären Unterricht zur Verfügung stehen. Das Bezirksamt hatte gerechnet und aufgrund des Ergebnisses hing auf einmal die Hiobsbotschaft massiver Raumkürzungen über der Schule. Denn das entsprechende Gesetz sieht nicht vor, dass die benötigten Musikräume berechnet werden.

Nun klaffen Berechnungen und praktischer Alltag ja oft auseinander. Und so war allen PraktikerInnen von Anfang an klar, dass diese Kürzungen nicht mit dem Musik- und Leseprofil der Schule zu vereinbaren wäre und diese sogar gefährde.

Allegro GS_Einschulung 2014_Bianka Flemig_02Die Statistik des Musterraumprogramms ist schon etwas weltfremd,“ sagt Schulleiterin Bianka Flemig. „Es berücksichtigt überhaupt nicht die vielen extra Aktivitäten wie Instrumentalunterricht, Leseförderung, Theaterproben oder Willkommensklassen, die das Angebot der Allegro-Grundschule attraktiv machen.“

Außerdem könnte nicht einfach von 300 Schülern gesprochen werden, deren Anzahl durch 25 dividiert werden und daraus dann auf eine bestimmte Anzahl von Klassen geschlossen werden, argumentierten ElternvertreterInnen und Schulleitung. Denn es gäbe auch noch die Willkommensklassen für die 44 Kinder ohne Deutschkenntnisse, deren Eltern entweder einen Asylantrag gestellt haben oder in den nahe gelegenen Botschaften arbeiten. Die Schule habe also viel mehr Klassen.

Anders ausgedrückt: Es gibt Studien, die besagen, dass sich mit sanfter Hintergrundmusik Sprachen leichter lernen ließen. Doch Posaunentöne im gleichen Raum wie Physikunterricht, eine Probe des Blockflötenensemble auf dem Handballfeld oder Chorproben während der Lehrerkonferenzen sind hiermit wohl nicht gemeint.

Allegro GS_MusikbrauchtRaum_Feb2015_Bianka Flemig_04Und deshalb kletterten auch SchülerInnen der Allegro-Grundschule vor dem Philharmoniekonzert in enge Kisten, denn sie und ihre Eltern wollten darauf aufmerksam machen, dass ihre Musikräume und damit ein wichtiger Bestandteil ihres Schulalltags bedroht sind.

Zwei-, Zweieinhalb-, Dreizügig
Bildungsstadträtin Sabine Smentek ( SPD) rechnet nämlich anders: bisher sei Platz für 600 SchülerInnen gewesen, obwohl dort nur rund 300 Kinder unterrichtet würden. Bei einer Dreizügigkeit sei immer noch Platz für 450 SchülerInnen. Zusätzliche Lehrerstunden würde die Senatsverwaltung bewilligen, nicht aber höheren Raumbedarf.

Vor allem nicht in Zeiten knapper Kassen. Deshalb solle die unterste Etage an eine Kita vermietet werden. Dies könnte helfen, die leeren Kassen des Bezirksamts ein wenig aufzufüllen.

Die vor einigen Wochen zugesagte Dreizügigkeit war schon ein Fortschritt zu dem ersten Aufschlag des Bezirksamtes, der auf noch mehr Kürzungen hinausgelaufen wäre. Doch das war nicht das Ende der Kakophonie.

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Ein Fanfarenstoß ohne Applaus
Eine Beratung in der letzten Woche verlief für Schulleiterin Bianka Flemig wie ein Fanfarenstoß – ohne ZuschauerInnen und definitiv ohne Applaus. Dafür mit neuen Wendungen. „Jetzt sind wir offiziell als 2,5-zügige Grundschule (nicht 3- zügig plus Musikräume) eingetaktet und dürfen ein paar Räume als zusätzliche Musikräume behalten,“ sagte sie kurz nach der Sitzung zutiefst konsterniert. „Das sollte es jedoch auch schriftlich geben, damit das der/die nächste Stadtrat/-rätin in ein/zwei Jahren nicht wieder vergessen kann, wenn dann möglicherweise mehr Kinder an der Tür klopfen!“

Nur weil ein paar Räume vermietet werden sollen…..“
Bei der gegenwärtigen Entwicklung des Quartiers ist jedoch jede Entscheidung für Kürzungen fatal und deshalb hatten sich der Quartiersrat und die Interessengemeinschaft Potsdamer Straße (IGP) schon vor Monaten mit der Schule solidarisiert und sich gegen eine Verkleinerung der Schule gewandt. „In Tiergarten-Süd und direkt angrenzend werden derzeit viele neue Wohnungen gebaut, in die vor allem Familien einziehen, in denen Deutsch die Muttersprache ist,“ sagt Quartiersratsprecher Jörg Borchardt. „Andererseits ist in der Allegro-Grundschule der Anteil von Kindern aus Familien, in denen vornehmlich nicht deutsch gesprochen wird sehr hoch. Um eine bessere Durchmischung der Kinder unterschiedlicher Herkunft zu erreichen, müsste unbedingt erreicht werden, dass die Kinder aus neu zuziehenden Familien die Allegro-Grundschule besuchen.“

Aus den Finanzmitteln des Programms Soziale Stadt sind in den letzten Jahren Projekte finanziert worden, um die Schule für die geschätzten 2.000 NeubewohnerInnen und ihre Kinder attraktiver zu machen. Es hat sich eine Arbeitsgruppe aus Quartiersrat, Quartiersmanagement, IGP, AnwohnerInnen und Institutionen gegründet, die die Schule in der Öffentlichkeitsarbeit unterstützt. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe nahmen schon neulich eine Bemerkung der Schulleiterin im Erstaunen zur Kenntnis, dass die Schule keinen Platz für mehr SchülerInnen hätte. Da ging es, wie gesagt, noch um die Dreizügigkeit! Mit der neuen Entscheidung werden aber all diese Bemühungen ad absurdum geführt.

Da die Schule mit der 2 1/2-zügigkeit bereits jetzt voll ausgelastet ist, müsste sie aber zukünftig Kinder abweisen,“ sagt Jörg Borchadt. „Sie müsste also alle Bemühungen einstellen, Eltern davon zu überzeugen, ihre Kinder in der Allegro-Grundschule anzumelden. Ein schulpolitisch völlig unbefriedigender Zustand würde also zementiert. Und das, nur weil ein paar Räume vermietet werden sollen.“

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