Neue Schilder hängen seit letzter Woche an den Eingangstüren und in den Hausfluren der sechs „TARSAP-Häuser“ in der Kulmer Straße 1-4 und Alvenslebener Straße 12 und 12a.
Sie ersetzen Einladungen zu der folgenden Veranstaltung. Um sie anzubringen, sind Einladungen zu einer Veranstaltung entfernt worden.
Informationsveranstaltung zur Asbestbelastung in den Häusern
Alvenslebenstraße 12 und 12 a und Kulmerstraße 1 bis 4
am Mittwoch, den 11. März 2015 um 17 Uhr
im Gemeindesaal der Ev. Luther-Kirchengemeinde
Bülowstraße 70/71, 10783 Berlin
„Wir haben zu der Veranstaltung eingeladen und die Einladungen auch in jeden Briefkasten verteilt,“ sagt Matthias Bauer vom Projekt „Mieten und Wohnen“, das im Rahmen des Programmes Soziale Stadt seit Herbst 2014 im Schöneberger Norden durchgeführt wird. „Und auf einmal ist Zettel ankleben verboten. Es wäre die Aufgabe der Tarsap gewesen, die BewohnerInnen über diesen Sachverhalt zu informieren.“
Schaut man auf die Webseite der Tarsap, dann sieht man neu renovierte Fassaden, modernste Badinstallationen, weitläufige mit Parketlaminate eingerichtete Zimmer. Die Kulmer Str.1 / Alvenslebenstr 12 werden angepriesen mit: „Moderner 70er-Schick mit allen Freiheiten nahe Gleisdreick-Park.“
Außen hui – innen pfui
Doch hier ist mehr Schein als Sein. „Seit Sommer 2012 bin ich mit den Häusern Kulmer Straße 1-4 und Alvenslebener Straße 12 und 12a befasst,“ sagt Elisabeth Wissel. „Die Mieter hatten bei der LINKEN Kontakt gesucht und die Missstände angeprangert und dass sie nicht mehr weiter wüßten. Über mehrere Hausbesuche von mir wurde der Kontakt intensiviert, verabredet wurden Mieterversammlungen, Treffen mit RechtsanwältInnen usw.“
„Zustände an der Kulmer Straße zunehmend unhaltbar“, titelte die Berliner Woche am 18. Dezember 2013 und berichtete von Balkontüren, die nur mit Teelöffeln zu schließen seien, von Sperrmüll in den Kellern und Ratten in den Hausfluren.
„Schimmel, defekte Lüftungsanlagen, Androhung der Sperrung von Gas und Wasser, Fenster und Türen die sich nicht mehr schließen lassen, Wasserschäden die nicht repariert werden,“ beschreibt Barbara Krauß von der Interessengemeinschaft Potsdamer Straße, die seit 2013 bei den Mietertreffen dabei ist, die Zustände im Haus. „Die Liste ist lang.“
Barbara Krauß und Elisabeth Wissel sagen übereinstimmend, dass trotz Bürgeranfragen, einem Offenen Brief (BVV) an Stadträtin Dr. Klotz, mehrere Schreiben an Gesundheitsamt und Wohnungsaufsichtsamt, mehrere Schreiben an den vorigen Vermieter und auch an die TARSAP, einer Begehung des Grundstückes mit dem Bezirksamt, Aufsuchen von mehreren MieterInnen durch Gesundheitsamt wegen Schimmelbefall nichts passiert ist.
Hiobsbotschaft Asbest
All das ist schon schlimm genug und doch bisher wussten weder BewohnerInnen noch KäuferInnen in den betroffenen Häusern, dass es dort Asbest gibt. Bei einer Mieterversammlung Ende letzten Jahres wurde Barbara Krauß von einer Mieterin darauf angesprochen und versprach, sich darum zu kümmern. „Wir als IGP versuchen, die Mieter in ihrem Kampf um menschenwürdigen Wohnraum zu unterstützen,“ sagt sie. „Schon seit Jahren bestehen in diesem Komplex massive Mängel, die Mieter versuchen meistens vergeblich, diese durch den Eigentümer bzw. der Hausverwaltung abstellen zu lassen. Und jetzt gibt es mal wieder einen Grund, den Eigentümer aus seine Fürsorgepflicht zur Gesunderhaltung der Hausbewohner hinzuweisen – Asbest.“
Nach Erhalt der Funde verständigte Barbara Krauß im Januar die Bauaufsicht, das Wohnungsamt und das Quartiersmanagement. Auf dem Präventionsrat Ende Februar machte sie die Informationen öffentlich. Daraufhin organisierten Cordula Mühr und Matthias Bauer vom Projekt „Mieten und Wohnen“ die Veranstaltung.
„Es wird dort ohne Sicherheitsvorkehrungen gearbeitet,“ sagt Matthias Bauer. „Es wurde Laminat verlegt, doch ist es überall locker. Darunter sind die strittigen Kunststofffliesen, auch sie locker und offen. In dem Strang eines Hauses war ein Rohrbruch, da wurden die Badezimmerdecken und -böden aufgestemmt, aber nicht wieder verschlossen, da liegen jetzt die ganzen Asbestsachen frei.“
Bei der Veranstaltung Anfang März waren circa 25 MieterInnen aus allen betroffenen Häusern zugegen, alle verunsichert, teilweise zermürbt von den Diskussionen, Kämpfen und Hiobsbotschaften der letzten Wochen, Monate und Jahre. Anwesend sind auch drei Privatpersonen, die gerade erst Wohnungen in der Kulmer Straße gekauft haben. Sie sind ratlos, wie sie vorgehen sollen bei der Sanierung, die sie selbst besorgen, und vor allem, wer die Kosten für die aufwändigere Sanierung übernimmt. Eine Minderung im Kaufpreis hätte es aufgrund der Eigensanierung nicht gegeben.
Die Behörde ist „kontrollierend nicht aktiv“
Zunächst bestätigt Gerrit Reitmeyer, Leiter der Bauaufsicht und untere Denkmalschutzbehörde in Tempelhof- Schöneberg ( Zimmer 3010, Tel 90277-2269, bauaufsicht@ba-ts.berlin.de ), dass die Behörde nach Erhalt der Informationen sofort die TARSAP sofort aufgefordert hätte, ebenfalls Proben zu entnehmen. Dies sei geschehen und somit hätten sie es hier mit einer „mitwirkungsbereiten Hausverwaltung“ zu tun. Die Ergebnisse lägen vor und bestätigten die zuvor gemachten Messungen.
„Es ist unsere Aufgabe zu überprüfen, dass die Gesundheit der MieterInnen nicht gefährdet ist und der Eigentümer seine Pflichten wahrnimmt,“ umreißt Gerrit Reitmeyer das Arbeitsfeld seiner Behörde. „Die Behörde muss darauf achten, dass das passiert. Wir begleiten weiter. Wir sind kontrollierend nicht aktiv.“
„Asbest ist ein Schreckenswort,“ bestätigt seine Kollegin Bienert. Dann unterbricht eine Mieterin unterbricht ihre langen Ausführungen über Asbest, die Gefährdung und den Umgang mit dem Hinweis, all dies stehe auch bei Wikipedia. Auf den Tischen hinten, liegen Informationsblätter. Zudem hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt im August 2014 ein 14-seitiges Informationsblatt zum Thema „Asbest in Gebäuden“ herausgegeben.
Dann plaudert Frau Bienert (Tel: 902778927) weiter aus dem Nähkästchen der Ereignisse. „Die Hausverwaltung hat zwar Proben geliefert, wusste aber nicht, dass es Sanierungsarbeiten in dem Haus gibt,“ bestätigt sie. „Diese sind bei einem Ortstermin entdeckt worden und wurden sofort untersagt. Auch an diesen beiden Stellen war die Asbestuntersuchung positiv.“
Dr. Sina Bärwolff, Leiterin des Gesundheitsamtes Tempelhof-Schöneberg, ( Tel: 90277-6230 ) weist darauf hin, dass wir alle täglich mit Asbest konfrontiert sind. Es gäbe da ein „lebensweltliches Risiko“, dass erst richtig gefährlich wird, wenn gebaut wird. Es gelte das Minimierungsgebot. Eine Faser sei geeignet, Krebs hervorzurufen. Das könne überall passieren. „Es muss vom Eigentümer sicher gestellt werden, dass dieses Risiko in der Wohnung nicht höher ist als an anderen Orten,“ erläutert sie. „Ich weiß, dass in der Regel keine Gefahr besteht. Es sollte gelüftet werden, damit es zum Austausch der Luft kommt und auch sauber gemacht werden.“ Da es jedoch gilt, jeden Fall individuell zu beleuchten, weist sie auf die Einzelberatung des Gesundheitsamtes hin, die sie gerne durchführt.
Hohe Informationsdichte vor Ort durch Kiezaktive
Der weitere Verlauf der Veranstaltung schwankt zwischen diffusen Antworten der Behördenvertreter und konkreten Beschreibungen der Vor-Ort Wohnenden. Eine Mieterin weist, zum Beispiel, darauf hin, dass in der Kulmer Straße 1 im 4. Stock Wohnungen saniert wurden. „Die Wände wurden bei offenen Türen rausgekloppt und alles wurde durch den Hausflur abtransportiert,“ sagt die Frau. Als die Behördenvertreter sie hilfreich informieren wollen, dass dafür das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit (Lagetsi) und sie sich dahin wenden solle, winkt die Frau nur ab und sagt, sie habe natürlich am Tag des Endeckens, dem 2. März, Fotos gemacht und sei sofort zum Lagetsi gegangen.
Gesprochen wird auch viel über das Verursacherprinzip und die Frage, wer denn nun eigentlich zu belangen sei, wenn Bauarbeiten in asbesthaltigen Räumen unsachgemäß durchgeführt würden. Man könne gegen die Baufirma vor Ort eine einstweilige Verfügung erwirken. Die Behördenvertreter weisen dann auch darauf hin, dass dieser Unterlassungsanspruch nur gegen die zu führen sei, die die Bauarbeiten veranlasst hätten. Man müsse also den Auftraggeber kennen. Es sei ein Straftatbestand, wenn nicht sachgerecht gearbeitet würde. Es sei aber schwierig, die Eigentümer im Einzelnen herauszufinden und die TARSAP wolle zwar helfen, hätte aber noch keine Informationen gegeben. Deshalb sei es vielleicht am besten, wenn die MieterInnen selbst aktiv werden und Messungen veranlassen, lautete der nächste Tipp. Auch hier kann Barbara Krauß von der IGP mit genauen Hinweisen weiter helfen, wie die Eigentümer schnell und gegebenefalls auch ohne die Mithilfe der TARSAP herauzufinden seien.
Thomas Birk, von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin, warf ein, man könne auch die Umweltkripo ( Anzeigenaufnahme Tel 46 64 – 93 36 33 / Sachbearbeitung Tel 46 64 – 93 36 00 / 46 64 – 93 36 01 ) rufen. Dies wiederum versetzt einen der neuen Eigentümer in Panik. Er versuche doch alles richtig zu machen bei den Sanierungen, wolle sich hier informieren, da könne man ihm doch nicht gleich die Kripo auf den Hals schicken.
Wenig beruhigend ist für ihn die Information der Behördenvertreter, er könne ja später die Eigentümer verklagen, da sie ihn über die Verbauung von Asbest hätten informieren müssen. Auch die MieterInnen dürften mit der Beauftragung mit Messungen zurückhaltend sein, da auch hier die Kostenübernahm durch den Eigentümer schlimmstenfalls zivilgerechtlich geklärt werden muss. Das kann zum Einen dauern und zum Anderen auch schlecht ausgehen.
Wie weiter in Sachen Asbest?
Nach zwei Stunden wird die Versammlung geschlossen. Die Behördenvertreter versichern, weitere Messungen vorzunehmen und den Kontakt mit der TARSAP weiter intensiv zu pflegen. Die Bauaufsicht will darauf dringen, dass die TARSAP Prüfungen in allen Wohnungen vornimmt.
„Die Verwaltung war begeistert, über die Zuverlässigkeit und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der TARSAP und berichtete fast zwei Stunden über Asbest, doch konkrete Ergebnisse fehlten,“ zieht Barbara Krauß Resumé. „Und dabei werden im Haus Renovierungen durchgeführt, Fußböden entfernt und zuständig für die Überwachung ist die LaGETsI. Nur war kein Vertreter anwesend. Zwei Stunden vertaner Zeit und die Mieter fühlen sich weiterhin der Willkür ihres Vermieter hilflos ausgeliefert. Mir fehlen bei solcher Arroganz gegenüber den Mieter einfach die Worte.“
Wie kann eine Entmietung verhindert werden?
Denn eigentlich hätte die TARSAP diese ganzen Informationen vornehmen müssen. Doch die Warnzettel sind ein weiterer Hinweis darauf – und darüber sind sich die Aktiven vor Ort einig – dass die TARSAP langfristig eine Entmietung der Häuser ansteuert, um die Wohnungen dann zu sanieren und zu verkaufen. Laut einem Angebot, dass am 15. März im Netz stand, hat die Wohnungsnr 57 in der Kulmer Straße 4 einen Verkaufspreis von 198.000 Euro. Die Beschreibung lautet: Anzahl der Badezimmer: 1, Balkon-Terrassen-Flche: 44,00 m, Sd-West-Balkon/Terrasse, barrierefrei, Fahrradraum, 5 Etagen, Lage im Bau: links, Wohnungsnr.: 57, Lage im Wohngebiet, modernisiert Kuferprovision provisionsfrei (Tippfehler belassen wie in Anzeige, Anm. RW)
Im April 2014 wandte sich die Fraktion DIE LINKE an das Bezirksamt und regte die Kaufoption für städtische Wohnungsbaugesellschaften zum Kauf von Wohnungen der Immobiliengesellschaft TARSAP an. Die Argumentation: Die Mieter befürchten durch die jetzige Eigentümerin TARSAP ein abrissreifes Herunterwirtschaften ihrer Häuser, um dann einen reinen profitorientierten Verkauf dieser vorzunehmen. Da die Senatspolitik fordert, dass die städtischen Wohnungsunternehmen ihren Bestand aufstocken, gäbe es möglicherweise eine Chance, ihre mietrechtliche Position zu erhalten. Dieser Vorschlag wurde auch verfolgt, jedoch lehnten die Wohnungsbaugesellschaft ab.
So geht die Zermürbungstaktik der nicht funktionierenden Lüftungen der im Innenbereich liegenden Bäder, der aufgebrochenen Schlösser, der nicht funktionierenden Eingangstüren, der Verwahrlosung der Treppenhäuser weiter. Einige MieterInnen erhielten Schreiben, in denen ihnen bei Auszug Geld angeboten wurde. Als sie darauf nicht reagierten, erhielten sie eine Woche später eine Kündigung. Andere ließen sich auf die Abfindung ein, die dann aber bei Auszug mit angeblichen Mietschulden verrechnet wurden. Nehmen die MieterInnen eine Mietminderung vor, reagiert die Hausverwaltung zunächst nicht, doch kündigt dann wegen Mietrückstand.
„Die bisher ausgesprochenen Kündigung sind alle unwirksam,“ sagt Matthias Bauer. „Und die Mieter sind fast alle beim Mieterverein und damit anwaltlich vertreten. Doch es ist ein ungeheurer Stress für die Leute.“
„Herzenswunsch – Tier gesund“
Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang eine Werbung, die an der neu renovierten Fassade der TARSAP-Häuser prangt. Schneckenkaspar ist eine gemeinnützige GmbH, die Menschen und Tieren hilft. Auf der Facebookseite wird es noch genauer beschreiben. „Wir sammeln Spenden für in Not geratene Tierhalter, um deren Tieren die medizinische Grundversorgung zu sichern. Wir übernehmen Teilkosten.“
Nein, die Werbung verdient keine Aufmerksamkeit. Sie macht sprachlos.
Die Kiezaktiven werden dem Schutz der MieterInnen ihre gesamte Aufmerksamkeit weiterhin widmen. Diese haben es dringend nötig.