Die lächelnden Tomaten
Sie isst gern Tomaten. Am liebsten in Guacamole und anderen mexikanischen Speisen. „Aber einen guten Mexikaner in Berlin zu finden, ist schwer.“ Seit Christine vier Wochen mit dem Rucksack Mexiko bereist hat, weiß sie, wovon sie redet. „Nach einer Weile hatte ich das Backpackerdasein satt“, erzählt sie und ich frage mich, worin denn das Backpackerdasein besteht. Vergesse aber zu fragen. Müffelnde Schlafsäle wahrscheinlich…
Um auf die Tomaten zurückzukommen: Matschig fühlen wir uns beide, als wir im DDR-Plattenbau der Verwaltung der Humboldt-Uni auf der Treppe sitzen, um uns gegenseitig zu interviewen. Christine hat eine Nachtschicht bei der Deutschen Welle hinter sich und ist entsprechend müde. Die ganze Nacht hat sie kontrolliert, ob alle Fernsehbeiträge vollständig und sendefertig sind. Ein verantwortungsvoller Job. Und selbst durch den Schleier der Müdigkeit hindurch nehme ich sie als gewissenhaften Menschen wahr. „Ich schätze klare Aussagen“, sagt sie von sich selbst.
Diese Lust an den Fakten hat sie bei der Deutschen Welle schnell aufsteigen lassen: Aus dem Studentenjob wurde eine Assistentenstelle. Vielleicht hat sie eine Begabung für Klarheit und Sachlichkeit. Für sie, die tagtäglich mit Nachrichten hantiert, ist ein gerüttelt Maß an Skepsis zum Ethos geworden. „Mich interessiert der Prozess, in dem aus vielen Informationen und Quellen eine Nachricht destilliert wird“, bekennt sie. Dass die vermeintliche Wahrheit auf vielfältige Weise manipuliert werden kann, hat sie schon oft erlebt. „Ein Beitrag, der dann gesendet wird, ist manchmal von den seltsamsten Faktoren beeinflusst worden“. Das stimmt sie nachdenklich.
Hinter ihrem übernächtigten Gesicht und der dunkel gerahmten Brille ruht ein beharrlicher Blick. Sie atmet aus. „Mit den Nächten in der Redaktion ist jetzt erstmal Schluss, das war heute meine letzte Schicht!“ Es klingt, als habe sie erstmal genug gesehen vom Nachrichtengeschäft. Als sie im Morgengrauen aus der Redaktion taumelte, lächelte die Frau im Backshop sie rosig und brotduftend an. Das gefällt ihr an Berlin: Diese planlose Ermunterung, die eigenen Visionen zu verwirklichen. Endlich hat sie Zeit, in queer-politischen Projekten mitzumischen, vielleicht wird sie auch Videos machen. So genau weiß sie das noch nicht. Über die Zukunft macht sie sich keine Sorgen. So ist das in Berlin. Ist für alle was dabei. Und in Neukölln, wo sie wohnt, könnte ja bald ein guter Mexikaner eröffnen. Und die Sonne geht sowieso jeden Tag auf – jetzt sogar noch früher.