Von HU-Gastblogger Johannes
Kevin Clarke kommt mit seiner weißen Vespa vor dem Schwulen Museum* vorgefahren. Schon von weitem lächelt er mir zu und begrüßt mich mit einem scherzhaften: „Das war jetzt aber noch keine Fotoopportunity.“
Gemeinsam betreten wir die Räume des Schwulen Museums* in der Lützowstraße 73. Hier herrscht trotz Ruhetag reges Treiben. Die Mitarbeiter kümmern sich um internationale Kontakte, Pressearbeit, das Archiv oder die Betreuung aktuellen Ausstellung „Porn That Way“, welche noch bis Ende April zu sehen ist. Was sich heute auf der Schwelle zu einem professionellen Museumsbetrieb befindet, fand 1986 mit der Ausstellung „Igitt – 90 Jahre Homopresse“ in den Räumen der Allgemeinen Homosexuellen Arbeitsgemeinschaft AHA in der Friedrichstraße ihren Anfang. Schon damals waren die Ambitionen groß, doch die nötigen Räume und personellen Kapazitäten begrenzt. Das änderte sich zwei Jahre später mit dem Umzug in den Mehringdamm 61, in dessen Räumen in den kommenden Jahren mehr als 130 Ausstellungen stattfanden.
Von der Selbstorganisierung zum professionellen Museum
Doch auch diese Räumlichkeiten entwickelten sich zunehmend zu einem Hemmschuh für die Ansprüche des wachsenden Projekts. Es gab zu wenig Platz für das stetig wachsende Archiv, Regenwasser drang immer wieder in die Räumlichkeiten ein. „Auch wenn der alte Kiez im Mehringdamm mit seinen Cafès schon netter war, war es die richtige Entscheidung hierher in die Lützowstraße zu kommen.“, resümiert Kevin Clark.
Das zeigt dann auch der Rundgang. Im Keller stehen die Archivbestände, welche in mehreren großen Räumen von persönlichen Nachlässen bis zu alten Beständen anderer Archive reichen. Darunter sind Bücher, Zeitschriften, Möbel, Bilder, Kunstobjekte aller Art, Singles & Platten, Videokassetten und sogar Super-8 Filme. „Vieles davon wäre für eine strukturelle Bearbeitung sehr dankbar.“, sagt Kevin Clarke. Indes: Es gibt nur einen Archivar, der sich um die Aufarbeitung kümmert. Das Museum wird jährlich mit 250.000 Euro bezuschusst, was aber vorne und hinten nicht reicht.
Mehr als 80 Prozent der Mitarbeiter sind Ehrenamtliche. So auch der Bibliothekar im oberen Geschoss. Hier können vor Ort Bücher, Zeitschriften und Filme angesehen, sowie Musik angehört werden. Auch über eine kleine Werkstatt zur Vorbereitung der Ausstellungen verfügt das Museum. Hier werden Bilder gerahmt oder kleine Installationen gebaut.
Homosexuelle Pornografie als Spiegel der Zeit
Unten führt mich Kevin Clarke durch die aktuelle Ausstellung, die er mit kuratiert und bis Ende April verlängert wird. „Porn That Way“ widmet sich der historischen Aufarbeitung der homosexuellen, sowie transsexuellen Pornografie von ihren Anfängen in Indien, China und der griechischen Antike, bis zur heutigen Zeit. Die Idee zu dieser Ausstellung sei ihm bei der Sichtung der Archive gekommen, erzählt Kevin Clarke, der auch ein Buch zur Geschichte des schwulen Pornos veröffentlichte. Er war beeindruckt, welche Fülle an Materialien das Museum zu dieser Thematik besaß, ohne sie bisher in einer Ausstellung gezeigt zu haben. Diese Ausstellung setzte er dann mit drei anderen engagierten Kurator_innen um. „Dabei soll die Pornografie als Spiegel ihrer jeweiligen Zeit interpretiert werden. Anhand des Umgangs mit nicht-heteronormativer Sexualität und Pornografie wird so ein neues Licht auf die Gesellschaft geworfen.“, fasst Kevin Clarke zusammen. Die Ausstellung ist in drei Teile aufgeteilt: Der erste Teil „In“, beleuchtet die homosexuelle Pornografie in ihren versteckten und verbotenen Anfängen. So finden sich unter anderem chinesische Shungas, sowie die griechische Jünglingsverführung, außerdem Exponate zur aufkeimenden Schwulen- und Lesbenszene in Amerika und der verbotenen Pornografie in der DDR. Der zweite Teil, „Out“ befasst sich mit der Legalisierung und offenen Auslebung der Pornografie in Magazinen und Filmen ab den ’70er Jahren und deren Boom-Ära. Auch die Zeit der starken AIDS Verbreitung Anfang der ’80er Jahre, welche zu einem abrupten Wandel in der schwulen Pornografie führte, wird hier behandelt. Der letzte Abschnitt „Go“ befasst sich mit der homosexuellen und transsexuellen Pornografie in Zeiten des Internets. Hier bekommt man einen Eindruck von der Diversität der sexuellen Gesinnungen und der medialen Verwirklichung im Porno. Auch die wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung mit Pornografie hat hier ihren Platz. Schwule, lesbische und transsexuelle Pornografiegeschichte hat in allen Räumen ihren eigenen Bereich. „So wird jedem Teil Rechnung getragen, ohne eine Vermischung herzustellen, die auch nicht der Realität entspricht. Gleichzeitig werden Ping-Pong Effekte für den Betrachter möglich.“, erklärt Kevin Clarke.
Trotz ihrer klar homo- und transsexuellen Thematik, lockt die Ausstellung, sowie das gesamte Museum unterschiedlichste Leute an. „Wir haben hier von offensichtlichen Schwulen und Lesben bis hin zu heterosexuellen Paaren in allen Altersklassen die unterschiedlichsten Besucher.“ bemerkt Kevin Clarke. Tendenz zunehmend. Das wünscht man dem Schwulen Museum*, ist es doch maßgeblich an der wissenschaftlichen Aufarbeitung und damit der zunehmenden Normalisierung von nicht-heteronormativer Sexualität beteiligt. „Jedoch ist das Thema der Normalisierung, wie durch die Homo-Ehe, umkämpft in der homosexuellen Szene. Viele Homosexuelle haben gar nicht das Bedürfnis nach Normalität, welche sich ja oft an konservativen Werten orientiert. Sie wollen ihre Andersartigkeit und Identität bewahren und ausleben, anstatt sie an Standards anzugleichen.“, erklärt Kevin Clarke.
Das entspricht dem wichtigen Auftrag, den sich das Museum setzt: Die homosexuelle Identität sicht- und hinterfragbar zu machen, um sie in Zukunft produktiv zu gestalten.
Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses 2015 “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität.