Die Freshies von Schöneberg Nord

Von HU-Gastblogger Cora

Ein nicht ganz typischer Tag im Fresh 30

Es sind heute nur 3 Mädchen im Fresh 30, die etwa in die sechste Klasse gehen, und zwei etwas ältere Jungs, die arbeiten aber in einem anderen Raum an Bewerbung und Hausarbeiten. Wir spielen Tischtennis und die Mädchen wundern sich, warum es heute so leer ist. Heute ist der erste Tag des muslimischen Opferfests: Īdu l-Aḍḥā. Neben dem Zuckerfest, dem Abschluss des Fastenmonats Ramadan, ist das Opferfest das wichtigste islamische Fest des Jahres.

Die Tischtennisplatte und der Kicker sind im Fresh 30 sehr beliebt

Die Tischtennisplatte und der Kicker sind im Fresh 30 sehr beliebt

Wir vermuten, dass es heute so leer ist, weil ein großer Teil derer, die sonst regelmäßig kommen, aus muslimischen Familien stammen und heute vermutlich mit Feierlichkeiten beschäftigt sind. Einige der Anwesenden Jugendlichen wissen gut Bescheid darüber, warum das Opferfest überhaupt gefeiert wird, weil Sie zum Beispiel zum Koranunterricht in der nahgelegenen Moschee gehen oder weil Religion in Ihrer Familie generell einen hohen Stellenwert hat. Andere verweisen mich auf meine Nachfrage an Google.

Die Feiertage gehen auf den Propheten Abraham zurück der im arabischen Ibrahim heißt. Nach muslimischer Überlieferung hat Abraham einen göttlichen Glaubenstest bestanden, da er bereit war, Allah seinen Sohn Ismael  zu opfern. Als Allah seine Bereitschaft und sein Gottvertrauen sah, war die Probe bestanden und Ismael wurde verschont. Abraham und Ismail opferten daraufhin im Kreis von Freunden und Bedürftigen einen Widder, um Ihre Dankbarkeit zu zeigen. Heutzutage wird traditionell zum Opferfest eine Ziege oder ein Schaf geschlachtet. Die Geschichte wird im Koran in Abschnitt 37,99–113 erzählt. In der Bibel ist es die Erzählung von der Opferung Isaaks (1. Buch Mose, 22,1–19 EU). Neben dem Islam berufen sich auch das Christentum und das Judentum auf Abraham als Stammvater. Darum bezeichnet man alle drei auch als abrahamitische Religionen.

SchülerInnen  islamischen Glaubens können sich in Deutschland zum Opferfest und zum Zuckerfest vom Unterricht befreien lassen. Dazu braucht es nur eine schriftliche Meldung der Erziehungsberechtigten. LehrerInnen müssen dies auch beim Planen von Klassenarbeiten oder ähnlichem berücksichtigen. Seit längerem schon wünschen sich muslimische bzw. türkische Verbände wie etwa die Türkische Gemeinde in Deutschland die Einführung eines gesetzlichen muslimischen Feiertags in Deutschland.

Das Fresh 30 ist ein „interkultureller Treffpunkt”

Der Kinder- und Jugendtreff Fresh 30 befindet sich zwischen dem Kleistpark und dem historischen Friedhof „Alter St.-Matthäus-Kirchhof“ an der Ecke Neue Steinmetzstraße und Großgörschenstraße. Hierher können Jungen und Mädchen ab neun Jahren kommen. Es gibt einen Lernraum mit PC in dem es bei Bedarf die Möglichkeit gibt Hausaufgaben zu machen, für die nächste Klassenarbeit zu lernen oder Bewerbungen zu schreiben, die MitarbeiterInnen unterstützen die Kids dabei. Es gibt außerdem viele Sport- und Spielangebote, Beratungen jeglicher Art und viele wechselnde Projekte. Der Träger der Einrichtung ist die Stiftung „Pestalozzi-Fröbel-Haus“. Auf der Facebook Seite des Fresh 30 nennen sich die MitarbeiterInnen selbst „Die „Freshies“, Julia, die jetzt seit 3 Jahren im Fresh arbeitet sagt aber auch gerne liebevoll: „Freshdachse“.

Mittwochs wird Im Fresh zusammen gekocht, an den anderen Tagen oft auch einfach nur gequatscht und zusammen rumgehangen, „offener Treff“ nennt sich das dann. Dienstags ist eigentlich nur für Jungs geöffnet und donnerstags nur für Mädchen, aber wenn es für alle in Ordnung ist können da Ausnahmen gemacht werden. Es gibt außerdem einen Mädchenraum in den sich an Tagen, die offen für alle sind, Mädchen zurückziehen und unter sich sein können.

"Girls Town" Graffiti im Mädchenraum

„Girls Town“ Graffiti im Mädchenraum

Auch in Ferienzeiten, besonders in den Sommerferien gibt es ein bunt gemischtes Programm an Freizeitaktivitäten. Zum Beispiel gab es im vergangenen Jahr einen Graffitiworkshop. Ein Graffitikünstler hat ehrenamtlich mitgearbeitet und die Kids wurden in das Gestalten der Wände im Fresh 30 eingebunden. Dieses Jahr gab es Ausflüge, zum Beispiel eine Kanutour und einen Sportwettkampf; die “Fresholympics”.

Pädagogik mit persönlichem Bezug

Der offene Treff im Fresh 30 bietet einen Schutzraum und eine Begegnungsstätte, in der andere Gesprächsdynamiken entstehen können, als das vielleicht in der Familie oder unter FreundInnen der Fall wäre.

Julia erzählt mir, dass das wichtigste aber auch das anspruchsvolle an der offenen Kinder- und Jugendarbeit die persönlichen Berührungspunkte sind. Kinder- und Jugendeinrichtungen wie das Fresh 30 haben einen sozialpolitischen, pädagogischen und soziokulturellen Auftrag. Die Teenager werden hier von den PädagogenInnen und SozialarbeiterInnen begleitet und gefördert, in Bezug auf die eigene Verortung in gesellschaftlichen Prozessen, selbständigem Denken und Sozialkompetenzen. Dies kann ein Balanceakt sein zwischen einer professionellen und einer sehr persönlichen Ebene.

Es wird neben ganz alltäglichen Ereignissen in Schule oder Ausbildung auch viel über politische Themen diskutiert im Fresh, sagt Julia. Dabei sind die Freshies stets nur die ModeratorInnen oder diejenigen, die Denkanstöße geben, damit die Jugendlichen selbstständig diskutieren und Ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen können. Das heißt die Gespräche finden hauptsächlich innerhalb der Peergroup statt, was Vorteile für eine ehrliche und offene Auseinandersetzung mit den Themen schafft und ohne aufgezwängten Lehranspruch auskommt. Die Jugendlichen wirken wiederum als Multiplikatoren wenn Sie über das besprochene oder erlebte mit anderen Freunden reden oder auf Grund dieser Erfahrungen Ihre Weltanschauung und Eigenwahrnehmung bilden.

Projektarbeit und Kooperationspartner

Es gibt immer wieder Projekte, die sich mit den Themen Identität, Diskriminierung und Ausgrenzung beschäftigen.

Die Arbeit von Julia und Ihren KollegenInnen setzt auf das Prinzip „Sensibilisierung durch Begegnung“. 2014 gab es zum Thema Antisemitismus zum Beispiel das Projekt “JU:AN – Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit“, welches Teil der Amadeu Antonio Stiftung ist. Es wurde unter anderem eine Moschee aber auch eine Synagoge besucht und so wurden Gemeinsamkeiten von monotheistischen Religionen aufgezeigt und Berührungspunkte für die freiwilligen TeilnehmerInnen geschaffen.

Die Vernetzung mit kooperierenden Einrichtungen im Schöneberger Norden, wie zum Beispiel mit dem Cafe Pink, dem Juxirkus und dem Quartiermanagement Schöneberg, ist wichtig und wird durch Arbeitskreise aufrechterhalten und vertieft. Dazu kommen Projekte mit externen Institutionen, die das Fresh-Team bei der Planung und Durchführung auf unterschiedlichste Art und Weise unterstützen, wie zum Beispiel die schon erwähnte Amadeu Antonio Stiftung oder aktuell das Jugendmuseum in Schöneberg. Außerdem werden auch in Zusammenarbeit mit der nahegelegenen Neumark Grundschule, in die viele der jüngeren Fresh-BesucherInnen gehen, oft Projekte und AG’s realisiert.

"Stein Metz 30"

„Stein Metz 30“

Für jede Altersstufe gibt es im Kiez Anlaufstellen. Für die Jüngern Kinder von 6-14 Jahren gibt es den offenen Kindertreff PallasT in der Pallasstr. 35. Kinder und Jugendliche ab 6 Jahren können außerdem im KFJE Villa Schöneberg in der Frobenstr. 27 ihre Freizeit gemeinsam gestalten. Der Schöneberger Norden ist zum Glück also gut abgedeckt mit dieser Art von Begegnungsstätten.

 

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Kurses „Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen“ des Career Centers an der Humboldt Universität.

Weitersagen! Danke.
Facebook
Twitter
LinkedIn
RSS
SHARE

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.