Von einer HU-Gastbloggerin
Die Flüchtlingskrise ist allgegenwärtig. Tag für Tag erreichen uns neue Meldungen, die das dramatische Schicksal unzähliger Menschen dokumentieren. Zurecht ist jene Problematik seit Wochen Schwerpunkt der politischen und medialen Öffentlichkeit. Gleichwohl bekommt mit der Debatte um die „Flüchtlingsproblematik“ ein weiterer Dauerbrenner erneute Aufmerksamkeit: der so genannte „Terror“ im Namen des „Islam“ im In- und Ausland. Schien Pegida („Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) ihren Höhepunkt im Dezember 2014 gehabt zu haben, erleben sie derzeit wieder einen Aufschwung, der durch neue rassistische und fremdenfeindliche Stimmen ergänzt wird.
Horst Seehofers (CSU) Allianz mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Victor Orbán zeigt, wie die Flüchtlingsproblematik für neue rassistische und insbesondere anti-muslimische Diskurse ausgenutzt wird. So formuliert Orbán beispielsweise: „Ich denke, wir haben das Recht zu entscheiden, dass wir keine große Zahl an Muslimen in unserem Land haben wollen“. Jene Unterteilung zwischen guten und schlechten Flüchtlingen ist der Nährboden für zunehmende Islamfeindlichkeit in Deutschland und befürwortet rassistische Stimmen wie Thilo Sarrazins Maxime „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“.
Dass aber Integration und multikulturelles Miteinander eben auch funktionieren können, zeigt das „Pallasseum“ im Schöneberger Norden. Rund 1700 Menschen aus rund 40 unterschiedlichen Nationen wohnen in diesem Wohnblock. Ein Gespräch mit Remzi Uyguner, Mitarbeiter des örtlichen Quartiersmanagements, verrät, mit welchen Initiativen ein solidarisches Miteinander möglich ist und gibt Anregungen, wie rassistischen Stereotypen u.ä. vorgebeugt werden kann.
…ein Blick auf die Zahlen in Berlin und Schöneberg
Zunächst jedoch ein Blick auf die Zahlen: Auch wenn Zahlen in rassistischen Diskursen keine ausreichenden Argumente sind, lohnt sich ein Blick in die Bevölkerungsentwicklung von Berlin und Schöneberg.
Das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg errechnet für 2014, dass von den insg. 3 421 829 Berliner Einwohnern, 539 729 keine deutsche Staatsbürgerschaft haben. Nahezu 40,3 % der 538 729 kommen dabei aus der EU und lediglich beispielsweise 18,5 % aus der Türkei. In einer Religions-gemeinschaft offiziell gemeldet, sind 964 000 Christen (633 00 Protestanten/ 331 000 Katholiken). 249 000 Menschen gehören einer islamischen Religionsgemeinschaft an.
In Schöneberg leben 2014 insgesamt ca. 324.208 Menschen. 16,3% der SchönebergerInnen haben keine deutsche Staatsbürgerschaft, von denen wiederum 38,5% aus EU-Staaten und knapp 22% aus der Türkei. Der Anteil an Menschen mit so genanntem Migrationshintergrund liegt in Schöneberg 2014 bei 29,5%. Zu diesen insgesamt 95.827 Menschen zählen dabei jedoch laut der Definition des Statistischen Bundesamts „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil„. Mit anderen Worten: einen so genannten Migrationshintergrund zu haben, sagt nicht besonders viel aus.
Dennoch: Auch wenn Zahlen nur wenig über das sozio-kulturelle Klima verraten, und im Endeffekt gleichgültig ist ob es sich um einen 20%gen oder 80%gen „Ausländeranteil“ handelt, so ist zumindest eine Angst vor vermeintlicher Islamisierung kaum anhand der realen Bevölkerungs-entwicklung in Berlin nachzuvollziehen. Für die deutsche Historikerin Yasemin Shooman ist eine dennoch islamfeindliche Haltung auch ohne höheren muslimischen Anteil an Mitbürgern jedoch nichts unrealistisches: „Insgesamt stimmten bei einer 2011 veröffentlichten repräsentativen Untersuchung in acht EU-Mitgliedsstaaten über 44 Prozent der Befragten der Aussage zu, in ihrem Land lebten zu viele Musliminnen und Muslime. In solchen Ländern, in denen der Anteil der muslimischen Bevölkerung unter einem Prozent liegt, wie in Polen oder Ungarn, lagen die Werte sogar noch höher, was zeigt, dass antimuslimische Ressentiments nicht an die reale Präsenz ihrer Objekte (und damit auch nicht an reale Erfahrungen) gebunden sind.“
…anti-muslimischer Rassismus
Die Diskriminierung und Ausgrenzung von muslimischen Menschen versteht Shooman als anti-muslimischen Rassismus, eine Form des kulturellen Rassismus: „Grundlage ist der Glaube an eine historisch gewachsene Inkompatibilität und Hierarchie der Kulturen (und der Religionen als Bestandteil von Kulturen), die als essenzialistische, also als nach innen und nach außen abgeschlossene, unwandelbare Gebilde gedacht werden.“ Konstitutiv für den antimuslimischen Rassismus […] [ist die] dichotome Konstruktion von „westlicher“ („christlich-abendländischer“) und „islamischer“ Kultur, die einander als statische Entitäten gegenüberstehen und als unvereinbar angesehen werden. Üblicherweise wird bei einer solchen bipolaren Sicht auf den „Islam“ und den „Westen“ Letzterer als emanzipativ, aufgeklärt, demokratieaffin und fortschrittlich beschrieben, während „der Islam“ als rückständig, frauenfeindlich, unwandelbar, irrational und gewaltbereit gilt.“ Dementsprechend bezeichnet Shooman die Diskriminierungspraxis von Muslimen als Rassifizierung: „Aus einer dominanten gesellschaftlichen Position heraus werden sie jenseits eines individuellen Glaubensbekenntnisses als eine homogene und natürliche Gruppe in binärer Anordnung zu weißen christlichen/atheistischen Deutschen beziehungsweise Europäern konstruiert und mit kollektiven Zuschreibungen versehen; es wird ein Wissen über sie und ihr Wesen als Gruppe erzeugt und sie gelten anhand verschiedener Merkmale als „identifizierbar“. […] Es findet also eine Amalgamierung von kulturell-religiösen und somatischen (körperlichen) Faktoren statt, die als Hinweis auf eine „fremde Herkunft“ gelesen werden.“
.. eine Frage der bewussten Integration
Rassistische oder anti-muslimische Ressentiments sind kaum messbar, ihre Ausprägungen scheinen komplex. Doch anlehnend an Shooman wird deutlich, dass gerade die bipolare Konstitution des anti-muslimischen Rassismus eine ebenso zweiseitige Integration benötigt. Entgegen einem häufig zu lesenden Narrativ über die schwierige Integration von „muslimischer Kultur“ zeigt sich, dass jegliche Integration hoffnungslos ist, wenn ein ausgrenzender Diskurs herrscht.
Wie eine zweiseitige Integration aussehen kann und welche Initiativen sich besonders anbieten, weiß Remzi Uyguner. Er arbeitet im Quartiersmanagement am Pallasseum.
Vom Sozialpalast zum Erfolgskonzept: die Arbeit am Pallasseum
Das „Pallasseum“ ist ein Berliner Wohnhaus, welches zwischen 1973 und 1976 nach Plänen des Architekten Jürgen Sawade gebaut wurde. Was damals als progressiver Baustil und Idee unter dem Stichwort „zeitgemäßem Wohnen“ entstand, entwickelte sich schnell zu einem sozialen Brennpunkt, dem „Sozialpalast“. Jedoch konnte ein geplanter Abriss des Gebäudes im Jahre 1998 durch die engagierten BewohnerInnen verhindert werden. Mit viel zivilbürgerlichem Engagement, einer motivierten Hausverwaltung und stadtpolitischen Initiativen, wie der Einrichtung jenes Quartiersmanagements, schaffte es der Sozialpalast schließlich eine gemeinsame Wohnqualität zu erarbeiten, die heute eine integrative Grundhaltung vermittelt. Im Pallasseum leben heute 1700 Menschen aus 40 unterschiedlichen Nationen.
Herr Uyguner, selbst studierter Politologe, arbeitet in einem Team mit zwei Geographen und einer Volkswirtschaftlerin. Diese unterschiedliche Zusammenstellung verschiedener Tätigkeitsfelder, sei für die insgesamt 34 Quartiersmanagements in ganz Berlin normal. So treffe man in anderen Teams zum Beispiel auch auf PädagogInnen oder ErzieherInnen. Das Quartiersmanagement am Pallasseum besteht seit 1999. Die grundlegende Aufgabe besteht darin „soziale Ungleichheit in stark benachteiligten Gebieten mit zusätzlichen Mitteln, wie Geld, auszugleichen,“ so Herr Uyguner. Die Tätigkeitsbereiche sind dabei unterschiedliche: von bildungspolitischem Engagement, über Gewaltprävention, zu Initiativen für eine gestärkte Nachbarschafts-Kultur.
Was aber ist das Erfolgsrezept der Arbeit am Pallasseum? „Das hängt zunächst davon ab welche Definition von Erfolg man hat. Außerdem ist Erfolg in dem Sinne nur schwer zu messen.“ Aber wenn es um weniger Straftaten geht, um Vollvermietung und eine „engere und sanftere Nachbarschaft“, dann können man gewiss von Erfolg reden. Seitdem das Quartiersmanagement als Koordination unterschiedlicher lokaler Initiativen zusammen mit den AnwohnerInnen gezielt an einer sozialen Verbesserung des Pallasseums arbeitet, gibt es sogar schon Wartelisten für das Pallasseum. Vor 1999 war fast jede 10. Wohnung des Wohnhauses leer, heute spricht man von „Vollvermietung“.
Entscheidend sei die „horizontale Vernetzung“ gewesen, wo alle umliegenden sozialen Einrichtungen und Initiativen zusammenkämen und gemeinsam mit den AnwohnerInnnen ihren Wohnraum gestalten.
Ist Rassismus eine besondere Herausforderung integrativer Arbeit?
Für Herrn Uyguner ist diese Frage nicht klar zu beantworten. So gäbe es natürlich auch Konflikte rund ums Pallasseum. Diese aber lägen häufig an fehlender menschlicher Kommunikation, und können nicht immer „entlang ethnischer Grenzen definiert werden“. Häufig beispielsweise stehe zunächst vielmehr ein Generationenkonflikt im Vordergrund, insofern als dass ältere Generationen teils schwieriger ins multikulturelle Zusammenleben integriert werden könnten. Nicht jede skeptische Äußerung könne daher sofort als rassistische Äußerung gebrandmarkt werden.
Dennoch käme es auch zu derartigen Verletzungen, wenn beispielsweise deutsche AnwohnerInnen den türkischen vorwerfen, sie sollen endlich mal deutsch lernen. Wichtig sei, so Herrn Uyguner, dass die türkischen AnwohnerInnen in solchen Fällen genügend Selbstbewusstsein haben. Aber zugleich müsse betont werden, dass nicht von einer allgemeinen rassistischen „Zuspitzung“ die Rede sein könnte. Auch wenn sich deutsche und türkische AnwohnerInnen nicht zwingend alle gegenseitig besuchen, noch innig zusammenleben würden, so sei dennoch ein solidarisches Nebeneinander zu spüren.
Außerdem betont Herr Uyguner, dass es falsch wäre, fehlende oder lückenhafte Integration nur auf die „bösen Mehrheitsdeutschen“ zu schieben. „Nicht selten sprechen z.B. türkische Bewohnerinnen in gemeinsamen Zusammenkünften miteinander türkisch, obwohl sie deutsch verstehen und sprechen können. Auch das könnte zumindest als unfreundlich gedeutet werden. Jeder kann und sollte mit seiner eigene Sprache ohne anderweitigen Druck sprechen können. Aber wenn unterschiedliche Sprachen im Raum sind und wenn es eine Sprache gibt, die alle verstehen und sprechen, sollte dann diese Sprache gesprochen werden. Das verstehe ich z.B. unter Respekt und Kommunikationfähigkeit und – Bereitschaft.“
Schon der Kaffeeklatsch kann gegen Ressentiments helfen…
Die Arbeit im Quartiersmanagement basiert grundlegend auf „diskriminierungsfreiem Arbeiten“. Dementsprechend gibt es unterschiedliche Projekte, die auf verschiedene Art und Weise ihren Teil zur Behebung von fremdenfeindlichen bis rassistischen Stereotypen beitragen.
So haben anti-muslimische Ressentiments im so genannten „Kaffeeklatsch“, dem AnwohnerInnen-Café im Pallasseum, keinen Platz. Dass muslimische AnwohnerInnen kein Schwein essen, sei akzeptiert. Beim gemeinsamen Kochen werde ebenso darauf geachtet. Genauso akzeptiert ist mittlerweile das Opferfest auf der einen, und Weihnachten auf der anderen Seite. „Die türkischen Frauen feiern selbstverständlich mit Weihnachten.“
Aber auch der „Pallast-Park“, eine öffentliche Freifläche direkt hinter dem Wohnblock sei ein wichtiges Instrument um solidarisches Miteinander zu schaffen. So gibt es dort nicht nur einen Spielplatz und Basketballplatz, sondern vor allem auch einen „interkulturellen Garten“. Hier haben AnwohnerInnen zum Teil eine eigene kleine „Parzelle“, die sie bepflanzen können und zugleich gibt es eine große Gemeinschaftsfläche, die von allen gemeinsam bearbeitet wird. Hier braucht man also keine „vertieften differenzierten Sprachkenntnisse“, sondern wichtiger sei die gemeinsame Arbeit am gemeinsamen Projekt. Somit treten andere Konflikte in den Hintergrund und verlieren mit der Zeit auch an Bedeutung.
Wichtig ist das gemeinsame Projekt jenseits ethnischer Herkunft.
In der Nachbarschaft vom Pallasseum ist erst kürzlich ein Projekt für Flüchtlinge ins Leben gerufen worden, wo vor allem Appartements angeboten werden, in denen Flüchtlinge für eine gewisse Zeit unterkommen können. Die Quartiersmanagements im Gebiet haben deswegen bereits ein neues Projekt ins Leben gerufen: „Flüchtlinge im Quartier“. Auch hier wird es um integratives Arbeiten gehen, und auch hier werden Konflikte auftreten: aber entscheidend ist das gemeinsame Mitwirken am gemeinsamen Miteinander als gemeinsames Projekt.
Dennoch, auch die Initiativen des Quartiersmanagements haben ihre Grenzen. Ebenso wie die Kommunen derzeit auf deutlich mehr staatliche finanzielle Mittel angewiesen sind, um den Flüchtlingen eine einigermaßen adäquate Unterkunft gewährleisten zu können, wäre auch die Arbeit im Quartiersmanagement ohne finanzielle Unterstützung nicht möglich gewesen. Die Frage der Integration ist eine Frage der Einstellung, sie ist aber auch eine Frage der sozio-ökonomischen Bedingungen.