Das Café Tietz besticht mit Energie in Raum und Speisen. Ein neues Kaffeehaus in der Potsdamer Straße 77.
von HU-Gastbloggerin Miriam
Aus dem M85 an der Haltestelle Lützowsztraße/Potsdamer Straße gesprungen, einmal über die Straße und nach rechts geguckt, fallen einem Neuling in der Potsdamer Straße sofort die dunkelbeigefarbenen Flaggen des Café Tietz & Cie ins Auge, die sich im seichten Frühlingswind wiegen. Wie die eines Hoteleingangs erscheint die Tür des Cafés, die in das biologisch wertvolle Geschmacksparadies führt. Ich bin heute überpünktlich dort und werde auf Englisch von den drei Mitarbeiterinnen begrüßt. Herr Tietz würde gleich kommen sagen sie, ob ich die drei Minuten Wartezeit mit einem Café Latte überbücken könnte? Kann ich.
Just in dem Moment als ich mein Schreibwerkzeug geordnet und den Kaffeelöffel in den cremigen Schaum des Getränks getaucht habe, geht besagte Eingangstür mit einem Ruck auf und Cafébesitzer Uwe Tietz sowie Labradorrüde „Lenjuk“, was übersetzt aus dem Polnischen so viel wie „Faulchen“ bedeutet, kommen herein. Herr Tietz hat ein Baguette unter’m Arm, die Hundeleine an der Hand und ein verschmitztes Lächeln auf dem Gesicht. Er gibt seiner Frau Alexandra, die für den leckeren Kaffee verantwortlich ist, das Baguette und einen Kuss, begrüßt die anderen Mitarbeiterinnen alle persönlich und setzt sich dann mit einem Cappuccino beschwingt zu mir auf die Holzbank. Bevor ich mit meinen zurechtgelegten Fragen loslegen kann, löchert Herr Tietz erstmal mich und bietet mir gleich das „Du“ an.
Im Mai 2015 hat Uwe Tietz sein Café in den ehemaligen Sparkassenräumen in der Potsdamer Straße eröffnet. Seitdem bietet das Deli täglich von 08:00 bis 18:30 Kaffeegenuss mit den Bohnen der Berliner Kaffeerösterei, vegane Kuchen, vegetarische Sandwiches, Suppen und verschiedene ayurvedische Salate an. Das Speisenangebot hört sich zunächst nach einem alternativen Kreuzberger Café an und scheint nicht in die vielbefahrene, auf den ersten Blick graue Potsdamer Straße zu passen. Doch die Potsdamer Straße ist im Kommen und „hier verändert sich was, das wusste ich schon 2009“ sagt Uwe Tietz. In den ehemaligen Druck- und Bürogebäuden des Tagesspiegels sind in den letzten Jahren immer mehr exklusive Modeläden und Kunstgalerien eingezogen , die dem Gebiet einen neuen Flair verleihen.
Noch ist die Potsdamer Straße keine Magistrale, wie sie es einmal war. Es reihen sich heute Billigdönerläden neben Sozialtreffs und schicken Ausgehstätten, aber auch Kleinhandwerk neben Fitness-Studio-Kette. Genau diese Vielfalt aber auch die Geschichte der Potsdamer Straße haben den Ur-Berliner Tietz an diesem Ort gereizt. „Ich wusste, hier muss ein Café hin“.
Nachdem er in der Nummer 91 bereits Mitbegründer des Kunstforums „Freies Museum“ war, hat er sich Zeit gelassen um sein Café zu eröffnen. Und die brauchte er auch, um beispielsweise die Inneneinrichtung genau zu durchdenken. Es geht Uwe Tietz nämlich „um den Wohlfühl-Effekt“ des Raumes nach Feng Shui. Die Philosophie von Feng Shui geht von dem Chi aus, der Energie, die einen Raum durchfließt. Diese Energie wird verstärkt durch das Verwenden von gewissen Materialien und Raumanordnungen. Es hat also durchaus seinen Sinn, dass das Dielen-Eichenparkett des Café neu verlegt wurde, da Holz Wärme und Sensibilität ausstrahlt. Auch die Ringe oben an der Decke verkörpern die fünf Elemente und geben dem Raum die Möglichkeit zur Gemütlichkeit. Der Begründer, der sich selber „Generalist“ nennt, wollte hier einen Ort zur Kommunikation schaffen, der Privates mit Geschäftlichem in einer lockeren Atmosphäre zusammenbringt.
Und dieser Grundsatz zieht sich durch die ganze Geschichte des Cafés. Mit einer ausgewogenen Ernährung hat sich der in der Immobilienbranche tätige Kaufmann Uwe Tietz seit der Geburt seines Sohnes 1990 intensiv beschäftigt. Seitdem schwört er auf biologisch Angebautes und regionale Anbieter. Hier hat der Laden hohe Ansprüche an sich selbst, es käme „auf das, was hinter den Biomarken steht, aber auch auf die Qualität an“.Die Möbel für das Café haben Kommilitonen seines Sohnes an der Bauhaus-Universität in Weimar geschaffen, die Produkte kommen von regionalen Unternehmen aus der Gegend. Ganz nach dem Motto „Tietz & Cie“ eben, das „Cie“ ist eine altfranzösische Form für den Zusammenschluss „mehrerer Gesellschaften“, die Tietz unter seinem Dach vereint. Denn auch die Wände des Deli zieren Negativabzüge seines Freundes Ryszard Wasko, mit dem er auf einer Kuba-Reise den Kommunismus auferstehen hat lassen.
Wer in das Café Tietz kommt, den erwarten eine Menge Eindrücke. Leichter Kaffeegeruch aus der La Marzocco, die „die Beste unter den Kaffeemaschinen“ sein soll begleitet von bunten frisch zubereiteten Gerichten, die einem das Wasser im Mund zusammen laufen lassen. Ein Blick aus der großen Fensterfront in den Hinterhof lohnt sich ebenfalls, dort steht das ehemalige Haus des am Kaiserhof angestellten Malers Anton von Werner . Eine neue Art von Kaffeehaustradition möchte Uwe Tietz mit seinem Café schaffen, welche Modernes mit Geschichtsbewusstsein verbindet.
Um das Café kennenzulernen, muss man selbst hingehen. Und vielleicht trifft man dann auf Uwe Tietz, der einen mit wachen blauen Augen begrüßt und auf die modernen USB-Anschlüsse an den Steckdosen und das WLAN hinweist oder erklärt, dass er nicht der „Hertie“-Gründer-Familie Tietz angehört. Er sieht sich aber durchaus in der Tradition, „der Tietz hat Waren verkauft, ich handele heute lieber mit persönlicher Kommunikation.“
Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Kurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität.