„Wer schreibt unsere Geschichten, wenn nicht wir selbst?“

von HU-Gastbloggerin Cagla

Kuse

Quelle: http://www.fembio.org

Die meisten jungen Erwachsenen stehen irgendwann an einem Punkt, an dem sie sich fragen müssen: „wer bin ich und wer möchte ich sein?“ Den wenigsten Menschen fällt diese Aufgabe leicht und mehr als die Hälfte können diese Frage auch im voranschreitenden Alter nicht eindeutig beantworten. So auch Käthe Kuse, genannt Kitty. Sie liebte Frauen, aber dass sie homosexuell war, kam ihr nicht in den Sinn. Als ihre damalige Freundin fragte: „Weißt du eigentlich, dass du homosexuell bist?“ war sie erst einmal verstört und fassungslos. Als sie in Ruhe darüber nachdenken konnte, suchte sie ihre Freundin auf und sagte: „Jawohl, ich bin homosexuell und ich liebe dich.“ 

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Der Weg über den Friedhof mit zahlreichen Besuchern

Kitty Kuse war eine Frau, die Frauen liebte, es sich eingestand und vielen Gleichgesinnten half, mit ihrer sexuellen Orientierung umzugehen.
 An ihrem 112. Geburtstag, wurde an Kitty Kuse erinnert und ihr Gedenkstein im Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg eingeweiht.

Ich bin dabei: Die Sonne scheint und eine große Gruppe von Frauen hat sich am Eingang des Friedhofs versammelt, wir laufen über den Friedhof und halten an einem verdeckten Stein. Gitarrenklänge ertönen und wir lauschen der Stimme einer Musikerin, die Claire Waldoffs Lied Hannelore anstimmt. Der Refrain beginnt und alle Versammelten stimmen ein, für einen Moment scheinen alle miteinander verbunden, denn sie alle haben eine Gemeinsamkeit, sie wollen Kitty Kuses gedenken.

Es werden Texte gelesen und Geschichten erzählt, gelacht und in Erinnerungen geschwelgt, Zeitzeuginnen und Freundinnen plaudern über ihre schönsten Momente mit Kitty, und dann wird er aufgedeckt, ein rechteckiger Stein mit geschwungener blauer Schrift und einem Foto von Kitty. Viele der Versammelten legen kleine Blumen an den Stein. Im Anschluss zeigt Tille Ganz ihren Film über Kitty Kuse im Friedhofscafé Finovo zu dem Kaffee und Kuchen serviert werden.

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Ein Film von Tille Ganz: Kitty Kuse im Porträt

Die drei Freundinnen Traude Bührmann, Gabriele Schilling und Christiane von Lengerke engagieren sich für das Setzen von Gedenksteinen und nennen sich die „Rememberries“. Durch das Sammeln von Spenden konnten sie ihren Plan in die Tat umsetzen. Frau Bührmann gibt mir einen Einblick in die Geschichte der Frauenbewegung und schildert mir ihre Intentionen:

Zwischen den 40-70er Jahren gab es keine Lesbenbewegungen: bei meinen Recherchen tat sich ein absolutes Loch auf“, so Frau Bührmann. Drei lesbischen Frauen ist es zu verdanken, dass sie die Bewegungen der 20er mit denen der 70er Jahren verknüpften: die Malerin Gertrude Sandmann, die Aktivistin Kitty Kuse und die Kommunistin Hilde Radusch. Der Plan, die Erinnerungskultur aufrechtzuerhalten, „ist eine sehr persönliche Initiative […] damit sie nicht in Vergessenheit geraten“ [Kitty] war sehr aktiv in der Lesbenbewegung, sie hat alles mit initiiert, was so toll war“

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Kittys Gedenkstein – die Erinnerung an eine starke Frau

Kitty wuchs mitten in Berlin-Schöneberg auf, Homosexualität war ein Tabu-Thema, viele Frauen waren zu einem Doppelleben gezwungen. Im November 1974 gründete Kitty zusammen mit anderen Frauen die Gruppe L74, das >L< steht für Lesbos, die >74< für das Gründungsjahr. Innerhalb der Gruppe wurden Treffen vereinbart in der ältere berufstätige oder schon pensionierte lesbische Frauen ihre Erfahrungen austauschten und somit aus ihrer Isolation heraustraten.
Sie hat die Homophobie, die in der Gesellschaft herrscht, kritisiert und lesbische Frauen ermutigt  für sich einzustehen. Die neue Frauenbewegung wurde beeinflusst und „eine Geschichte wird wieder lebendig“. Frau Bührmann sieht auch eine Notwendigkeit in der Erinnerung für unsere heutige Gesellschaft: „ganz wichtig finde ich die Zivilcourage, die Solidarität untereinander, die Verbundenheit, […] „es gibt eine Kultur gegen des Vergessen.“

Der Gedenkstein ist ein Beitrag für die Sichtbarmachung lesbischer Frauen in Vergangenheit und Gegenwart, denn… „wer schreibt unsere Geschichten, wenn nicht wir selbst“ 

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