Viele der bestehenden Netzwerke und Halteseile des Kiezes sind unsichtbar aber sehr wohl funktionabel. So ist über das Engagement für Flüchtlinge der syrisch-orthodoxen Kirche in der Potsdamer Straße auf dem potseblog bereits berichtet worden.
Als nun im Herbst 2015 die von der Kirche angemieteten Wohnungen in der Monumentenstraße nicht mehr zur Verfügung standen, funktionierte das Netzwerk wunderbarst und ohne dass viel Aufheben darum gemacht wurde. 30 Menschen fanden eine neue Unterkunft auf dem Gelände der Evangelischen Elisabeth Klinik. Dort steht ihnen seitdem Petra Herms, Chefsekretärin des Krankenhauses , mit Rat, Tat und Anteil nehmender Fürsorge zur Seite.
Die Geflüchteten konnten Apartments und Wohnungen beziehen, in denen die Klinik quasi ‚vorausschauenden Leerstand‘ produzierte. „Die Situation damals war so schwierig, dass es wichtig war, überhaupt Wohnraum zur Verfügung zu stellen,“ sagte André Jasper, Geschäftsführer der Klink. „Auch wenn er wie in den Fällen bei uns befristet war. Darüber haben wir die Geflüchteten und auch die Verantwortlichen der Syrisch-Orthodoxen Kirche von Anfang an informiert.“
Die zwei Seiten der Elisabeth Klinik
Die meisten der KiezbewohnerInnen kennen die an der Lützowstraße gelegene Seite der Evangelischen Elisabeth Klinik. Wenige wissen, dass der Paul-Gerhard-Diakonie, in deren Konzern die Klinik eingegliedert ist, das gesamte Gelände bis hin zum nördlich gelegenen Schöneberger Ufer gehört.
Dieser nördliche Klinikbereich ist ein architektonisches Sammelsurium. An der Straße steht ein Gebäuderiegel von 1975 mit kleinen Apartments und großartigem Blick auf das Kulturforum vom obersten Stockwerk. In den Apartments konnten auswärtige Familien, deren Angehörigen sich zu einer langen Behandlung in der Klinik aufhielten oder im Seniorenheim wohnten, einmieten. Außerdem beherbergten sie die Diakonissen, von denen auch heute noch zwei hier leben.
Daneben und ins Klinikgelände hereinragend befindet sich ein unscheinbarer Bau von 1900, in dem heute die Verwaltung, die Physiotherapie und eine Arztpraxis untergebracht sind.
Und dann das Schmuckstück. Die Villa von 1837, in der sich bis 1934 die Galerie Goldschmidt-Wallerstein befand, die den Ruf hatte, einer der renommiertesten Kunsthandlungen im Berlin der zwanziger Jahre zu sein. Die Villa ist der letzte Hinweis darauf, dass sich hier einmal eine Privatstraße befand, in der reiche Menschen wohnten, denen schon damals der Verkehr im Kiez zu laut war.
Investors Freud ist Nachbarschafts Leid?
Bereits seit 2012 plant die Paul-Gerhard-Diakonie dieses gesamte rückwärtige Gelände der Klinik zu verkaufen. Nun ist es soweit. Ende November lief das Bieterverfahren für diese 3.000 Quadratmeter aus.
„Wir boten das Projekt kurzfristig über Immobilienplattformen an, doch wechselten dann zum Projektentwickler Drees & Sommer,“ erklärt Geschäftsführer Jasper. „Wir wollten ein transparentes Verfahren. Es gab circa 150 Anfragen aus dem In- und Ausland. Einige Bewerber sind auch jetzt schon am Schöneberger Ufer verortet.“
Die Paul-Gerhard-Diakonie hat in Bezug auf die Klinik durch Einträge ins Grundbuch vorgesorgt. „Grundsätze wie die Belieferungen und die Feuerwehrdurchfahrt vom Schöneberger Ufer müssen weiterhin gewährleistet werden,“ erklärt Herr Jaspers. „Das Krankenhaus braucht einen Lärm- und Emissionsschutz. Und im Vertrag sind auch die beiden Brandwände, die sich jetzt an der Villa befinden gesichert. Es gibt hier ein Umschlussrecht für Anbauten. Das macht es sehr unwahrscheinlich, dass die Villa abgerissen wird. Dies ist auch in keinem der Angebote vorgesehen.“
Dennoch ist auch hier zu befürchten, dass wie fast überall in Tiergarten-Süd hochpreisige Eigentumswohnungen entstehen. AnwohnerInnen würden sich wünschen, dass der neue Investor nicht schon Objekte am Standort hat. Denn Investoren mit mehreren Objekten kündigen jetzt schon an, den Kiez ummodeln zu wollen, ohne dabei Rücksicht auf den Bestand zu nehmen.
The times they are a-changin‘
Als zweitälteste Klinik in Berlin begann die Elisabeth Klinik 1837 an diesem Standort bedürftige Frauen zu behandeln. Damals lag das Grundstück noch vor den Toren der Stadt, es gab Treib- und Gewächshäuser, Windmühlen. Hier sollten die Frauen in grüner Umgebung und bei Betätigung in frischer Luft wieder zu Kräften kommen.
Gutgläubig sind alle, die dem heutigen Konzern Paul-Gerhard-Diakonie neben der christlichen Verankerung den Geschäftssinn eines Wirtschaftsunternehmen absprechen. Geld wird dringend gebraucht, hört man, hier am Standort genauso wie berlinweit. Zumindest ist aber die Klinikleitung beratend in das Verkaufsverfahren mit eingebunden. Doch an der Nachbarschaft wird wohl auch dieses dieses Projekt planerisch vollkommen vorbei gehen. So geschah es auch bei den Neu- und Umbauten, die kürzlich entstanden. So viel Kiez ist dann doch nicht.
Schon mit dem Neubau des Evangelischen Charlottenheimes im Jahr 2013/14 verabschiedete sich die Paul-Gerhard-Diakonie von dem historischen Erbe der Evangelischen Elisabeth-Klinik und riss einen der ältesten Gebäudeteile ab. Dann musste in diesem Jahr die Kapelle einem neuen Feuerwehrstandort weichen. Über Geschmack lässt sich streiten. Beides sind Zweckbauten. Die Funktionalität beider Gebäude ist unbestritten.
Kiezklinik
Doch wird auch heute nicht nur betont, sondern in Aktionen deutlich, dass die Evangelische Eilisabeth Klinik eine Kiezklinik ist.
Der Abschied des Quartiersmanagement konnte im November 2016 in Paul’s Deli gefeiert werden. Die schicke Caféteria wird inzwischen auch von den umliegend arbeitenden Büroangestellten geschätzt, ist jedoch manchen KlinikmitarbeiterInnen etwas zu teuer. Der Quartiersrat ( ab Januar 2017 Stadtteilforum ) tagte mehrere Male in den Räumen des Neubaus und die Organisation war erfreulich unkompliziert. Das Sommerfest der Klinik findet auf dem Vorplatz statt und richtet sich an den Kiez. Die Biertischgarnituren der Klinik sind regelmäßig bei anderen Kiezfesten dabei. Seit Jahrzehnten ist die Rettungsstelle der Klink die erste Anlaufstelle für alle, inklusive Drogenabhängige und in den 80er die Hausbesetzer, aus dem Kiez.
Und was ist nun der Plan?
Über die Angebote wird zur Zeit entschieden. Die Villa möchte ja, laut Herrn Jasper, niemand abreißen. Hier wohnen übrigens noch einige Privatleute, die in den hochherrschaftlichen, wenn auch unsanierten Räumen, bisher Mietpreise von 4 bis 5 Euro / qm genießen konnten. Sie sind beizeiten informiert worden und müssen sich nun auf Mieterhöhungen, jedoch im gesetzlichen Rahmen einstellen. „Wir kümmern uns auf jeden Fall um die Diakonissen,“ sagt Herr Jasper. „Eine möchte ins Heim, die andere ist noch so aktiv, dass sie gerne weiter in einer Wohnung leben möchte.“
Einen Neubau für Klinikzwecke wird es aus Kostengründen auf dem Klinikgelände nicht geben. Die Verwaltung soll in die bisher ungenutzten oberen Geschosse des Evangelischen Charlottenheims ziehen. Das Zentrum für Physio-, Ergotherapie und Osteopathie, das übrigens sehr zu empfehlen ist und auch KiezbewohnerInnen offen steht, wechselt nach vorne in das Erdgeschoss. Es wäre hier jedoch wünschenswert, dass an dieser Stelle auch Läden angemietet werden, deren Türen sich dem Kiez öffnen.
Herr Jasper kann nicht zusagen, dass die Diakonie auf den neuen Investor einwirken wird, dass die Geflüchteten so lange bleiben können, bis sie neue Unterkünfte gefunden haben. „Die Mietverträge laufen im Jahr 2017 sukzessive aus,“ sagt er. „Und wir setzen da ganz stark auf die Nachbarschaft. Die syrisch-orthodoxe Kirche weiß ja bereits Bescheid und wird den Menschen helfen. Und auch die Luther-Gemeinde am Dennewitzplatz ist inzwischen mit im Boot und bereit, bei der Wohnungssuche zu helfen.“
Wir alle können ein Teil dieses Netzwerkes werden.
Ich weiß nicht, wer den Artikel geschrieben hat, aber es wäre gut gewesen, sich in diesem Fall auch die Meinung der langjährigen Bewohner der beiden Häuser Schöneberger Ufer 67 und 67a anzuhören. Wir sind nicht ein „paar Privatleute in der Villa“, sondern 8 Mietparteien und 4 Flüchtlingsfamilien .Einige von uns wohnen hier seit mehr als 30 Jahren und sind somit auch ein Teil des Kiezes.
Wir alle wollen hier wohnen bleiben und damit bezahlbaren Wohnraum in Tiergarten –Süd erhalten.