29 Künstlerinnen, 62 Kunstfreundinnen und 5 männliche Unterstützer trafen sich vor 150 Jahren und 4 Tagen und gründeten den Verein der Künstlerinnen und Kunstfreundinnen zu Berlin. Name ohne Binnen-I.
„Wir sind hier sechs Künstlerinnen zusammen getreten, die den Kern eines Vereins bilden wollen, der den Zweck hat: den vereinsamten ganz allein stehenden Schwestern in der Kunst hier in Berlin eine gemeinsame Heimath zu schaffen, den jungen anstrebenden Talenten mit Rath u. That beizustehen u. Ihnen eine Stütze zu sein u. denen, die in Noth geraten durch Darlehen oder Stipendien zu helfen …“, hatte Vereinsgründerin Clara Heinke kurz zuvor an Ottilie von Goethe, Schwiegertochter Johann Wolfgangs, geschrieben. (Katalogseite 41/42)
Die Frauen wollten einen Berufsverband für Künstlerinnen, mit Aus- und Fortbildung, Kranken- Pensions-, Darlehenskassen, sprich Maßnahmen zur Förderung der künstlerischen Produktion, die den Frauen damals von männlichen Kollegen verweigert und verboten wurden. Dem Hindernis, dass eine Vereinsgründung durch Frauen außer zu karitativen Zwecken illegal war, gingen sie auf pragmatische Art und Weise mit Männern aus dem Weg, die auch sonst in ihrem Sinne tätig waren. Wilhelm Adolf von Lette hatte ein Jahr zuvor den Verein zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts gegründet. Werner von Siemens beriet die Frauen bei der Gründung einer vereinseigenen Darlehns- und Unterstützungskasse, die Akademieprofessoren Oscar Begas und Julius Schrader hätten Künstlerinnen auch an der Akademie unterrichtet, durften dies aber nicht. Und Schulrat Karl Bormann war sowieso für die Möglichkeit der weiblichen Bildung.
Der VdKKB hatte einen erfolgreichen Start und zum 25jährigen Bestehen 1893 wurde ein Haus in der Potsdamer Straße 39 (Hausnummerierung damals) errichtet und bezogen.
Damit war ein weiterer Plan der Vereinsgründerinnen umgesetzt: „Zunächst also, ziehen wir Sechse in ein Haus dh. jede miethet sich darin ein Atelier u. wer nicht, wie ich noch eine Heimath hat, auch ein Stübchen dazu. Für diese Damen wird dann eine gemeinschaftliche Mutter gemiethet, die das Haus in Ordnung hält u. die Damen in Kost nimmt.“ (Katalogseite 42)
Bei der Eröffnung am 15. Oktober 1893 genossen rund 400 Schülerinnen eine Ausbildung in den Kursen, und die Mitgliederzahlen waren auf 565 gestiegen (vier Jahre später bereits 783).
„Die Zeichen- und Malschule konnte durch ihre freiere Unterrichtsgestaltung unmittelbarer als die Akademie auf die Wandlungen in der Berliner Kunstszene ab den 1890ern reagieren und avantgardistische künstlerische Entwicklungen einbeziehen,“ schreibt Teresa Laudert in dem Katalogessay ‚Auf eigenen Wegen‘. „Viele der Lehrenden, …. , waren durch Studienaufenthalte in Paris, der Kunsthauptstadt der Moderne, auf dem neuesten Stand der Kunstszene: Sie nahmen fortschrittliche Strömungen wie den Impressionismus auf, und vermittelten diese, im Gegensatz zu den konservativen Akademien, ihren Schülerinnen weiter.“ (Katalogseite 26)
Teresa Laudert betont, dass viele Lehrende als Vorläufer der 1898 gegründeten Berliner Secession – dem Gegenpol bis dahin dominierenden akademischen Kunstbetrieb – angehörten und sie resümiert: „Die verschiedenen Künstlerinnen belegen mit ihren Werken die Relevanz der Zeichen- und Malschule des VdKKB, die zur Verbreitung fortschrittlicher künstlerischer Strömungen wie dem Impressionismus und dem Expressionismus im deutschen Kaiserreiche ihren Beitrag leistete. Für die Professionalisierung der Ausbildungssituation von Künstlerinnen setzte die Berliner Schule ein wegweisendes Zeichen. Den Studentinnen wurde erstmals die Möglichkeit gegeben, sich künstlerische Fähigkeiten systematisch anzueignen, die als grundlegende Basis ihrer weiteren Entwicklung dienten. … Unterstützend wirkte hier auch das solidarische Netzwerk, das den persönlichen Kontakt zu etablierten Künstlerinnen ermöglichte und teilweise lebenslange Freundschaften stiftete. Deren Anregungen und Ratschläge waren von fundamentaler Bedeutung für die künstlerische Karrieren der Studentinnen: gut gewappnet konnten sie von Berlin aus ihre eigenen Wege gehen.“ ( Katalogseite 39)
Letzte Woche in der Camaro Stiftung
Genau 150 Jahre nach der Gründung des VdKKB – am 13. Januar 2017 – lädt der Verein Berliner Künstlerinnen 1867 e.V. in den ehemaligen Akt- und Zeichensaal in die Potsdamer Straße um den roten Katalog zu präsentieren.
„Wir haben eine Sonderfarbe gewählt. Rot,“ sagt Katalogdesignerin Birgit Tuemmers. „Rot, weil diese Frauen sich nicht verstecken, sondern nach vorne gehen und präsent sind.“
Die Publikation enthält neben informativen Essays, eine Chronik des Vereins, das historische Vereinsarchiv auch den Katalog der vier Jubiläumsausstellungen „Fortsetzung folgt!“ mit Kurzbiographien und Kunstreproduktionen der präsentierten Künstlerinnen. Unter dem Titel ‚Ein Glücksfall oder wie die Kunst zurück ins Atelier fand‘ beschreibt Paula Anke, Vorstandsmitglied der Alexander und Renata Camaro Stiftung, warum die Stiftung das Haus das Haus erwarb und dort seit 2011 interdisziplinäre Rahmenprogramme und Ausstellungen, „die vom Künstlerpaar Alexander und Renata Camaro ausgehen“, präsentiert.
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Paula Modersohn-Becker 1997/98
Gerne und oft werden in Verbindung mit der Potsdamer Straße 98 A ( heutige Nummerierung) Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker erwähnt, die dort gelernt und gelehrt respektive gelernt haben. „Die Tage fliegen dahin! Ich habe keine Zeit, mich einsam zu fühlen oder Langeweile zu verspüren. Vier Nachmittage der Woche gehören meinem Zeichenunterricht, der bildet jetzt den Inhalt meiner Gedanken“,“ schreibt Paula Modersohn 1896 an ihre Eltern (Zitat Katalogseite 21).
Die Auftaktausstellung, die noch bis zum 24. März 2017 zu besuchen ist, präsentiert insgesamt 43 Künstlerinnen und ihr Werke, die politisch und sozial engagierten Themen, Stilleben, Portraits, kleinformatigen Historienmalerien, Flucht und Exil verarbeiten.
Geographische, geschichtliche und digitale Entwicklungen
Einer der unerbittlichsten Akademiepräsidenten, der Frauen dieses Recht verweigerte, war Anton von Werner, der damals in seiner Privatvilla schräg gegenüber wohnte und arbeitete. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz und gehört heute zum Ensemble der Mercator Höfe.
Anton von Werner hatte bis 1907 auch den Vorsitz des Verein Berliner Künstler (VBK) inne, der seit 1964 am Schöneberger Ufer verortet ist. Seit 1990 dürfen dem Verein Frauen beitreten. Der jetzige Vereinsvorstand ist vollständig weiblich.
Nach einer inaktiven Phase (ab 1971) begann der VdKKB im Jahr 1984 erneut mit regelmäßigen Jahresausstellungen im Rathaus Schöneberg. Zum 125jährigen Jubiläum im Jahr 1992 gewann der Verein und die Galeristin Karoline Müller die Berlinische Galerie als Partner für ein Forschungs- und Ausstellungsprojekt, dessen Ziel es war Quellen- und Wissenslücken zu schließen.
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Johanna Reincke, 1920
„Im Falle des Vereins der Berliner Künstlerinnen 1867 (VdKKB 1867) ist das gesamte historisch überlieferte Archiv Anfang des Jahres 1944 – ein genaueres Datum ist bisher nicht bekannt – zusammen mit den Vereins- und Schulräumen der privaten Unterrichtsanstalt bei einem Luftangriff völlig vernichtet worden,“ schreibt Michael Krejsa, Leiter des Archivs Bildende Kunst der Akademie der Künste in Berlin im heutigen Jubiläumskatalog. „Ein erst 2016 aufgetauchtes Dokument belegt diesen Verlust des Vereinsarchivs auf einer penibel geführten sechsseitigen Schreibmaschinenlist aller „zerstörten Sachen der Ateliers Potsdamerstraße 72, I Quergebäude II,2’“ (Katalogseite 53)
Unter der Leitung von Carola Muysers begann deshalb zunächst eine umfassende Archiv-Rekonstruktion, die Dokumenten aus öffentlichen und privaten Archiven, Bibliotheken zu Tage förderte. Weiterhin konnten Dokumentationen zur Institutionsgeschichte und Mitgliederbiografien in ganz Deutschland sicher gestellt werden. Nachdem die vielfältigen Dokumentationen an unterschiedlichen Orten gelagert wurden, gingen sie im Juni 2013 an die Akademie der Künste über und sind nun der Öffentlichkeit im Archiv selbst am Robert-Koch-Platz 10 und online zugänglich.
„Im Zentrum der in der Akademie der Künste aufbewahrten Schriftgut-Dokumentation des Vereins stehen biografische Daten von insgesamt 3.517 historischen zeitgenössischen, überwiegend deutschen bildenden Künstlerinnen und deren Umfeld,“ so Krejsa im Katalog ( Katalogseite 56). „Sie beinhaltet auch Reden, Korrespondenzen, Exponatelisten, Zeitungsausschnitte, Werk- und Projektdokumentationen, Auktionsergebnisse, Faltblätter sowie Druckschriften.“
2016/2017 – Und
Zum künstlerischen Schaffen von Frauen gibt es seit den 80er Jahren vermehrt Ausstellungen, Datenbanken, Monographien, Lexika, Sammelbänden, Forschungen. 2016 wurde jedoch eine Studie veröffentlicht, auf dem sich Birgit Möckel in der Publikation bezieht: „Trotzdem werden in einem aktuellen, rund 500 Seiten starken Kompendium zu Frauen in Kultur und Medien einmal mehr die Suren patriarchaler Strukturen ausgemacht, deren ‚tradierte Vorstellungen und Muster bis heute wirken‘, obgleich in einem sehr schmalen Katalogheft des VdBL zu seiner damals 100-jährigen Geschichte bereits [1967 Anmerkung Blog] zu lesen ist: ‚Heute ist es eine Selbstverständlichkeit, Frauen nicht nur in Parteien, Parlamenten, Ministerien ( gelegentlich auch in den Regierungen ) und in den Wohlfahrtsverbänden in leitender Position zu finden – man begegnet Namen in den Katalogen der bedeutenden Kunstausstellungen, seitdem so namhafte Vertreterinnen ihres Standes wie Käthe Kollwitz, Charlotte Berend-Corinth, Augusta von Zitzewitz und Renée Sintenis der Frau auch auf diesem Gebiete Geltung verschafft haben.’“ (Katalogseite 161/162).
Sie alle waren dem Verein der Berliner Künstlerinnen 1867 verbunden. Deshalb, so Birgit Möckel auf Katalogseite 163: „Fortsetzung folgt! Der Ausstellungstitel ist durchaus programmatisch gemeint – als Willensbekundung und Wunsch nach vielen weiteren spannenden Kapiteln der Kunstgeschichte, auf Werke von Künstlerinnen, die neu und wieder entdeckt werden wollen.
Was werden künftige Generationen nicht nur schaffen, sondern zeigen und sammeln? Das, was in der Gegenwart präsentiert und bewahrt wird: Diversität aus jeglicher Perspektive – männlicher wie weiblicher.
Nicht Frau, nicht Künstlerin sein ist das eigentliche Thema, das Werk ist es, das zählt und gezeigt werden soll, immer wieder.“
Die Publikation ist in der Ausstellung erhältlich.
Informationen über alle VBK-Ausstellungen 2016/2017 gibt es hier.
Auftaktausstellung in der Camaro-Stiftung
26. November 2016 – 24. März 2017
Potsdamer Straße 98A, 10785 Berlin
Öffnungszeiten
Dienstag bis Samstag 13 – 17 Uhr | Mittwoch 13 – 20 Uhr
Gruppen nach Voranmeldung / Eintritt frei
ACHTUNG! Mittwoch den 18. Januar schließt die Ausstellung bereits um 17.00 Uhr