Das Lidl-Bike – grüne Welle auf der Potsdamer Straße

Gestern gegen 20.30 Uhr fuhr die Critical Mass von Norden her kommend auf die Potsdamer Straße ein. Die BesucherInnen des Gallery Weekends fanden das sehr unterhaltsam. Die abbiegenden Autofahrer – darüber gibt es keine direkten Zitate . Auf jeden Fall hatten die RadfahrerInnen nicht nur den nicht vorhanden Fahrradweg, sondern eine gesamte Fahrspurseite in der kompletten Länge für einige Zeit mit grüner Welle auch bei Rot für sich.

Critical Mass am 28. April 2017

Wie es sich sonst so auf der Potsdamer Straße radelt und dann auch noch mit einem Leihfahrrad beschreibt HU-Gastbloggerin Jette

„ Auto oder Fahrrad?“
Ich wohne am Stadtrand und bin mal wieder viel zu spät dran für mein Seminar in der Humboldt Universität.  Mein Blick wandert zwischen unserem Auto vor der Tür und meinem Fahrrad hin und her: Wie komme ich am schnellsten hier weg? Ich überlege kurz und entscheide mich für mein Rad. In den meisten Fällen ist man in der Berliner Innenstadt so schneller unterwegs als mit dem Auto.

Zuerst geht es zum S-Bahnhof, mit dem Aufzug runter und wieder rauf, dann weiter in die Bahn, wo ich kaum einen Platz für mein Rad finde. In der Friedrichstraße angekommen, muss ich das Rad die Treppen hinaufhiefen und erst dann geht es zur Uni. Das ist alles äußerst umständlich und aus diesem Grund teste ich das Lidl-Bike, das neue Leihfahrrad von Lidl und der Deutschen Bahn (DB).

Die Konkurrenz
Bevor ich ein Leihfahrrad zu sehen bekomme und meine Testtour durch die Potsdamer Straße beginnen kann, erfahre ich im Internet, dass das Lidl-Bike Konkurrenz in Berlin hat. Neben zahlreichen kleineren Vermietungen von Hotels, Pensionen und Fahrradgeschäften gibt es das blaue nextbike.

Im letzten Jahr konnte sich die DB nicht gegen das Startup aus Leipzig durchsetzen, welches nun mit 7,5 Millionen Euro vom Berliner Senat gefördert wird. Doch die DB suchte sich einen neuen Sponsor, um den Leipzigern nicht das Feld zu überlassen und fand diesen in dem Discounter.

Nun entscheidet der Kunde, auf welches Rad er sich setzt.
Aber die Wahl ist nicht leicht, denn das Leihprinzip per App, die Tarife und Ausleihstationen innerhalb des S-Bahnrings sind bei beiden nahezu identisch. Bleibt nur die Frage, ob ich ein Startup oder ein Millionenunternehmen und eine Supermarktkette mit dem Ziel „nachhaltigster Discounter in Deutschland“ (Wolf Tiedemann, Geschäftsleitung Lidl Deutschland) zu werden unterstützen möchte.

Auf dem Weg zum Lidl-Bike
Ich habe mich für meinen ersten Test für das Lidl-Bike entschieden, da ich herausfinden möchte, wie Passanten auf die Schleichwerbung auf zwei Rädern reagieren. Am Potsdamer Platz begebe ich mich auf die Suche nach Leihrädern und Menschen.

Ich werde fündig und komme direkt mit einem nextbike-Fahrer ins Gespräch: Stefan ist Jura Doktorand und wohnt im Speckgürtel von Berlin. Er fährt die letzten zwei Kilometer vom Potsdamer Platz bis zur Juristischen Fakultät der HU am Bebelplatz häufig mit einem nextbike, da die erste halbe Stunde für nextbike-RadCard Inhaber (49€ /Jahr) kostenlos ist. Das ist für den angehenden Juristen der ausschlaggebende Vorteil. Er ist der Meinung, „die Schleichwerbung habe ich da wie da“.

Es geht los…
Ich will endlich losfahren und verabschiede mich. Die App habe ich zuhause heruntergeladen und so geht alles ganz schnell. Ich finde mehrere Lidl-Bikes vor, entscheide mich für eins und gebe seine Nummer bei der App ein. Daraufhin erhalte ich einen Code, den ich nur noch am Lenker eintrage. Schon öffnet sich das Schloss und ich kann auf den schnell noch passend eingestellten Sattel steigen.

Schon nach den ersten Minuten bin ich froh, dass ich meinen Helm aufhabe und Klingel und Bremssystem einwandfrei funktionieren. Ich werde ohne Grund angehupt und PKWs, Transporter und Motorräder dröhnen neben mir her, doch das frühlingshafte Wetter entschädigt mich für all das, spätestens als ich auf der Brücke über dem Landwehrkanal kurz anhalte und die Sonne genieße.

Blickkontakt
Ohne viele Blicke auf mich zu ziehen, fahre ich an den vielen bunten Cafés, Bars, Geschäften und dem Wintergarten vorbei bis zur Ecke Kurfürstenstraße, wo ich an der Ampel anhalten muss und und mich doch beobachtet fühle.

Renata, die Smartphonelose
Besonders eine Frau um die 60 scheint sich für das Rad zu interessieren. Ich steige ab und frage sie nach ihrer Radfahrergeschichte: Renata ist früher täglich mit dem Rad zur Arbeit gefahren und hat gerne im Sommer lange Touren mit ihrem Mann unternommen. Doch nachdem sie sich letzten Winter von ihrem „alten treuen Drahtesel“ wie sie ihn liebevoll nennt, trennen musste, hat sie sich noch für kein neues Modell begeistern können. Für den Übergang zieht sie die Leihfahrradvariante in Betracht. Ihr einziges Problem: Sie hat und möchte kein Smartphone…

Ich lerne mein Rad zu lieben
Je näher ich dem Heinrich-von-Kleist-Park komme, desto sicherer fühle ich mich auf meinem Gefährt. Ich mache Halt am Café Peri, kaufe einen Kaffee und setzte mich auf eine Sonnenbank vor dem Café. Nach dieser Stärkung ist meine Tour fast am Ende, ich fahre bis zum U-Bahnhof Kleistpark und stelle mein Rad dort am Rückgabestandort ab. So bekomme 0,50€ auf mein Konto gutgeschrieben. Das lockt den Kunden, aber ich werde trotzdem noch eine weitere Testfahrt mit dem nextbike wagen, ehe ich mein abschließendes Urteil fälle.

Als ich mich zum Gehen wende, sehe ich zwei junge Mädchen, die auf die Lidl-Räder zusteuern. Maren und Katha sind Studentinnen aus Schwerin und verbringen ein Wochenende in Berlin. Um möglichst viel von der Stadt zu sehen, haben sie sich gegen das BVG- Ticket und für das Lidl-Bike entschieden. Bisher haben sie am U-Bahnhof immer zwei Räder entdeckt und mussten nie weit von ihrer Unterkunft, dem Lindemann’s, laufen.

Beide sind angetan von dem System und würden jederzeit wieder das Rad wählen. Nach meinem Tag kann ich ihnen nur zustimmen. In Zukunft wird also häufiger ein Leihfahrrad vor der Uni stehen.

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Kurses „Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen“ des Career Centers an der Humboldt Universität.

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