Gleisdreieck, erzähl mir was du bistJoy Denalane
Gleisdreieck – Intro
Gleisdreieck, erzähl mir, was Du bist
Welche Grenzen Du beschreibst
Welchen Ort Du markierst
Gleisdreckiges Eck
Bist dem Zufall überlassen
Auf welchem Gleis steht mein Zug
Sind die Weichen gestellt
Wer wohnt auf dieser Brache
Füllt den Unort mit Sinn
Wer schreibt die nächste Geschichte
Gleiseck, Selbstzweck
Hast Du Dich verkauft
Warst besetzt von den Menschen
Von nichts als Biografie
Gleisbett, weit weg
Seh mich wieder als Kind
Seh mich Steine zertreten
Seh mich nach Zukunft verlangen
Alte Blüten zerreiben
Alte Träume zerstäuben
Gedanken kehren Heim
U-Bahnhof Kurfürstenstrasse: Altbau mit Ofenheizung, ziemlich marodes Gebäude, viertes Stockwerk . U-Bahnhof Gleisdreieck: Maisonettwohnung, Fahrstuhl, Zentralheizung.
Das neue Zuhause von Joy Denalane und ihrer Familie ist nur eine Station von ihrer alten Wohnung an der Potsdamer Strasse entfernt und doch könnten die bildlichen Vorstellungen die man bekommt, während sie die beiden Zuhause mit den oben gewählten Worten beschreibt, nicht unterschiedlicher sein. Die Sängerin bezeichnet diesen Umzug als einen sozialen Aufstiegt. Sechs Jahre alt ist Denalane als sie in das „Schloss“ am Gleisdreieck zieht.
Das Areal damals
Schön, sauber und neu. Das scheint das Bild gewesen zu sein, das die Frau mit der Soul-Stimme von dem Gebiet am Gleisdreieck in der Zeit der 80er hatte. Abgesehen davon, dass es außer den wenigen Blocks und viel freier Fläche und dem U-Bahnhof nicht viel gab, beschreibt Denalane den Ort als Lebensvorbereiter. Viele Kinder unterschiedlicher Herkunftsländer treffen hier aufeinander.
Der Mikrokosmos
Eine Art multikulturelle Spielwiese also? Das Gleisdreieck, das zwischen den 80er Jahre Bauten und der sonst so langweiligen Grünfläche Platz für die Phantasien der Kinder lässt. Für ein gemeinsamen Austausch. Mit dem Gleisdreieck habe ich eine Geschichte und letztendlich habe ich mein Album dieser Zeit am Gleisdreieck auch im Titel gewidmet.
Das Album
Am 3. März erschien das viertes Studioalbum der Berliner Künstlerin. Gleisdreieck, erzähl mir was du bist – Die erste Zeile des Intros weckt Neugier. Hat sich hier viel verändert? Ist das Zuhause, über welches Denalane in ihrem Song singt, heute noch dasselbe wie damals? Ist es noch der sogenannte Mikrokosmos des Kiezes? Ein Riesenspielplatz für Kinder?
Der Park
Den neu entstandenen Park am Gleisdreieck auf den alten Brachen könnte man tatsächlich als Spielwiese bezeichnen. Jedoch nicht ausschließlich für die Heranwachsenden unter uns. Vielmehr eine Art Freizeitpark für alle. Wohlfühloase inmitten der Stadt. Ein Rückzugsort auf dem gleichzeitig Beachvolleyballturniere, Picknicks, Spaziergänge und Kulturveranstaltungen stattfinden. Anwohner schätzen es diesen modernen Volkspark vor ihrer Haustüre zu haben. „Bevor ich zur Arbeit gehe, drehe ich hier meine Runden und finde so meinen Ausgleich“, erzählt mir die Berlinerin die ihren Lauf in der Früh schon hinter sich gebracht hat und sich auf dem Heimweg von ihrer Arbeit befindet. Während Caro den Park für das Joggen nutzt, genießen zwei junge Mütter ihr Eis in der Sonne und ihre Kinder kicken sich den Ball hin und her. Auf die Frage ob sie es störe, dass es kein reiner Spielplatz für Kinder sei stellen sie gemeinsam fest, dass sie es ganz schön fänden, „so haben wir hier auch unsere Abwechslung, die im Alltag des Mama-Seins definitiv wichtig ist.“
Zwischen Schutt und Schienen, Schotter und Ruinen
Der Ort, an dem die beiden Jungs heute spielen, scheint dem, an welchem Joy Denalane ihre Kindheit verbracht hat, nicht zu gleichen. Von dem Schutt, den Schienen, dem Schott und den Ruinen, von welchen sie in ihrem Outro singt, ist heute, vierzig Jahre später, nichts zu sehen. Das Areal hat sich verändert. Mit der Zeit verändern sich die Menschen, deren Interessen und mit ihnen der Kiez. Umso wertvoller ist es wenn Künstler wie Denalane uns ein Bild davon geben, wie die Nachbarschaft früher aussah und was davon übrig geblieben ist.
Gleisdreieck – Outro
Zwischen Schutt und Schienen
Schotter und Ruinen
Im Schatten hinter der Mauer
Bin ich gewachsen
Berliner Pflanze
Und meine Mutter ruft aus dem 5. Stock
Aus den gelben Fenstern
Aus dem grauen Block
Quer über den Hafenplatz
„Komm nach Hause“
Von HU-Gastbloggerin Jule
Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Kurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität.