Raus! – Apotheke am Sportpalast = Vergangenheit

Vor circa 6 Monaten kontaktierte mich Liz Eres aus Israel. Geboren sei sie an der Potsdamer Straße, ihre Eltern hatten die Apotheke am Sportpalast. Als sie mir dann schrieb, sie würde im Juni 100 Jahre alt, entwickelte sich bei mir schnell die Idee, sie zu besuchen.

Einige Tage bevor ich losfliege, erfahre ich, dass die Apotheke am Sportpalast schließt. Die jetzige Inhaberin hat keine Nachfolge gefunden, möchte mir aber auch nicht sage, an wen die Einrichtung geht, die teilweise 100 Jahre alt ist.

Mittwoch, 29. November 2017 im Kibbutz Hazorea
Bis zu meinem letzten Besuch habe ich diese Information vor mir hergeschoben. Mit klopfendem Herzen erzähle ich Lis Erez, dass die Apotheke am Sportpalast geschlossen wird. Sie reagiert scheinbar gelassen. Verständlich, …. ich frag dich was anderes, aufgelöst? Ich hab dir doch erzählt von der Apotheke am Winterfeldtplatz, die ein Café geworden ist. Ich würde mich an die jüdische Gemeinde halten. Hast du Kontakte?

Dann ein wenig später: „Es wäre ja nur wichtig zu wissen, wohin das alles käme. …. Du weißt doch, Geld stinkt nicht. Wer das meiste bietet, dem verkauft man. Vielleicht waren zwei oder drei Bewerber, und der das meiste gegeben hat, … hör mal, es ist nicht die beste Gegend, …. aber ich hätte mich an den Apothekerverein gewandt.

Plötzlich erzählt sie von den alten Waagen, die noch irgendwo stehen könnten, von anderen Einzelheiten und dann fast etwas schadenfroh über den Safe, der sicherlich nicht bewegt werden könnte. „Der ist so schwer den bekommen sie nicht von der Stelle. Und noch etwas später zu einer Freundin, die zu Besuch kommt und die Apotheke auch kennt: Es kann nicht immer alles aufgehoben werden. In jeder Ecke steckt etwas Altes …. Raus. Man darf nicht sentimental sein. Man muss sich darüber hinwegsetzen. Sonst wäre nichts für Neues.

Freitag, 1. Dezember 2017
Am Tag nach meiner Rückkunft in Berlin gehe zur Apotheke am Sportpalast. Ich hatte Ausräumarbeiten erwartet, doch dann stockt mir der Atem. Rechts und links auf dem Bürgersteig stehen Schränke, Gläser, die ganze Apothekeneinrichtung ausgepreist mit knallroten Schildern: 5 € 4 € 10 € 20 € 90 € 228 €. Auf der Straße steht der Möbelwagen und ein Müllcontainer.

Da ist eine der alten Waagen, die Lis erst vor zwei Tagen mir gegenüber erwähnt hat. Da sind die alten Mörser, die alten weißen Gefäße.

Aufgelöst gehe ich in die Apotheke. Ein Mann, der wohl die ganze Sache koordiniert, sagt mir, sie hätten ein Privatmuseum, er arbeite schon viele Jahre bei der Firma. Und ja – der Rest würde verkauft. Meine Aufregung versteht er nicht. Auf die Stolpersteine, die Liz vor einigen Jahren für ihre Eltern vor der Apotheke hat verlegen lassen, sind achtlos Schränke gestellt. Als ich das sage, habe ich den Eindruck, er weiß gar nicht, was Stolpersteine sind.

Auf der Straße treffe ich eine Nachbarin. Sie fragt den Mann, ob er ihr für drei Gefäße einen Preisnachlass geben könne. Sie hätte diese Gefäße schon lange immer in der Apotheke gesehen, auf dem Regal ganz oben und sie hätten ihr so gut gefallen. Doch soviel könne sie nicht bezahlen. „Nein,“ sagt der Mann, „die Preise auf den Gegenständen gelten.“ Ihre Anteilnahme und ihre offensichtliche Freude an den Gefäßen tut mir gut und ich sorge dafür, dass sie sie mit nach Hause nehmen kann. Dort wird dann ein wenig Angedenken bewahrt.

Andere Menschen kommen, gucken, ein Mann ist extra aus dem Bus ausgestiegen, um zu schauen, was es dort gibt. Ich erzähle ihnen die Geschichte von Liz und von meinem Besuch in Israel. Sage, es sei doch ganz furchtbar, wie das hier stattfindet. Einige haben Verständnis, andere finden mich sehr emotional und die Preise dann doch sehr teuer.

Für einige Zeit stehe ich zwischen diesen ganzen Gegenständen, mache Fotos, überlege fieberhaft wie nur einige wenige Stücke in Schöneberg bleiben könnten. Es kann doch nicht sein, dass die 128-jährige Geschichte einer Apotheke einfach so abtransportiert und verscherbelt wird. Etwas hilflos suche ich mir selbst einige Stücke aus und trage sie nach Hause.

Samstag, 2. Dezember 2017
Im Internet kann ich nichts zu einem Privatmuseum finden. Der Mann ist sichtlich genervt, als ich am nächsten Tag wieder auftauche und schickt mich zu einem Kollegen. Dieser sagt, die Firma hätte eine große Lagerhalle und dort hätten sie bereits vier Apotheken aufgestellt. In den 9 Jahren, in denen er bei der Firma sei, wäre noch keine verkauft worden und so sei es doch eine Art Museum. Die ganzen Tiegel, Gläser usw, davon hätten sie schon so viele, sie würden sie auch an Filmfirmen ausleihen. Weitere bräuchten sie nicht und deshalb würden sie sie hier verkaufen. Ich frage nicht, was mit dem Rest passiert.

Und dann muss ich für einen Augenblick doch etwas schmunzeln. Ich frage nach dem Safe und der Mann führt mich in einen der hinteren Räume. Dort stehen sechs Männer um ein Möbelstück herum. Es sieht aus wie ein alter Schrank. Da drinnen ist der Safe. Sie rütteln an ihm herum, bekommen ihn nicht gleich hochgehoben. Wenigstens er kann ein wenig Widerstand leisten, scheint es mir. Doch nicht genügend.

Sonntag, 3. Dezember 2017
Ich bin noch einmal vorbei gegangen.

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