Die sollen weg!

Die Prostitution in Gebiet rund um die Kurfüstenstraße ist alt. Die Beschwerden darüber sind es auch.

Bereits um 1885 gab es dort die ersten „Amüsierbetriebe“.

„Es sind Mädchen, die alle Unarten des Berliner Kleinbürgertums an sich haben, fast stets geschmacklos gekleidet sind, die sich anbieten, nicht (…) warten, bis sie angesprochen werden, sondern sich mit „Komm mit, Schatz!“, „Kleener, komm doch!“ aufdrängen und auch gelegentlich roh schimpfen.“

So beschreibt der Journalist Hans Ostwald die Situation im Jahre 1907.

Die Prostitution und die damit einhergehenden Problematiken sind also schon seit Anbeginn ihrer Existenz im Gebiet zwischen Bülow-, Potsdamer- und Kurfürstenstraße ein Thema, mit dem sich Anwohner und Kommunalpolitiker beschäftigen. Warum also erfährt die Straßenprostitution in der Kurfürstenstraße grade jetzt wieder mehr Aufmerksamkeit als sonst?

Laut Monika Nürnberger, Leiterin der Einrichtung Olga, die für diesen Beitrag befragt wurde, „liegt es auf der Hand, dass durch die Investitionen im Viertel eine Verdrängung stattfindet.“ Olga ist ein Kontaktladen für drogenabhängige Prostituierte, der seit 1987 versucht den Frauen eine Anlaufstelle zu bieten und das Viertel und seinen Wandel seitdem beobachten durfte.

In den letzten Jahren habe man laut Nürnberger eine deutliche Veränderung in dem Viertel bemerken können. Läuft man nur wenige Meter durch den Kiez, wird deutlich, worum es geht. An vielen Ecken wird neu gebaut, werden Fassaden renoviert, bewerben Immobilienprojekte ihre Produkte. Hier passiert das, was an so vielen Orten in Berlin passiert. Der Wohnraum wird knapp, der bestehende wird aufgewertet. Davon bleibt auch der Bezirk Tempelhof-Schöneberg nicht verschont. Und der Bezirk Mitte erst recht nicht. Und genau hier könnte das Problem liegen. Die Grenze zwischen diesen beiden verläuft in der Kurfürstenstraße. Und für die Bezirksregierung Mitte sei die Kurfürstenstraße, wie Nürnberger es formuliert: „vielleicht die einzige Schmuddelecke“.

Bezirksbürgermeister von eben jenem Bezirk, Herr Stefan von Dassel, grauer Maßanzug, Woody-Allen Brillengestell, scheint Schmuddelecken nicht zu hoch zu schätzen. Zumindest macht es ganz den Eindruck, als hätte er die Kurfürstenstraße gerne ohne Prostituierte. So forderte der Grünen-Politiker vor knapp einem Jahr, die Straße zur Sperrzone zu erklären. Frau Nürnberger ist amüsiert.

„Das hat man früher schon einmal probiert. Zwei Mal täglich ist die Polizei vorbei gekommen, hat Platzverweise erteilt, die Prostituierten an den Wannsee gefahren. Die haben sich ein Ticket gekauft, sind zurückgekommen und haben weitergearbeitet.“

Die Prostituierten an der Kurfürstenstraße haben einiges an Problemen. Manche erfahren Gewalt durch Freier, durch Zuhälter, kommen aus armen Verhältnissen, sind wohnungslos oder drogenabhängig. In harten Fällen sind sie Opfer von Menschenhandel oder Zwangsprostitution. Nun kommt also ein weiteres Problem dazu. Sie sollen weg. Dabei hat das Nebeneinanderherexistieren mit den Bewohnern bisher funktioniert. Nürnberger will noch einmal betonen: „Es gibt wirklich wenige Leute, die sich beklagen! Und dann sind da ja auch noch die Stillen. Die, die sich nicht beschweren.“ Meistens allerdings sind die, die sich beschweren lauter, als die, die es nicht tun.

Und diese Anwohner möchte Herr von Dassel gerne besonders deutlich hören. In Form einer Anwohnerumfrage, die an 6.100 Haushalte geschickt wurde, wollte von Dassel gerne herausfinden, was die Anwohner im Kiez stört. Er erfährt nur die halbe Wahrheit. Denn genau genommen wurde nur der halbe Kiez befragt. Die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg, Frau Angelika Schöttler, hat sich geweigert die Anwohnerumfrage mitzutragen.

„Von Dassel habe die Anwohner mit der ausformulierten Umfrage vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Fragen seien so gefasst, dass es geradezu eine Einladung an die Leute sei, sich für Restriktion auszusprechen, lässt sie sich in einem Artikel der taz zitieren. Möchte Herr von Dassel vielleicht herausfinden, das die Anwohner etwas stört? Etwas ganz Bestimmtes?

Etwa 1.100 der befragten Haushalte haben den Fragebogen beantwortet. Aus akademischer Perspektive eine hervorragende Beteiligung, wie der verantwortlich Soziologe von der Universität Potsdam, Herr Döring, befindet. Und auch Herr von Dassel darf sich freuen. Denn die Ergebnisse können als Legitimation seines Aktionismus gelesen werden.

Kot überall! Schrecklich! Ansprache von Passanten durch Prostituierte! Ungeheuerlich! Öffentlicher Vollzug von sexuellen Handlungen! Grauenvoll! Bei der Vorstellung der Ergebnisse können wutentbrannte Anwohner kaum an sich halten. Und stimmen ein, in die Symphonie des Untergangs.

Auf die Frage nach den „Stillen“, denen, die schon Frau Nürnberger im Gespräch nicht unerwähnt lassen wollte, antwortet Döring etwas bemerkenswert Richtiges. „Am Ende hat derjenige eine politische Stimme, der sie nutzt!“ Das weiß auch Herr von Dassel. Und versucht sich auf der von ihm initiierten Veranstaltung am vergangenen Montag mit denen zu solidarisieren, die hier ihre Stimme genutzt haben. Um die Stimmung aufzulockern und seinen eigenen Unmut über bürokratische Hürden zum Ausdruck zu bringen, gibt von Dassel noch eine Anekdote aus den Tiefen der kommunalpolitischen Bürokratie zum Besten.

Vor Kurzem, auf der Suche nach restriktiven Maßnahmen die Idee eines Durchfahrtsverbotes verfolgend, wurde er belehrt. Ein Durchfahrtsverbot würde an dieser Stelle nichts verändern, denn die Straße wäre für Anlieger frei. Und derjenige, der mit einer Prostituierten Sex anbahnen möchte, hat rein rechtlich betrachtet ein „Anliegen“; dürfte die entsprechende Straße aus juristischer Perspektive also befahren. Die Prostituierten ebenso als Anlieger zu betrachten, deren Situation es zu verbessern gälte, kommt von Dassel derweil nicht in den Sinn. Mit den Prostituierten über ihre Lage und Möglichkeiten der Verbesserung zu sprechen sei nicht praktikabel wegen zu hoher Fluktuation.

Gegen Ende des Gesprächs mit Frau Nürnberger sagt diese noch etwas Wichtiges. „Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass nur weil Dinge verboten werden, sie nicht aufhören zu existieren.“ Auch das weiß Herr von Dassel. Er hätte es nur gern, würden die Dinge woanders existieren. Am besten dort, wo er nicht regiert.

Von Gastblogger Philip

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Kurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität.

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