Category Archives: Drogen/Prostitution

Kai Pünjer – Frischer Wind im Kiez

Geschrieben von HU-Gastbloggerin Paula.

image222 Jahre jung / politisch-engagierter Wahlberliner / 2011 aus Hamburg hergezogen / wohnt in der Nähe vom Nollendorfplatz /
im 3. Lehrjahr / Ausbildung bei Walter Services zum Kaufmann für Dialog-Marketing / möchte nach der Ausbildung studieren und sich selbstständig machen / trägt gern ausgefallene Kleidung / Silberschmuck und Accessoires / mag Kunst und klassische Musik / aber auch Charts / wie Lady Gaga, Rihanna, Miley Cyrus / liebt es die unterschiedlichsten Menschen kennen zu lernen / schlendert gern durch die Kaiser-Wilhelm-Passage / genießt das Kiez-Leben / ist bei der CDU / arbeitet lokal-politisch lieber für keine Partei / z.B im Quartiersrat Schöneberg und in der IG Potsdamer Straße / „Ich möchte, dass sich etwas ändert, wo ich dahinter stehen kann.”
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Von Medien, Kultur und Straßenstrich

Ursprünglich aus Heidelberg, wohnt Michael Müller seit 1989 in Berlin. Ich traf ihn in seiner Wohnung in der Nähe der Kurfürstenstraße, in der er mit seiner Familie lebt und von der aus er auch arbeitet.

Kultur zum Mitnehmen

Dr. Müller, seines Zeichens Kunsthistoriker, ist Unternehmer. Zusammen mit seinem Geschäftspartner, der sich auf die Beratung von Museen spezialisiert hat, gründete er 2007 das Unternehmen Culture to go. Der Focus des Unternehmens liegt auf der Beratung von Kultureinrichtungen im Bereich der Kommunikation/Social Media, sowie deren technische Umsetzung.

CTG - Culture to go

Die Idee kam ihm bei seinem Aufenthalt in Los Angeles. Zu dieser Zeit wurden in den USA die Breitbandfrequenzen versteigert. Damals konnten sich nur wenige ein Smartphone, wie es heute kaum wegzudenken ist, vorstellen. Jedoch war er von der Idee „egal wo man steht Medien abzurufen“ begeistert. Praktisch heißt das heute: die Webseite eines Museums so zu optimieren, dass jeder direkt auf seinem Smartphone, plattformunabhängig und ohne lästiges Installieren von Apps, eine Führung bekommt. Continue reading

Herzlich willkommen, es ist alles bereit

Am gestrigen Morgen die Sorge vor dem Probelauf. Wie wird es am Nachmittag klappen? Noch eine Woche, dann soll die Donnerstags-Tafel an der Zwölf Apostel starten.

Um 16 Uhr: freudige Überraschungen und Dankbarkeit.
*Eine neue Helferin hat uns gefunden. Sie hat schon in einer Großküche gearbeitet, möchte Verantwortung übernehmen.
*Die erfahrenen HelferInnen von der Mittwochsinitiative sind geduldig mit den Neulingen an diesem Nachmittag.
*Der Besuch bei REWE macht glücklich. So spontan die Zusage von Geschäftsführer Sulaf Ahmed war, die neue Tafel an der Zwölf Apostel Gemeinde zu unterstützen, so großzügig die Spende. Ein Wagen mit Obst, Gemüse, Mehl, Nudeln, Schokolade und Keksen.

Dank an REWE

Doch warum eine Donnerstags-Tafel bei Zwölf Apostel?

Ev. Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde
An der Apostelkirche 1
10783 Berlin

Weil der Andrang zum Essen bei der Mittwochs-Initiative e.V. , die seit zwanzig Jahren Drogenabhängige und Prostituierte mit Essen, Material zur Aidsprävention und einer Kleiderkammer versorgt, über den ursprünglich angesprochenen Personenkreis immer größer geworden ist. Deshalb initiieren das Ökumenische Rogate-Kloster St. Michael und die Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde einen zweiten Abend, an dem Menschen mit geringem oder ohne Einkommen Essen erhalten. Diese soll am Donnerstag, den 5. Mai starten.

Zurück zum Probelauf. Nach einer Inspektion der geschenkten Zutaten wird entschieden, was gekocht werden kann: Spargelcremsuppe, Apfelkompott, frischer Salat mit Möhren- Stangensellerie- Chicoree, Tortelettes mit Erdbeeren und als Stärkung einen Tee mit frischen Zitronengras und Minze oder frisch gepresster Orangensaft. Hätten wir heute schon Gäste wäre das doch ein fulminantes Menu.

Doch weiter. Es wird geschnippelt, dann gekocht. Jeder findet selbst seine/ihre Aufgaben, schaut sich um was noch zu tun ist. Wischt die Tische ab, wäscht zwischendurch Messer und Brettchen ab. Dabei immer wieder beraten: wo werden wir das Essen servieren? Was müssen wir noch bedenken? Wer sollte angerufen und noch einmal kontaktiert werden?

Um 18 Uhr ist der Tisch für uns im Garten des Gemeindehauses gedeckt. Wir genießen, was wir uns bereitet haben. Alle Schritte der wirklichen Tafel haben wir heute noch nicht durchlaufen. Es gibt noch keine festen Teams. Auch die Koordination könnte besser sein. Da wird es in der kommenden Woche noch einiges an Improvisation geben.

Danke

Doch wir sind zuversichtlich, dass wir ab kommender Woche, Donnerstag, den 5. Mai wöchentlich um 19 Uhr werden sagen können: Herzlich willkommen, es ist alles bereit.

Wir suchen noch weitere HelferInnen, die entweder regelmäßig oder von Zeit zu Zeit entweder bei der Zubereitung des Essens zwischen 16 und 19 Uhr oder bei der Ausgabe ab 19 Uhr helfen möchten. Melden können sie sich bei

Regine Wosnitza
Telefon: 23639903

Zeitlich durchgeschüttelt – 2

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Nur wenige Wochen währte die Öffnung dieses Cafès an der Kurfürstenstraße. Die Betreiber hatten doch völlig übersehen, dass die Baugenehmigung eines Cafés nicht das Aufstellen von Betten in Kellerräumen gestattet.

Beim dieser Art des Sofortvollzug waren die Ordnungsbehörden nachhaltiger.

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30 Jahre Hydra: Hurenkino Filmfestival

Von Gastbloggerin Jennifer Wilken

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Vorsicht, bissig! Der hochhackige Schlangenschuh steht für das selbstbewusste Auftreten von Hydra e.V. und ist bereits einen langen Weg gegangen: 1980 gegründet, feiert die autonome Hurenorganisation in diesem Jahr ihren 30. Geburtstag mit einem eigenen Filmfestival. Vom 24.-25. September findet im Kino Eiszeit die Veranstaltung Hurenkino statt.

30 Jahre Hydra
Die Geschichte von Hydra war schon immer fest mit der Potsdamer Straße verknüpft. In den Anfangsjahren des in Deutschland bis dato einmaligen Beratungsangebots bezog der Verein seine Räume in einem besetzten Hau an der Potsdamer Straße 139. Während der 80er Jahre gehörte vor allem die Aids-Aufklärung am Straßenstrich Potsdamer-/Ecke Kurfürstenstraße zum Aufgabengebiet der engagierten Frauen. Und auch beim Protest gegen das geplante Laufhaus im ehemaligen Wegert-Haus gehörte Hydra e.V. zu den Parteien, die sich von Seiten der SexarbeiterInnen gegen das Bauvorhaben einsetzte. Beratung und Aufklärungsarbeit findet heute neben dem Büro an der Köpenicker Straße 187/188 in Kreuzberg zusätzlich auf der Straße statt.
Nach gekürzten Geldern im sozialen Bereich ist Hydra trotz allem nicht unterzukriegen, und das ist auch gut so! Denn die Lobby der Sexarbeiterinnen ist gering. Prostitution ist noch immer ein Tabuthema, auch wenn sie, wie beispielsweise an der Potsdamer Straße, schon immer das Straßenbild geprägt hat.

Zur Feier des 30. Geburtstags gab es bereits Anfang September eine Stadtrundfahrt zu markanten Punkten der Berliner Rotlichtszene und den einschlägigen politischen Entwicklungen. Vom 24. bis 25. September lädt Hydra e.V. nun zum Hurenkino Festival in das Kino Eiszeit ein.


Hurenkino: Internationales Sexworker -Filmfestival
Auf dem Programm stehen, na klar, Filme, die das horizontale Gewerbe kritisch und von Seiten der Sexworker betrachten. Neben Dokumentationen zur Situation in Chicago/“Turning a corner“, Rhode Island/Happy Endings“ und Kalkutta/“Tales of the night fairies“ werden am Samstag Kurzfilme von internationalen Sexworker-AktivistInnen gezeigt. Ergänzend zum Programm darf man sich auf spannende und interessante Diskussionsrunden und ExpertInnen-Gespräche mit den Hydra-Mitarbeiterinnen und den FilmemcherInnen freuen.

Freitag, 24. September
17:00h
Tales of the Night Fairies
Indien 74 min/ 2002 (Dokumentation)

19:00h
Turning a Corner
USA 2006 (Dokumentation)

Turning A Corner from Beyondmedia Education on Vimeo.

Samstag, 25. September 2010
17:00h
Happy Endings
USA 2009 (Dokumentation)

19:00h
Internationale SexWork Aktivismus Kurzfilme

im Kino Eiszeit, Zeughofstraße 20, Kreuzberg.

Stillstand im Laufhaus

SDC11378.JPG Am 19. Mai 2010 entschied die 9. Kammer des Verwaltungsgerichtes Berlin, dass die Betreibung eines “Laufhauses” an der Kurfürstenstraße/Ecke Potsdamer Straße in Berlin-Schöneberg gegen das Gebot der Rücksichtnahme verstöße und daher unzulässig sei. Die Baugehmigung wurde versagt.

Der Betreiber entschied in Berufung zu gehen. Das Verfahren ist damit beim Oberlandesgericht Berlin. Doch bevor es eröffnet wird, muss das Gericht entscheiden, ob die Berufung zugelassen wird. Hierbei werden bereits alle Fakten sorgfältig geprüft, da eine Nicht-Zulassung des Gerichtsverfahrens das Verfahren beendet.

Die Prüfung kann – laut Aussage der Pressestelle des OVG – noch mehrere Wochen, ja vielleicht bis Jahresende dauern.  SDC10577.JPG

Kiez gewinnt, weil er Laufhaus verliert

Herzlichen Glückwunsch an alle Aktiven aus dem Kiez an der Potsdamer Straße, die sich dafür eingesetzt haben, dass eine Verschlechterung der Lebendsbedingungen nicht stattfindet.

P r e s s e m i t t e i l u n g  Nr. 22/2010

Keine Baugenehmigung für “Laufhaus”

Das über dem Erotik-Kaufhaus und -Kino „LSD“ an der Kurfürstenstraße/Ecke Potsdamer Straße in Berlin-Schöneberg geplante „Laufhaus“ verstößt gegen das Gebot der Rücksichtnahme und ist daher unzulässig. Das hat das Verwaltungsgericht Berlin nach dem am 19. Mai 2010 durchgeführten Ortstermin entschieden.

Mit ihrer Klage hatte sich die Klägerin gegen die Versagung einer Baugenehmigung für ein sog. „Laufhaus“ mit 48 Zimmern gewandt. Hierbei handelt es sich um ein Bordell, in welchem Prostituierte Zimmer anmieten können, um bei geöffneter Tür auf Freier zu warten. Die Gegend um die Kurfürstenstraße ist bereits jetzt durch Rotlicht-Gewerbe in nicht unerheblichem Umfang geprägt. So findet sich dort neben dem „LSD“ auch Berlins bekanntester Straßenstrich, der sich über viele Jahrzehnte etabliert hat.

Während die Klägerin geltend gemacht hatte, das „Laufhaus“ werde eher zu einer Verringerung der Straßenprostitution führen, hatte das Bezirksamt auf die mit dem Vorhaben verbundenen negativen städtebaulichen Auswirkungen verwiesen. Die 19. Kammer des Verwaltungsgerichts folgte nun dieser Wertung: Zwar sei das Vorhaben in dem als Kerngebiet ausgewiesenen Gebiet grundsätzlich zulässig, da ein „Laufhaus“ in einem solchen Baugebiet als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb anzusehen sei. Das konkrete Vorhaben sei jedoch im Hinblick auf seine Größe und unter Berücksichtigung des bereits vorhandenen Rotlicht-Gewerbes wegen eines Verstoßes gegen das Rücksichtnahmegebot im Einzelfall unzulässig. Mit dem „Laufhaus“ in der beabsichtigten Größe käme Prostitutionsgewerbe in einem städtebaulich nicht mehr vertretbaren Umfang hinzu, wodurch ein sog. „Trading-Down-Effekt“, d.h. ein durch eine Niveauabsenkung bewirkter Attraktivitätsverlust des Gebiets mit der Folge der Verdrängung ansässiger Betriebe und der Wohnbevölkerung, entstehe.

Gegen das Urteil ist der Antrag auf Zulassung der Berufung an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg statthaft.

Urteil der 19. Kammer vom 19. Mai 2010 – VG 19 A 167.08 -.

Laufhaus – NEIN DANKE!

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Petition des Quartiersrates Magdeburger Platz
19. Mai 2010

Wir, Bürger und Anwohner im Quartier um die Kurfürstenstraße, appellieren an die Verfahrensbeteiligten auf ein Laufhaus endgültig zu verzichten. In langjähriger Arbeit wurde mit vielen Bemühungen, Geld und großem ehrenamtlichen Engagement hier ein soziales Umfeld geschaffen, welches eine erträgliche Lebenssituation für die hier lebenden Bürger bietet. Jedoch steht dies nicht auf so stabilen Füßen, dass es ein Laufhaus ohne nachhaltige Einbuße von Lebens- und Wohnqualität verkraften kann.

Wir sehen die unbedingte Gefahr, dass die Einrichtung eines Laufhauses eine Erweiterung des Straßenstriches und damit eine verstärkte Konkurrenz nach sich ziehen wird. Der Straßenstrich ist schon seit langem ein Bestandteil des Kiezes und rechtlich nicht zu verhindern. Die Eröffnung eines Sexshops war da zwangsläufig. Mit der EU-Erweiterung stieg die Zahl der Prostituierten, eine weitere Folge des Straßenstriches und des Sexshops. Die gesundheitlichen Standards verschlechterten sich und die Kleinkriminalität wuchs.

Die Behauptung, das Laufhaus wird den Straßenstrich zu großen Teilen absorbieren, halten wir für unhaltbar. Eine Umfrage unter den Prostituierten bestätigte, das ein Großteil von ihnen nicht im Laufhaus arbeiten will. Außerdem ziehen ihre Freier den schnellen und vor allem anonymen Vollzug auf der Straße vor.

Wird die Einrichtung eines Laufhauses genehmigt, so wird es zum einen mehr Autoverkehr geben, verbunden mit einer höheren Luftverschmutzung und Lärmbelästigung. Eine weitere Folge wird ein Anstieg des Prostitutionsgewerbes auf der Straße sein, denn die Frauen werden aller Voraussicht nach versuchen, die Freier schon vor Erreichen des Laufhauses für sich zu gewinnen.

Deshalb sehen wir uns in unserer Lebensqualität in allen Facetten erheblich bedroht. Wir befürchten, dass sich nach der Genehmigung niemand mehr als verantwortlich und zuständig sehen wird, die sozialen Konsequenzen hier im Gebiet aufzufangen.

In unmittelbarer Nähe Verbrauchermärkte, Drogerie, Kindertagesstätten, – Anwohner durch massiveren Straßenstrich im Alltag stark beeinträchtigt. Straße wird zum erweiterten Laufhaus, Bürgersteige sind zu schmal. Dieses Gewerbe verdrängt Alltagsstruktur, Gehwege verlieren Funktion als sozialer Ort, werden zweckentfremdet genutzt.

Wir – über 8.000 Bürger allein in Tiergarten Süd – müssten mit den negativen Folgen leben, nur weil hier sogenanntes Kerngebiet ist – für Gewerbe, aber nicht für ein Großbordell.

Wir appellieren daher nochmals dringend an das Gericht und die Bezirksverwaltung ein Laufhaus an diesem Standort abzulehnen.

Im Namen des Volkes – und dazu gehören auch wir!

Für den Quartiersrat
Regine Wosnitza  und Josef Lückerath
Kontakt: 23639903

Zehlendorf oder Neukölln – Egal – Hauptsache weg!

Im Mai fand in der Kita Sonnenschein, Pohlstraße, ein Elterncafé zum Thema Prostitution statt. Elterncafés sollen die Begegnungs-, Gesprächs- und Informationsmöglichkeiten für Eltern in Schulen und Kitas in Tiergarten-Süd ermöglichen. Ein weiteres Ziel ist die Eigeninitiative und Teilhabe von Eltern zu stärken und ihr Bewusstseins und ihre Bereitschaft für die Erziehungsverantwortung zu mehren.

In Tiergarten-Süd gibt es seit Ende 2009 Elterncafés und und für diesen Tag im April stand das Thema „Prostitution im Kiez“ auf dem Programm. Circa 40 Mütter waren anwesend, die überwiegende Mehrheit mit Migrationshintergrund, denn trotz einer fünfzig-fünfzig Mischung in der Gesamtbevölkerung von Tiergarten-Süd sind Kinder mit Migrationshintergrund in den Bildungseinrichtungen überproportional vertreten.

Zusammenhänge interessieren nicht

Ich war von der Projektleiterin Yasmin Masch gebeten worden, die Geschichte der Prostitution zu behandeln. Durch die 3.000 jährige Prostituionsgeschichte flog ich ein etwa vier Minuten und widmete mich dann der Situation vor Ort. Hier gibt es den Straßenstrich in verschiedenen Ausformungen seit ungefähr 1880.

Doch schon nach wenigen Minuten wurde ich unterbrochen: „Die Geschichte interessiert uns nicht, wir sind aus anderen Gründen hier.“ Als andere Mütter widersprachen fuhr ich mit meiner Schilderung fort. Doch mit der Erwähnung des Prostitutionsgesetz von 2002 und der damit verbundenen grundsätzlichen Legalisierung von Prostitution auch auf dem Straße um die Kurfürsten- und Frobenstraße war mein Vortrag zu Ende.

„Immer hören wir von den Rechten der Prostitutierten,“ kam eine erboste Reaktion. Es folgte: „Was sind denn unsere Rechte?“ und „Ich möchte wissen, ob die Frauen auf dem Podium Kinder haben, sonst können Sie überhaupt nicht mitreden.“

Erboste AnwohnerInnen gegen den Strich.

Ich habe mir die Namen der circa fünf Frauen, die sich an der eineinhalbstündigen Diskussion am intensivsten beteiligten nicht notiert. Es geht nicht um Einzelpersonen. Sondern um die Bevölkerungsgruppen, die den Straßenstrich hier weg haben wollen und dabei wenig kompromissbereit sind.

So gab es vor einiger Zeit eine Initiative von AnwohnerInnen in der Zietenstraße hinter der Zwölf-Apostel-Kirche, die nachts auf die Straße gingen, um Freier und Prostituierte von unziemlichen Treiben in dieser Sackgasse und den Nachbarstraßen abzuhalten. Beim letzten Sonderpräventionsrat Prostitution im November 2009 in Schöneberg-Nord ging es so lautstark und heftig zu, wie es meistens der Fall ist, wenn dieses Thema verhandelt wird.  In diesen beiden Fällen waren AnwohnerInnen ohne Migrationshintergrund die protestierenden WortführerInnen. Die Argumente beider Gruppen sind kongruent.

Verständnis erbeten

An dem erwähnten Morgen wurden zumindest die erklärenden und zum Verständnis auffordernden Statements von Michaela Klose, der Leiterin des Frauentreffs Olga in der Kurfürstenstraße, höflich angenommen, doch eigentlich auch nicht weiter beachtet.

Anzeigen von Straftaten

Großes Interesse hingegen fand der Kontaktbereichsbeamte. Heftigen Vorwürfen, dass die Polizei ja doch nichts tue, erklärte er mehrere Male die einzige Vorgehensweise mit der AnwohnerInnen einen vermehrten Einsatz der Polizei erreichen können: Anzeigen, Anzeigen, Anzeigen von Straftaten.

Denn die Frauen berichteten von Vorkommnissen, bei denen eine Anzeige notwendig gewesen wäre. Eine Mutter berichtete, dass ihr Sohn und sein Großvater auf dem Weg zur Schule durch die Kurfürstenstraße gefahren seien und eine Prostituierte den Großvater sehr deutlich und vehement durch das offene Fenster hindurch als potenziellen Kunden angesprochen hatte. Eine andere Frau hatte offenen Vollzug der sexuellen Dienstleistung auf dem Parkplatz von Möbel Hübner beobachtet, einer weiteren war dies an der Schnittstelle Kluck- und Pohlstraße passiert. Glücklicherweise schauten ihre Kinder zu dem Zeitpunkt in eine andere Richtung. Eine weitere Frau berichtete von dem regelmäßigen Vollzug von Dienstleistungen in einem Hinterhof in der Pohlstraße.  Die nächste hatte eine Messerstecherei im Umkreis des LSD Sexkaufhauses beobachtet.

Die Frauen hätten Angst, sagte eine ihrer Sprecherinnen, die Polizei zu rufen. Sie wollten in Zukunft jedoch die Vorfälle auflisten und diese dann einmal im Monat an die Polizei übergeben. Doch auch dies kann von der Polizei nicht als ein Hinweis vermehrter Straftaten im Kiez angenommen werden.

Den Frauen wurde geraten, sich in sichere Entfernung zu der von ihnen beobachteten Straftat begeben und dann die Polizei rufen und eine Anzeige machen. Unumgänglich ist dabei die Nennung des Names. Anonyme Anzeigen tauchen in keiner Statistik auf. Doch es sei nicht gefährlich den Namen zu nennen, wurde immer wieder versichert, denn in den seltensten Fällen würden die Täter den Menschen nachstellen, die sie angezeigt hätten.

Doch warum ist es so wichtig, diese Fälle zur Anzeige zu bringen? Solange kein vermehrtes Anzeigenaufkommen statistisch nachweisbar ist, fährt die Polizei nicht vermehrt Streife durch die Straßen im Kiez. Auch die Zahl der Zivilbeamten, die regelmäßig vor Ort sind und natürlich nicht von der Bevölkerung als solche erkannt werden, kann nicht aufgestockt werden.

Die Frauen horchten auch interessiert auf, dass sie Vorfälle auch bei Olga melden könnten. Die Sozialarbeiterinnen suchen dann das Gespräch mit den Prostituierten und weisen immer wieder darauf hin, dass hier kein Sperrbezirk ist, sondern sie sich in einem Mischgebiet mit einem hohen Anteil an kinderreichen Familien befinden. Sie werden dann gebeten, sich an gewisse Spielregeln und Gesetze zu halten, zum Bespiel nicht direkt vor Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen zu stehen, PassantInnen nicht auf Deubel komm raus akquirieren zu wollen und auch das Umfeld der Moschee in Ruhe zu lassen.

Sperrbezirk oder am besten ganz weg

Der Kampf gegen den Straßenstrich hat die Mütter inzwischen soweit aktiviert, dass sie eine Unterschriftenaktion gestartet haben. „Wir Anwohner in Berlin-Tiergarten,“ heißt es da, „freuen uns über die Initiative von Stadtrat Carsten Spallek, die Prostitution örtlich und zeitlich zu begrenzen (Berliner Woche vom 14.4.2010). Es ist uns unbegreiflich, warum Bezirksbürgermeister Hanke seit Jahren nichts unternommen hat. Wir fordern eine zeitliche Begrenzung von 21 bis 6 Uhr und weitere Maßnahmen.“

Ob ein Sperrbezirk in Berlin durchsetzbar ist, ob er die Situation entschärfen oder im Gegenteil kriminalisieren wird – diese Fragen wurden im Elterncafé nicht diskutiert. Es war anscheinend nicht von Interesse. Die Mehrzahl der Frauen wollen den Straßenstrich nicht, Punktum.
Und so brausten zum Schluss die Emotionen auch noch einmal hoch. Soll der Straßenstrich doch woanders hin verlagert werden! Nach Zehlendorf? „Gute Idee, da haben wir keine Verwandte und Bekannte“. Nach Neukölln? „Egal, Hauptsache weg.“

Weit aus nicht so bunt wie es scheint

In einer Touristenbroschüre wäre dieser Satz vernichtend. Doch als der Polizeipressesprecher ihn heute im Zusammenhang mit Tiergarten-Süd mir gegenüber äußerte, lächelte ich glücklich.

ZWEI GESICHTER
Kiez-Report: Gutes Berlin, böses Berlin
19. April 2010 21.20 Uhr, B.Z.

Tiergarten und Müggelheim: Laut Kriminalitätsstatistik “Guter Kiez, Schlechter Kiez”.
Eine Reportage.

Bei diesem Bericht in der BZ war mir vor fast einem Monat das Lachen vergangen. Ich lese ich diese Zeitung nicht, um gut recherchierte Informationen zu erhalten. Nein, ich lese sie eigentlich nur dann, wenn mal wieder das Gebiet um die Potsdamer Straße herunter geschrieben wird. Und so war es auch hier:

SCHLECHTER KIEZ
Tiergarten (12.500 Einwohner) ist rein statistisch Berlins gefährlichster Kiez. Viele Anwohner stört vor allem die Prostitution an der Kurfürstenstraße.

„Aber auch der Drogenhandel ist schlimm“, berichtet Grundschul-Hausmeister Achim Neumann (44). „Mir haben sie über den Kopf geschlagen, als ich morgens das Schultor aufschloss. Der Hof wurde als Drogenversteck genutzt. Einen Zahn habe ich auch verloren.“ Am Magdeburger Platz klagen Anwohner über nächtlichen Lärm durch Freier und Prostituierte. Eine Kioskbesitzerin: „Ich werde oft beklaut und bedroht. Telefonkarten und Zigaretten sind gefragt, einmal hat man mir auch den ganzen Laden leer geräumt. 15.000 Euro futsch.“
Karolina Filipiak (20, FSJlerin) fühlt sich eigentlich wohl im Kiez, doch sie warnt: „Bei Dunkelheit sollte man gewisse Ecken meiden, nämlich die, wo Prostituierte und Dealer stehen.“

Ich weiß, dass Tiergarten-Süd und Schöneberg-Nord in der Kriminalitätsstatistik immer in den Farben erleuchten, die nichts Gutes verheißen. Doch von all den erwähnten Ereignissen hatte ich im letzten Jahr gar nichts mitbekommen. Also entschloss ich mich zur Nachfrage. Heute erhielt ich telefonisch die Antwort des Polizeisprechers:

Weit aus nicht so bunt wie es scheint

ZITAT 1: „Aber auch der Drogenhandel ist schlimm“, berichtet Grundschul-Hausmeister Achim Neumann (44). „Mir haben sie über den Kopf geschlagen, als ich morgens das Schultor aufschloss. Der Hof wurde als Drogenversteck genutzt. Einen Zahn habe ich auch verloren.“
ANTWORT DER POLIZEIPRESSESTELLE: Der Vorfall ereignete sich im Jahr 2007. Der Hausmeister hat damals keine Anzeige gemacht. Warum er dies nicht tat, ist der  Polizei nicht bekannt. Jetzt hat die Polizei Anzeige gegen unbekannt gestellt.
AUSSAGE : Am Magdeburger Platz klagen Anwohner über nächtlichen Lärm durch Freier und Prostituierte.
ANTWORT DER POLIZEIPRESSESTELLE: Es gibt mündliche Beschwerden gegenüber dem KOB über Partylärm und ähnliches. Es gibt jedoch keine einzige Anzeige aus dem Gebiet über die Ordnungswidrigkeit Lärm in Verbindung mit Freiern und Prostituierten.
ZITAT2: Eine Kioskbesitzerin: „Ich werde oft beklaut und bedroht. Telefonkarten und Zigaretten sind gefragt, einmal hat man mir auch den ganzen Laden leer geräumt. 15.000 Euro futsch.“
ANTWORT DER POLIZEIPRESSTELLE: Es liegen drei Anzeigen wegen Einbruchsdiebstahls in einem Kiosk vor. Diese stammen aus den Jahren 2000, 2001 und 2004. Seitdem ist kein weiterer Diebstahl oder ähnliches bei der Polizei angezeigt worden.
Eine Anzeige wegen Raubes ist nie gestellt worden. Zur Erklärung: Der Straftatbestand des Raubes entspricht dem des Diebstahls. Hinzukommen die Komponenten der Gewalt oder Drohung, d.h. einer Nötigung.

ZITAT3: Karolina Filipiak (20, FSJlerin) fühlt sich eigentlich wohl im Kiez, doch sie warnt: „Bei Dunkelheit sollte man gewisse Ecken meiden, nämlich die, wo Prostituierte und Dealer stehen.“
ANTWORT DER POLIZEIPRESSESTELLE: dazu ist nichts gesagt worden.

Die heile Welt ist nicht entlang der Potsdamer Straße zu Hause. Das behaupte ich nicht.

Und ich finde es nur ärgerlich, wenn JournalistInnen mit Hilfe von KiezbewohnerInnen dann noch immer einen drauf setzen und so tun, als wäre hier Sodom und Gomorrha. Denn das ist hier ebenfalls nicht zu Hause.

Und übrigens. Bunt ist es hier auch.  Irgendwie.