Fünf Stunden ist eine Serie auf potseblog, bei der ich Stellen an der Potsdamer Straße aufsuchen und mich dort fünf Stunden aufhalten. Während dieses Aufenthaltes poste ich live über das was ich dort erlebe und beobachte. Kommentare und Fragen während dieser Zeit sind herzlich willkommen.
Das ganze ist ein Experiment. Am 12. August hat es das erste Mal stattgefunden.
15 Uhr – es geht los.
heute bin ich in der kunst.klause – Pohlstraße 70, Tiergarten – Süd.
Gerade eben vor dem Nieselregen ins Innere verzogen. Galerie, Kneipe, Künstlertreffpunkt. Temporär und doch sehr nachhaltig. Doch über all das nachher mehr.
Eben schlief, der Künstler-Koch Mathieu Dagorn noch. Das macht er immer nach dem Mittagstisch.
Glücklicherweise ist er jetzt wach. Grad ist der TIP-Fotograf Jens Berger für einen Bericht gekommen. Mein Mittagessen “Cake aux Olives” dient gerade als Fotomaterial. Nina Korolewski, Dagorn’s kunst.klause Partnerin ist auch dabei. Die kunst.klause kommt demnächst in den Gastrotip des TIP. Das Essen ist hier wirklich wunderbar: französisch-marokkanisch. Eine Bereicherung der Gegend, seitdem sie im Juni aufgemacht haben.
So. jetzt ist die Fotosession vorbei. Ich kann essen. Die Sonne scheint draußen wieder. Bald geht’s weiter.
16 Uhr – kunst.klause – wer betreibt sie / was ist sie?
hier ist die kunst.klause : ein klick zur Google Map
Nina Korolewski ist seit vier Jahren an der Potsdamer Straße als Projektleiterin von Kunstprojekten unterwegs. Seit drei Jahren ist Mathieu Dagorn als Künstlerischer Leiter dabei. Immer in temporären Räumen. Und mit vielen KünstlerInnen, die schon seit Jahren mit ihr von Ort zu Ort ziehen. Vielleicht wären sie sonst nie in diese Gegend gekommen. Eine nachhaltige Temporalität hat temp.plate
Seit drei Jahren ist die Projektleiterin nun im Team mit Mathieu Dagorn, als künstlerischer Leiter. Als der letzte Raum auslief, bekamen sie ein Angebot für die Räume in der Pohlstrasse – eine ehemalige und bei manchen Menschen auch legendäre Kneipe (Blauer Engel, Phillis).
„Gastro dabei war eine „Herausforderung“, sagt Nina Korolewski. „Der Herd spricht französisch, die Spülmaschine auch. Servicekraft kann man nur mit viel Humor sein.“
Mathieu ist bezüglich seiner Kochkunst philosophisch. „Für mich ist es eine Mischung zwischen Biochemie und Kunst,“ sagt Mathieu. „Warum back ich was bei welcher Temperatur. Für mich ist das Verständnis der Materie wichtig.“ Als Abschluss des letzten Kunstraumes kochte er molukular.
Was machen sie nun in Sachen Kunst?
Nina: „Salon klingt mir zu elitär und das passt auch nicht in den Kiez. Klause ist für mich ein guter Begriff. Es hat etwas von Künstlertreff und Geselligkeit.“
Sie arbeiten mit Künstlergruppen. „Die Ausstellungen haben immer ein Gesamtkonzept,“ so Nina. „Ich mache nur Gruppenausstellungen. Die Werke haben in Ihrer Gesamtheit eine Aussage.“
Sie sind prozessorientiert und arbeiten bei jeder Ausstellungskonzeption eng mit den KünstlerInnen zusammen. „Der Mensch hinter der Kunst ist mir sehr wichtig,“ sagt Mathieu. „Ich interessiere mich auch dafür was an der Wand hängt, doch noch wichtiger ist der Mensch und die Motivation von den KünstlerInnen. Das ist es womit wir hier arbeiten. Das ist der Unterschied zwischen den Projekten die Räume in der Brunnenstraße vermitteln und uns. Unsere Zielgruppe sind die Künstlerinnen und da entwickeln sich langfristige Beziehungen.“
17 Uhr – Pohlstraße in Tiergarten-Süd
Die Pohlstraße ist zweigeteilt von der Potsdamer. Im Krieg muss die Seite zum Gleisdreieck hin mehr zerstört worden sein. Oder hinterher stadtplanerisch anders wieder aufgebaut worden sein. (Oder war es die Sanierung?) Dort sind keine Bäume, fast ausschließlich neue Häuser, nur am Anfang ein paar Läden, ansonsten Wohnstraße. Außer der großen Freifläche am Ende, wo Jugendteam, KünstlerInnen und im Sommer Berlins einziges Open Air Stummfilmkino zu Hause sind. Die Pohl 11.
Ganz anders die Seite, wo die kunst.klause ist. Lauschig mit Platanen, verschiedene kleine Kneipen (Buschis, Isotop, s ). Drei Galerien, Tierarzt, Pizza Service, Spielsalon. Und das wahrscheinlich geheimnisvollste Gebäude. Die Kirche hinter Gittern. Katholisch-Apostolische Gemeinde West-Berlin. Nur einmal in der Woche – Sonntags beim Gottesdienst – kommen Menschen hierher. Die Gemeine ist so klein, dass wohl sonst nichts passiert. Eine ganz besondere Glaubensrichtung. Sie machen auch nicht mit beim interreligiösen Dialog, der sich im letzten Jahr zwischen der 12 Apostel Kirche, der Semerkand Moschee, der Syrisch Orthodoxen Kirche und der American Church, der Lukas Gemeinde un der Matthias Kirche angebahnt hat.
Das ist nur eins von vielen Nachbarschaftsprojekten und Quartiersprojekten, von denen an anderer Stelle noch zu berichten sein wird.
Die Bevölkerung der Pohlstraße ist so gemischt wie der ganze Kiez, also 50 Prozent ohne und 50 Prozent mit Migrationshintergrund, sprich aus allen Teilen Deutschlands (nur wenige Straßen weiter ist eine von Berlins besten Maultauschenrestaurants – die Maultaschenmanufaktur), Türkei, Russland, verschiedenen Teilen Arabiens, Spanien, Südamerika, Frankreich, Polen…..
Vor dem Krieg hieß die Pohlstraße Steglitzer Straße und beherbergte in der Nummer 18 die „Silberne Punschterrine“ von Käthe und Hans Hyan. Dies war eins von Berlins besten Kabaretts. Er schrieb Text, sie Musik, er sang, sie begleitete auf der Laute. Sie waren die ersten und in dieser Radikalität einzigen in Berlin, die Verbrecher- und Zuhälterlieder ohne moralischen Appell an das Mitgefühl der Zuhörer auf die Bühne brachten. (Quelle wird nachgeliefert)
Nach dem Krieg wurde sie dann umbenannt in Pohlstraße – im Gedächtnis an Ottilie Pohl, die Tiergarten-Abgeordnete der Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die 1943 von den Nazis in Theresienstadt ermordet wurde.
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