Category Archives: IG Potsdamer Straße

Von Medien, Kultur und Straßenstrich

Ursprünglich aus Heidelberg, wohnt Michael Müller seit 1989 in Berlin. Ich traf ihn in seiner Wohnung in der Nähe der Kurfürstenstraße, in der er mit seiner Familie lebt und von der aus er auch arbeitet.

Kultur zum Mitnehmen

Dr. Müller, seines Zeichens Kunsthistoriker, ist Unternehmer. Zusammen mit seinem Geschäftspartner, der sich auf die Beratung von Museen spezialisiert hat, gründete er 2007 das Unternehmen Culture to go. Der Focus des Unternehmens liegt auf der Beratung von Kultureinrichtungen im Bereich der Kommunikation/Social Media, sowie deren technische Umsetzung.

CTG - Culture to go

Die Idee kam ihm bei seinem Aufenthalt in Los Angeles. Zu dieser Zeit wurden in den USA die Breitbandfrequenzen versteigert. Damals konnten sich nur wenige ein Smartphone, wie es heute kaum wegzudenken ist, vorstellen. Jedoch war er von der Idee „egal wo man steht Medien abzurufen“ begeistert. Praktisch heißt das heute: die Webseite eines Museums so zu optimieren, dass jeder direkt auf seinem Smartphone, plattformunabhängig und ohne lästiges Installieren von Apps, eine Führung bekommt. Continue reading

Bestechende Fischküche- Mediterranes in der Potsdamer Straße

Geschrieben von HU-Gastblogger Ulrich

In der Theke des Atlantik Fischladen in der Potsdamer Straße 166 liegen 50 verschiedene Fischsorten. Im angrenzenden Restaurant werden diese zu unterschiedlichsten Gerichten verarbeitet. Stammgäste lieben die täglich wechselnde Fischsuppe.

 

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Zuerst gab es den Fischladen, ein kleiner Raum mit mediterranem Flair, bunten Farben und Seefahrer-Dekoration. Zwei Jahre später kam das Restaurant hinzu, ein ebenfalls kleiner Raum, vor dem zur Winterzeit die Gäste in einem improvisiert wirkenden Plastikvorbau sitzen. In der warmen Jahreszeit hingegen stehen die Tische des Restaurants über den Vorbau hinaus weit zur Straße hin. Das hat seinen eigenen Charme: Es trägt dazu bei, dass man sich während des Besuchs wie in einer Oase der Erholung inmitten des hektischen Treibens auf der viel befahrenen Potsdamer Straße fühlt. Continue reading

Von Autos zu Wein zu Genuß & Kunst

Geschrieben von Gastbloggerin Laura

Einst ein netter Kfz-Verleih mit kleinem, aber feinem Weinregal – heute ein reiner und noch feinerer Weinhandel – „Autos und Weine“ wurde 1981 von drei jungen Freunden gegründet. Werner Puzicha – einer der Männer der ersten Stunde – ist heute der Geschäftsführer.

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Werner Puzicha betreibt zwei Weinläden

Der Weinhandel wurde so erfolgreich, dass man sich ausschließlich ganz  diesem Geschäft widmen wollte. So wurde die Autovermietung im Oktober 2012 – nach mehr als 30 Jahren – beendet. Den Namen „Autos und Weine“ behielt man bei – er hatte sich über diese lange Zeit einfach etabliert und eingeprägt – ganz besonders natürlich bei den Stammkunden.

 Der Service

Es kommen sehr unterschiedliche Menschen in den Laden: neben der treuen Stammkundschaft auch neues Publikum, viele junge Leute. So verschieden die Geschmäcker auch sind: für jeden Gaumen findet sich ein passender Tropfen in dem erlesenen Sortiment. Auch wer zu einem bestimmten Gericht den passenden Wein sucht, ist hier genau an der richtigen Adresse. Kompetente Beratung für jeden Anspruch und ein breit gefächertes Angebot von Weinen, die ein perfektes „Preis-Genuss-Verhältnis“ liefern stehen hier im Vordergrund berichtet Werner Puzicha. Und wer schon genau weiß was er will oder größere Mengen – vielleicht aufgrund einer größeren Festlichkeit – braucht, kann sich den oder die Tropfen der Begierde direkt nach Hause liefern lassen! Continue reading

Verkiezter Rewe an der Potsdamer Straße

Geschrieben von HU-Gastblogger Florian

Der Rewe in der Potsdamer Straße 128 ist mittlerweile eine Institution im Kiez. Inhaber Sulaf Ahmed hat ein offenes Ohr für die Sorgen und Anliegen seiner Kunden. Er weiß also wo der Schuh des Kiezes drückt und engagiert sich dementsprechend seit Jahren für Verbesserungen.

ReweSulaf Ahmed empfängt mich in seinem kleinen Büro. Hinter ihm mehrere Überwachungsbildschirme. Ein Schrank, ein Telefon. Alles in allem wenig dekadent. Die Tür bleibt meistens offen. Immer wieder sagen Bekannte Hallo.
Ein „Hallo“ und „Guten Tag“  von mir reicht aus um mich zu entlarven.
„Woher aus Österreich kommen Sie?“
„Wiener Speckgürtel“
„Ah. Aber hoffentlich nicht aus dem Burgenland?“
„Nein, um Gottes Willen!“
Die Burgenländer sind die Ostfriesen Österreichs. Das Wichtigste ist geklärt. Nun gehts zur Sache: Continue reading

Reine KopfSache

Geschrieben von Laura

Die Potsdamer Straße ist geprägt von Vielfalt. Die Fassaden der Häuser sind ebenso divers, wie die Menschen, die an ihnen vorbeieilen. Doch eines scheint man hier immer wieder zu finden: Friseursalons. Allein in diesem Teil der Potse, zwischen Pohl- und Kurfürstenstraße, lassen sich drei solcher Geschäfte in nächster Nachbarschaft entdecken. Der Salon KopfSache von Oliver Strehl und Mario Matalla ist einer davon. „Wir wollen unsere Kunden mit Qualität, Freundlichkeit und fairen Preisen begeistern“ erklärt Strehl im Werbefilm auf der Internetpräsenz.

Quelle: www.facebook.com/friseur.kopfsache.tiergarten

Quelle: www.facebook.com/friseur.kopfsache.tiergarten

Im Jahr 2004 fing alles an. Mittlerweile beschäftigen die beiden Geschäftspartner rund 70 Mitarbeiter und bieten ihren Kunden in sieben Geschäften der Hauptstadt einen Anlaufpunkt für moderne Haarschnitte und Colorationen. Seit 2006 war KopfSache auch in der Potsdamer Straße 103 vertreten. Erstaunlich viel Platz gibt es hier. Auf einer Fläche von 250m2 stehen 15 Friseurstühle für die Kunden bereit, mit mehreren Föhnstationen zum selbstständigen Stylen der neuen Haarpracht. Und KopfSache denkt mit: eine Kinderecke bietet Beschäftigungsmöglichkeiten für die kleinen Gäste. Continue reading

Die kleine(n) Kneipe(n) in unserer Straße…

Geschrieben von Tanja

Bierdurstigen mangelt es an Gelegenheiten in der Potse nicht. Doch was und vor allem wer verbirgt sich hinter den magischen Toren? Ich wollte es genau wissen und testete 2 Spelunken. Etablissements, in die ich vielleicht aus freien Stücken nicht eingekehrt wäre, aus Angst vor einer Überdosis Schlager und Fußball.

19:15 Uhr

Ein Montagabend im verschneiten Januar. Mit einer guten Freundin treffe ich mich an der Kurfürstenstraße. Erhobenen Hauptes bPuschel's Pubetreten wir Puschels Pub.

Direkt zwischen Kurfürstenstraße und Pohlstraße gelegen, ein wahrer Magnet für alle, die aus diversen Gründen noch nicht nach Hause wollen – oder gerade von dort kommen.

Eine Rauchwolke erschwert uns den Weg zum fast leeren Tresen. 2 ältere Herren am Tisch nahe des Eingangs schauen kurz auf, diskutieren jedoch gleich weiter, nippen am Bier, entzünden ein weiteres Lungenbrötchen. Im hinteren Bereich zwei weitere Herren, die selbiges tun. Continue reading

Eine engagierte Apothekerin in einem schillernden Kiez: Ulrike Schinagl und ihre Bülow-Apotheke

Geschrieben von Christian

Auf halbem Wege zwischen grünem Hinterhof mit herrschaftlichem Altbau einstiger Besetzer und marodem Plattenbau mit 1-Euro-Shop im Erdgeschoss, zwischen Internationale-Lebensmittel- und Erotik-Shop, Deutscher Bank und Woolworth liegt – direkt an der Potsdamer Straße – die Bülow-Apotheke. Wie mag der Arbeitsalltag einer Apothekerin in einem solch vielfältigen Stadtviertel aussehen?

Eine Apotheke mit Kunststoff-Röhrendecke
Als ich die Bülow-Apotheke betrete, berät deren Inhaberin, Ulrike Schinagl, mit der ich zum Gespräch verabredet bin, gerade eine Kundin über Feuchtigkeitscremes für trockene Haut. Derweil sehe ich mich in der Apotheke um, was Frau Schinagl wohl nicht entgangen ist, denn kaum hat sie sich mir zugewandt, bemerkt sie mit einem kurzen Blick zur Decke: „Zum Glück schaut da kaum ein Kunde hinauf.“ Die Decke ist ein Meer von in den Raum hineinragenden Kunststoff-Röhrchen, ein typisches 70er-Jahre Design, in dem ich mich ziemlich wohlfühle. „Ja, die jungen Leute mögen das. Ich weniger“, kommentiert Frau Schinagl meine Begeisterung. Zugegeben, ich habe die 70er auch nicht erlebt. Jene Decke hat Frau Schinagl zusammen mit der dazugehörigen Bülow-Apotheke im Jahr 2009 gekauft, wohl auch, da zu dieser Apotheke ein treuer Kundenkreis gehört, den die Vorbesitzer seit den 50er-Jahren, damals noch in einem Gebäude zwei Häuser weiter, aufgebaut haben. Continue reading

„working motion“ – Arbeit lebenswert machen

Geschrieben von HU-Gastbloggerin  Lucia.

Was ist “working motion?

Die physiotherapeutische Praxis “working motion” bietet ein patientenorientiertes Konzept, mit dem Hintergedanken, Menschen zu helfen sich selber zu helfen. Die frisch denkende Gründerin  Freda von Hyden-Hendricks beschreibt ihre Philosophie als folgt:
„Work-Life-Balance ist für mich ein Widerspruch. Work und Life muss einheitlich seien. Man soll nicht für die Arbeit leben, doch die Arbeit soll so viel Spaß machen, dass sie Leben ausmacht.“


 Im Jahre 2000 ist der innovativen Dame ihre jetzige Praxis an der Potsdamer Straße ins Auge gefallen, die sich in den kommenden Jahre zu einer wahrhaftigen Institution entwickeln sollte.

Die Loeser-Burg

Das Haus an der Potsdamer Straße 58 Ecke Schöneberger Ufer ist wohl fast jedem in Berlin bekannt. Tanzwütige der jüngeren Generation – vor allem die in Steglitz Ansässigen – sind gewiss schon mal in den Genuss gekommen, im Penthouse-Club „40seconds zu feiern oder kennen jemanden, dessen Freunde einem anderen davon erzählt haben.   Es könnte einem allerdings auch durch das übergroße David Garrett Plakat aufgefallen sein, von welchem er seit geraumer Zeit den Blick über die Neue National Galerie, dem Kulturforum, der Berliner Philharmonie und dem Sony Center schweifen lässt. Continue reading

“von dort bis hier” – Zeitgenössische KünstlerInnen von der afrikanischen Diaspora in Deutschland stellen aus

Yassine Balbzioui zeichnet und malt wo er geht und steht. Schon immer. In Casablanca, Bordeaux, Berkeley, Paris, Dakar, und Berlin. Es ist eine natürliche Handlung für ihn, wie Aus- und Einatmen. So ist er in permanentem Austausch mit dem Raum, der ihn umgibt. „Ich brauche Raum und den gibt es in Berlin, so wie in Marokko“ sagt er. „Hier kann ich atmen. Es gibt hier freien wilden Raum. Ich habe hier auch schon viele Füchse gehesen. Für mich ist es wichtig, diese Art von Freiheit in einer Stadt zu finden.“

Am 26. Januar eröffnet Yassine Balbziouis Ausstellung „PARADE“ in der GALERIE LISTROS. Sie ist der Auftakt der Ausstellungsreihe „von dort bis hier – Künstlerische Reflexionen translokaler Autobiografien“. Hier setzen sich bis April 2013 elf KünstlerInnen aus der afrikanischen Diaspora mit ihrer biographischen Herkunft künstlerisch auseinander und führen einen Diskurs über ihre persönlichen Erfahrungen und Prägungen in zwei Kulturen.

Vernissage: Yassine Balbzioui PARADE
Donnerstag, den 26. Januar, 19 Uhr
GALERIE LISTROS
Kurfürstenstrasse 33, 10785 Berlin

 

Mit dabei sind zum einen KünstlerInnen wie El Loko, Mansour Ciss, Manuela Sambo, David Amaechi Dibiah und Ivor Sias, die bereits seit Jahrzehnten in Deutschland leben. Zum anderen beteiligen sich KünstlerInnen, die erst in den vergangenen Jahren Deutschland als Lebensort gewählt haben wie Christophe Ndabananiye, Engdaget Legesse oder Dalila Dalléas Bouzar. Auch der Aspekt, in der zweiten Generation zwar afrikanische Wurzeln zu haben jedoch in Deutschland aufgewachsen zu sein, wird mit der Präsentation von Werken des Afro-Deutschen Künstlers Ransome Stanley berücksichtigt.

Die Biografie jedes Menschen ist prägender Bestandteil seiner Existenz. Individuelle zwischenmenschliche Begegnungen und Erfahrungen sowie kulturelle und gesellschaftliche Gegebenheiten definieren seine Persönlichkeit und Sicht auf die Welt. Insbesondere KünstlerInnen schöpfen in ihrem kreativen Schaffensprozess häufig aus den eigenen biografischen Erlebnissen.

So zeigt Christophe Ndabananiye unter anderem „schlafende Menschen“, eine Serie von Zeichnungen. „Ich habe sehr viele Menschen so liegen sehen, tot, und ich wünschte, sie würden schlafen,“ sagt Christophe Ndabananiye. „Ich setze mich mit Vergangenem oder Gegenwärtigem auseinander und halte dies mittels unterschiedlicher künstlerischer Medien fest.“

Für einige KünstlerInnen eröffnet die Außenperspektive auf ihre afrikanische Heimat einen Raum der Untersuchungen und Entdeckungen, der von Neu- oder Deplatzierung geprägt ist.

„In meiner Arbeit als Künstler habe ich in den vergangenen zwanzig Jahren verschiedene Einflüsse aufgesaugt und verarbeitet, nach dem gesucht, was meine Bilder zu dem Besten von mir selbst macht,“ erklärt Engdaget Legesse sein Konzept der „Empty Spaces“. „Ich habe meine alten Bilder übermalt. Es sind neue „leere Räume“ auf den alten Leinwänden entstanden.“

Nicht immer verweisen die Arbeiten der teilnehmenden KünstlerInnen offensichtlich auf Motive afrikanischer Kulturen oder kommentieren sozio-politische Begebenheiten auf dem Kontinent. In „von dort bis hier“ geht es vielmehr um die Art und Weise, wie der persönliche Lebensweg zwischen verschiedenen Kulturen die Arbeit der KünstlerInnen prägt, was die jeweiligen KünstlerInnen ausmacht. Ihr individuelle Werdegang ist dabei eine Leitlinie.

So stellen Manuela Sambo und Daniel Sambo-Richter in ihrer Ausstellung „Magnetfeld“ ihre künstlerischen Positionen gegenüber. Durch die langjährige Auseinandersetzung mit der Arbeit des jeweils anderen, sieht das Künstlerpaar Gemeinsamkeiten, die auf den ersten Blick für den Außenstehenden nicht deutlich sind. Damit geht es in ihrer Ausstellung auch um einen starken und fast intimen Dialog der Kulturen mit den Mittel der Kunst, der Malerei.

Mit der Ausstellungsserie „von dort bis hie“ erweitert die GALERIE LISTROS ihr Konzept, das seit der Gründung 2003 zu einem Perspektivwechsel auf das gängige Afrikabild einlädt. Themenbezogene Schwerpunkte wählend arbeitete sie bisher hauptsächlich mit nicht-afrikanischen KünstlerInnen in Deutschland, die sich mit afrikanischen Themen auseinandersetzen. Eine wichtige Frage hierbei war immer wieder: „Wie schafft es Kunst, eine gesellschaftliche Realität durch unterschiedliche Strategien zu reflektieren?“

Diese Frage beschäftig auch einige der Diaspora KünstlerInnen. In „Think Traces“ bezieht sich David Amaechi Dibiah auf das Prinzip der „Zero Spiral“ von den Mathematiker Lere O Shankunle und will die Notwendigkeit eines verantwortungsbewussten Handelns und Regierens aufzeigen. Nicht nur in Afrika sondern weltweit.

„Themen wie Unterdrückung, Ignoranz, Identität, Religion, Umweltmanagement dürfen und sollten keine Problemfelder mehr sein. Völkerwanderungen, die in der Geschichte der Menschheit schon immer stattgefunden haben, müssen positiv gesehen werden, denn sie sind eine Chance zur Weiterentwicklung,“ betont David Dibiah. “Was wäre denn zum Beispiel Berlin heute ohne die Sueben namens Semnonen, ohne die slawischen Stämme, die sich damals hier niedergelassen haben?“

 

Die Potse im Schatten der Heiligen

Über den Bilderzyklus „Nine Saints of Ethiopia“ von Robert Weber in der GALERIE LISTROS

Von HU-Gastbloggerin Maria Buro-Witzik

Schaut man aus dem Fenster der GALERIE LISTROS dorthin, wo die Kurfürstenstraße sich mit der Potsdamer trifft, versteht man vielleicht, was der Philosoph Emil M. Cioran meint, wenn er in seinem Werk Im Schatten der Heiligen von „Gelegenheitswelt“ spricht. Alle paar Meter wartet die Gelegenheit, seinen Herzenswünschen nachzugeben: billiges Essen ohne Ende, billige Textilien, billiger Sex, Kaffee in Pappbechern und andere Mittel, um die Sehnsüchte eine Seelenetage tiefer nicht laut werden zu lassen.

Heim- oder Fernweh – Zeitdruck oder Nutzlosigkeit – Angst vor dem Altern – Beziehungskrisen, wer kennt das nicht? All diese Probleme beschert uns unsere Menschenwelt, weil sie gegliedert ist in Zeiten und Räume. Die Heiligen sind dieser begrenzten Gelegenheitswelt entschwebt, haben ihr Leben lange vor uns vollendet. Trotzdem senden sie uns eine Botschaft aus ihrer Heiligenwelt: Weiten wir unseren egozentrischen Blick auf die Schicksale anderer Menschen, scheinen unsere Schwierigkeiten oft lächerlich und gleich viel erträglicher.

Gemälde "San Antonio"

"San Antonio" weicht der neuen Ausstellung in der Galerie LISTROS

Den Blick weiten kann die Kunst, und genau das geschieht hier oben in der Galerie zu Ausstellungszeiten. Jetzt in der Zeit zwischen zwei Ausstellungen steht das Bildnis des Hl. Antonius, welcher als Begründer des christlichen Mönchtums gilt, allerdings dort, wo er sich zu Lebzeiten am wohlsten gefühlt hat: abseits allen Trubels in einer stillen Ecke. „Was ist das?“, wundere ich mich als bekennende Kunst-Nichtversteherin. „Das ist ungegenständliche Malerei“, erklärt mir dessen Schöpfer Robert Weber, Cioran-Verehrer und Künstler mit sakraler Thematik, trocken.

Moderne Kunst trifft Traditionsbewusstsein

Während einer Künstlerreise durch Äthiopien setzt Weber den Neun Heiligen des Landes ein künstlerisches Denkmal. Auf Initiative der LISTROS Galerie treffen deutsche und äthiopische Künstler zusammen, lassen sich auf einander ein. So nimmt sich Weber vor, sein Kunstwerk nur mithilfe der Dinge, die sich im Land auftreiben lassen, zu kreieren.

Gemälde "Glaube, Liebe, Hoffnung"

"Glaube, Liebe, Hoffnung" mit aufgeklebter Bibelseite ganz unten

Auf zwölf Weißbleche, die in ihrer Heimat eigentlich zum Hüttenbau bestimmt waren, malt er mit stinkenden chinesischen Industrie-Lackfarben die neun äthiopischen Kirchenväter. Der Offenheit und Neugier der deutschen Künstler steht das Traditionsbewusstsein der äthiopischen Studenten gegenüber. „Für ein Bild zu den christlichen Tugenden, Glaube, Liebe und Hoffnung”, sagt Robert Weber, “habe ich die Seite mit der Bibelstelle aus einer Bibel ausgerissen, aufgeklebt und mit Farbe überkippt. Da waren unsere äthiopischen Begleiter entsetzt.“

Die Heiligen lassen sich verewigen

Gleich einem Wunder kam das Thema zu Weber, nämlich in Gestalt Abba Gabriels: Noch vor dem Morgengrauen saß der Klostervorsteher eines Tages vor ihrem Reisebus. Gegen die Regel des äthiopischen Fahrers, keine Fremden zu transportieren, nimmt die deutsche Künstlergruppe den heiligen Mann in ihren Bus auf. Als Dank führt der Mönch die interessierten Besucher in einige Klöster ein.

Abba Gabriel

Abba Gabriel

Zur Verwunderung der Deutschen werden hier hunderte Jahre alte Kodizes zur täglichen Bibellektüre genutzt, während sie in Europa schon längst in den großen Museen als Zeuge einer frommeren Welt herumlägen. Überhaupt scheint der Gottesglaube hier noch ursprünglicher zu sein. „Im Heimatkloster von Abba Gabriel befindet sich in einer Felsenhöhle das Grab des legendären Königs Yemrehana Krestos aus dem 11. Jh. Dieses soll man dreimal betend umrunden, dann zeigt Christus dir den Weg, haben die Mönche erzählt. Das habe ich gemacht“, erzählt Weber. Daraufhin ist im Foyer der Addi Abeba University of Fine Arts and Design sein Bilderzyklus „Nine Saints of Ethiopia“ entstanden.

Gelbe Wolltücher sind bis heute das typische Attribut des im Land weit verbreiteten Mönchstums. Abba, Vater, werden die Heiligen genannt. Einer Gewissensentscheidung wegen müssen sie im 6. Jh. die Heimat verlassen, verbrüdern sich in Ägypten und kommen mit der berühmten Pachomiusregel hierher. Trennen sich wieder und gründen überall im Land Klöster, die man heute noch besuchen kann. Auf den fruchtbaren Inseln des Tanasees stehend, in Lalibela und überall im Norden des Landes in Felsen eingehauen setzen sie ein Zeichen der Beständigkeit in einer Gelegenheitswelt.

Die Heiligen erreichen die Hauptstadt

Nun stehen sie hier oben an der Berliner Kurfürstenstraße, die Neun Heiligen Äthiopiens. Erzählen jedem, der Augen zum Von-sich-selbst-wegblicken hat, ihre Geschichte. Schade, dass man die Blechtafeln von dort unten nicht sieht. Die Heiligenbilder sollten in der Gelegenheitswelt da unten Gelegenheit zum Wirken bekommen, mit der Sonne im Rücken ihren Schatten runter werfen. Die herkömmlichen Bilder unten auf der Straße lenken den Blick auf das, was man gerade nicht hat – aber haben sollte. Diese abstrakte Kunst kann analog zur Funktion der Heiligen den Blick ihres Betrachters weiten auf das, was man gerade nicht ist – aber werden kann.

Heiligkeit ist die Genialität des Herzens“, meint Cioran. Die Kraft, die im Herzen entsteht, ist aber die Liebe.