Kategorie-Archiv: Natur

Leben mit Hund im Kiez um die Potsdamer Straße

Von HU-Gastbloggerin Vanessa

Auf dem Spaziergang durch den Kiez mit unserem Kurs der Humboldt-Uni fragte ich mich, wie wohl das Leben mit Hund hier wäre. Welche Vor- und Nachteile oder Besonderheiten bietet die Gegend um den Kiez der Potsdamer Straße für Hundehalter*innen und ihre Vierbeiner?

Der Eingang zum Hundeplatz

Der Eingang zum Hundeplatz

Ich mache mich also mit meinem eigenen Hund Dexter auf den Weg aus Neukölln nach Schöneberg, zuerst einmal Kontakte knüpfen auf dem Hundeplatz im Gleisdreieckpark.
Hundeplätze meide ich in der Regel lieber, weil die Menschen ihre Hunde dort oft machen lassen, was sie wollen und es deshalb regelmäßig Stress unter den Hunden gibt. So leider auch hier. Zur „Begrüßung“ bekommt mein Hund als erstes von einem Golden Retriever auf die Mütze, dessen Ball er zu nahe gekommen ist. Ich bitte die Frau, den Ball einzupacken, ernte aber nur einen bösen Blick.
Kurze Zeit später ist sie weg. Schon hängt der nächste Hund, ein Terrier, an meinem dran und belästigt ihn unentwegt. Als dann noch ein zweiter, ebenfalls ein Terrier, Interesse zeigt, kommt es zur Klopperei. Auch diese zwei Streithähne verschwinden kurz darauf.

Mein Begleiter Dexter

Mein Begleiter Dexter

Nun ist Ruhe und ich kann mit Manuel sprechen, der mit seiner zweijährigen Französischen Bulldogge Cash – benannt nach Johnny Cash – auf dem Platz ist. Unsere Hunde verstehen sich gut und wir haben Gelegenheit für ein nettes Gespräch. Manuel wohnt im Kiez und ist Stammgast auf dem Hundeplatz im Gleisdreieckpark. Cash benötige nicht so viel Auslauf, nach einer Runde Toben und Ballspielen auf dem Platz sei er glücklich. Trotzdem wünscht sich Manuel, der eingezäunte Bereich wäre größer. Das ist auch mir gleich aufgefallen – viel Platz ist hier wirklich nicht. Da ist es auch kein Wunder, dass vom Rasen nicht mehr viel übrig und es sehr staubig ist. Mit meiner schwarzen Hose und meinem schwarzen Hund, der sich gerne mal auf dem Boden wälzt, wird man uns den Besuch hier noch den Rest des Tages ansehen.
Durch den Mangel an anderen Möglichkeiten im Kiez, den Hund mal von der Leine zu lassen, kenne man sich hier im Gleisdreieckpark, erzählt Manuel. Er trifft sich hier regelmäßig mit anderen Besitzer*innen Französischer Bulldoggen – jedes Mal ein großer Spaß für Mensch und Tier. Hin und wieder würde er auch mal in das beliebte große Hundeauslaufgebiet im Grunewald fahren für ausgedehntere Spaziergänge, aber um die Ecke wäre das ja auch nicht gerade.

Leerer Kotbeutelspender, machte sich leider auch auf dem Platz bemerkbar

Leerer Kotbeutelspender, machte sich leider auch auf dem Platz bemerkbar

Ein weiterer Hund auf dem Platz ist Susi, eine Mischlingshündin, ca. 10 Jahre alt. Susi ist jedoch nicht mit ihrer Besitzerin unterwegs, sondern mit Freundinnen von ihr, eine davon Mascha. Auch wenn sie nicht alles über Susis Alltag weiß, ergibt sich ein interessanter und netter Gedankenaustausch Es stellt sich heraus, dass Susis Frauchen einen Laden für Hundebedarf, handgefertigten Hundeschmuck und Accessoires hat. Das Geschäft mit dem Namen SusiWau befindet sich auf der anderen Seite des Parks in der Hornstraße. Eins der selbstgemachten Halsbänder trägt Susi gerade und eigentlich wären sie auf dem Platz, um Fotos von Susi zu machen, damit Mascha Susis Portrait auf eine Tasche malen könne. Sie ist Künstlerin und verkauft handbemalte Taschen.
Ich frage, warum sie mit Susi spazieren gehen, abgesehen vom heutigen Fototermin. Der Hund hätte Probleme mit dem Alleinbleiben und ihnen würde es viel Spaß machen, sich zeitweise um Susi zu kümmern. Da ich ein ähnliches Problem habe, kommt uns die Idee eines Kiez-Netzwerks für Hundebesitzer*innen, die gegenseitig mal auf ihre Vierbeiner aufpassen könnten, als Gelegenheit für Teenager, um sich das Taschengeld aufzubessern, oder Menschen, die einfach keinen eigenen Hund halten können, aber trotzdem gerne Vierbeiner um sich herum haben. Durchaus eine spannende Idee, die es sich zu verfolgen lohnt, aber ich muss hier leider passen, da ich ja aus einer ganz anderen Ecke Berlins komme.

True Filou, Bülowstr. 65

True Filou, Bülowstr. 65

Viel mehr los ist an diesem Nachmittag auf dem Hundeplatz im Gleisdreieckpark nicht, aber mein Hund hatte Spaß und ich konnte einen guten ersten Eindruck gewinnen.
Wir ziehen weiter in die Bülowstraße. Dort befindet sich true FILOU, ein kleines aber feines Geschäft für Hunde- und Katzenaccessoires. Den Laden in der Nr. 65 gibt es seit Dezember 2012 und es war nicht einfach, passende Räume und einen Vermieter zu finden, der sich für die Geschäftsidee begeistern ließ, erzählt mir Inhaberin Ana-Luisa Buthenhoff. Diese Geschäftsidee besteht zum einen Teil aus dem Ladengeschäft, zum anderen aus einem Online-Shop. Die Kundinnen und Kunden, die den Laden besuchen, kämen sowohl aus dem Kiez als auch aus dem Rest Berlins und Umgebung. Gute Beratung spricht sich herum, davon kann ich mich direkt vor Ort überzeugen. Ana-Luisa Buthenhoff zeigt mir das Biothane (ein besonders robuster Kunststoff, den es in vielen verschiedenen Farben gibt), aus dem sie selbst Leinen und Halsbänder nach Maß anfertigt. Außerdem darf mein Hund ein paar Maulkörbe anprobieren. Ladenhund Satchmo lässt ihn dabei nicht aus den Augen und auch bei mir holt sich der freundliche Mischling hinter der Theke ein paar Streicheleinheiten ab. Ich verabschiede mich für heute und werde bestimmt noch mal zum Einkaufen zurück kehren.

Wir spazieren noch ein wenig durch den Kiez und ich ziehe ein Fazit des heutigen Tages. Die Hunde und ihre Menschen unterscheiden sich auf jeden Fall nicht groß von denen in anderen Teilen Berlins. Es gibt freundliche und es gibt weniger freundliche, das ist halt überall so. Die Umgebung kam mir mit meinem Hund, der viel Auslauf im Grünen gewohnt ist, nicht ganz ideal vor. Der Hundeplatz im Gleisdreieckpark ist klein und schmutzig und kann einen ausgedehnten Spaziergang niemals ersetzen. Der Rest des Parks werde relativ streng vom Ordnungsamt überwacht, wurde mir erzählt, ein Spaziergang ohne Leine sei dort fast unmöglich. Was bleibt da noch? Der Tiergarten, in dem ebenfalls Leinenpflicht gilt? Der Grunewald, das nächste größere offizielle Hundeauslaufgebiet, das allerdings deutlich weiter weg ist? Es müssen auf jeden Fall größere Strecken zurück gelegt werden, ohne Auto umständlich.
Die sonstige kanine Infrastruktur ist jedoch gut – auch bei Hellweg gibt es eine Zooabteilung und diverse Tierärzt*innen stehen im Kiez ebenfalls zur Verfügung. Mit einem weniger lauffreudigen Hund oder einem Auto lässt es sich hier bestimmt gut leben, für Dexter und mich geht es jetzt aber zurück nach Neukölln.

An der Graswurzel der Politik

Die Mediengestalterin Gabriele Hulitschke eckte im Osten immer wieder an, weil sie sich nicht anpassen wollte. Ihre Suche nach Freiheit führte sie ins Ehrenamt.

Eine Frau, viele Ämter

Gleisdreieckpark Berlin, an der Schnittstelle zwischen Ost- und Westseite des Parks, zwischen Kreuz- und Schöneberg. Zwei blonde Touristen mit ratlosem Blick nähern sich der dunkelhaarigen Frau, die dort in der Landschaft herum steht, die Hände in den Taschen ihrer Jeans. Sie suchen das Technikmuseum, in diesem weitläufigen Niemandsland hilft ihnen auch ihr Reiseführer nicht weiter. Gabriele Hulitschke runzelt kurz die Stirn und überlegt, sie streicht sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht; es ist sehr windig. Weiterlesen

Interkultureller Garten „Rosenduft“

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität

Von HU-Gastbloggerin Angela

004Wer in der Großstadt lebt, der muss es hinnehmen: den Mangel an Grünflächen im Alltag. Grauer Teer und Plattenbauten bilden den vorherrschenden Eindruck von Berlin. Manch einem bieten die orangenen Farbtupfer, die die Mülltonnen der Berliner Stadtreinigung in die Kulisse schmuggeln, zu wenig farbliche Abwechslung.  Gärten und Parks sollen Abhilfe schaffen; sie ermöglichen eine kurzzeitige Flucht aus dem tristen Stadtbild.

Für manche Menschen ist jedoch der Grund für die Sehnsucht nach Grünfläche viel existentieller als nur durch den ästhetischen Feinsinn begründet: Flüchtlingen aus der ganzen Welt wurde im interkulturellen Gartenprojekt „Rosenduft“ die Möglichkeit gegeben, ihre eigenen Beete zu bepflanzen. Das Ziel?  „Ankommen – bei sich selbst und der Gesellschaft.“, fasst Bosiljka Schedlich zusammen. Sie leitet den Verein Südost Europa Kultur, von dem die Initiative zum interkulturellen Garten im Jahr 2011 ausging.

Ursprünglich wurde der interkulturelle Garten „Rosenduft“ damals für traumatisierte Frauen aus Bosnien und Herzegowina gegründet. Neben den vielen schrecklichen Erlebnissen ihrer Biographie belastete sie der Verlust ihrer Heimat sehr. Die im Verein südost Europa betreuten Frauen hatten, als sie sahen, wie es Frühling wurde, geschwärmt, wie schön es überall blühe, erklärt Bosiljka Schedlich; und sie wünschten sich daraufhin, selbst Fläche zu bepflanzen. In den eher ländlichen Gebieten, aus denen die Flüchtlinge ursprünglich stammten, war ein eigener Garten normal.

 „Die Frauen haben ihre Beete bekommen, einzeln oder zur zweit. Später sind noch mehr Leute dazugekommen, aus Asien, aus Afrika. Jeder bearbeitet seine Fläche, pflanzt und erntet, während es auch noch eine Gemeinschaftsfläche gibt. Es gibt auch kleine Beete für die Kinder“, erklärt Bosiljka Schedlich, wie die Gartenarbeit organisiert ist. „Es ist ein Ort der Begegnung in jeglicher Hinsicht.“

013Der  Garten führt inzwischen Flüchtlinge und Vertriebene aus der ganzen Welt zusammen; aus Palästina, Ruanda, Afghanistan.  Der Austausch untereinander hilft den Menschen, das Leid besser zu verarbeiten. Der Austausch findet nicht nur innerhalb von Deutschland statt; der Garten ist eingebunden in ein internationales Netzwerk. Kinder aus Marseille waren beispielsweise neulich in Deutschland gewesen, in den Gärten ihrer Austauschpartner, und umgekehrt.

Bosiljka Schedlich fügt hinzu: „Und sie haben etwas, worauf sie stolz sind.“  Ein eigenes Beet, eine Aufgabe. Die Möglichkeit, mit neugierigen Besuchern des Gartens ins Gespräch zu kommen und von ihrer Gartenarbeit zu erzählen. „Der Garten ist ein Ort der Integration geworden“ , weiß Bosiljka Schedlich.

Der Interkulturelle Garten „Rosenduft“ ist über den Eingang zum Park am Gleisdreieck in der Möckernstr. 44 zu erreichen; am Gleis entlang Richtung Yorckstr. findet sich der 2000 qm große Garten, in denen Birnen und Blumen gepflanzt sind, Kräuter  wachsen und Bienen schwirren – denn auch zwei Imker zeigen Interessierten dort gerne ihr Handwerk.

Fotos mit freundlicher Genehmigung von Begzada Alatović

Aktivisten im Kiez: Mit Engagement das Stadtbild beeinflussen

Geschrieben von Gastblogger Tobias

Was treibt einen Menschen dazu an, sich jahrzehntelang seinem Stadtteil zu widmen? Oder in frustrierenden Situationen nicht aufzugeben und sich weiter für eine Sache einzusetzen? Die Frage nach der Motivation und den Menschen dahinter, mit ihren persönlichen Geschichten wird in diesem Artikel beleuchtet.

Gleisdreieck 2

Das Gleisdreieck ist eine der letzten großen Brachflächen in der Mitte Berlins. Das ermöglicht einerseits viel Freiraum zur Gestaltung. Andererseits sind aber Konflikte zwischen Anwohnern und Investoren, die jeweils ihre Ideen vom Stadtbild verwirklichen wollen, vorprogrammiert. Am Beispiel der aktuellen Entwicklungen am Gleisdreieck wollte ich die Geschichten von Menschen hören, die sich jahrelang engagieren, um den Stadtteil lebenswerter zu machen.

Für eine bessere Atmosphäre

Josef Lückerath, ein alteingesessener Kiezbewohner, hat eine Menge erlebt. Seit nun mehr 43 Jahren lebt und engagiert er sich im Kiez. „In den 1980er Jahren fing ich auf eigene Faust an, mich bei verschiedenen Projekten und Aktionen im Stadtteil einzubringen“, erzählt er. Bei diesen ging es zum Beispiel darum, Baumfällungen und Parkplatzbauten zu verhindern. Überzeugen konnte er, da er auch selbst Ideen und Vorschläge einbrachte und nicht einfach nur dagegen war.

Motivation für seine aufwendige und zeitintensive Einbringung ist, die Lebensqualität im Stadtteil zu verbessern. „Mein Wunsch ist es, der Anonymität in der Großstadt entgegen zu wirken und eine angenehme Atmosphäre im Kiez zu schaffen“, sagt Josef Lückerath. Daher ist er auch über Bekannte in den Quartiersrat Tiergarten Süd gekommen, wo er seit 5 Jahren tätig ist. „Mir ist vor allem der Kontakt zu den Menschen hier wichtig“, betont er.

Das neue Gesicht des Gleisdreiecks

Gleisdreieck 1

Besondere Erfolge zeigen, dass sich die Arbeit und Energie lohnt. „Wir sind froh darüber, dass das Kurfürstenzentrum umgestaltet wird. Das ist schon ein Erfolg“, erzählt Josef Lückerath, „Aber es gibt noch genug zu tun“. Die Entwicklung am Gleisdreieck sieht er kritisch. „Durch die Neubauten erwarten wir einen Bevölkerungszuwachs von 18 bis 20 Prozent. Die Frage ist, wie man damit umgeht“, bemerkt er. Er sieht die Lage realistisch: „Natürlich wäre mehr Park und Grünfläche schöner, aber es muss hingenommen werden, dass teilweise bebaut wird“. Seine eigentliche Befürchtung ist, dass durch den Zuzug von wohlhabenderen Bevölkerungsschichten die Mieten steigen. Ihm ist es wichtig, die neuen Bewohner einzubinden.

Für die Zukunft erhofft er sich einen lebenswerteren Stadtteil. Die bereits erreichten Erfolge „müssen aber gepflegt werden“, betont er. „Ich wünsche mir einfach eine gute Stimmung im Kiez“.

Engagement zahlt sich aus, hat aber seinen Preis

Gabriele Hulitschke ist über Umwege Mediengestalterin geworden. Ihre Erfahrungen im Beruf helfen ihr auch beim Ehrenamt. So hat sie die Öffentlichkeitsarbeit der Kinder-Magistrale übernommen und nach kurzer Zeit sogar die Leitung. Die Initiative organisiert zum Beispiel Kunstaktionen für Kindergruppen. „Da erfahren wir von allen Seiten positive Resonanz“, sagt Gabriele Hulitschke. Durch ihr Interesse für ihren Kiez ist sie schnell ins Ehrenamt gerutscht. Als Mediengestalterin vermisste sie einen Ort für Gleichgesinnte. „Da wurde ich direkt angesprochen, mich doch auch gleich für andere einzusetzen“, erzählt sie. „Engagement ist für mich lebensbereichernd, es ist ein Lernprozess. Wenn man selbst beginnt Projekte zu initiieren oder Verantwortung zu übernehmen, ist der Wandel aber deutlich zu merken“, sagt sie. Ansonsten kann man sich schnell überfordern und verausgaben. „Ich musste auch lernen nein zu sagen“, schmunzelt sie.

Bei ihren vielen Tätigkeiten, stellt sich die Frage, wie das eigentlich zu schaffen ist. Denn neben der Kinder-Magistrale unterstützt sie auch die projektbegleitende Arbeitsgruppe (PAG) zum Gleisdreieck und ist als Quartierrätin aktiv. „Man braucht eine Menge Kraft“, sagt Gabriele Hulitschke, „Aber es macht ja auch Spaß“. Sie meint, dass man die wichtigen Dinge im Hinterkopf behalten muss, um mit dem Druck umzugehen. „Es hilft auf jeden Fall Gleichgesinnte um sich zu haben“, stellt sie fest, „Manchmal gibt es mehr Unterstützer als man denkt“.

Ein Ausblick

Im Kiez

Bezahlbare Mieten sind ihr Hauptziel für die Zukunft. „Außerdem wünsche ich mir Baugemeinschaften, die soziales Wohnen und WG-Formen ermöglichen“. Mit mehreren Kunstaktionen möchte sie den Menschen Probleme im Kiez vor Augen führen. „Mit Kunst kann man das auf eine ganz andere Art und Weise erreichen“, findet Gabriele Hulitschke.

Beide Aktivisten üben mit ihrem Engagement einen entscheidenden Einfluss auf das Stadtgebiet um die Potsdamer Straße aus und tragen ihren Teil dazu bei die Gegend lebenswerter zu machen. Mitmachen lohnt sich!

Ein Ferienprojekt – oder Tourist sein mit Ziel: aus der Bahn, auf’s Rad, in den Park – Teil 3

Hurra, ein Park

Radfahren in der Potsdamer Straße macht also nicht wirklich Spaß, wem aber der Tiergarten zu weit ist, und eventuell die soeben genannte Straße direkt dazwischen liegt, dem sei der Park am Gleisdreieck ans Herz gelegt. Den Tipp bekam ich in dem genannten Buchladen an meinem letzten Testtag. Ich machte mich also sogleich auf den Weg dorthin. Einfach die Goebenstraße entlang und dann an der Haltestelle Yorckstraße gleich links hoch in den Park.

Machte die Goebenstraße noch einen eher traurigen Eindruck und die Yorckstraße einen eher abgebrochenen, so zeigte sich der Aufgang zum Park eher abwehrend. Dahinter soll ein schöner Park liegen? Kann doch gar nicht sein. Aber wer die kleine Auffahrt hochkraxelt, den empfängt nach kurzer Rollphase eine Oase, die einen die Großstadt vergessen lässt – noch besser als der Tiergarten, weil weniger Menschen unterwegs waren. Und das selbst an einem Tag, an dem Radio Eins dort Geburtstag feierte. Ich konnte mir selbst kaum einig darüber werden, wo ich mich denn nun mit dem ständigen Begleiter Buch niederlassen sollte, um ein paar Zeilen in verloren geglaubter Ruhe und Frischluft genießen zu können. Aus den Zeilen wurden Seiten, trotz des immer wieder in die Umgebung schweifenden Blickes, der einen durch die mittels der Gleisreste angedeuteten Möglichkeit der Fernreise zu Tagträumen verleitete. Was für ein toller Tipp, was für ein toller Park.

Ich werde wiederkommen, vielleicht auch durch die Potsdamer Straße. Auch wenn kurz nach Eröffnung des Parks über diesen schon wieder negative Schlagzeilen zu lesen waren (lässt sich da ein Muster erkennen: alles erst einmal schlechter zu machen, als es eigentlich ist?), dieser Park ist der Stadt gelungen. Und so viele Menschen haben etwas davon. Zumindest diejenigen, die davon wissen. Aber ein Flughafen ist wohl wichtiger. Damit kommt Geld nach Berlin, das dann an ganz anderer Stelle ausgegeben wird, als an der alten Ausfallstraße aus Potsdam.

Ein Ferienprojekt – oder Tourist sein mit Ziel: aus der Bahn, auf’s Rad, in den Park – Teil 2

Radfahren auf der Potsdamer Straße, erster Versuch, Freitag 13 Uhr

Sonnenbrille auf der Nase, Musik auf den Ohren gegen den Lärm der Straße, ab durch den Tiergarten an den Potsdamer Platz. Endlich mal diese Ampel sehen, die ja die erste im ganzen Land gewesen sein soll. Sogleich auch gefunden. Warum ich sie erst jetzt sehe, ich kann es mir nicht erklären. Dann hinein in die Potsdamer, an den nicht mehr so Neubauten vorbei, an Sir Simons Philharmonie und der nicht mehr Richter-Ausstellung, über die Brücke, zack, rote Ampel. Und links aus dem Augenwinkel darf ich einer Clownin zuschauen, die für die Autofahrer in strahlendem Sonnenschein jongliert. Grün, bergab an der degewo vorbei, dann hinein in das, was ich als Potsdamer Straße in den letzten Tagen wahrgenommen habe. Geparkte Autos links, und da eines auf dem Gehweg, ein paar Fußgänger, flitzender Verkehr auf der Straße weiter links, zum Glück bin ich auf dem Fahrradweg. Menschen nehmen zu, meine Geschwindigkeit ab, der Fahrradweg wird enger, da eine steile Kurve, dem Briefkasten ausgewichen, das muss er gewesen sein, das wäre geschafft. Die Menschen nehmen weiter zu, nehmen den Fahrradweg teilweise ein. Aber das kenne ich schon.

Da ich höflicherweise und aus Gründen der Gewichtsersparnis natürlich keine Klingel an meinem Fahrrad habe, bleibt mir nur zu warten übrig. Keine Ahnung wie laut ich sprechen würde, immerhin habe ich geräuschschluckende In-Ear-Kopfhörer mit herrlicher Musik in den Ohren. So, hier eine kleine Lücke, jetzt da vorbei. Oha, Ampel, ein Rechtsabbieger, ob der mich sieht? Ein wenig größer gemacht, ja, er wartet, Augenkontakt, herrlich, ein höflicher Mensch und über die Ampel. Radweg macht eine Linkskurve auf die Straße zu den Autos. Gerade eine Lücke, also rein in den fließenden Verkehr.

Ging doch alles gut, auch gerade diese Stelle, die hat’s sonst für viele wohl in sich. Hatte ich Glück mit der Lücke? Vielleicht ist es die Zeit. Oder eben, weil ich vorausschauend fahre, dank der vielen Jahre der tretenden Fortbewegung. Die Autofahrer neben mir sind wohl auch wegen des schönen Sommerwetters entspannt, keiner rast, der eine oder andere hat es zwar etwas eiliger, aber alles im grünen Bereich. Jetzt noch eine Ampel, also vorsichtig an den wartenden Autos vorbei in die erste Reihe gerollt, grün, dann schnell losstrampeln, denn ich will ja nicht als erstes Hindernis gelten, geschafft, also wieder Reisegeschwindigkeit. Parkende Autos rechts, oha, hier rangiert einer. Er sieht mich, wartet, links neben mir ist eh wieder frei, einfache Übung. Dann wird die Straße richtig breit. Autos werden schneller, aber geben mir mehr Abstand nach links. Alles Bestens, Ziel Buchhandlung am Kleistpark erreicht. Aber ich bin zu früh für mein Interview…

Umdrehen, erneut versuchen

Ich habe nicht mal 10 Minuten gebraucht, alles entspannt. Was ist hier los? Ist es das Sommerwetter? Wir versuchen es sogleich erneut. Ah, vielleicht ist es die Sonnenbrille? Nee, geht nicht, ohne die sehe ich zu wenig, da die Sonne sonst zu sehr blendet. Ist es die Musik? Ohrenstöpsel an der Ampel kurz herausgezogen… Oh, hauer, ist das eine Lautstärke. Und kurz durchfährt mich der Lärm der Motoren, das Rollen der Reifen, das Pfeifen der fahrenden Autos durch den Wind. Da will man nur noch weg, da will man nicht mit dem Rad dazwischen sein. Schnell wieder Musik. Und siehe da, Ruhe.
Aber ich teste den Einfluss der Musik lieber an einem anderen Tage, man kann ja nicht zwei Dinge gleichzeitig testen…
Also wieder die Potsdamer Straße rauf, und wieder runter. So wirklich Spaß bringt es in nördlicher Richtung nicht, geht es etwa bergauf? In südlicher Richtung geht es irgendwie flüssiger. Dieser erneute Versuch führt zu keinem nennenswerten Erkenntniszugewinn. Im Interview im Buchladen dann lerne ich, dass der Autoverkehr hier schon die Fußgänger einschränkt und ihnen Respekt und besondere Vorsicht abringt. Nicht nur eine gefährliche Situation ließ ich mir schildern sondern mehrere.

Zuhause die Analyse

Wieso nahm ich die Fahrt eher als interessant, abwechslungsreich, aber nicht als gefährlich, oder eher als nicht gefährlicher als viele andere Stellen Berlins wahr? Die Musik wird ihre Rolle gespielt haben. Und auch, dass ich alleine war, und keine Familie habe, dass ich geübter Radfahrer bin und jung und nicht alt, dass ich Kraft habe im Antritt und eher großgewachsen, nicht leicht zu übersehen bin, und weil ich mich auf das Fahren und die Umgebung konzentriert habe. Also hätte ich Kinder oder noch Großeltern, ich würde mit den denen hier nicht Rad fahren. Da nähme ich eine Parallelstraße.
Also prüfen wir als nächstes den Einfluss der Musik, an den anderen Dingen kann ich auf die schnelle nichts ändern. Vielleicht war aber auch die Tageszeit oder überhaupt der Tag entscheidend. Fraglich…

Ein Fazit?

Um es kurz zu machen. Ich habe es sowohl in der Woche so um 4, als auch am Samstag so um 1 Uhr wieder versucht. Gleiches Ergebnis. Ob nun mit oder ohne Musik. Bei bewölktem Himmel oder Sonnenschein. Eine Wonne ist es nicht, außer man mag wie ich ein wenig das Abenteuer, aber auch dafür gibt es Besseres. Die Aufregung, insofern es eine solche überhaupt gab, kann ich selbst über die von mir versuchten Ansätze nicht verstehen. Wer mit dem Rad fahren will, findet einfachst und schnell bessere Wege. Wer in der Potdamer Straße etwas erreichen möchte, muss sowieso irgendwann am Zielort anhalten und kann davor etwas langsamer und vorausschauender fahren. Und sonst ist die Potsdamer Straße halt ein viel befahrene Straße, das hört man schon von weitem. Aber gerade weil man das von weitem hört, und die Situation nicht erst seit gestern der Fall ist, bleibt die Frage offen, warum da nicht längst etwas dran getan wurde, damit man auch ohne Musik entspannter auf dem umweltverträglicheren Zweirad durch die Potsdamer Straße rollen kann.

Teil 3: In den Park

Ein Ferienprojekt – oder Tourist sein mit Ziel: aus der Bahn, auf’s Rad, in den Park – Teil 1

Artikel von Gastblogger Moritz, geschrieben im Rahmen des Sommerkurses 2012 “Online-Journalismus – Recherchieren und Bloggen” am Career Center der Humboldt Universität

Gleich meine ersten Gehversuche im Rahmen dieses Sommerprojektes in der Potse brachten mich auf dieses Thema: Radfahren auf der Potsdamer Straße. Gefährlich soll es sein, mit im Weg stehenden Briefkästen, einer deutlich zu engen Fahrbahn, und dann auch dem viel zu dichten Verkehr. Einen Foto-Blog darüber gibt es auch. Aber geändert wird bei dem wohl unfähigsten Senat des Landes an der Situation auf absehbare Zeit auch nichts. Zeit für einen Selbstversuch.

Potsdamer Straße – wo?

Potsdamer Straße, wo ist die überhaupt? Ich kannte den Potsdamer Platz. Damit muss das irgendwie zusammenhängen, waren meine ersten Gedanken. Beim ersten Besuch noch über die Kurfürstenstraße-Haltestelle per U-Bahn aus dem beschaulichen Moabit angereist, wunderte ich mich bereits über die sichtbare Vielfalt und darüber, dass dieser Bereich bisher auf meiner eigenen Landkarte Berlins überhaupt nicht aufgetaucht war. Bis ich selbst Ende 2010 nach Berlin zog, hatte ich schon häufiger Freunde in Berlin besucht und deshalb auch den einen oder anderen Bezirk aus der Nähe gesehen. Aber dieser Bereich Berlins zwischen Kudamm und Kreuzberg war mir bis dato verborgen geblieben.

Der erste Rundblick nach dem Verlassen des U-Bahn-Schachtes deutet an, dass das älteste Gewerbe der Stadt hier nicht all zu weit entfernt ist. Der Blick auf die wie immer knappe Kleidung ließ für mich erkennen, dass die Damen hier schon etwas länger ihrem Beruf nachgehen als die frisch importierten in der Oranienburger Straße; sieht man hier doch deutlich mehr Baumwolle und weniger Lack, Leder oder Kunststoffe. Die langen Beine stecken zwar auch in höchsten Schuhen, aber in solchen mit lang nicht so lauten Farben. Die anderen Mitaussteiger aus der Bahn scheinen gar keine Notiz von dieser Umgebung zu nehmen, es ist wohl nichts besonderes. In der Tat macht das Straßenbild einen unaufgeregten, alltäglichen Eindruck.

Galerie Listros: erneut eine Überraschung und eine Aufgabe

In der wunderschönen Galerie Listros neben einer Einführung in die Räumlichkeiten dort mit der ersten Aufgabe versorgt, nämlich sich einen Eindruck zu verschaffen, was die Potse ausmacht, mache ich mich sogleich auf, linksherum in die Potsdamer Straße und bleibe sofort stehen bei der Fleischerei Staroske. Es ist zwar erst 11 Uhr vormittags, aber Currywurst-Pommes geht immer. Außerdem sagt meine innere Stimme, kann man mit einem vollen Teller Leckereien vor einem viel besser rausgucken, die Menschen beobachten und vielleicht das eine oder andere Gespräch aufschnappen.

Ich werde von einer Auszubildenden gefragt, was ich denn gerne hätte. Eine Auszubildende? So etwas gibt es noch? Fast schon verunsichert von der für mich seltenen Erscheinung, kenne ich doch schon eine gefühlte Ewigkeit nur noch Praktikanten oder Werkstudenten, also in der Regel oft Menschen, die eigentlich ganz andere Absichten haben, als sich für das zu interessieren, was vor ihnen passiert, stammele ich meinen Wunsch.

Während ich warte, schaue ich mich um und entdecke Menschen, die dem Alltag nachgehen in einer unaufgeregten Art und Weise. Sie tragen keine Markensonnenbrillen als normale Brillen, sie nehmen ihrem 3-jährigen Sohn nicht das iPhone weg – weder iPhones noch 3-Jährige sind anwesend – und sie sprechen nicht von ihren Ausflügen nach London, New York oder Paris oder dem letzten Meeting. Familiäres wird besprochen, dass die Preise insgesamt wieder gestiegen sind und dass die Wurst ja etwas teurer als gedacht war, aber ja auch nicht die aus dem Angebot. Hier fühle ich mich wohl. Und die Currywurst-Pommes sind auch lecker.

20 Minuten sind schon rum, dann also noch schnell ein wenig gehen. Ach Quatsch, hier ist ein Café, das sieht doch gut aus, nach Currywurst-Pommes ist ein Kaffee genau das Richtige, und vor allem kann man da gut Leute beobachten und auch das eine oder andere mithören. Der Milchkaffee zum Mitnehmen kommt pronto, gerade kaum andere Leute da, und wenn, so lesen sie in Zeitungen. Also raus auf die Straße, andere Menschen anschauen, vielleicht kriegen wir ja so langsam den Einstieg in diese Straße und in das, was die Leute hier bewegt. Ein Punkt ist schnell ausgemacht: die Abwechslung ist es, was diese Straße ausmacht. Hier ist BurgerKing neben Dönerbude. Bäcker neben Woolworth. Da ist ein India-Store neben einer Lesehalle und gegenüber ein weiteres seltenes Exemplar: ein Geschäft für Bürobedarf. Wer auf die Klingelschilder schaut, entdeckt Galerien und Rechtsanwälte in denselben Häusern. Zeit um, ab zurück.

Die zweite Aufgabe, leider baut sie auf der ersten auf

Neue Aufgabe: interviewt Leute auf der Straße zu dem, was ihr herausgefunden habt. Soll ich sie zur Currywurst-Pommes oder zur Abwechslung der Geschäfte befragen? Ich versuche es mit der Frage, was denn die Besonderheit der Potsdamer Straße ist und hole mir fast einen verbalen Einlauf ab: Besonderheit ist fehl am Platz. Hier wird vor allem gearbeitet, der Lebensunterhalt verdient und besonders ist in erster Linie nur der unfähigste Senat, den es nur irgendwo geben kann. Milliarden werden in den Bau eines unnötigen Flughafens gesteckt, aber hier kriegt man nicht mal die Radwege hin. Die Situation sei lebensgefährlich, wenn man überhaupt so weit kommt, und nicht schon am Briefkasten scheitert. Da wird seit Ewigkeiten nichts getan.

Hamburg, wo ich herkomme, hat ja auch einen Flughafen, Elbphilharmonie nennt er sich dort, warum der Berliner Senat das kopiert? Oder ist es gar anders herum? Hamburg jedenfalls wird deutlich günstiger wegkommen, oder?

Radfahren schein ein emotionales Thema zu sein, mein Beschluss ist gefasst. Darüber schreibe ich. Einen Blog soll es dazu auch geben. Und nach ein wenig Recherche zeigt dieser auch gleich, das Unfälle wohl nicht selten sind. Wie kann ich dem also am besten nachfühlen? Wie gehe ich diesem Thema am besten auf den Grund? Durch Ausprobieren!

Teil 2: Auf’s Rad

Buchhandlung am Kleistpark – Ein Kleinod

Artikel von Gastblogger Moritz, geschrieben im Rahmen des Sommerkurses 2012 “Online-Journalismus – Recherchieren und Bloggen” am Career Center der Humboldt Universität

Fast an historischer Stelle gelegen, ist die Fachbuchhandlung am Kleistpark schon so etwas wie eine Rarität in der Potse. Nicht alleine wegen des Fokus auf Botanik und Zoologie, sondern schon weil es eine Buchhandlung ist, und diese sind in der Tat rar geworden.

Die Buchhandlung in der Potsdamer Straße 180 gibt es schon fast 60 Jahre, seit 1954 um genau zu sein. Und das Mobiliar ist genauso alt, was man ihm aber nicht ansieht. Wenn man das Geschäft betritt, so tritt man in einen Raum der Ruhe. Die hektische und lärmende Potsdamer Straße rückt in weite Ferne, der Duft von Büchern und Wissen umfängt einen, aber auch der von Beständigkeit mischt sich unter.

Wer sich in dem Geschäft ein wenig umschaut, findet auch den Grund für Letzteren. Zwischen den verschweißten Neuerscheinungen und den leuchtenden Buchrücken des neueren Bestands, erblickt das Auge auch die matten Buchrücken von Büchern aus anderen Zeiten. Bücher, die wegen des Inhalts gekauft wurden, nicht aufgrund von Marketingmaßnahmen. Hier stehen ein paar, dort stehen ein paar, fast versteckt, einfach herrlich.

Es sei so schon häufiger vorgekommen, dass Kunden beim Anblick eines älteren Buches ein freudiges „genau dieses Buch habe ich lange gesucht“ entfährt.

Fachbuchhandlung für Botanik und Zoologie mit Geschichte

Es ist zwar eine Fachbuchhandlung, aber das war die Buchhandlung am Kleistpark nicht immer. Am Anfang war es eine „normale“ Buchhandlung, und keine Fachbuchhandlung, zwar in derselben Räumlichkeit, allerdings mit gesonderten Büros, einem Keller und einem begehbaren zweiten Stock im Hauptraum dazu.

Die heutige Inhaberin, Frau Gajewsky, leitet das Geschäft zwar erst sei Mai letzten Jahres, aber das Datum täuscht. Sie hat das Geschäft von ihrem Mann übernommen, der dies schon 1995 von den damaligen Eigentümern übernahm, bei denen er seit 1974 angestellt war. Kein Wunder also, dass sie über das Geschäft, aber auch über Berlin, so einiges erzählen kann. Und eigentlich kommt sie gar aus Schweden, aber das ist schon mehr als 40 Jahre her. Auch wenn sie jetzt das Geschäft leitet, so ist ihr Mann weiter mit dabei und kümmert sich vor allem um die älteren Schätze, nur eben nicht mehr den ganzen Tag. Wer also einen speziellen Wunsch hat, sollte sich vormittags auf den Weg in die Buchhandlung machen.

Kleiner aber feiner

Das gleiche Angebot konnte nicht behalten werden, dafür war nach dem Verkauf des die Buchhandlung beherbergenden Gebäudes einfach nicht genügend Platz. Eine neue Ausrichtung musste her und da der andere Buchladen in der Straße sich auf Karten und Atlanten spezialisiert hatte, entschied man sich eben für Botanik. Dass dies auch genau dem Interesse des Ehepaars Gajewsky entsprach, wird hier wohl den Ausschlag gegeben haben – und weniger die Tatsache, dass dann eine Fachbuchhandlung für Botanik und Zoologie wieder fast an historischer Stelle stünde.

Denn der Heinrich-von-Kleist-Park, der auch der Buchhandlung seinen Namen verlieh, war tatsächlich früher ein botanischer Garten. Der Bestand an Pflanzen und Bäumen wurde zwar bis auf einen vor längerem bereits nach Berlin-Dahlem gebracht, um den dortigen Botanischen Garten aufzubauen, trotzdem schließt sich der Kreis. Immer dann, wenn dort eine Ausstellung oder ein Markt stattfindet, ist auch die Buchhandlung mit einem Stand vertreten.

Buchhandlung bleibt Buchhandlung

Trotz der Fachausrichtung hat die Buchhandlung natürlich auch das normale Angebot an Büchern im Sortiment. Wer eine Sprache lernen will oder kochen möchte, findet hier sein Nachschlagewerk, und wer Spannung mag, dem wird mit einer guten Auswahl an Krimis gedient.

Der Tod ist bunt – und blüht

Von HU-Gastbloggerin Nadine Arndt

Wir kennen uns schon lange
Der Phönix und ich
Ich lehrte ihn zwei Worte
Damit er mit mir spricht:
Ende Neu
(Einstürzende Neubauten – Ende Neu)

Düster wirkende alte Eiben und Efeu, verwitterte Grabmale mit schon lange nicht mehr lesbaren Inschriften, gebeugte Frauen in Schwarz die mühsam das welke Laub auf einem Grab entfernen. Stille und Trauer.
So stellt man sich einen typischen Friedhof vor. Doch der Alte Sankt Matthäus-Kirchhof in der Großgörschenstraße entspricht diesem Bild nicht.
Im Norden Schönebergs, am äußersten Rand der berühmten „Roten Insel“ liegt er – ein traditionsreicher Friedhof mit wechselvoller Geschichte.

1856 geweiht war er Begräbnisstätte wohlhabender Kaufleute, Künstler und Wissenschaftler.

Noch heute zeugen viele opulent gestalteten Gräber, Gruften und Mausoleen aus der Gründerzeit vom Reichtum der hier Begrabenen und bieten einen ungewöhnlichen Kontrast zu den vielen, mit Pflanzen, Keramikkatzen, Windspielen, Regenbogenflaggen und roten AIDS-Schleifen liebevoll geschmückten Gräbern aus neuerer Zeit.
Doch beinahe wären die Wirren der Zeit auch dem Kirchhof zum Verhängnis geworden: die Umbettungen auf den Südwestkirchhof in Stahnsdorf,  die zunächst Platz schaffen sollten für Albert Speers monumentale Nord-Süd-Achse, wurden abgelöst von Krieg und Zerstörung und Vergessen & Verfall bis in die 1970er Jahre tat ein Übriges.

Die Liste der hier begrabenen mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten ist lang: Neben den Gebrüdern Grimm, Kaufmann Bolle und dem Mediziner Rudolf Virchow liegen hier auch die Frauenrechtlerinnen Hedwig Dohm und Minna Cauer und die Schriftstellerin May Ayim; den Verschwörern vom 20. Juli 1944 um Graf von Stauffenberg ist ein Gedenkstein gewidmet – nach ihrer Hinrichtung wurden sie hier begraben, aber später von den Nazis ausgegraben und verbrannt, ihre Asche wurde in den Riesenfeldern verstreut.

Auch Ton Steine Scherben-Sänger Rio Reiser hat hier inzwischen seine letzte Ruhestätte gefunden. Vor einem Jahr wurde er von Fresenhagen auf den Matthäus-Kirchhof umgebettet.


Der „König von Deutschland“ ist allerdings nicht der einzige schwule Aktivist der hier begraben ist. Neben der berühmten Berliner Tunte „Ovo Maltine“ findet sich hier auch das Grab des im Jahr 2000 verstorbenen Napoleon Seyfarth, der mit seinem autobiographisch inszenierten Roman „Schweine müssen nackt sein“ als erster deutschsprachiger Autor offensiv mit seiner AIDS-Erkrankung umging.



Da paßt es dann auch ins gar nicht düstere Bild, daß das auf dem Friedhofsgelände gelegene „Café Finovo“ von Bernd Boßmann – in der Berliner Tuntenszene besser bekannt als „Ichgola Androgyn“ – betrieben wird.


Das in einem alten Latrinenhaus gelegene Café ist wohl DAS Aushängeschild einer der ungewöhnlichsten Friedhöfe der Stadt. Das Café nebst Blumenladen „Roter Mohn“ bietet neben Blumen, Kränzen und Trauergestecken auch täglich frisch gebackenen Kuchen und kleine Leckereien, einen Raum für Trauerfeiern, die Selbsthilfegruppe für die Eltern von „Sternenkindern“ sowie für die mobile Sozialberatung durch den „Hartzer Roller“.

Doch wie kommt man dazu, ein Café auf einem Friedhof zu eröffnen?
Bernd Boßmann ist schon um das Jahr 2000 das leer stehende Haus aufgefallen. Der Tod des engen Freundes Ovo Maltine im Jahr 2005 führte dann zu regelmäßigen Besuchen auf dem Friedhof und zur Idee, einen Ort für die existenziellen Bedürfnisse von Menschen schaffen: Weinen, Lachen, Essen und Trinken, Ausruhen und vor allem: Kommunikation.
Boßmann merkt kritisch an: „Friedhöfe sind nicht für die Lebenden gemacht, der Gang auf den Friedhof ist für die meisten Menschen reine Pflicht.“
Auf den Matthäus-Kirchhof hingegen soll man gerne kommen.

Der Name „Finovo“ ist abgeleitet von den lateinischen Wörtern für „Ende“ und „neu“ – das einzelne „n“ in der Mitte des Wortes soll daran erinnern, daß aus dem, was endet (finis), immer auch schon das Neue beginnt (novus). In diesem Sinne steht es auch für die ewige Wiederkehr.
Der ehemalige Krankenpfleger mag es nicht, daß der Tod so häufig einseitig negativ dargestellt und das Leben überbewertet wird. Leben und Tod gehören zusammen und was „besser“ ist, sollte aus der Perspektive des Einzelnen betrachtet werden. Für einen Sterbenden, für einen Kranken mit unerträglichen Schmerzen, für einen Hoffnungslosen kann der Tod das Ziel der Sehnsucht werden und die Erlösung versprechen während das Leben nur noch eine Bürde ist. So sind auch Geboren-Werden und Sterben für ihn einfach nur Phasen des Übergangs die nicht pauschal positiv oder negativ gewertet werden sollten.

Der Cafébesitzer ist auch im Vorstand es Vereins „Efeu e.V.“ der sich nicht nur der Erhaltung des Friedhofs widmet, sondern auch mit Infomappen zu Themen wie „Frauen“ oder „Kreuz und Queer“, Vorträgen & Führungen die Lebendigkeit des Kirchhofs unterstreicht. Das Projekt „Kinder und Kirchhof“, das Kindern den Friedhof mit all seinen existenziellen Themen näher bringen soll, wird nicht ganz so häufig in Anspruch genommen, dafür ziehen die verschiedenen Themenführungen immer wieder Interessierte an.
Der „Garten der Sternenkinder“ ist ein Platz für die „Sternenkinder“, die während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt verstarben. Hier finden sie ihre liebevoll von Eltern & Geschwistern gestaltete letzte Ruhestätte.


Die Elterngruppe, die sich in den Räumen des Cafés trifft, ist eine Selbsthilfegruppe – abseits von professionellen Therapien wird hier auf das Prinzip „von Mensch zu Mensch“ gesetzt.
Im Eingangsbereich des „Finovo“ finden sich dann neben den Themenmappen auch Bücher zu Trauerarbeit, Begräbnisritualen und Werke der Gebrüder Grimm, von Rio Reiser, Hedwig Dohm oder May Ayim.
Individualität und Selbstentfaltung werden hier groß geschrieben – niemandem soll ein „richtiger“ Umgang mit dem Tod, mit dem Begräbnis, mit dem Glauben, eine „richtige“ Art zu leben und zu fühlen aufgezwungen werden, und so ist auf diesem besonderen Fleckchen Erde jeder ein gern gesehener Gast – die regelmäßigen Besucher mit Harke und Gießkanne ebenso wie die neugierigen amerikanischen Touristen, der ältere, türkische Anwohner, der hier seinen schwarzen Tee trinkt, ebenso wie die junge Mutter, die hier nur schnell ein paar Blumen für eine Feier kaufen will.
Für den Idealisten Boßmann ist das „Gemeindearbeit“. Gemeinde definiert er als Gemeinschaft – das Zusammengehörigkeitsgefühl und die gewachsenen Strukturen im Kiez, die Offenheit für neue Menschen, die Rechte und Pflichten, die sich aus dem Zusammenleben verschiedener Menschen ergeben. Füreinander da sein: für ihn ist das die Basis der Religionen, sich in aller Unterschiedlichkeit respektvoll begegnen können, die Idee des Cafés. Von Besuchern aufgrund seines Schwul-Seins diskriminiert wurde er noch nicht, merkt er an. Und sagt weiter: „Es ist das absolut Unsinnigste, sich selbst zu verleugnen.“ Er ist überzeugt davon, daß, wer sich & sein Sein versteckt, so erst recht Ablehnung, Feindschaft & Diskriminierung herausfordert.

Einfach ist das Leben als Engagierter trotzdem nicht – das ewige Ringen mit den Behörden um die verschiedenen Genehmigungen, fehlende Subventionen, immer wieder die Angst um die Existenz der vielen Projekte.
„Mit Hartz IV hätte ich mehr Geld“, so der trockene Kommentar zum nicht enden wollenden Kampf als Selbstständiger und Ehrenamtlicher.
Einen Kampf hat er allerdings schon gewonnen: Seine „Berlinade“, eine in zwei Geschmacksrichtungen erhältliche Limonade, deren Verkaufserlös in alternative Projekte fließen soll, darf auch weiterhin so heißen. Die Klägerin Bionade scheiterte vor Gericht mit ihrem Vorwurf der Produktpiraterie.

Einen leckeren Birnen-Käsekuchen und viele Eindrücke später, in der Beobachtung des bunten, herzlichen Treibens auf dem Friedhofsgelände wird mir dann eines klar: Friedhöfe sind lebendige Wesen mit einem ganz eigenen Charakter.

Von freilaufenden Kaninchen und Diskriminierung

von HU-Blogger Christoph

Das Freizeitzentrum in der Kluckstraße ist ein Ort der Begegnung unterschiedlichster Menschen. FiPP, KomBi und Gladt – von einer Initiative zur Gartenarbeit mit Kindern, über eine Selbst-Organisation zur Hilfe bei Diskrimierung bis hin zu einer Fortbildungsinitiative für Lehrkräfte.

Wenn man in dem großen Garten in der Kluckstraße unterwegs ist, sieht man überall fleißige Gärtner_innen. Auch hinter mir raschelt es im Gebüsch. Sophia ist gerade dabei einen kleinen Graben auszuheben. Das aktuelle Projekt heißt „Bauerngarten“, wie ich erfahre.

Doch gibt es da ein kleines Problem: die freilaufenden Kaninchen. Wenn man etwas ernten will, muss also ein Zaun her. In Zusammenarbeit mit dem ‚Produktionsschule Sägewerk Grunewald‘ soll in dieser Woche ein traditioneller Lattenzaun gesetzt werden.

Bereits seit zwei Jahren läuft das Projekt „Wachsen lassen“, was man dem eindrucksvollen Garten ansieht. Das Angebot ist sehr vielfältig. Von der Arbeit mit Kleinkindern, dem Brotbacken im Lehmofen, über kleinere Gartenprojekte von Anwohner_innen bis zum Anbauen von Gemüse. Bei vielen kreativen Projekten hilft eine Künstlerin mit. So soll der neue Zaun auch später von den Kindern bemalt werden, erzählt mir Gabriele und ihre Augen leuchten dabei.

Gemeinsam Freizeit haben

Nicht weit entfernt hört man Kinder. Es wird gerade Fußball gespielt. Das Match wird kurz unterbrochen. Jan muss sich die Schuhe zumachen und Olé will einen Schluck trinken. Auch Jasmin spielt mit. Eine bunt gemischte Truppe eben.

Die großen Doppeltüren des Gebäudes stehen zum Hof hin offen, jede_r ist in den Räumlichkeiten willkommen. Einige Kinder sitzen und basteln, andere sind am Kicker aktiv. Es ist eine herzliche und vergnügte Atmosphäre.

Hier treffen sich vor allem Kinder und Jugendliche aus dem Stadtteil. Es ist ein Spiegel der Kulturen im Kiez. Ein Ort der Vielfalt, indem Menschen mit unterschiedlichen sozialen Herkünften, Sprachkompetenzen, geschlechtlichen Identitäten, Befähigungen und religiösen Anschauungen aufeinander treffen. Sicher nicht immer reibungslos.

Fotos: Gabriele Koll

Hilfe bei Diskriminierung – die Initiativen Gladt und KomBi

Im ersten Stock des Mehrzweckhauses sind die Initiativen Gladt und KomBi zuhause. Beide Organisationen setzen sich für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LSBT) ein.

Gladt ist die einzige unabhängige Selbst-Organisation, von türkeistämmigen LSBTs in Deutschland. Das Angebot richtet sich nicht nur explizit an queere Migrant_innen, sondern auch speziell an deren Angehörige und Freunde. Es werden kostenlose Beratungen zu zahlreichen Themen angeboten, die anonym und bei Bedarf auf verschieden Sprachen durchgeführt werden können.

Die Referent_innen sind unterwegs in unterschiedlichen Einrichtungen im Kiez, von der geschlechtsneutralen Erziehung in Kitas bis hin zu Gesprächsrunden in Seniorenresidenzen.

Entscheidend ist der Ansatz der Mehrfachdiskriminierung erläutert Tuğba, als eine der Projektkoordinator_innen. Die Betroffenen sind oft Opfer verschiedener Formen von Diskriminierungen, wie Homophobie, Rassismus oder Transphobie.

Die Organisation ist international aufgestellt, veröffentlicht Infomaterialien unter anderem dreisprachig und arbeitet momentan mit einer Gruppe aus Spanien zusammen.

Fortbildung von Lehrer_innen bei KomBi

Das Angebot von KomBi (Kommunikation und Bildung) richtet sich neben Schulklassen vor allem an Sozialarbeiter_innen, Erzieher_innen oder Lehrer_innen. In ein- bis zweitägigen Seminaren wird konkret zu Themen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt fortgebildet. Gefördert werden die Projekte im Rahmen der Abgeordnetenhaus-Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz Sexueller Vielfalt“. Dies geschieht im Rahmen der Bildungsinitiative QUEERFORMAT, einem Trägerverbund von KomBi und Abqueer (Aufklärung und Beratung zu queeren Lebensweisen).

Was kann ich als Pädagog_in gegen Diskriminierung unternehmen? Wie kann ich Jugendliche beim Coming Out unterstützen? Wie kann ich Themen sexueller Vielfalt angemessen in meiner Arbeit berücksichtigen? Auf diese Fragen wird in den Seminaren eingegangen.

Im letzten Jahr veranstaltete QUEERFORMAT viele Seminare für Pädagog_innen im Bezirk Mitte.

Bei ihrer Arbeit treffen die Mitarbeiter_innen nicht nur auf Gegenliebe, aber umso wichtiger ist die Sensibilisierung der Pädagog_innen für diese Themen.

Mein Besuch in der Kluckstrasse war ein interessanter Auflug in die Arbeit mit Kinder und Jugendlichen. Es wird bestimmt nicht der letzte gewesen sein, da es noch andere spannende Initiativen unter dem Dach kennenzulernen gibt.