Category Archives: Orte

Trash Deluxe: Eine Show mit Sternchen*

Geschrieben von HU-Gastbloggerin Paula.

Die Show "Wilder Westen, aber pc! Entdecke das Cow*dings in dir!", Fotografin: Elenia Depedro

Die Show “Wilder Westen, aber pc! Entdecke das Cow*dings in dir!” (18.1.2014), Fotografin: Elenia Depedro

Spaziert man die öde Monumentenstraße hoch, erwartet man eher einen rollenden Steppenläufer zu entdecken als schillernde Kleinkunstbühnen. Doch das ist den Kleinkunstbühnen egal. Sie glänzen trotz der Adresse und locken zahlreiche Zuschauer_innen in die Monumentenstraße: die Kultbühne Varieté Scheinbar und seit fast drei Jahren die Trash Deluxe, eine queere Drag-/Burlesque-Open-Stage in der Monumentenstraße 13.

Im zwei-Monats-Rhythmus, immer am dritten Samstag, geht der Vorhang auf:
Eine kleine Bühne, je nach Motto des Abends dekoriert. Mal sind es Venedigmasken, mal Sonnenblumen, mal glitzerne Vorhänge und die Maskottchen, die wie steinerne Löwen die Bühne flankieren:
zwei geflügelte Möpse.
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Vom Chorbuch zur Mensur

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Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität
Von HU-Gastblogger Henrik

Ein Hinterhof in einer Seitenstraße unweit der Potsdamer Straße in Berlin, der sogenannte Begas-Winkel. Zwischen neoklassizistischen Villen befindet sich das sogenannte Borussenhaus. Das Verbindungshaus ist der Mittelpunkt des Lebens einer Studentenverbindung. Genauer gesagt, der Studenten der Sängerschaft S! Borussia zu Berlin. Das Haus, welches seit 1961 im Besitz der Burschenschaft ist, wurde 1998 komplett saniert und bietet „neben repräsentativen Veranstaltungs- und Gemeinschaftsräumen auch großzügige, ruhige Studentenzimmer zu günstigen Konditionen“. Von außen sieht es abgesehen von einer Fahne und einem Wappen über der Tür nicht besonders aus. Am Klingelschild ist es dann schon eher Besonders: Die Zimmer haben Namen wie Pommern, Danzig oder Schlesien.

Doch was verbirgt sich hinter der Fassade ?! Continue reading

Grüner Ruheort in der Großstadt ohne Jogger und Hunde

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität
Von HU-Gastbloggerin Pamela

Auf dem Alten Zwölf-Apostel-Friedhof in der Kolonnenstraße summt es.

Die Kirschbaumallee steht kurz vor der Blüte, die vielen Bienen in der Luft scheinen nur auf diesen Moment zu warten. Das Summen kommt vor allem aus einer Richtung: An einem sonnigen Platz neben zwei Rhododendronsträuchern stehen Bienenstöcke mitten auf dem Kirchhof. Eine Imkerin aus der Nachbarschaft stellte sie hier auf.

Bertram von Boxberg, Verantwortlicher für Öffentlichkeitsarbeit der Kirchhofverwaltung, erklärt  mir, wie sehr er sich freut, dass der Friedhof von den Anwohnern des Schöneberger Kiezes wahrgenommen und für Spaziergänge genutzt wird. Continue reading

Meet The Magicians

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität

Von HU-Gastbloggerin Sophia

Ladies and Gentlemen,
meet the magicians!

Es ist ein lauer Mittwochabend. Schöneberger Ufer Nummer 61, direkt am Landwehrkanal. Die Straße ist wenig beleuchtet.

Man klingelt, dann öffnet sich die Tür. Durch das Vorderhaus, über den Hof, gelangt man in die Räume des magischen Zirkels. Ein Treppe höher befindet sich der Vorstellungsraum. Dunkel rote, samtige Vorhänge bedecken die Fenster. Gedämpfte Musik spielt im Hintergrund. Stühle, mit Platz für ca. 30 Personen, sind auf eine Bühne ausgerichtet. Vor dieser steht ein grüner Tisch. Die Bühne ist unbeleuchtet und wird das auch den ganzen Abend bleiben. Langsam füllen sich die Sitze, ganz voll wird es nicht. Die ersten Reihen sind jedoch besetzt. Hier hat man die beste Sicht. Dann geht das Licht aus. Die Musik spielt. Continue reading

Das Composers’ Orchestra flaniert durch Berlin

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität

Von HU-Gastbloggerin Natascha

“Bisher wurde Berlin vielleicht wirklich nicht genug geliebt. Noch fühlt man in vielen Teilen Berlins, sie sind nicht genug angesehen worden, um wirklich sichtbar zu sein. Wir Berliner müssen unsere Stadt noch viel mehr bewohnen.” – Franz Hessel

Es ist Freitag, 19 Uhr. Ich betrete den Jazzclub “Schlot” in der Invalidenstraße. Leere Tische und Stühle im dunklen Raum, die Bühne beleuchtet. Die Musiker bereiten sich für das am Abend stattfindende Konzert vor, spielen sich auf ihren Instrumenten ein. Aus einem Nachbarraum schallen Trompetenklänge. Sie erinnern mich an einen Film noir, in dem ein verwegener Einzelgänger Verbrecher bekämpft und das schöne Mädchen verführt. Es riecht nach altem Holz. Mir scheint, dieser Raum hätte in ganz ähnlicher Weise schon zu Franz Hessels Zeiten existieren können.

Als sich alle 15 Musiker versammelt haben, beginnt der Soundcheck des Composers’ Orchestra Berlin, das zu späterer Stunde sein Hörbuch erstmalig dem Publikum vorstellen wird: „Spazieren in Berlin“. –

DSC_2463Quelle: www.composersorchestraberlin.com

Es ist ein musikalisches und literarisches Projekt, in dem die Musik des Orchesters lautmalerisch, jazzig und frisch mit den poetischen Texten Franz Hessels über Berlin verschmilzt. Die Texte lassen das Berlin der 1920er Jahre aus der Sicht eines Flaneurs und Müßiggängers lebendig wiederauferstehen. Ob „Ort der tausend Lampenkörper“, „Vergnügungsdampfer mit Musik“ oder die Eindrücke aus dem Sportpalast – überall Berlin, wo es pulsiert, fiebert mit Lust und Verdruss.

„Flanieren ist eine Art Lektüre der Straße, wobei Menschengesichter, Auslagen, Schaufenster, Caféterrassen, Bahnen, Autos, Bäume zu lauter gleichberechtigten Buchstaben werden, die zusammen Worte, Sätze und Seiten eines immer neuen Buches ergeben.“ – Franz Hessel

Franz Hessel, wer war er? Er war ein Berliner. Er war Dichter, Romancier, ein Poet – und ein passionierter Flaneur. Geboren in Stettin als Sohn eines jüdischen Bankiers, zog er in frühen Jahren nach dem Tod seines Vaters mit Mutter und Bruder nach Berlin. Er war Übersetzer beim Rowohlt-Verlag und arbeitete dort unter anderem mit Walter Benjamin zusammen.

Die Musik scheint die alten schönen Bilder der Stadt mühelos ins Heute aufzunehmen. In uns entstehen so neue Muster, nach denen wir suchen möchten bei unserem nächsten Lustwandeln durch Berlin.

Als ich Hazel Leach, die musikalische Leiterin des Orchesters, in einer freien Minute zwischen Soundcheck und Auftritt erwische, bitte ich sie kurz zu mir. Ich möchte von ihr wissen, was dieses Projekt so reizvoll für sie und ihr Orchester gemacht hat: „Mein Freund Moritz von Rappard hat dieses Projekt ins Leben gerufen. Er hat Texte Franz Hessels über seine Eindrücke in der Großstadt Berlin ausgewählt und daraus ein Programm konzipiert. Diese Texte dienten uns als Orchester der Inspiration für unsere Musik. Zu jedem der insgesamt 10 Texte haben einzelne Orchestermitglieder Stücke komponiert. Ziel war es dabei, den vergangenen Zeitgeist in unserer Musik einzufangen und ihn gleichzeitig aber auch mit der Moderne, dem Hier und Jetzt, zu verschmelzen.“

Hessel_Franz                             Franz Hessel (vor 1910); Quelle: www.wikipedia.de
 

Gerade Franz Hessels wohl bekanntestes Werk “Spazieren in Berlin” vermittelt uns in seiner schlichten und sanften Art poetische Bilder, die Momente dieser liebenswerten Stadt für uns als seine Mit-Berliner festhalten – bestimmt zu überdauern die Zeit des noch kommenden, vernichtenden Krieges.

Gehen wir heute durch die Potsdamer Straße und bleiben dort, wo einst sich der Sportpalast befand, für kurze Zeit stehen, dann hören wir vielleicht die Stimme  von Franz Hessel:

„ Der Sportpalast hat eine eigene Schönheit während des Sechstagerennens und auch in manchen stilleren Nachmittagsstunden, wenn milchig blaues Tageslicht in die Brettbahn fällt.“

Wir lesen es und hören zu und es ist, als wären wir im Sog der Suche nach der verlorenen Zeit…

——–

Zum Hörbuch:
Franz Hessel: Spazieren in Berlin
Sebastian Weber und Composers’ Orchestra Berlin
1 CD | 53 Minuten
ISBN: 978-3-86847-181-6
http://www.buchfunk.de/shop/spazieren-in-berlin/
 

 

 

 

Und es gibt sie doch – Kiezstudenten

                                           Eine Antwort auf den Artikel                                                    ”Studentenwohnheim im Kiez, aber keine  Studenten

Geschrieben von HU-Gastbloggerin Christina

Meine Kumpels kommen gerne zu mir! Also kanns ja nicht so schlimm sein!“ sagt Max über sein Wohnheim und seinen Kiez. Max wohnt in dem riesigen, grauen Klotz – dem Studentenwohnheim in der Potsdamer Straße 61/63. Immer wieder hört man, dass die Studenten dort nur schlafen und sich sonst eher in Luft auflösen. Ein so extrem buntes Studententreiben, wie in Friedrichshain ist tatsächlich nicht auszumachen. Aber ist es wirklich wahr, dass die Studenten aus dem Kiez flüchten und nur für wenige Stunden zum Nächtigen zurückkehren?

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Die Wahl für das Wohnheim fiel nicht der Gegend wegen. „Es ist günstig, zentral und ich habe mein eigenes Bad – nicht immer selbstverständlich. Mein Umfeld habe ich erst mal ignoriert.“ sagt Max. Auch die Aussicht begeisterte und die fiel dann auch auf den Kiez. „Ich fühlte mich von Anfang wohl! Berlin ist hier ganz persönlich!

Im Kiez erkennt man sich, man grüßt sich und lächelt sich an: „Man gehört einfach zum Kiezbild.“ Und Max ist stolz dazuzugehören. Natürlich kennt nicht jeder jeden, aber die Menschen begegnen sich gegenseitig stets mit einer gewissen Offenheit.

DSCI0417Versuchen denn nun die Studenten ihrem heimischen Kiez aus dem Weg zu gehen? „Also der Supermarkt in der Nähe ist immer voll mit Studenten. Und woher will man wissen, dass es nicht draußen alles Studenten sind?“ antwortet Max. Recht hat er! Fakt ist allerdings, dass die Gegend nicht viele Partylocations beheimatet. Man wohnt und feiert einfach an zwei verschiedenen Orten. „Ich will ja auch nicht in der Party wohnen. In der Woche ist es hier schön ruhig. Es gibt keinen Terz.“ sagt er.

Natürlich hat aber auch der Kiez einiges zu bieten. Max: „Ich war früher ein paar Mal in der Potse – einem Jugendclub – bei Konzerten. Außerdem kann man hier an jeder Ecke sehr gut essen. Einige Bars sind auch ganz in Ordnung.“ Nicht zuletzt machen die zentrale Lage und die günstige öffentliche Anbindung den Kiez so attraktiv.

DSCI0414Sicherlich kann man nicht abstreiten, dass die Potsdamer Straße und Umgebung besonders in der Nacht auch mal seine unangenehme Seite zeigen. „Ab und zu gibt es Polizeisperren wegen Ausschreitungen in Clubs. Dann komme ich nicht durch und muss ewig diskutieren, dass ich hier wohne. Sowas braucht man nicht schön reden!“ sagt Max. Aber eigentlich stört ihn sowas weniger. Auch die Prostitution stellt für ihn kein Problem dar: „Die Frauen gehören einfach zum Kiezbild!“.

Das Studentenleben in der Potsdamer Straße ist abwechslungsreich, aufregend und niemals einsam. Die Straßen sind immer belebt und das Wohnheim bietet ein gewisses Gemeinschaftsgefühlt. Es werden Freundschaften zwischen Nachbarn geschlossen, es wird zusammen auf dem Balkon gegrillt und dabei die grandiose Aussicht genossen. Und zur Uni ist es auch nicht weit.

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Der Gegenbeweis ist also erbracht: Es gibt Studenten, die in und auch mit dem Kiez leben! Und nur weil sie sich nicht öffentlich zusammenrotten und die Cafés belagern, bedeutet dies nicht, dass es ein Kiez ohne Studenten ist!

WH Potsdamer Straße 61/63, 10785 Berlin

Und alle helfen mit

Von HU-Gastblogger Carsten.

Der 2003 gegründete, gemeinnützige Verein “Förderverein der Allegro-Grundschule e.V.” besteht aus Lehrern, Erziehern, Eltern und Freunden der Schule. Alle 56 Mitglieder arbeiten ehrenamtlich und auch die Kinder können sich aktiv einbringen. Die Mitglieder versuchen die pädagogische Arbeit an der Schule in allen Bereichen möglichst gut zu unterstützen und zu fördern. Dafür wurden mehrere Projekte und Aktionen ins Leben gerufen, denen noch viele weitere folgen sollen.

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Da die Allegro-Grundschule nur Gelder vom Staat über einen immer geringer werdenden Etat verwalten darf, wurde der Förderverein ins Leben gerufen. Dieser darf im Gegensatz zur Schule auch Spenden sammeln und damit gezielt Projekte mit Geldern außerhalb dieses staatlichen Etats finanzieren.

Der Verein beschränkt sich jedoch nicht nur auf Finanzielles. Ein ebenso wichtiger Bestandteil der Vereinsarbeit ist die aktive Beteiligung am schulischen Geschehen. Durch die enge Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern lässt sich der Lernweg der Kinder deutlich besser fördern. Ausdruck findet diese Zusammenarbeit z. B. in Form von Projekten zur Erlernung einer ausgewogenen Ernährung schon während der Schulzeit.

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Was wir sehen, was wir benennen, was wir erkennen

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität

Von HU-Gastbloggerin Natascha

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„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“
- Aristoteles (384-322 v. Chr.)

Der Mensch erschafft seine Wirklichkeit. Er schafft Räume, Stadträume und Straßen, die er mit Leben und Funktion erfüllt. Dieses unterhält er fortwährend, neu erschaffend und die Natur drumherum spricht hierbei kontinuierlich mit. Wie nach jedem Schöpfungsakt steht man davor, betrachtet es und will es beschreiben und verstehen. Hierbei wird man überflutet von einem Meer aus Zeichen, Begriffen, Sinngehalten, Objekten – und der Geist versucht alles zu einem klaren Gedanken zusammenzuschmelzen, fast schon zu einer geistigen Sinnlichkeit.

Der Mensch: Schöpfer und Interpret

Dieser Augenblick hat zur Bedingung, dass Zeichen, die Begrifflichkeiten und Objekte in einem klaren Zusammenhang zueinander stehen. Schon die Hochkultur der Griechen, vertreten durch Aristoteles und Platon, haben diese Entschlüsselung erkannt und in Form des sogenannten semiotischen Dreiecks verbildlicht. Seither steht die Semiotik für die Lehre von der Bedeutung der Zeichen als Grundlage des Denkens und der Kommunikation.

Im Konkreten: Das Hier und Jetzt

Nehmen wir Berlin mit seinen Großstadtstraßen und sehen wir im besonderen auf die Potsdamer Straße, erfassen wir die Materialität der Straße und fragen danach, wie die Dinge, die wir sehen, zu den Bildern führen, die von ihr in uns entstehen.

Diese Fragen stellte sich auch Eva Reblin in ihrer Dissertation „Die Straße, die Dinge und die Zeichen – Zur Semiotik des materiellen Stadtraums“. Sie untersuchte die Potsdamer Straße auf eine nie zuvor beschriebene Art: Wann und wie materielle Dinge einer solchen Großstadtstraße zu einer eigenen Bedeutung und zu einer bestimmten spezifischen Straßeninterpretation führen. Aus einer Anzahl von Leitfadeninterviews gelingt es ihr, vielschichtige Bedeutungslinien zu den hinterfragten Stadterscheinungen offenzulegen. Gemessen an der fast unbegrenzten Zahl der möglichen Interpreten, dem unendlichen Universum der Semiose, kann diese Analytik, wie auch Eva Reblin darlegt, jedoch nur unter einschränkenden Modellierungen und Hypothetik zu entsprechenden Ergebnissen führen.

Also, dann lassen wir doch die Dinge verspielt im Geiste treiben, ohne sie allzu sehr auf die Probe zu stellen.

Zum Buch:
 Eva Reblin
„Die Straße, die Dinge und die Zeichen – Zur Semiotik des materiellen Stadtraums“
Transcript Verlag, 1. Aufl., 464 Seiten
ISBN 978-3-8376-1979-9

Auf einen Kaffee mit Thomas Mann

Von HU-Gastbloggerin Angela

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Es ist gleich 19 Uhr. Engür Sastimdur, verantwortlich für “Konzeption und Kunst” im Café P103 Mischkonzern, zieht einen schwarzen Vorhang zu, der das Café mittig teilt. Ein Vorführraum entsteht. Eine dunkel gekleidete Dame bittet um Aufmerksamkeit und stellt das Abendprogramm vor. Vorher hatte sie noch jeden einzelnen Gast persönlich angesprochen und für den nun auf die Leinwand projizierten Film begeistert; es wird ein Dokumentarfilm über Werner Tübke gezeigt, einem Künstler der sogenannten Leipziger Schule. Über jene künstlerische Strömung erfahre ich an diesem Abend noch einiges, als ich mich mit Engür Sastimdur über das P103 unterhalte.

Engür Sastimdur möchte mit dem P103 einen Ort schaffen, der künstlerisches Potential fördert, der inspiriert. Der Raum nimmt sich dabei zurück, um der Kunst Platz zu geben. “Das Konzept beruht auf Klarheit,” erzählt er mir von seiner Vision. Die Einrichtung besteht folgerichtig aus gepolsterten Vintage-Sesseln und Tischen mit Sperrholzplattencharme; keine Deckchen, keine Kerzen, sondern Minimalismus in seiner gemütlichsten Form: die wunderschöne Jugendstil-Immobilie, 1894 erbaut, lange Zeit traditionsreiche Autorenbuchhandlung, Lesungen von Thomas Mann inklusive, wurde sorgfältig restauriert. Eine Stuckateurin legte die Deckenverzierung frei, die Wände wurden nicht überstrichen, sondern belassen.

Der Betreiber verfügt über viele Kontakte zu Kulturschaffenden, gerade auch zu Künstlern der Leipziger Schule; zu Jürgen Gustav Haase beispielsweise, von dem auch die Idee stammte, das Café mit dem Attribut “Mischkonzern” zu versehen. Denn im P103 Mischkonzern gibt es nicht nur Espresso und Kuchen, sondern auch Kunst: Vernissagen, Lesungen, Klavierabende, Filmvorführungen. Das Programm ist ambitioniert und vielfältig.

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Engür Sastimdur organisiert jene Veranstaltungen. Er akquiriert die Künstler nach dem  „Flaschenpostprinzip“, wie er es nennt. „Da muss man nicht mit Flyern oder Facebook kommen.“, weiß er. Persönliche Kontakte zählen. Und was ihm neben seinem großen Bekanntenkreis zu gute kommt: „Hinter einem Künstler stehen zehn weitere.“

Probleme, interessante Künstler für Veranstaltungen zu finden, hatte er schon früher nicht, als in seiner Taxizentrale (die es heute auch noch gibt) Vernissagen stattfanden: im Büro versammelten manchmal 200 Kulturbeflissene. Das P103 sollte sein zweites Standbein werden. Engür Sastimdur  und seine beiden Mitstreiter, die  Taxizentrale und Café mit ihm leiten, suchten fast zwei Jahre lang nach einem Ort für ihr Café. Als dann jene Immobilie in der Potsdamer Str. 103 gefunden war, sollte eigentlich gerade ein Mietvertrag für ein Objekt auf der gegenüberliegenden Straßenseite unterzeichnet werden. Den Jugendstil-Bau, in dem das Café nun zu finden ist, ließ man sich aber glücklicherweise nicht entgehen, Engür Sastimdur und seine Vertragspartner mieteten den Altbau in der Potsdamer Str. 103 spontan. Seit Mai 2013 exisitert das Café.

Vor hundert Jahren hatte Thomas Mann hier Lesungen. Heute betrachtet man staunend den Stuck und fühlt sich in die Kaffeehaus-Kultur der 20er Jahre versetzt. Wer inspirierende Gespräche und Einblicke in künstlerisches Schaffen sucht, bekommt hier, was das Herz begehrt – und guten Kaffee übrigens auch.

Potsdamer Str. 103 – Öffnungszeiten: 9 – 24 Uhr – Frühstück ab 10 Uhr – keine EC-Zahlung möglich

Die Gertrud-Kolmar-Bibliothek

Von HU-Gastblogger Ulrich

Die Gertrud-Kolmar-Bibliothek in der Pallasstr. 27 blickt auf eine über hundertjährige Geschichte zurück und gehört zu den wichtigsten Bildungseinrichtungen im Schöneberger Norden. Durch den Ausbau ihres interkulturellen Angebots konnte sie ihre Besucherzahlen in den vergangenen Jahren erheblich steigern. 2012 wurde ihre geplante Schließung vorerst abgewendet, ihr Erhalt ist jedoch weiter vom kommunalen Sparwillen bedroht. “Ist eine dezentrale Bibliothek in einem Gebiet wie dem Schöneberger
Norden notwendig? Ich sage ja, weil man nur hier Kinder und Jugendliche fürs Lesen gewinnen kann, nicht in den Zentralbibliotheken”, sagt Quartierst Bertram von Boxberg. Er empfiehlt auch unkonventionelle Massnahmen der Solidarität. 

 

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