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Alter St.-Matthäus-Kirchhof: Die Kunst öffentlich zu trauern

Von HU-Gastblogger Pascal

Wie geht man mit dem Tod und Trauer um? Diese Frage steht im Raum in einer Zeit, wo Tod und Trauer immer mehr aus der Gesellschaft verschwinden. Im Interview mit Dorothea Strauß, Pfarrerin, Aids-Seelsorgerin und Vorstandsmitglied des Vereins „denk-mal-positHIV e.V.“ ging es um den offenen Umgang mit dem Namen Verstorbener, Aids und dem Zusammenhalt einer Community, die sich mit der Frage aktiv auseinander setzt.

Der Verein führt zur Zeit einen künstlerischen Wettbewerb durch, wo Künstler Konzepte für die Erneuerung des Denkmals auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof vorlegen. Es ist eins von vier Denkmälern in Deutschland bezüglich Aids-Verstorbener, welches auf einer Grabstätte steht. Dieses Denkmal gilt als Ort für Trauernde, für Gedenkfeiern und für den offenen Umgang mit der Erkrankung Aids in Berlin.
Im Wettbewerb „Aids Kunst Grab“ müssen die Namen der Verstorbenen aktiv eingearbeitet werden. Niemand von den aktuell 44 Beigesetzten ist anonym bestattet worden.

1995 wurde in Hamburg die erste Grabstätte mit offiziellem Denkmal durch die kirchliche Aids-Seelsorge in Hamburg eingerichtet. Acht Jahre später kam Berlin unter Kirche positHIV dazu. Beide Grabstätten werden durch die dafür gegründeten Vereine „Memento e.V.“ und „denk-mal positHIV e. V.“ betreut.
2008 wurde die Urnengrabstätte in Frankfurt a. M. von der „AIDS-Hilfe Frankfurt e.V“ errichtet. Seit kurzem existiert auch in Köln eine solche Grabstätte, dessen Patenschaft die „Aidshilfe Köln“ übernahm.

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Die Wichtigkeit dieser Orte und ihrer Denkmäler wird deutlich, wenn man sich selbst mit den Tod auseinander setzt.
In der heutigen Gesellschaft ist der Umgang mit Trauer und dem Tod, mag es der zukünftige eigene oder der von Angehörigen sein, deutlich in den Hintergrund gerückt.
 Immer öfter will man die Pflege den Hinterbliebenen nicht mehr zumuten und durch die Vielfalt an Beerdigungsformen, von Erdbestattung bis Beerdigung im Friedwald, gestaltet sich diese Frage auch von einer traditionellen hin zu einer individuellen Aufgabe.

Eine Erkrankung wie Aids konnte besonders in den 90ern der Hintergrund  dieser Fragen sein. Dorothea Strauß erklärte hierzu:
„Früher gab es halt diesen Druck. Um es auch sozusagen abzuwägen wem sag ich’s und ich sag das halt meinen Freunden und wenn die nicht damit umgehen können, war’s das halt, dann sind das auch nicht gute Freunde. Ich möchte auch die letzte Zeit meines Lebens damit leben. Das hat halt diese letzte Zeit stark beeinflusst und stand im Vordergrund. […] Das ist halt heute nicht. Wenn ich HIV positiv bin, ist das ein Thema unter ganz vielen.“

In der „Zeit des großen Sterbens“, wie Frau Strauß es bezeichnet, war besonders für die jungen Erkrankten die Frage der Grabpflege eine schwierige. Die eigenen Eltern waren eventuell zu alt und Freunden wollte man dies nicht abladen. Aids wurde in der Öffentlichkeit aber auch verschwiegen. „Den Erkrankten wurden auch Familiengräbern verweigert.“, so erzählt sie. Die Lösung war ein anonymes Grab, aber weniger wegen der Anonymität, sondern mehr wegen der mangelnden Alternativen. Genau dabei schafft „denk-mal-positHIV e.V.“ in Berlin mit ihrer Grabstätte Abhilfe.

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Grabstätte mit gestifteter Sitzbank vor dem Denkmal

Die Menschen die sich auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof bestatten lassen tun dies aber auch durch Verbundenheit. Dorothea Strauß erzählte:
„Ich habe dort immer mehr Menschen die sagen ‚Ich möchte mal dorthin. Da liegen Freunde von mir.‘ Es ist ein Zugehörigkeitsgefühl zu der Aids-Community. Eine Frau sagte ‚Ich möchte es gern verfügen lassen und dort gern hinkommen, weil ich selbst schön finde dort auf dem Bänkchen zu sitzen. Es ist eine schöne Vorstellung: da sitzen noch mal Leute und denken dort an mich.‘“

Wer einmal dort beerdigt ist, dessen Name bleibt. Die Liegezeit der ersten Gräber von Aids-Verstorbenen laufen in kürze aus. Der HI-Virus und die Erkrankung Aids sind nun seit mehr als dreißig Jahren entdeckt worden. Im Wettbewerb sollen die Künstler daher die Namen Verstorbener im Fokus rücken, denn nach den Ablauffristen bleiben die Namen auf der Grabstätte erhalten.

Es geht genau darum: einen Ort des Gedenkens und der Trauer zu haben, in Verbundenheit mit der Aids-Community und den Verstorbenen in aller Öffentlichkeit. Im künstlerischem Wettbewerb „Aids Kunst Grab“ soll genau dies wieder einmal eine zentrale Rolle spielen.

Zeitläufte – 20. Juli

Grab Juli 20_01_kleinAm 20. Juli 1944 wurde Claus Graf Schenk von Stauffenberg gemeinsam mit Werner von Haeften, Albrecht Ritter Mertz von Quirnheim und Friedrich Olbricht im Hof des Bendlerblocks in der heutigen Stauffenbergstraße in Tiergarten exekutiert und auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in der Großgörschenstraße bestattet. Doch bereits am nächsten Tag befahl Himmler die Leichen zu exhumieren und zu verbrennen. Dann wurde ihre Asche über Berliner Rieselfelder verstreut. Weiterlesen

Die Bautzener Straße – eine unscheinbare Straße

Das Portrait ist entstanden im Rahmen des Winterkurses [“Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen”des Career Center der Humboldt Universität ]
Portraitiert von Sascha Lawrenz

Hier entlang: Die Bautzener Straße

Biegt man in die Bautzener Straße aus der Yorckstraße ein, so wird der erste Eindruck, den man gewinnt, auch der letzte sein, wenn man die Bautzener Straße über die Monumentenstraße wieder verlässt. Rechts Wohnungen, links nichts, außer Flächen voller Gestrüpp, dann Brache und die Gleisanlagen.

Die Bautzener Straße liegt direkt am Gleisdreieck. In dieser gibt es eigentlich nur Wohnungen, Geschäfte sucht man fast vergeblich – dennoch gibt es spannende Orte zu entdecken.

Auf den ersten Metern kann man noch auf den S-Bahnhof Yorckstraße heraufschauen, durch die Brachflächen hindurch – an diesem ruhigen Sonntag hört man sogar die Ansagen des Bahnhofspersonals. „Zurückbleiben bitte“, so schallt es in die Innenhöfe am Anfang der Bautzener Straße. Es klingt, als würde man vor den verwilderten Flächen vor den Gleisanlagen gewarnt werden.

Die zwei folgenden Innenhöfe, die man im Vorbeigehen streift, unterscheiden sich immens: Ersterer, etwas schmuddelig anmutend, wird am Zaun von unübersichtlich vielen Werbetafeln behangen, die mal einen Zirkus, mal ein Konzert, bewerben. Der Innenhof wirkt nicht einladend – im Gegensatz zu dem Anderen, der sich wenige Meter später anschließt: Unzählige Fahrräder, Kinderspielzeug und viel „Grün“, das Zwitschern von Vögeln lässt sich deutlich aus einer fast komplett mit Efeu bewachsenen Wand vernehmen. Es wirkt wohnlicher, auch gemütlicher.

Zwischen beiden Innenhöfen befindet sich ein Tantrastudio, hereinschauen darf man hier allerdings nicht. Das Fenster ist verhangen, sogar GoogleMaps blockiert dieses Haus mit einem grauen Schleier. Wie übrigens bei fast allen anderen kleinen Geschäften in dieser Straße auch. Nun ja, man möchte eben ein Geheimtipp bleiben.

Man trifft noch auf die Keramikgalerie, die auch Kurse anbietet, bevor man die  Großgörschenstraße, die die Bautzener Straße fast exakt halbiert, erreicht. Auf der anderen Straßenseite, wieder an den Gleisanlagen dran, liegt eine Autowerkstatt, die von weitem etwas improvisiert wirkt.

Apropros Autos: Allmählich festigt sich auch der Eindruck, es gebe hier zu wenige Parkplätze. Geparkt wird eher nicht StVO-konform, was aber auch nicht so sehr stört. Einfacher haben es wahrscheinlich diejenigen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind, was vermutlich unzählige Bewohner der Straße sind. Fahrräder stehen, liegen und lehnen hier an jeder Hauswand und jedem Verkehrsschild.

Der Bautzener Platz, der sich dann anschließt, stellt eine Verbindung zur benachbarten Hochkirchstraße her, allerdings nur für Fußgänger.

Recht mittig in der Straße gelegen: Der Bautzener PlatzRecht mittig in der Straße gelegen: Der Bautzener Platz

 

In der Bautzener Straße 14 findet sich ein Süßwarenladen – der Naschpirat, der eigenen Angaben zufolge wahre Fruchtgummischätze beherbergt. Hier werde ich einmal persönlich vorbeischauen, um mich von den Fruchtgummischätzen und der Exklusivität des Ladens zu überzeugen.

Am Ende angekommen, kann man fast problemlos in einen Recyclinghof der BSR hereinschauen. An der Monumentenstraße angelangt, führt links eine Brücke entlang, die über jene Gleisanlagen verläuft. Polizisten schreiben hier eifrig Knöllchen, zu viele falschparkende Autos stehen auf der Brücke. Von hier hat man einen guten Überblick, nur dieses Mal eben andersherum, links die Wohnstraße, rechts das unübersichtliche Gestrüpp vor den Gleisanlagen.

Von der Brücke an der Bautzener Straße / Ecke Monumentenstraße hat man einen Überblick

Poetische Potse – Teil 2 – literarischer Streifzug durch drei Jahrhunderte

Von Gastblogger Alexander Skrzipczyk
er studiert Germanistik und Philosophie an der TU

Fortsetzung vom 16. September 2011

Einige langbestiefelte Prostituierte hinter uns lassend, schweben wir, von Ostermaier und der U-Bahn hitzewallend energetisiert, die Kurfürstenstraße entlang. Vorbei am „Wartesaal der Poesie“, wie Hermann Kesten das Café Einstein Stammhaus nannte, das sich selbst als Intellektuellen-Hort stilisiert, bei Preisen, die mittlerweile nicht nur Künstler mit Lasker-Schüler-Budget einen Besuch erschweren. „Verliebt in Berlin“-Star Alexandra Neldel flankierte unlängst meinen Tisch. Aber so ist es wohl mit allen einst kultbehafteten Orten, Cafés oder Plätzen: Wenn die Aura verschwunden ist, wird sie als künstliches Simulakrum wiedergeboren, was meistens Zwecken der Geldwanderung dient. Überhaupt läuft der moderne Mensch permanent zu Zwecken der Individualisierung der Aura hinterher

Etwas weiter umwirbelt uns wieder etwas Echtheit. „Berlin ist eben keine Stadt, sondern ein trauriger Notbehelf“ schreibt ein „vermummter Herr“ in einem Brief. Derselbe, der von sich selbst sagt: „Im Übrigen, und das sage ich mit einem gewissen Stolz, ist im Augenblick kein Schriftstellername in Berlin verufener als der meine.“ Frank Wedekind hat von 1906-1908 im zerstörten Haus Kurfürstenstraße 125 seine Tochter Pamela zur Welt bringen lassen, und sicherlich auch Berührpunkte mit der Prostitution gefunden, die er später vor allem in „Lulu“ (1913) papierlich fixiert hat. Obszönität als geballter Angriff auf die bürgerliche Sexualmoral ist Wedekinds Waffe, die ihn nebst Verboten zum „verufensten“ König Berlins werden lassen. Themen wie sexuelle Aufklärung, Homosexualität und Sadomasochismus klagen in Werken wie „Frühlings Erwachen“ ihr Recht auf Rezeption ein, dabei das expressionistische Drama vorwegnehmend. Wedekind stirbt so, wie er gelebt hat: seine Beerdigung, bei der zahlreiche Prostituierte anwesend sind, gerät zum Skandal.

Am Lützowplatz überhängt uns tropfend die reinste Gräue, sodass der Eindruck entsteht, die alte mythische Angst der Gallier drohe sich zu erfüllen: dass uns der Himmel auf den Kopf fällt. Aber das rußig staubige Grau passt zu ihm: „Schornsteine stehn in großem Zwischenraum/ Im Wintertag, und tragen seine Last,/ Des schwarzen Himmels dunkelnden Palast.“, zu Georg Heym, der die vorigen Verse mit „Berlin III“ überschrieb. Apokalyptische Bilder werden mit formaler Durchkomponiertheit in Prosa und Gedichte gezwungen, die der ungestüme Heym, der sich selbst für noch „viel vitaler“ als Nietzsche, Kleist und Grabbe hält, am Schreibtisch zähneknirschend niederschreibt, wenn ihm die vom Vater aufoktroyierte „Scheiß-Arsch-Scheiß-Sau juristische Scheiße“ zum Halse heraushängt. Zwar wohnte Heym nicht am Lützowplatz, sondern in der unweiten Martin-Luther-Straße 5, doch der lastende Himmel und das städtische Umfeld vergegenwärtigen überzeugend den Expressionisten, der im Jahr 1900 nach Berlin kommt, und vergebens den lieben Gott sucht: „Gäbe es einen Gott, man müsste ihn an seinem Schlafrock auf das Schafott zerren für seine endlose Grausamkeit.“ Fündig wird der erratische Stadtjüngling schließlich doch, aber der liebe Gott hat sein heilig Antlitz imzuge der asthmatischen Industrialisierung gewandelt: „DER GOTT DER STADT //Auf einem Häuserblocke sitzt er breit./ Die Winde lagern schwarz um seine Stirn./ Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit/ Die letzten Häuser in das Land verirrn.// […] Das Wetter schwält in seinen Augenbrauen./ Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt./ Die Stürme flattern, die wie Geier schauen/ Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.// Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust./ Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt/ Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust/ Und frisst sie auf, bis spät der Morgen tagt.“

Heym notiert bisweilen seine Träume, bisweilen spielen sie im Tiergarten mit seinen Flüssen und Seen, immer haben sie eine existentielle Dimension: „Ich stand an einem großen See, der ganz mit einer Art Steinplatten bedeckt war. Es schien mir eine Art gefrorenen Wassers zu sein. Manchmal sah es aus wie die Haut, die sich auf Milch zieht. Es gingen einige Menschen darüber hin, Leute mit Tragelasten oder Körben, die wohl zu einem Markt gehen mochten. Ich wagte einige Schritte, und die Platten hielten. Ich fühlte, dass sie sehr dünn waren; wenn ich eine betrat, so schwankte sie hin und her. Ich war eine ganze Weile gegangen, da begegnete mir eine Frau, die meinte ich sollte umkehren, die Platten würden nun bald brüchig. Doch ich ging weiter. Plötzlich fühlte ich, wie die Platten unter mir schwanden, aber ich fiel nicht. Ich ging noch eine Weile auf dem Wasser weiter. Da kam mir der Gedanke ich möchte fallen können. In diesem Augenblick versank ich auch schon in ein grünes schlammiges, Schlingpflanzenreiches Wasser.“ träumt Heym am 2. Juli 1910. Nicht einmal zwei Jahre später, am 16. Januar 1912 bricht er, beim Versuch einen Freund zu retten, auf der Havel beim Eislaufen ein – und ertrinkt. Heym, der Sänger der gesellschaftlichen Apokalypse, antizipiert seine eigene, die doch mit der Erlösung endet, wenn er den eisigen Julitraum enden lässt: „Doch ich gab mich nicht verloren, ich begann zu schwimmen. Wie durch ein Wunder rückte das ferne Land mir näher und näher. Mir wenigen Stößen landete ich in einer sandigen, sonnigen Bucht.“

„Es schwimmt eine Leiche im Landwehrkanal“ avanciert in den 1920er Jahren zum Berliner Gassenhauer, der die suizidale Verzweiflung der armen Nachkriegsbevölkerung paraphrasiert und natürlich an den Tod Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts erinnert, die am 15. Januar 1919 im Berliner Grandhotel Eden, dem Stabsquartier der Garde-Kavallerie-Schützendivision, eingeliefert undumgebracht wurden, und schließlich in den Landwehrkanal geworfen wurden. „Die Sau muß schwimmen“ – hieß die Parole. Wir stehen am Geländer des Kanals, wo ein metallener grauer Schriftzug mit Luxemburgs Namen ihren Fall als Monument wiederholt. Aus dem Gefängnis schreibt sie: „So ist das Leben und so muss man es nehmen, tapfer, unverzagt und lächelnd – trotz alledem.“ Zustimmend nickend lassen wir Rozalias Konterfei der Schwerkraft folgend in den Kanal propellern und wechseln die Wasserseite.

Jetzt sitzen wir von Zoogeruch umspielt am südlichen Beginn des menschendurchfluteten Tiergartens. „Ich gehe im Tiergaren spazieren und denke an Bismarck oder an eine Berliner Schrippe oder an einen Spritzfleck auf meinem Stiefel und da fällt mir was ein“ antwortet Theodor Fontane zur Technik seines künstlerischen Schaffens. Sein Zeitgenosse Gottfried Keller dichtet im Tiergarten: „Ich bin ein Fremder hier zu lande,/ Doch dieser Hain erfreut mein Herz“, was verständlich ist, da er sich erfolgreich hier vor der ständigen Bespitzelung durch die Polizei im Unterholz verbergen kann. Selbst schon die auf dem nahen Schöneberger Alten St. Matthäus Kirchhof begrabenen Gebrüder Grimm wissen den grünen Ruhepol zu schätzen. Wilhelm schreibt 1841 „Daß ich meinen Spaziergang machen kann, ohne die geräuschvolle heiße Stadt zu berühren, ist auch etwas wert.“

Ganz unbeschreiblich wird uns unser Zeitenfasching durch den Naturalisten Arno Holz erleichtert, der wohl oft den Tiergarten durchstreift, und dabei Ästhetik treibend zu Forderungen, wie „Kunst = Natur – x“, gelangt. Und wo böte es sich besser an, die Gedanken auch in die Tat umzusetzen, als in der Natur selbst. Folgerichtig setzt sich Arno im Jahr 1898 auf unseren Schoß und dichtet sein Gesichtsfeld ab: „Brücke zum Zoo// Im Tiergarten, auf einer Bank,/ behaglich,/ ein Knie über das andere, bequem-nachlässig zurückgelehnt,/ sitze ich/ und rauche und/ freue mich über die Vormittagssonne!// Vor mir,/ glitzernd, der Kanal:/ den/ Himmel spiegelnd, beide Ufer/ Leise schaukelnd.// “ All das Glitzern können wir auch sehen, aber heute kommen uns fortwährend Japaner, Kinderwägen und Hunde über das Brücklein entgegen. „Arno, bist du sicher, dass du das wirklich siehst?“ fragen wir ihn, nachdem er fortführt: „Über die Brücke, langsam Schritt, reitet ein Leutnant./ Unter ihm,/ zwischen den dunkelen, schwimmenden, blütenkerzigen/ Kastanienkronen,/ pfropfenzieherartig,/ ins Wasser gedreht,/ den/ Kragen siegellackrot,/ sein Spiegelbild.//“

Er gibt uns Feuer und genüsslich frühabendlich rauchend, verschwinden doch die Halluzinations-Vorwürfe gegen ihn, wenn er – ganz wie wir – weiter beobachtet: „Aus den hohen Uferulmen/ Schmettern die Finken,/ vom nahen/ Zoo,/ erfreulich ohrenbeleidigend, metallischschrillgell,/ markdurchdringlich,/ verliebt./ Erhebt sich ein Affengekreisch;/ Ein ganz/ Wahrhaftiger/ wahrer und wirklicher/ Kuckuck,/ irgendwo, hinter mir,/ siebenmal,/ ruft.“