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„from the basement“ – hervorgeholt von Anita Staud

Seit Ende 2011 bespielt die Künstlerin Anita Staud zur Zeit leerstehende Gewerberäume in der Nestorstr. 36,10709 Berlin. Was hat das mit der Potsdamer zu tun?

Anita Staud: „Zwischen 1995 und bis Juni 2010 hatte ich mein Atelier im Innenhof des früheren Tagesspiegelgeländes in dem ehemaligen Anton-von-Werner- Haus. Aufgrund von Zwangsversteigerung des Geländes musste ich diesen Ort verlassen und fand mich wieder in Charlottenburg, ganz nah am Schloss. Ich entdeckte mein neues Umfeld als viel schöner und wunderte mich nur, im Bezirk einem Phänomen zu begegnen, mit dem ich in der Anfangszeit in der Potsdamer auch konfrontiert war: dem Ladenleerstand.

Klar, Mitte ist interessant, Friedrichshain voller junger Leute, die Potsdamer jüngstes Zentrum der Kunstszene, aber in Charlottenburg kann man in Ruhe durchatmen und Wilmersdorf ist auch ganz entspannt. Museen, historische Straßenfassaden, Cafés und Restaurants, Gewerbe in erreichbarer Nähe…Was könnte besser sein für das Entstehen von Kunst?
Und doch, überall sieht man über längere Zeit großräumigen Leerstand im Vorbeifahren: Die Ecke an der Kantstrasse z.B., wo früher ein Goldschmied sein Domizil hatte, am Lehniner Platz…
Durch diese Beobachtungen entstand mein Konzept:
Die leer stehenden Läden oder Gewerberäume sollten zur kulturellen Bereicherung dieses alteingesessenen Wohngebiets wieder belebt werden!

Wie sonst, wenn nicht durch die Kunst?“

Glücklicherweise macht sie auch noch Projekte im Umfeld der Potsdamer Straße, dazu später mehr. Doch zunächst in den Westen:

Neuer Projektraum in Charlottenburg-Wilmersdorf: Nestor 36 !
Mittwoch, den 28.3.2012 von 19 bis 22 Uhr wird als 2. Ausstellung die Einzelausstellung von Anita Staud eröffnet:
„from the basement“, der Titel nach einer LP von Jan Akkermann
Bilder von Anita Staud von 1990 bis 2011 aus dem Lager des Geschäftshauses von Zumholz, im Vorwende-Berlin der größte Schallplatten- und HiFi-Laden Berlins.

Zur Künstlerin:
„Anita Staud arbeitet bevorzugt an Orten mit Geschichte, dies kann eine Kaserne /Panzerhalle ebenso sein, wie ein verlassenes Krankenhaus. Dies können Orte in anderen Ländern ebenso sein, wie die unmittelbare Umgebung der Künstlerin. Fundstücke von diesen Orten sind zumeist ‚gebrauchte’ Papiere, wie alte Rechnungen oder Inventarlisten, aber es kann auch ehemals brisantes Material gefunden werden, wie z.B. Karteikarten und Abhörberichte ehemaliger DDR-Grenztruppen. All diese Fundstücke werden mit skripturalen Tusche- zeichnungen überarbeitet. So entstehen ganze Werkzyklen, die diesen Ort dokumentieren und gleichsam in eine freie künstlerische Ebene transportieren. Diese ‚Zeichen’ finden sich auch auf Anita Stauds freien (ortsunabhängig) entstandenen Bildern wieder, oftmals gleichsam als Ergebnis eines vorangegangenen Arbeitsprozesses der entstandenen Werkzyklen auf Papier.“ (C.Gerner, Kunsthistorikerin)

Öffnungszeiten und weitere Informationen : 
Sonntags 17 – 19 Uhr und individuell nach telefonischer Absprache 
0173/787 55 05 oder per Mail: [email protected]
Der Ort: Nestorstrasse 35, 10709 Berlin

– Die 2. Ausstellung im Projektraum Nestor 36 entstand in Kooperation mit der Zumholz Grundbesitz Verwaltungs GmbH, der Kunstwerkstatt, Concept Berlin und der Galerie Kuhn und Partner.  (Und diese Galerie ist ja an der Potsdamer Straße, genau gesagt: in der Pohlstraße)

„Verbindungslinien II “

Eine künstlerische Intervention
in der 12-Apostel-Kirche

von Anita Staud

Anita Staud

Die Idee zu einer Ausstellung in der 12 – Apostel – Kirche als der zweiten Station einer Ausstellungsreihe an sakralen Orten entwickelte sich seit 2010 im Dialog zwischen Pfarrer Dr. Andreas Fuhr und der Künstlerin, die ihr Atelier von 1995 – 2010 in der ersten Etage des Anton – von – Werner – Hauses im früheren Innenhof des Tagesspiegels hatte. Durch vielfältige künstlerische und pädagogische Projekte im Stadtteil bestand über Jahre hinweg enger Kontakt zur 12 – Apostel – Gemeinde so wie auch zur Grips-Grundschule.

Eröffnung: 4. September 2011 um 12 Uhr
Garten des Gemeindehauses
Zwölf-Apostel-Gemeinde
An der Apostelkirche 1, 10783 Berlin

Verbindungslinien I - Kreuzkirche Schmargendorf

Der Begriff „Verbindungslinien“ entstand schon bei der ersten Ausstellung dieser Reihe in der Kreuzkirche Schmargendorf. Hiermit beschrieb Pfarrer Wolfgang Wagner die Kommunikation und die ersten Skizzen während der künstlerischen Arbeitsphase von Anita Staud im Sommer 2008 in der Kreuzkirche: im spirituell vorgeprägten Raum ermöglicht eine kalligrafische Bahn abstrakte Variationen zu Materie und Geist, Kunst und Religion… und zu noch weiteren gegensätzlichen Prinzipien der menschlichen Existenz…

Anita Staud - Kreuz und Quer

“Anita Staud bevorzugt für ihre künstlerische Arbeit wechselnde Örtlichkeiten, arbeitet mit Stimmungen und Atmosphäre, spürt Lebensräumen und Wirkungsstätten nach und übersetzt ihre Wahrnehmung in Gesten, die sie aufs Papier oder auf die Leinwand bringt. Sie wählt dabei historisch interessante Orte, Orte mit Geschichte und Geschichten. Das Auskundschaften, Sich-dort-Niederlassen, Sich-darauf-Einlassen ist Teil der Arbeit und geht dem künstlerischen Handeln voraus. Fundstücke wie Papiere, Grundrisse, alte Rechnungen oder Inventarlisten werden mit skripturalen Tuschezeichnungen überarbeitet und lassen so ganze Werkzyklen entstehen, die bestimmte Orte dokumentieren und in eine freie künstlerische Ebene transportieren.” (nach C. Gerner)

Verbindungslinien I

„Die in Berlin geborene Künstlerin studierte nach einem Studium der Germanistik von 1987 bis 1991 an der Hochschule der Künste Berlin Malerei bei Prof. H.- J. Diehl und wurde 1994 seine Meisterschülerin. Anita Staud stellt seit 1987 in zahlreichen nationalen und internationalen Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen aus. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und beteiligte sich an internationalen Austauschprogrammen.“ TU Berlin, Pressestelle

Luise

So gut kannte ich Luise nicht. Hatte nur sporadisch mit ihr zu tun.

Luise

Dennoch war sie für mich ein ganz warmer, ruhender Pol im Frauentreff Olga in der Kurfürstenstraße. Nachdem wir uns kennen lernten, blieben wir lange beim „Frau Frank“ und „Frau Wosnitza“. Ich duze Menschen schnell. Doch hier wurde mir ein langsames Annähern angeboten, das dennoch viel Offenheit ausstrahlte.

Im Frauentreff erinnere ich Luise, wie sie neben oder hinter dem Tresen stand. Sie war immer ansprechbar, gab Antworten, Hilfe, Essen, Kondome – je nachdem, was gerade gebraucht wurde. Mit ruhiger, zugewandter Stimme. Dennoch klar und bestimmt, in dem was sie ausdrücken wollte. Oder eben fragend, wenn sie selbst noch nicht ganz klar über etwas war.

Luise - Zeichnung von Anita Staud

Candy - Zeichnung von Anita Staud

Immer mit dabei: Candy. Ihre strubbelige, vierbeinige Begleiterin. Hier und auf der Straße. Zum Beispiel beim Straßenfest, beim internationalen Hurentag. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen war Luise daran gelegen, präsent zu sein und auch mit den AnwohnerInnen über die Situation auf dem Straßenstrich ins Gespräch zu kommen.

Kreative Hilfe gab Luise meines Wissens in zweierlei Hinsicht. Zum einen arbeitete sie mit der Künstlerin Anita Staud am Projekt Dreamvision. Aus den ersten Anfängen, in denen Anita Staud die Frauen in einem Skizzenbuch portraitierte, hat sich inzwischen ein Kunstprojekt entwickelt, das an anderer Stelle vorzustellen ist. Doch Luise ermunterte die Frauen schon früh auch in der Öffentlichkeit zu malen. Sie ging mit zum Kiezmosaik und schuf selbst Kleinode.

Luises Zeichnung am Kiezmosaik

Luises Zeichnung am Kiezmosaik

Luises Zeichnung am Kiezmosaik

Als ich diese sah, bezog ich die Düsterheit auf ihre Arbeit und die Situation der Frauen, die sie betreute. Denn Luise war für mich heiter, gelassen, wie der ruhige Pol in der Brandung, verlässlich und unbedingt vertrauenswürdig.

Aktiv beteiligt war Luise auch, als es im Vorfeld der richterlichen Vor-Ort-Begehung im Sexkaufhaus LSD darum ging, ein Zeichen zu setzen, dass dieses hier nicht erwünscht sei. Sie hatte die Anliegen der Prostituierten im Blick. Diese an dem Tag, wo ein Mediengewitter zu erwarten war, auf die Straße zu schicken, fand sie keine gute Idee. Dann schrieb sie: mir fällt gerade ein, dass wir hier seit Wochen Unterschriften contra Laufhaus von den Frauen gesammelt hatten. Es sind zwar nur 35 Unterschriften – aber immerhin. Könnten diese von Interesse für den 19. Mai sein? Diese Information gaben wir vom Quartiersrat Magdeburger Platz dann an die Richterin und die Presse weiter. Und ja, es war von Interesse.

Unerwartet bescherte ich Luise eine große Freude. Im Rahmen der Charme Offensive Potsdamer Straße wurden für die Broschüre Statements gesucht. Meine Anfrage, ob nicht auch einige Frauen etwas schreiben könnten, nahm sie gerne auf. Und dann kam diese Mail zurück: habe Deine Mail gelesen und bin ganz platt, dass Du Joy Markert kennst?! Das ist ja wohl mein absoluter STAR-HÖRSPIEL-Auto! Für den versuche ich gern “charmante Statements” zu erhaschen.

Und noch eine weitere Begegnung bleibt mir in lebendiger Erinnerung. Im Quartiersmanagement Schöneberger Norden stellte Luise ein Brettspiel vor, mit dem im Frauentreff Olga die Besucherinnen auf die Gegebenheiten im Kiez aufmerksam gemacht werden sollten. Wo sind die Kindergärten, wo die Kirche, wo die Moschee – bitte nicht direkt davor stellen. Dazu gab es ein Frage und Antwortspiel in mehreren osteuropäischen Sprachen, das die Frauen über ihre rechtlichen und gesundheitlichen Rechte und Pflichte in Deutschland und im Zusammenhang mit ihrer Arbeit aufklärte. Bei der Vorstellung war Luise noch ganz aufgeregt, denn sie hatte das ursprüngliche Brett verloren. Das war ihr ganz arg. Sie hatte ein neues gemacht. Glücklicherweise waren die Spielfiguren nicht verschwunden. Eine Goldschmiedin, Freundin von Luise, hatte Frauen kreiert, circa drei Zentimeter groß. Alle individuell und als Prostituierte zu erkennen.

So wie ich sie kennen lernte, waren es diese kleinen Details, die Luise wichtig waren. Bei der Kreation eines Brettspiels ebenso wie im wirklichen Leben bei der detaillierten Aufmerksamkeit, die sie Menschen entgegen brachte.

Luises GrabVor drei Monaten nahm sich Luise das Leben.

Ihr Grab auf dem Friedhof der Luisenstadt Gemeinde ist mit Torf bedeckt und eingefasst mit weißen Steinen. Eine liebevolle letzte Ruhestätte.

Hinter dem Grab steht ein Baum. Der eine Ast ist knorrig, das Holz mit Borke umfasst. Der andere ragt gerade in den Himmel, das Holz ist kahl und ungeschützt.

Heute ist der 100. Internationale Frauentag. Ich möchte an die wunderbare Luise erinnern.

Wie gesagt, so gut kannte ich Luise nicht. Jetzt bin ich glücklich über jede Begegnung, die ich mit ihr haben durfte.

Friedhof der Luisengemeinde