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Skulpturen schaffen, um Raum zu gewinnen – Bettina Lüdicke erzählt in ihrem Atelier in der Pohlstraße 11 von ihrer künstlerischen Arbeit

Dieser Beitrag ist Teil des Artikels: Kunst an der Potsdamer Straße. Begegnungen mit Künstlern, Galeristen und Besuchern.

von Christian Kaiser

Als ich zum ersten Mal an den U-Bahnbögen der hofartigen Grünanlage in der Pohlstraße 11 entlang ging, um zu sehen, welche Künstler hier tätig sind, spielten drei Kinder vor dem Jugendtreff gleich neben dem Torbogen, die mich, kaum dass sie mich sahen, ansprachen und neugierig wissen wollten, was ich denn hier suche. Ich fragte sie, ob es denn hier in der Pohlstraße 11 Ateliers gäbe. „Aber klar“, antworteten sie, „kommen Sie mal mit!“ Und schon liefen sie voran, ich hinterher, bis wir vor den Fenstern einiger Werkstätten stehenblieben. Es war allerdings kein Künstler da, die Werkstätten waren geschlossen. „Was wollten Sie denn von denen?“, fragten mich die Kinder. „Ein Gespräch mit ihnen führen, über ihre Kunst sprechen.“ „Wollen Sie da nicht lieber mit uns sprechen? Wir malen nämlich auch! Wollen Sie mal sehen?“ Und zurück liefen sie in ihren Jugendtreffpunkt, kamen wieder heraus und zeigten mir stolz drei große selbstgemalte Osterbilder mit Eiern, Schleifen und Gräsern. „10 Euro!“, riefen sie. Doch da kam die Leiterin des Jugendtreffs herbei, verwickelte mich in ein Gespräch und die verkaufsbegeisterten jungen Künstler zogen ab.

Atelier Bettina LüdickeAn einem kühlen Montag Mittag im März bin ich dann mit der Bildhauerin Bettina Lüdicke verabredet, die sich vor acht Jahren ihr Atelier in einem dieser sonnenbelichteten Gewölbe unter der U-Bahnlinie 1 in der Pohlstraße 11 eingerichtet hat. Lächelnd empfängt sie mich an der Tür ihres Ateliers und bittet mich herein. Wir setzen uns an einen kleinen weißen Tisch und ich sehe mich erst mal um.

Die rechte Seite des Raumes ist wohl ihr Arbeitsbereich, hier steht jedenfalls ihr Zeichentisch, hier lagern ihre Materialien, während den größeren Teil des Raumes linkerhand fertige oder zumindest fast fertige Skulpturen einnehmen, die auf weißen Podesten stehend den Blick des Betrachters einfangen.

Bettina Lüdicke, Schattenrot

Bettina Lüdicke, Schattenrot, 2012, 42x42x30cm,
Foto: Bettina Lüdicke

„Meine Arbeiten kann man als Zeichnungen im Raum sehen“, erläutert mir Bettina Lüdicke. „Diese metallischen Linien, die ich verwende, umschreiben einen Raum, bilden aber auch gleichzeitig einen Körper. Es geht mir darum, die Welt nicht immer weiter mit Masse zu füllen, sondern Skulpturen zu schaffen, um Raum zu gewinnen.
Damit das Offene sichtbar wird, muss ich andere Teile verdichten und schließen. Diese verdichteten Partien bringen auch eine Dynamik hinein, je nachdem, in welche Richtung diese Linien gespannt sind oder ob sie kreisförmig oder spiralförmig verlaufen.
Die Arbeit besteht aus Linien und Punkten und aus einem ständigen Kreisen, von dem kleinsten Punkt bis zur größten Form, so dass letztlich offene Räume entstehen, die durchlässig und transparent sind, in die man von allen Seiten schauen kann.“

„Im Studium machte jeder Student eine Abformung vom eigenen Oberkörper. Als ich die Abformung dann in der Hand hatte, ist mir aufgefallen, dass der Blick hinein viel interessanter war als der Blick von außen! Mein eigener Oberkörper war mir von der anderen Seite her gesehen unbekannt, das führte zu einer ganz anderen Welt.“

Bettina Lüdicke, Besucher 4

Bettina Lüdicke, Besucher 4, 2011, 70x40x38cm,
Foto: Bettina Lüdicke

„Meine Arbeit braucht einen Betrachter, der um das Werk herumgeht und wirklich hineinguckt und sich fragt: Was sehe ich denn da?
In einer Skulptur gibt es immer Achsen, verschiedene Richtungen: Ein bestimmter Punkt, die Spitze einer Form deutet ja auf eine Vertiefung einer anderen Form. Die eine Form antwortet auf die andere, es ist ein Dialog zwischen verschiedenen Teilen.
Eine für mich spannende Frage ist es, wie ein an sich fremdes Teil, ein Fundstück oder ein farbiges Segment, eine Verbindung mit einem Raum eingehen kann. Was passiert dann zwischen beiden Formen? Da gibt es dann auch einen Raum dazwischen, wo sie sich noch nicht berühren, aber doch gegenüberstehen. Ab wann fängt dann die Spannung an?“

„Nach dem Studium habe ich erst mal gedacht, weg von diesen ganzen feinen Sachen, jetzt mal was ganz Schweres, also das genaue Gegenteil.“ Sie zeigt mir ihre ersten Arbeiten, verborgen in einer Nische hinter einer Pappwand: schwere Steine, Marmorblöcke usw.

Studiert hat Bettina Lüdicke zunächst Design und Textildesign, bevor sie einen künstlerischen Studiengang zur Textilgestaltung an der Hochschule der Künste in Berlin besuchte. „Ich konnte mich dort frei entfalten, weg von der Anwendung hin zur Kunst. Das Wissen um Textiles habe ich natürlich im Gepäck gehabt. Die älteste Form des Verbindens ist ja das Wickeln, dass man zwei Teile zusammenlegt, überkreuzt und darum etwas wickelt. Auf diese Weise werden ja auch immer noch die Gerüste in Asien gebaut, mit Bambusstäben. So bin ich auf diese Methode gekommen, mit der ich eine Form von innen heraus entwickeln und auch sehen kann. Anfangs waren die Arbeiten zwar noch viel statischer, aber bei diesem Material (Kupferlegierung) bin ich geblieben.“

Neben ihrer eigentlichen künstlerischen Arbeit kümmert sich Bettina Lüdicke auch um die Präsenz ihrer Kunstwerke in Ausstellungen. Über ihre beiden, übrigens nicht in Berlin ansässigen Galerien, die sie vertreten, verkauft sie ihre Kunstwerke, vor allem, so ihr Eindruck, an Menschen, die sich schon lange mit Kunst beschäftigt hätten. Mitunter hat sie die Gelegenheit, sich ihre eigenen Kunstwerke im Hause eines Käufers anzuschauen: „Ich habe mich manchmal schon sehr gefreut, wenn eine Arbeit einen richtig guten Platz in einem Haus gefunden hat. Wenn man denkt, genau da passt diese Arbeit toll hin, und wenn ich dann auch von den Leuten höre, dass sie damit glücklich sind und gerne damit leben, ist das schön! Das freut mich natürlich.“

Von einem aktuellen Kunst-Boom spürt Bettina Lüdicke allerdings wenig. „Es gibt vielleicht ein paar wenige, die davon profitieren. Es wird eher ein Rahmen geboten für Leute, sich unterhalten zu lassen. Aber wer kauft denn dann wirklich die Kunst? Ich sehe da viel Show und Entertainment.“

Auf das Verhältnis zwischen Vermarktung und künstlerischem Schaffen angesprochen, hat sie eine klare Meinung: „Ich wüsste schon, was man tun müsste, um am Markt anzukommen! Aber das kann ich selber doch nicht machen! Da würde ich mich doch selbst belügen.“
Denn, so betont sie zum Ende unseres Gespräches, es ist doch „die Freiheit, schöpferisch zu arbeiten und weitgehend unabhängig zu sein“, auf die es ihr ankommt.

 

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