Von HU-Gastbloggerin Nadine Arndt
An einem grauen, regnerischen Tag mache ich mich auf den Weg in den äußersten Norden Schönebergs – dort, wo hinter der Yorckstraße das Gleisdreieck schon auf Kreuzberger Gebiet liegt.
Vom U-Bahnhof Yorckstraße kommend, laufe ich in Richtung Schöneberg und biege nach kurzer Zeit links in die Mansteinstraße ein. Auf der rechten Seite empfängt mich in martialischem Rot-Schwarz das Schaufenster eines Waffenhandels. Militarismus liegt mir nicht und ich gehe schnell weiter.
Die Mansteinstraße ist noch kürzer als ich es nach dem Blick auf den Stadtplan vermutet habe: ein typisches Berliner Nebeneinander von schönen Gründerzeithäusern mit ihren schmiedeeisernen Balkons und wenig auffälligen, schmucklosen Häusern jüngeren Datums.
Mansteinstraße
Die traditionsreiche Spirituosenhandlung Leydicke in der Mansteinstraße Nr. 4 hat an diesem Samstagmorgen noch geschlossen – schade, ich hätte mich dort gerne einmal umgesehen. Daher begnüge ich mich damit, trotz des Regens meine Kamera auszupacken und ein paar Schnappschüsse zu machen.
Auf der anderen Straßenseite eine unauffällige Fahradwerkstatt, dort war einige Jahre die Heimat des berühmt-berüchtigten „Ex’n’Pop“ – einer wahren Institution des West-Berliner Nachtlebens der 80er Jahre. Iggy Pop und David Bowie sollen dem Vernehmen nach häufig hier gwesen sein, die Einstürzenden Neubauten und Nick Cave, Ben und Meret Becker. Im Jahr 2000 mußte es dann wegen Sanierungsarbeiten schließen.
Inzwischen gibt es in der Potsdamer Straße wieder eine Kneipe gleichen Namens, die Myspace-Seite des alten Ex’n’Pop trägt zur Unterscheidung den Namen „Das echte Ex’n’Pop“. Ein bißchen melancholisch bin ich jetzt schon – als ich 1995 das erste Mal in Berlin war, gab es viele Horte des West-Berliner New Wave- und Punk-Undergrounds entweder schon gar nicht mehr oder sie hatten sich bis zur Unkenntlichkeit verändert wie etwa das „Linientreu“ an der Budapester Straße das erst mit Wave und Punk, später aber mit Techno-Parties berühmt wurde.
Vom Ende der Straße höre ich laute Stimmen und will nachsehen was dort los ist. Deswegen passiere ich den einzigen Farbklecks in der Mansteinstraße, das Hausprojekt „Rote Insel“ mit der Hausnummer 10 fast zu schnell. Nur ein paar Fotos will ich noch machen.
Das Hausprojekt "Rote Insel" in der Mansteinstraße
An der Ecke Mansteinstraße/Großgörschenstraße/Crellestraße ist Wochenmarkt. Daher kommen also die lauten Stimmen, denke ich mir und mache mich auf die Suche nach einem Stand an dem ich herrlich sesam-süßes, Zähne verklebendes, glücklich machendes Halva erstehen kann.
Ich lasse mich treiben, bewundere riesige Ingwerknollen, wie poliert glänzende lila Auberginen, Fladenbrot und Sesamringe in unendlichen Variationen. Der laute Sprach-Mischmasch aus Deutsch, Türkisch, Vietnamesisch und anderen Sprachen (ich vermeine, hier auch Griechisch und Polnisch gehört zu haben) verwirrt mich ein wenig und da ich nirgends etwas entdecke was auch nur im Entferntesten an Halva erinnert, schlendere ich unter der S-Bahn-Brücke hindurch in Richtung Katzlerstraße.
Rechts von mir der Eingang zum Alten Sankt Matthäus-Kirchhhof. Er übt eine eine gewisse Anziehungskraft auf mich. Ich entscheide mich dafür, trotz des Nieselregens einen kurzen Abstecher auf den Friedhof zu machen. Aus dem „kurzen Abstecher“ wird dann doch eine ganze Stunde und erst als ich – peinlicherweise – über einen fast versunken Grabstein stolpere und mir den Knöchel verknackse, beschließe ich notgedrungen, den Friedhof wieder zu verlassen und durch die Katzlerstraße zum S-Bahnhof Yorckstraße/ Großgörschenstraße zu humpeln.
Die Katzlerstraße ist ebenso kurz wie die Mansteinstraße, direkt an der Ecke empfängt mich der „Pizzaclub“, angeblich eine der besten Pizzerien der Stadt. Auch sie ist noch geschlossen. Schade, wenn ich schon kein Halva bekommen kann, würde ich mich doch jetzt gerne mit einer Pizza trösten. Aber sei’s drum, verspreche ich mir eben für nachher eine große Kanne Darjeeling mit Schokokeksen.
Der "Pizzaclub" hatte leider geschlossen
Neben dem Hausprojekt Katzlerstraße 13 mit seinen bunten Wänden – entstanden in einer Graffitaktion mit Jugendlichen vom „Treff 62“ – ist ein beeindruckend aufwendig gestalteter Spielplatz mit Resten einer Begrünungsaktion. Für wild wuchernde Kletterpflanzen ist es noch zu früh im Jahr, aber ich bewundere die bemalten Flaschen und den kleinen Traumfänger die anscheinend den Winter hier gut überstanden haben.
Ein Kunstwerk auf dem Spielplatz an der Katzlerstraße 13
Das Integrationsprojekt „Harmonie e.V.“ hat in seinen Fenstern Poster der Plakat-Aktion „Liebe verdient Respekt“ in deutsch, türkisch und arabisch, mit je einem Bild eines lesbischen, eines heterosexuellen und eines schwulen Paares.
Mit den leiser werdenden vielsprachigen Rufen vom Wochenmarkt im Rücken gehe ich langsam zur S-Bahn zurück und freue mich über viele neue Fotos für meine Sammlung.