Von HU-Gastblogger Janosch Werzl
Betritt man das erste Mal die Höfe der Potsdamer Str. 98, rechnet man nicht mit solch einem klassischen Chic. Die sanierte Fassade mit dem Firmenschild wirkt eh schon etwas edler als die übrige Umgebung. Der erste Hinterhof mit dem hübschen Brunnen ist fast eine kleine Parkanlage. In dem dazugehörigen steinumfassten Teich trotzt das noch zentimeterdicke Eis dem ersten warmen Tag in diesem März. Der weite Platz, dort wo man einen zweiten Hinterhof vermutet hätte, erinnert an Sanssoucis.
In dem an seinem hinteren Ende gelegenen Atelierhaus, ein ehemaliges Fabrikgebäude, finde ich dann endlich das von indirektem Licht durchflutete Atelier der Lippert Studios; eine Design- & Entwicklungsfirma, gegründet 2003 von und benannt nach Peter Lippert. Das immense Treppenhaus mit dem königsblauen Teppich und dem edlen Stuck ist feudaler als alles, was mir auf dem Weg von der U-Bahn (Kurfürstenstraße) bis hierher begegnet ist.
Zuerst einmal jage ich Peter Lippert einen gehörigen Schrecken ein, weil ich klingele, dann erst den Türöffner sehe, mir selbst Zutritt zum Flur verschaffe und just vor der Tür des Ateliers stehe, als Peter Lippert sie auch schon aufreißt. Er setzt noch schnell den Espresso auf, dann kann es auch schon losgehen. Wir einigen uns schnell auf’s Du.
Besucht man die Internetseite der Lippert Studios, sieht man als erstes das bildschirmfüllende Bild einer Türklinke. Auch an den Wänden des Ateliers hängen Türgriffe in den verschiedensten Formen.
„Was hat es mit dem Türgriff auf sich? Warum ist das euer Aufmacher?“ Peter Lippert steht auf und holt aus einer Ecke des Ateliers den Prototypen des genannten Türgriffs und stellt ihn zwischen uns auf den Tisch. „Das war ein Gag, als Eingang zur Webseite ein Türgriff zum Öffnen. Das ist ein langjähriger Kunde von uns aus Singapur. Die machen Beschläge, sowohl Möbelbeschläge als auch Baubeschläge und unter anderem Türklinken und brauchen öfter mal ein neues Produkt. Wir hatten auch mal eine schönes Schwarzweißfoto von der U-Bahnstation auf der Startseite, aber mit Produktdesign hat das auch nicht wirklich was zu tun. Der Türgriff ist schon etwas einseitig, ist aber auch nur ein Beispiel.“
Im Hintergrund zischt vielversprechend die Kaffeemaschine. „Ist euch der Bezug zum Kiez wichtig? Beeinflusst er eure Arbeit? Sähen eure Entwürfe anders aus, wenn ihr z.B. am Rosenthaler Platz sitzen würdet?“ „Was ich sehr spannend finde, ist, dass sich hier in den letzten vier Jahren sehr viel gerade in der Galerieszene getan hat. Für ein Büro wie uns ist es sehr spannend da den geistigen Austausch mit der Kunstszene zu suchen.“ Es sind viele Galerien, sowohl junge als auch etablierte, in die Gegend um die Potsdamer Str., Ecke Kurfürstenstraße und Pohlstr. gezogen. Der geistige Austausch ist wichtig. Man besucht sich gegenseitig, z.B. zu Vernissagen. „
Kein einziger Kunde der Lippert Studios kommt aus Berlin. „Sämtliche Kunden sind aus Deutschland oder dem europäischen & asiatischen Ausland. Die Kunden finden cool, dass sie Berliner Design bekommen. Das ist dann schon etwas Besonderes. Berlin ist ja auch UNESCO-Stadt des Designs neben Buenos Aires.“ Zuliefererfirmen beispielsweise für die Modelle und Prototypen kommen allerdings aus Berlin. „Die Potsdamer Str. bietet da aber keinen besonderen Vorteil. In dem Punkt sind die Galerien das Wichtigste, insbesondere als Inspirationsquelle.“ Kunden kommen nur selten in die Potsdamer Str. 98. Eher kommt man von den Lippert Studios zu den Kunden oder trifft sich auf Messen & an Produktionsstätten.
Demokratische Entwurfsprozesse empfindet Peter Lippert eher als kontraproduktiv. Als Leiter seiner Agentur hat er die letzte Entscheidung, darüber ob ein Entwurf seiner MitarbeiterInnen nun weiterverfolgt oder verworfen wird. „Das vermeidet auch ein Konkurrenzdenken bei den Einzelnen, wenn ich bestimme, dass zwei Designer an dem Entwurf des Einen weiter arbeiten und dem anderen eben nicht. Außerdem lässt die klare Entscheidungs- und Verantwortungshierarchie den Einzelnen gestalterische Freiheit und die Sicherheit, ihren Entwurf so zu gestalten und auszuarbeiten, wie sie es möchten.“
„Gibt es ein Produkt, das du für euch/ dich als besonders bedeutsam empfindest?“ „Da ist dieser Sekretär, der PS08, der auf der Messe sehr viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Der wird sicher ein Zugpferd jetzt werden. Dann gibt es auch noch diese Murmelbahn, die vor und auf der Messe viel Wirbel gemacht hat.“ Peter Lippert holt von einem anderen Tisch ein paar bunte Plastikbausteine und ein Bild von einer bunten Murmelbahn. „Hier hat die Entwicklung sehr viel Spaß gemacht. Das ist eine junge Firma, Hubelino, die eine neue, pfiffige Produktidee brauchte. Dieses Produkt soll die Firma erst einmal bekannt machen.“
Ein weiteres wichtiges Produkt für die Agentur war auch diese Klimaanlage für ein kleines Unternehmen in Halle, die ökologische Klimaanlagen bauen. Weil es sich hier um ein StartUp-Unternehmen handelt, lag die Herausforderung darin, etwas Auffälliges schaffen, das im Gedächtnis haften bleibt und sich gegen etablierte Anbieter durchsetzt. „Zu sehen, dass es das Unternehmen geschafft hat, immer noch besteht und mit dieser Idee Erfolg hatte ist da sehr schön. Außerdem war dieses Projekt vom ideologischen Standpunkt wichtig für uns.“
Ich will eigentlich gerade gehen, als ich in einem Nebensatz fallen lasse, dass ich Deaf Studies studiere. „Was? Dann musst du dich noch einmal setzen!“ Peter Lippert erzählt, dass er auch schon sehr vielversprechende taube Pratikanten hatte und selbst etwas Gebärdensprache gelernt und in die Gehörlosenkultur geschnuppert hat. Wir tauschen uns noch etwas aus über die Missstände in der Gehörlosenpädagogik, Cochlear-Implantate und Berufsmöglichkeiten von Uni-Absolventen aus Orchideenfächern. Nach einer guten Stunde und dem dritten Espresso verabschiede ich mich wieder von den friedlichen Höfen der Potsdamer Str. 98 und das Gewusel der Straße trägt mich zurück zur Untergrundbahn.