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Not rund um die Bahnhöfe Yorckstraße

Vor den Eingängen der Bio Company an der Yorckstraße stehen dieser Tage zeitweise Sicherheitsbeamte, die Kundentoiletten sind verschlossen. Hinter der Bio Company und an anderen Stellen des Hellweg Parkplatzes vermüllen Kot, Spritzen, Tempotaschentücher und auch Kleidungsstücke die Ecken. In den U-und S-Bahn Stationen ekeln sich Benutzer*innen vor Uringestank und machen um die schlafenden Junkies einen großen Bogen. Anwohner*innen des Kulmer Kiezes beklagen sich über eingetretene Haustüren und Spritzen in den Kinderwägen.

Yorckstraße – der Hardcore-Bahnhof

Seit Mitte April 2017 veranstaltet das Quartiersmanagement Schöneberger Norden Kiezgespräche zum Thema „Drogenhandel und Konsum im KulmerKiez“. Unter dem Titel „Der KulmerKiez wünscht sich RESPEKT“ veranstalteten Träger und Nachbar*innen im Dezember 2017 ein Winterfest auf dem Vorplatz der U-Bahn. (Bericht des QM hier).

Beschwerden der circa 20 Anwohner*innen (30 Anwesende) beim 5. Kiezgespräch im Februar 2018 über mangelndes Engagement und Einsatz in dieser für sie unerträglichen Situation begegnete der BVG-Abgeordnete mit dem Verweis es gäbe im Vergleich zur Yorckstraße wesentlich schlimmere Bahnhöfe in Berlin.

Dies wurde nicht gern gehört. Doch hingewiesen sei hier auf eine umfangreiche Anfrage des Abgeordneten Florian Graf (CDU) vom 28. November 2017 zum Thema: „Kriminalität an den Bahnhöfen Tempelhof-Schönebergs.“ Aus der Antwort (Dezember 2017) geht hervor, dass die S- und U-Bahnhöfe an der Yorckstraße im Zeitraum 2012 bis 2017 in Bezug auf die registrierten Straftaten an den insgesamt 32 S- und U-Bahnhöfe im Bezirk Tempelhof-Schöneberg an vierter Stelle standen.

  • U-Bahnhof Wittenbergplatz = 1052 Straftaten
  • U-Bahnhof Nollendorfplatz = 968 Straftaten.
  • Tempelhof insgesamt 781 Straftaten (S-Tempelhof = 267 / U-Bahnhof Tempelhof = 514)
  • Yorckstraße insgesamt 775 Straftaten (S-Bahnhof Yorckstraße = 210 / S-Bahnhof Großgörschenstraße = 33 / U-Bahnhof Yorckstraße = 532)

Im Jahr 2017 wurden am S-Bahnhof Yorckstraße = 11, am S-Bahnhof Großgörschenstraße = 1 und an der U-Bahnhof Yorckstraße = 62 Straftaten registriert. Leider kann die beim Kiezgespräch anwesende Polizei keine Aussage darüber machen, ob die Kriminalität der Dealer und Junkies innerhalb des eigenen Milieus stattfände oder ob auch Menschen außerhalb des Milieus akut gefährdet seien.

Subjektives Angstgefühl versus Zahlen

Seit mehreren Monaten ist das QUTREACH Präventionsteam Schöneberg Nord im Gebiet unterwegs. Sie unternehmen sogenannte „Spritztouren“, um sich ein eigenes Bild über die Verhältnisse zu machen. „Liebe Leute,“ schreiben Sie am 30. Januar auf ihrer Facebookseite. „Heute waren wir auf Spritztour rund um den Hellweg Baumarkt in der Yorckstraße. Fazit: 132 Spritzen in 2h eingesammelt! Vor ca. 2 Wochen haben wir im selben Spot ca. 200 Spritzen gefunden.“

Die Streetworker Natalie, Dennis und Lars haben auch einige Gespräche mit Konsument*innen geführt und beschreiben sie als „aufgeschlossen, entspannt, relaxed“, besonders wenn sie gerade eine Droge konsumieren konnten. Viele sagten, sie würden in Zukunft mehr aufpassen, die Spritzen wieder verschließen und sogar entsorgen, hätten Verständnis gezeigt. Ob sie auch danach handelten beim nächsten Mal sei damit überhaupt nicht gesagt. Gleichzeitig seien ihnen auch Konsument*innen begegnet, denen all dies völlig egal sei.

Bild: Projekt

In den Monaten ihrer Arbeit hier im Kiez schockiert es Natalie am meisten, wie würdelos die Gesellschaft mit den Junkies umginge. Es seien kranke Menschen, sie bräuchten die Drogen und der gesamte Körper entspanne nach dem Setzen einer Droge und damit auch der Darm. Doch da sie in der Bio Company oder auch an anderen Orten nicht die Toilette benutzen dürften, müssten sie sich in die Büsche verkrümeln. Das sei beschämend und verschmutze die Umgebung.

Dennis hat neben der professionellen auch die „Papa“-Perspektive. Den „kurz mal checken-Blick“ bei den Besuchen auf den lokalen Spielplätzen mit seiner 6-jährigen Tochter. Auch diese sei darin schon sehr geschult und wisse ganz genau, auf was sie zu achten habe. Ihm „vermiese das manchmal die Sicht auf die Welt.“

Lars spricht von einem wachsenden Verständnis. Früher habe er die Konsument*innen nicht abgelehnt, sich aber weiter keine Gedanken um ihre Not gemacht. Gleichzeitig sieht er mit seinen geschulten Augen viel mehr Spritzen herumliegen, die ihm zuvor nie aufgefallen seien.

Alle drei haben Verständnis für abgenervte Anwohner*innen. Anwohner*innen denen es schwer falle bei bedrohlichen, plötzlichen Begegnungen zum Beispiel im eigenen Hausflur – eigentlich einer privaten Sicherheitszone – Wut mit Empathie, Ekel mit Toleranz zu ersetzen.

Frust, Sorge und Anklage

Und so ist auch das 5. Kiezgespäch zunächst durch Anwohner*innen geprägt, die sich ihren Frust, ihre Sorgen und ihrr Wut von der Seele reden. Denn das Sicherheitsgefühl vieler Anwohner*innen ist erschüttert, besonders auch wenn ihre Kinder alleine unterwegs sind. Andere vermissten eine sofortiges Erscheinen der Polizei, als sie in für sie brenzligen Situation den Notruf wählten.

Es hilft kaum zu hören, dass das Betätigen der Notrufsäule in den Bahnhöfen die Videoüberwachung triggert und damit sofort die BVG und die Polizei die Szene auf dem Bildschirm habe. Die Notrufe würden dann nach Priorität abgearbeitet. Außerdem sei die Polizei täglich vor Ort und ermittele auch verdeckt.

Zwei Einzelfallhelfer beschäftige die S-Bahn und bezahle sie aus eigener Tasche. Löblich möchte man sagen, doch die beiden sind in ganz Berlin unterwegs. Sicherheit flößt auch nicht das Wissen ein, dass der Zuständigkeitsbereich des S-Bahn Personals direkt am Ausgang, also an letzten Treppenstufe endet. Der nächste Schritt liegt im bereits im öffentlichen Straßenland und damit im Zuständigkeitsbereich der Polizei.

Die Streifen der BVG sind 2 bis 3 Mal in der Woche für längere Zeit präsent. Und führen mindestens einmal in der Woche mit der Polizei Doppelstreifen durch. Bis Anfang Februar hätten sie aufgrund von Beschwerden 25 Platzverweise an Obdachlose und Konsument*innen ausgesprochen, 15 Menschen aus der Trinkerszene des Ortes verwiesen und 3 Anzeigen wegen Land und Hausfriedensbruch ausgestellt.

Anwesende verweisen darauf, dass Sie als zahlende Nutzer*innen einen Anspruch auf eine saubere U- und S-Bahn hätten. Der Ruf wird laut nach Prämien für Kontrolleur*innen, die schwarzfahrende Konsument*innen erwischen. Die Forderung nach mehr Kameras, nach effektiver Vertreibung der Hehler und Konsument*innen.

Die Polizei weist auf die Gesetze in unserem Rechtsstaat. Auf die Tatsache, dass der Drogenkonsum stadtweit steige. Wenn er von der Yorckstraße vertrieben würde, tauche er eben an anderer Stelle wieder auf und käme irgendwann auch wieder zurück. Die U7 sei eine wichtige Transportstrecke für die Dealer und die Polizei ermittele verdeckt. Auch die Betäubungsmittelszene sei wachsend. Der Anblick wenn sich ein*e Konsument*in eine Spritze setze sei höchst unschön. Doch sei nur der Verkauf strafbar, nicht aber der Konsum.

Empathie, Strafvereitelung und Koexistenz

Nach einer Stunde Kiezgespräch, bei dem Schuldzuweisungen, Hilflosigkeit, Wut und Frustration von Anwohner*innen überwiege, schaffen es Lars und Dennis (Natalie kann nicht dabei sein) mit einer sehr persönlichen, empathischen und auch fragenden Beschreibung ihrer Arbeit und ihrer Herangehensweise, eine Atmosphäre von leichtem Verständnis und auch Interesse zu schaffen. Zumindest für die Situation der Konsument*innen. Denn die seien ganz unten. Die Dealer seien diejenigen, die Straftaten begehen, kriminell aggressiv sind.

Änderungen seien nicht kurzfristig zu erwarten. Doch was könnte helfen, was haben sie von anderen Orten wie z.B. dem Leopoldplatz für Anregungen. Sie wollen Spielplatzbelebungen, Drogenprävention, verweisen darauf, dass die Konsument*innen Fixerstuben durchaus annehmen. Dort könnten Krankenschwestern und Sozialarbeiter*innen tätig sein und langfristig eine Beziehung aufbauen. Doch da die Szene ständig wandere könne eine Mobile Fixerstube eine praktikable Antwort sein.

Schade, dass es dann zu einem kurzen Kompetenzgerangel durch die Vertreter*in der Suchthilfekoordination des Bezirksamts kam, die bis dahin geschwiegen hatte. Sie verwies mehrmals darauf, dass Profis diese Arbeit machen müssen und die Streetworker nicht zuständig seien. Dass wichtige und finanziell umfangreiche Anträge des Bezirks fast abgabereif seien und gute Aussichten auf umfangreiche finanzielle Hilfe beständen. Doch dass das Thema so komplex sein, dass dies nicht von heute auf morgen geht. Die Schwere des Verwaltungshandelns lähmt.

Doch dann bedanken sich einige Anwesende für die Kiezgespräche und für die bisher gelungenen Schritte, für das in Kontakt sein. So fühlen sie sich der Lage nicht vollständig ausgeliefert. Es ist doch eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen notwendig! Es ist schwierig genug, zum Einen den kranken Konsument*innen zu helfen und den kriminellen Dealern das Handwerk zu legen.

An diesem Abend ließen die Streetworker Lars und Dennis für kurze Zeit die Möglichkeit erahnen und erspüren, wie eine für alle einvernehmliche Koexistenz und damit ein Gewinn für die Nachbarschaft sein könnte. Dies geschah nicht traumtänzerisch oder naiv. Denn sie kennen ihre größte Angst bei ihrer Arbeit in den Straße um die Yorckstraße: eine*n Tote*n zu finden.