Schlagwort-Archiv: Hektik

Lebendig, Schlag für Schlag

Von HU-Gastblogger C.M.

Die Potsdamer Straße pulsiert; sie lebt.

Mit jeder neuen Grünphase pumpen die Ampeln neue Bewegung in die Straße. Bewegung, die auf den Bürgersteigen und Fußgängerübergängen nicht einmal durch rote Männchen zum Stehen kommt.

Die Luft schmeckt bitter nach Stadt, dennoch brodelt das Leben.

Was diese Lebendigkeit ausmacht, ist schwer zu sagen; es mag daran liegen, dass in diesem Schmelztiegel verschiedenste Gruppen aufeinander treffen: Türken auf Deutsche, Araber auf Südamerikaner, Christen auf Muslime, arm auf reich, jung auf alt.

Hinter jedem Fenster scheint sich etwas Interessantes zu verstecken. Entlang der Potsdamer Straße werden einem diese Unterschiede bewusst: Die großen Flächen des Potsdamer Platzes und der umliegenden Museen und Bibliotheken bieten Platz für Bildungsbürgertum und Touristen aus aller Welt; so setzt sich das Straßenbild hier aus vielen Luxushotels und roten Teppichen zusammen.

Die Potsdamer Brücke öffnet nicht nur das Tor zum bewohnten Teil der Straße, sie birgt auch ein Geheimnis: Noch in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges wurde sie zur Bühne einer Heldentat, an die eine Gedenktafel am Brückengeländer erinnert.

Ein Stück weiter entstehen neue Ateliers und bieten einen interessanten Kontrast zu den öffentlichen Kunsteinrichtungen; nicht aber zu den Gemüsehändlern, die ihre Waren auf 10 Meter langen Holztischen feilbieten. Nur einen Katzenwurf entfernt arbeitet der Verein Goldrausch e.V., hier werden Frauen kostengünstige Kredite für die Existenzgründung ermöglicht. Das klingt nach Aufbruch, nach Veränderung. Dafür steht auch das soziale Wohnprojekt, Pallasseum. Dieser Wohnkoloss wurde auf dem Gelände des alten Sportpalastes erbaut. Joseph Goebbels stimmte hier die Deutschen auf den totalen Krieg ein; heute leben an diesem Ort viele verschiedene Nationalitäten friedlich miteinander.

In der Straße steckt noch mehr Geschichte: Auch Spuren der preußischen Herrschaft lassen sich finden. Die 1780 fertiggestellten Königskolonnaden wurden 1910 vom Alexanderplatz an den Eingang des Kleist-Parks versetzt und bietet einen Blick durch die Geschichte auf das alte preußische Kammergericht.

Der Kleist-Park markiert den Abschluss der Potsdamer Straße; und ob gewollt oder nicht: So verwoben und schön die Sätze des Altmeisters, so verwoben und schön stellt sich die Straße mit ihren Bewohnern vor.

Man kann die Potsdamer Straße als Beispiel für ganz Berlin verstehen; als kleinen Auszug, der einen Blick auf das große Ganze erlaubt: Hier treffen die unterschiedlichsten Menschen aus den verschiedensten Regionen auf die facettenreiche Geschichte der Stadt und kreieren eine neue Moderne; immer in Bewegung; immer im Geschehen; immer am Puls.

Coke-Dame

Von HU-Gastblogger Steffen Bollmann

Wie, man ist nur wenig entfernt vom glitzernden, uncharmanten, geschäftigen, hektischem und lautem Potsdamer Platz?

Hier, nahe des Freien Museums, jedoch ist es anders; klar hektisch und laut auch, es ist ja schließlich Berlin. Und wie typisch für Berlin, gibt es viel zu entdecken. Nur einen Hauseingang hinein und wieder ist es völlig anders; ruhig plötzlich, grün, düster, verfallen, neue Fassaden neben alten, von denen der Putz blättert, Kita neben Hotel, eine Kirche, Künstlerateliers; je nachdem, welcher Hauseingang gewählt wird.

Ein wenig wie ein Schulausflug ist es, der heute in die Potsdamer Straße führt. Und so folgt man der „Lehrerin“, die zu allen referierten Themen etwas zu wissen scheint. Themen, welche die Teilnehmer der Begehung frei nach Belieben und Interesse wählen konnten, wie etwa Quartiersmanagement, Existenzgründerinnen oder Prostitution an der Potsdamer Straße.

Diese Themen, welche den Nachmittag hier interessant machen, sind so verschieden wie die Teilnehmer: die Geschichte des ehemaligen Sportpalastes, des Hauses Vaterland, Thomas Mann und sein Verleger, Gebärdensprache.

Und so zieht der Trupp durch die Potsdamer Straße, beäugt das ihm bis dahin nicht bekannte und wird beäugt von denen, die hier leben und vielleicht trotzdem vieles von dieser Straße nicht wirklich kennen; sollen doch auch sie einmal mitkommen!

In der Sonne bleibt man stehen und referiert; oder sitzen und lauscht. Langsam kommen Gespräche auf, je nachdem wie das Thema des Anderen interessiert. Interessant auch die Zusammensetzung der Gruppe; der Eine spricht mit einer fürs Vorsprechen gemachten Stimme, andere wirken eher schüchtern. Die Eine wundert sich, warum die Leute so wenig lächeln, andere haben ständig Nachfragen für den Referierenden.

Zwischendurch wird kurz pausiert. Zeit sich das Freie Museum anzuschauen, Fotos zu machen, mit Coke-Deckeln Dame zu spielen, einen Kaffee zu trinken und sich bei einem heftigen Regenschauer auf das Vordach gemütlich im Trockenen zu wissen.

Anschließend geht man weiter die Straße entlang, lernt Neues kennen, unterhält sich, genießt die Sonnenstrahlen und stellt fasziniert fest, dass Berlin so verschieden und immer wieder neu ist, wenn man mit offenen Augen, Ohren und Geist durch diese Stadt geht.

Durch den Regen

Von Gastblogger Frank Haberland

Ich muss mich beeilen.

Mit der U-Bahn gibt es Probleme. Die BVG baut. Also steige ich schon Yorckstraße aus.

Nieselregen hängt wie feiner kalter Dunst in der Luft. Durchnässt mich so vollständig wie ein Bad im Landwehrkanal.

Ich folge der Kulmer Straße, bis sie in die Bülow übergeht. Auf dem Dennewitzplatz freut sich ein Hund. Er darf einem Stock hinterherjagen, den sein Frauchen gerade weggeworfen hat. Das Tier bringt ihn sogar zurück. Hoffentlich macht er das nicht auch mit dem Hausmüll. Oder Schienbeinen.

Vorsorglich wechsle ich die Straßenseite. Gehe an der Commerzbank vorbei. Ich mochte das alte Logo lieber. Aber ich verstehe den Wechsel. Irgendwie muss man den Mitarbeitern der Dresdner Bank zeigen, dass sie ein willkommener Teil des Konzerns sind – und nicht nur zusätzliche Kapitalmasse.

Die Potsdamer Straße schneidet meinen Weg. Ein Strom aus Geschäften und Wohnhäusern und Autos und Menschen, der sich durch die halbe Innenstadt ergießt.

Es nieselt nicht mehr. Jetzt regnet es. Der Beton ist nass. In Pfützen spiegelt sich die Werbung eines Telekommunikationsgeschäfts. Die Luft ist durchwebt von Abgasen und Feuchtigkeit. Aber ich sehe nur wenige Regenschirme. Vielleicht fehlt die Zeit, sie aufzuspannen?

Der Wind treibt die Gerüche eines Asiaimbisses heran, vermengt mit den Stimmfetzen eines Obsthändlers. Orangen sind im Angebot. Vielleicht später, jetzt drängt die Zeit.

Ich sehe viele Gesichter, ich vergesse viele Gesichter. In der Großstadt bist du nie allein, aber schnell einsam.

Was geht vor in diesen Menschen? Welche Gedanken hängen hinter der nassen Stirn? Jeder hat seine Ziele und Wünsche. Jeder eilt durch die Welt, den Kragen hochgeschlagen, die Kapuze ins Gesicht gezogen.

Die Menschen gehen ihrem Tagwerk nicht nach – sie hetzen.

Ich passe mich dem Tempo an. Das Herz der Stadt diktiert unhörbar seinen Takt in die Seelen der Menschen. Es ist schwer sich dem Rhythmus zu entziehen. Aber den Versuch ist es wert.

Nicht gegen den Strom schwimmen – aber langsamer schwimmen. Auch das ein Kuriosum. In Berlin beeilt sich der Mensch. Immer hat man das Gefühl, gerade zu spät zu kommen, zu spät zu sein. Ob du zur S-Bahn oder Bushaltestelle läufst, es treibt dich; etwas treibt dich an. Beweg dich schneller, flüstert es. Sonst verpasst du den Zug. Sonst verpasst du die Vorlesung. Sonst verpasst du den Frisörbesuch. Irgendetwas verpasst du immer.

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Und so eile ich Straße entlang. Weil das Leben nicht wartet. Und Berlin schon gar nicht. Da muss sich auch die Zukunft ranhalten, damit sie nicht überholt wird.

Ich versenke die Hände in den Tiefen meiner Taschen. Natürlich zu Fäusten geballt. Zwischen einem Geschäft, das Kleidung für Bauchtänzer verkauft und Wintergarten-Plakaten, liegt mein Ziel. Ich bin viel zu früh am Freien Museum.

Eine halbe Stunde. Eine Ewigkeit.

Also noch eine Runde. Ich wandere weiter.

Der Potsdamer Platz erhebt sich gegen den grauen Himmel. Riecht nach Tourismus und Geld. Aber am Anfang der Potsdamer Straße mischt sich ein modriger Hauch hinzu.

Viele Gebäude stehen leer. Die Fenster sind blind. Die Türen verschlossen, in den Schaufenstern liegen nur vertrocknete Insektenpanzer und Staub. Die Investoren warten ab. Hast schadet den Geschäften. Ich blicke auf die Uhr – nur noch vier Minuten. Schnell zurück!

Ich muss mich beeilen.