Schlagwort-Archiv: Kiez

Train Cocktailbar

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Train Cocktailbar am Kleistpark

Von HU-Gastbloggerin Izabella

Sehr spontan treffe ich Ali Dogan, den Inhaber des Train, für mein Interview. Unkompliziert verläuft auch unser Gespräch, das im hinteren, nachträglich angebauten, Raum des bekannten S-Bahn Waggons stattfindet. Auf den ersten Blick kann man den Anbau nicht erkennen und so stehen viele Gäste zunächst staunend im Eingang. Konsequent rot präsentiert sich die Bar und so herrscht eine sehr warme, fast sinnliche Stimmung. Die Decke ist mit einer goldenen Knisterfolie ausgekleidet und die Lichter brechen sich hundertfach darin. Der hintere Bereich ist mit einem Zelt erweitert worden, im Winter sorgen Heizpilze für die kuscheligen Temperaturen. Weiterlesen

Diskussionen als Selbstzweck

Von HU-Gastbloggerin Marleen

Vorbei unter den Schienen der S-Bahn, biege ich in die MansteinstraßeSAM_4005 ein, eine kleine, eher unauffällige Seitenstraße der Yorckstraße. Hier fällt mir zuallererst ein großes, hell erleuchtetes Werbeschild mit der Aufschrift „Weinhandlung“ auf, welches sich über die gesamte Ladenfront der Mansteinstraße 4 erstreckt. Erst auf den zweiten Blick entdecke ich das Café Manstein4 unter der Reklame. An der Bartheke des gemütlichen Cafés im Kaffeehaus-Stil empfängt mich Inhaber Michael Heermant und wir kommen sofort in ein freundliches Gespräch..

Das Gebäude aus dem 19. Jahrhundert hat eine ganz besondere Geschichte, wie mir Micha erzählt. Damals beherbergte es eine Schnaps- und Likörbrennerei mit angrenzender Weinhandlung. Die Likörfabrik und Kneipe Leydicke ist geblieben. Die Weinhandlung ist erst einem Künstleratelier gewichen und nach mühevoller Renovierungsarbeit entstand 2011 dieses gemütliches „Wohnzimmer“ für den Kiez. Einzig das große Werbeschild über dem Café erinnert noch an vergangene Zeiten und ist ein fester Bestandteil der denkmalgeschützten Fassade. Allerdings unterscheiden sich beide Läden vom Konzept ganz klar voneinander, wie Micha betont – nicht einmal die hausgebrannten Spirituosen des Nachbarns werden bei ihm ausgeschenkt.

Das Konzept des Ladens ist absolut einzigartig in Berlin und ich hake genauer nach. Micha erzählt mir, wie aus der Idee ein Diskussionsforum für Menschen zu schaffen das heutige Café Manstein4 entstanden ist. Zuvor traf man sich zu Diskussionsrunden privat in den Wohnungen von Freunden, doch da wurde das anschließende Aufräumen schnell lästig. Also werden nun die Räumlichkeiten des Cafés als Forum allabendlicher Diskussionsrunden und Lesungen genutzt. Und der Erfolg gibt Micha recht, wie ich im weiteren Verlauf unseres Gespräches erfahren werde.

Ursprünglich kommt Micha aus der Finanzwirtschaft, in der er nebenbei auch weiterhin arbeitet. Denn er habe den Laden im Jahre 2014 nicht als „Umsatzmaschine“ übernommen, sondern im Vordergrund stehe die Verbesserung der humanistischen Bildung, wie er mir versichert. Man solle verschiedene Erkenntnismethoden erlernen, um selbständig zu einer neuen Erkenntnis zu gelangen. Genau etwas, wonach man heutzutage an der Uni vergeblich suche, wie Micha sagt.

Hierfür sei eine lockere und entspannte Atmosphäre äußerst wichtig – ganz ohne Hierarchien, ohne Fixpunkte. Das gemeinsame Diskussionsziel sei nicht, andere von seiner eigenen Meinung überzeugen zu wollen, sondern sich gemeinsam zu begegnen, um zusammen vielleicht etwas klüger zu werden. Die Produkte, die aus einem solchen Diskussionsabend hervorgehen sollen sind bestenfalls Offenheit und die Irritation des Anderen. So spricht Micha auch von der „Diskussion als Selbstzweck“, denn alle sind Veranstalter, die den Abend gestalten und zusammen etwas produzieren – gemeinsam zu einer Erkenntnis zu gelangen.

Dadurch dass an jedem Wochentag ein bestimmter Themenbereich behandelt wird, sollte für jeden Geschmack etwas dabei sein. Ganz entspannt beginnt die Woche mit Methoden zum Thema „Feldenkrais“ – erst theoretisch und danach „werden dann auch mal die Gymnastikmatten im Café ausgerollt und es wird etwas geturnt“. Am Dienstag geht es dann weiter rund um das Thema „Philosophie“. Der „Politische Salon“ und die „Debattierlounge“ wechseln sich mittwochs im zweiwöchentlichen Rhythmus ab. Einzig an diesem Tag werden Experten eingeladen, die über bestimmte Themen referieren. Doch an allen anderen Tagen wird gezielt auf eine „Frontalbeschallung“ verzichtet, vielmehr sollen alle Diskussionsteilnehmer gemeinsam entscheiden, wie der Abend gestaltet wird. Der Donnerstag Abend steht unter dem Motto der „Kapitalwirtschaft“ und am Freitags beschließt „Logik und Argumentation“ das Wochenprogramm. Und wer am Wochenende das Tanzbein schwingen möchte, bekommt am Samstag Abend reichlich Gelegenheit dazu. Beim „Tanztee“ werden Standart- und Lateinamerikanischen Tänze aufs Parkett gelegt. Das Wochenende lässt sich dann gut ab Sonntag Nachmittag rund um das Thema Liebe und Partnerschaft in „Die Beziehungskiste“ im Café Manstein4 ausklingen.

Doch damit nicht genug- das Café bietet auch Raum für wechselnde Kunstausstellungen. Aktuell sind die „Kaltnadelradierungen“ von Eberhard Franke zu bewundern. Ab April werden dann, pünktlich zum Frühlingsbeginn, „Vespa“-Fotos zu sehen sein. Ich frage, ob bei der Kunstauswahl ein besonderer thematischer Schwerpunkt festgelegt sei. Doch auch hierbei, ebenso wie bei allen allabendlichen Veranstaltungen, sei der Rahmen völlig frei. Wichtig sei nur, betont Micha, dass fundamentalistischen Strömungen kein Forum geboten werde.

Die Nachfrage nach Diskussions- oder Leseabenden ist mittlerweile so gestiegen, dass derzeit meist zwei Veranstaltungen pro Abend stattfinden. Und es kommen auch Leute weit über die Nachbarschaft hinaus regelmäßig zum Diskutieren hierher. Und das obwohl auf Werbung komplett verzichtet wird. Die meisten Gäste, fast nur Stammgäste, finden durch die Mundpropaganda in den Laden. „So wie wir beim Essen darauf achten, dieses ohne Zusatzstoffe zuzubereiten, genauso tun wir es bei den Diskussionen auch“, sagt Micha.

Selbst Größen aus Politik und Wirtschaft sind immer häufiger Gäste des Manstein4. Neulich waren sogar die Geschäftsführerin der Parlamentarischen Linke und der Nigerianische Botschafter aus Frankfurt zu Gast. Das nächste angestrebte Ziel ist die Eröffnung eines zweiten Ladens. So richtig spruchreif ist das allerdings noch nicht, denn erstmal sollen alle Tage noch weiter mit Veranstaltungen gefüllt werden.

Und auch das leibliche Wohl kommt natürlich nicht zu kurz. So reicht das Speise- und Getränkeangebot von italienischen Kaffeespezialitäten über Kuchen bis hin zu Suppen und einfachen Gerichten. Bei allen Produkten wird besonders auf die Qualität Wert gelegt, wie mir Micha versichert. So werde mit regionalen Zulieferern gearbeitet und weitestgehend der Biostandard eingehalten. Und das alles zu einem äußerst erschwinglichen Preis – ab 1€ pro Gericht. Denn der gemeinsame Diskussionsgedanke stehe im Fokus und die Teilnahme daran solle auch sozialschwächeren Menschen ermöglicht werden, wie Micha mir erklärt.

Darüber hinaus können die Räumlichkeiten des Cafés auch für private Feierlichkeiten aller Art gemietet werden.

Wer jetzt neugierig geworden ist sollte unbedingt mal im Café Manstein4 vorbeischauen. Zu finden in der Mansteinstraße 4, nahe des S- und U-Bahnhofs Yorckstraße. Öffnungszeiten sind Montag-Samstag ab 12:00Uhr, Sonntag ab 13:00Uhr und weiter Informationen gibt es unter Tel: 030 – 54 46 49 86.

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses 2015 “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen”des Career Center der Humboldt Universität

O-TonArt Theater? Ja, unbedingt!

Von HU-Gastblogger Kay

Das Schöneberger Kieztheater kämpft ums Überleben. Es geht dabei um mehr als einen Kleinkunstbetrieb. Es ist auch die Frage nach dem Kulturverständnis einer ganzen Stadt.

Kürzlich ist mir zum ersten Mal ein Satz über Berlin zu Ohren gekommen, der normalerweise nur über Städte wie New York, Paris oder London geäußert wird: Das Tolle an Berlin sei ja, dass man zu jeder Zeit so viele verschiedene Dinge machen könne, dass man auch ruhig mal zu Hause bleiben könne.

Mal davon abgesehen, dass der kausale Zusammenhang zwischen der Vielfältigkeit der Erlebnismöglichkeiten und der Entscheidung, in seiner Wohnung zu bleiben, während draußen das wilde Leben tobt, sich mir nicht in Gänze erschließen mag, will ich nicht anzweifeln, dass das Zuhause-bleiben seinen ganz eigenen Reiz haben kann. Was allerdings die vielfältigen Erlebnismöglichkeiten angeht, so möchte ich zwar nicht laut und bestimmt widersprechen, aber doch ein wenig grüblerisch die Stirn in Falten legen. Weiterlesen

Architektonischer Spaziergang: Mikrokosmos Pohlstraße

Der Artikel ist entstanden im Rahmen des Winterkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Center der Humboldt Universität

Von HU-Gastbloggerin Bettina

Bis vor kurzem kannte ich diese Gegend nur vom Hörensagen, aber das Career Center-Seminar brachte mich hierher – so bin ich also eher zufällig hier gelandet und bilde mir meine subjektive Meinung. Die Pohlstraße, die vom Gleisdreieckgelände bis zum Möbel-Hübner-Turm reicht, ist einer der Mikrokosmen, die zum Potse-Kiez gehören. Leider muss man sagen, daß die Potsdamer Straße selbst in weiten Teilen einfach nur dem Auge wehtut, abgesehen von einzelnen Altbauperlen und gelungenen Neubauten, die sich unaufdringlich in die vorhandene Bausubstanz einfügen – wie der ehemaligen Malschule für Frauen mit ihren zauberhaften Höfen als Beispiel für erstere und dem Hutatelier von Fiona Benett für letztere. Weiterlesen

Und es gibt sie doch – Kiezstudenten

                                           Eine Antwort auf den Artikel                                                    „Studentenwohnheim im Kiez, aber keine  Studenten

Geschrieben von HU-Gastbloggerin Christina

Meine Kumpels kommen gerne zu mir! Also kanns ja nicht so schlimm sein!“ sagt Max über sein Wohnheim und seinen Kiez. Max wohnt in dem riesigen, grauen Klotz – dem Studentenwohnheim in der Potsdamer Straße 61/63. Immer wieder hört man, dass die Studenten dort nur schlafen und sich sonst eher in Luft auflösen. Ein so extrem buntes Studententreiben, wie in Friedrichshain ist tatsächlich nicht auszumachen. Aber ist es wirklich wahr, dass die Studenten aus dem Kiez flüchten und nur für wenige Stunden zum Nächtigen zurückkehren?

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Die Wahl für das Wohnheim fiel nicht der Gegend wegen. „Es ist günstig, zentral und ich habe mein eigenes Bad – nicht immer selbstverständlich. Mein Umfeld habe ich erst mal ignoriert.“ sagt Max. Auch die Aussicht begeisterte und die fiel dann auch auf den Kiez. „Ich fühlte mich von Anfang wohl! Berlin ist hier ganz persönlich!

Im Kiez erkennt man sich, man grüßt sich und lächelt sich an: „Man gehört einfach zum Kiezbild.“ Und Max ist stolz dazuzugehören. Natürlich kennt nicht jeder jeden, aber die Menschen begegnen sich gegenseitig stets mit einer gewissen Offenheit.

DSCI0417Versuchen denn nun die Studenten ihrem heimischen Kiez aus dem Weg zu gehen? „Also der Supermarkt in der Nähe ist immer voll mit Studenten. Und woher will man wissen, dass es nicht draußen alles Studenten sind?“ antwortet Max. Recht hat er! Fakt ist allerdings, dass die Gegend nicht viele Partylocations beheimatet. Man wohnt und feiert einfach an zwei verschiedenen Orten. „Ich will ja auch nicht in der Party wohnen. In der Woche ist es hier schön ruhig. Es gibt keinen Terz.“ sagt er.

Natürlich hat aber auch der Kiez einiges zu bieten. Max: „Ich war früher ein paar Mal in der Potse – einem Jugendclub – bei Konzerten. Außerdem kann man hier an jeder Ecke sehr gut essen. Einige Bars sind auch ganz in Ordnung.“ Nicht zuletzt machen die zentrale Lage und die günstige öffentliche Anbindung den Kiez so attraktiv.

DSCI0414Sicherlich kann man nicht abstreiten, dass die Potsdamer Straße und Umgebung besonders in der Nacht auch mal seine unangenehme Seite zeigen. „Ab und zu gibt es Polizeisperren wegen Ausschreitungen in Clubs. Dann komme ich nicht durch und muss ewig diskutieren, dass ich hier wohne. Sowas braucht man nicht schön reden!“ sagt Max. Aber eigentlich stört ihn sowas weniger. Auch die Prostitution stellt für ihn kein Problem dar: „Die Frauen gehören einfach zum Kiezbild!“.

Das Studentenleben in der Potsdamer Straße ist abwechslungsreich, aufregend und niemals einsam. Die Straßen sind immer belebt und das Wohnheim bietet ein gewisses Gemeinschaftsgefühlt. Es werden Freundschaften zwischen Nachbarn geschlossen, es wird zusammen auf dem Balkon gegrillt und dabei die grandiose Aussicht genossen. Und zur Uni ist es auch nicht weit.

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Der Gegenbeweis ist also erbracht: Es gibt Studenten, die in und auch mit dem Kiez leben! Und nur weil sie sich nicht öffentlich zusammenrotten und die Cafés belagern, bedeutet dies nicht, dass es ein Kiez ohne Studenten ist!

WH Potsdamer Straße 61/63, 10785 Berlin

Schreiten am Karlsbad

Auf der Straße: Ball spielende Kinder.

Von HU-Gastbloggerin Nele

Es ist ein grauer Sonntagnachmittag im März an dem ich mein Fahrrad neben mir herschiebend in die Straße „Am Karlsbad“ einbiege. Da meine Kette heute bereits drei mal abgesprungen ist, sehe ich keinen Grund, mir die Hände erneut schmutzig zu machen. Es erscheint ohnehin angemessener die Straße zu Fuß zu erkunden, die Spazierenden erwecken den Eindruck als nehme man die Sonntagsruhe hier besonders ernst. Ich versuche mich anzupassen.

Während an der rechten Straßenseite Gründerzeitarchitektur und 60er-Jahrebau eine typische Berliner Häuserfront formen, trennt eine großflächige Grünfläche zu meiner linken Hand die Straße vom Landwehrkanal. Die Hausfassaden entlang schlendernd, frage ich mich, was sich hinter ihnen verbergen mag. Firmenschilder und Ball spielende Kinder deuten auf eine gewöhnliche Mischung aus Wohn- und Gewerbegebiet hin. Eine Werbeagentur, eine Versicherung und ein gemeinnütziger Verein. Daneben: Zwei Frauen unterhalten sich auf einer Bank und Jugendliche versammeln sich um ein Mobiltelefon aus dem laute Musik tönt.

Ein paar Meter weiter fortgeschritten türmt sich vor mir nun ein besonders luxuriös saniertes Gründerzeitgebäude auf. Die großen Fenster der Parterrewohnungen eröffnen einen Blick in stilvoll eingerichtete Wohnzimmer mit bürgerlich gefüllten Bücherregalen. Die daran angrenzenden Bauten wirken durch das aufwendig modernisierte Gebäude noch sanierungsbedürftiger. Doch vermutlich werden mutige Investoren auch hier bald den Sparzwang der Nachkriegszeit gewinnbringend hinfort sanieren – schließlich befinde ich mich in einem aufstrebenden Bezirk in Zentrumsnähe.

Ich wechsele die Straßenseite und begebe mich die Parkanlage. Meine Vorrecherchen befähigen mich zu einem kurzen historischen Exkurs: Bei der Anlage handelt es sich um das ehemalige Gelände des Kurbads „Auf dem Karlsbade“. Den Namen erhielt das Bad vermutlich nach dem Geburtsort des Badeanstaltsbesitzers Chmelick. Wo heute alles grün ist, standen nach der Schließung der Anstalt bis zum zweiten Weltkrieg Wohnhäuser. Ich stelle mir vor, wie das Gras im Sommer einen saftigen Grünton hat, wie der Wind durch die dichten Baumkronen rauscht und die Sonne kleine Glitzersteine in den Landwehrkanal streut. Schön – denke ich und starre in den grauen Himmel.

Die 1935 von Hans Haffenrichter geschaffene Bronzeskulptur "Schreitender" steht seit 1989 in der Parkanlage.

Die 1935 von Hans Haffenrichter geschaffene Bronzeskulptur "Schreitender" steht seit 1989 in der Parkanlage.

Mit einer ausgedehnten Betrachtung von Hans Haffenrichters Bronzeplastik „Der Schreitende“ beende ich schließlich meinen Rundgang. Die Figur scheint diesen Nachmittag karikieren zu wollen. Das Fahrrad nach Hause schiebend beschließe ich, meinen Artikel über die Straße mit dem Widerwillen meiner Fahrradkette zu beginnen. Ich sollte im Sommer wiederkommen.

 

 

Künstler inszenieren eine Straße…

von HU-Gastbloggerin Rita

Vor ein paar Wochen unternahm ich einen Spaziergang durch die Pohlstraße. Aus der Nummer 75 dringt weißer Staub, die Jalousie ist halb heruntergelassen und Baulärm erklingt. Ich frage nach und die Arbeiter erzählen mir: „Hier wird eine Weinhandlung und –bar eröffnet. Les Climats. Wir hoffen, dass wir es mit der Pre-Opening bis zu Pohl-Position schaffen!“ In einer benachbarten Galerie hängt ein passendes Plakat: „Künstler inszenieren eine Straße“ am 24. September. Ich frage mich, ob sie die Weinhandlung in nur einer verbleibenden Woche fertig bekommen.

Pohl-Position, im Vordergrund: Urban Chill von Uwe Tabatt

Initiator Andreas Kuhn, seine Galerie Kuhn & Partner befindet sich in der Pohlstraße 71, erzählt: „Ich wollte einfach ein Fest für den Kunst-Kiez ins Leben rufen, also kein klassisches Straßenfest als solches. Viele Menschen haben oft eine „Schwellenangst“ und trauen sich nicht in die Galerien zu gehen. Ich wollte mit meiner Idee dieser Entfremdung von der Kunst entgegen treten und die Leute mit einbeziehen. Wenn die Leute nicht zur Kunst kommen, dann kommt die Kunst eben einfach zu den Leuten.“ Das macht mich neugierig auf mehr.

Peter Herrmann, Sonja Zunker und Andreas Kuhn

Bei der Pohl-Position sind neben den Ausstellungen in den Galerien etwa 40 Objekte von Künstlern aus aller Welt auf der Straße und zum Teil in den Fenstern und Hauseingängen der anliegenden Wohnungen zu sehen. Die Anwohner wurden mit Hilfe von Handzetteln um Ihre Mithilfe gebeten. Ich erfahre, dass die Pohl-Position das Ergebnis einer etwa 3 Monate langen Planungsphase ist. „Die Hauptarbeit hatte hierbei Sonja Zunker von Zunker Kongresse & Events. Es gab eigentlich kaum wirkliche Rückschläge bei der Planung, da hatten wir Glück. Peter Hermann, mit seiner Galerie in der Potsdamer Straße 98a, ist als Mitveranstalter eingesprungen.“ Am 24. September ist die Pohlstraße selbst halbseitig für den Verkehr gesperrt; die Aufbauarbeiten beginnen bereits um 8 Uhr.

Les Climats…eine Weinhandlung mit Charme

Nach nur 6 Stunden Aufbauzeit geht es los. Es ist ein sonniger Nachmittag und einige Leute sind schon auf der Pohlstraße unterwegs. Männer, Frauen, Alte, Junge aller Couleur bestaunen die Objekte auf der Straße. Mein erster Weg führt mich zu Les Climats, ich möchte wissen, was sich seit meinem Spaziergang getan hat. Statt Staub sehe ich Champagnerkübel – Inhaber Roland Kretschmer begrüßt mich freundlich. Im Fenster ist eine Installation aus Flügeln der finnischen Künstlerin Terhi Heino zu sehen. Seit meinem letzten Besuch hat sich einiges verändert. Der alte Dielenboden, teilweise noch original von 1895 erhalten, glänzt dunkelbraun in der Sonne. Neben der Eingangstür eine Backsteinwand, vor der Wein und Kuchen verkauft wird und wo man sich angeregt unterhalten kann. Die restlichen Wände sind gestreift – bunt oder in warmem schokobraun und beige. Der Stuck an der Decke ist bis zur offiziellen Eröffnung am 15. Oktober noch verhangen. „Wir sind eine Weinhandlung mit Bar, die sich fast ausschließlich auf burgundische Weine und französische Delikatessen spezialisiert hat.“, erzählt mir Roland Kretschmer. „Natürlich gibt es auch ein kleines, ausgewähltes Sortiment mit Weinen aus anderen Regionen. Wir arbeiten ohne Zwischenhändler, der Importeur bin ich. Um die Weine auszusuchen fahre ich ungefähr 5 mal im Jahr nach Frankreich.“ Bei diesem Satz sticht mich kurz das Fernweh.

Roland Kretschmer, Besitzer von Les Climats

Bei der Pohl-Position beteiligt sich Les Climats vor allem um die Nachbarschaft besser kennenzulernen. Sich in der Pohlstraße anzusiedeln war eine ganz bewusste Entscheidung. „Ich wohne hier in der Gegend und sie gefällt mir einfach. Es ist eine sehr kunstaffine Ecke, vor allem die Pohlstraße. Ich war begeistert von diesem Haus, im Juli haben wir bereits mit den Renovierungs- und Abrissarbeiten begonnen. Der Kiez ist einfach noch sehr heterogen und besitzt trotzdem eine ganz spezielle eigene Struktur.“ Noch mit dem Geräusch eines Korkens, der sich mühsam aus einer Weinflasche windet, im Ohr, beginne ich meinen Rundgang durch die Galerien.

„Es gibt nichts, was es nicht gibt.“

Die Ausstellung „Sex, Crime, Beasts &Tenderness“ bei Gilla Lörcher

Bei Schulz & Schulz sind Werke von Henry Anno zu sehen. Im Fenster liegt eine Kettensäge mit weißer Aufschrift auf dem Sägeblatt: „With Love“ ist auch gleichzeitig Name der Ausstellung. Kuhn & Partner zeigt „Kong at Work“ mit Werken von Sandra Rauch und Jens Becker, die die Eindrücke einer gemeinsamen USA-Reise in Bildern und Installationen verewigt haben. Zwei Becken rotieren und empfinden scheppernd den Lärm auf New Yorks Straßen nach. Die beiden großformatigen Bilder im Raum ziehen sofort die Blicke auf sich. Eines zeigt ein großes Poster von King Kong vor einer Häuserfront. Gleich nebenan bei Gilla Lörcher sind Objekte von Iris Musolf zu sehen, die bei der Auseinandersetzung mit dem Thema „Sexpuppen“ entstanden sind. Während ich die Tiere aus Beton bestaune, stelle ich fest: „Es gibt nichts, was es nicht gibt.“ Die Galeristin muss lächeln und sagt, dass Kunst da ist, um genau das zu zeigen.

Schließlich bietet sich bei cubus.m in der Hausnummer 75 ein völlig konträres Bild. Gezeigt wird die Installation „IF hope exist…there is no wasted land“ von Anne Duk Hee Jordan. Ein Pfad durch einen Urwald aus Pflanzen führt mich in den ersten Stock. Schon vom Flur aus duftet es nach Erdbeeren. Eine Familie macht sich im Raum an der „Erdbeerkanone“ zu schaffen – ein umgebautes Fahrrad mit dessen Hilfe die köstlichen Früchte auf ein weißes Laken gefeuert werden. Das Leinentuch repräsentiert hierbei die Unschuld, während die Erdbeeren mit Sinnlichkeit assoziiert werden. Die Inspiration war ein Gedicht von Bertolt Brecht.

„Erdbeerkanone“ in der Galerie cubus.m

Mit vielen neuen Impressionen und bei einem kühlen Getränk betrachte ich die Objekte auf der Straße. Ein riesiges Mobile mit Augen und Spiegelfolie hängt von einem Balkon auf die Straße und wird neugierig bestaunt. LISTROS e.V. zeigt die namensgebenden Schuhputzerkästen aus Afrika. Wolf Klein gibt den Gärtner und verkauft Blumen aus Plastik. Daneben noch vieles mehr, das mal mit einem Schmunzeln, mal ernst auf die guten und schlechten Seiten der Menschen und der Welt hinweist.

Michaele Brüll – „Riesenhose II, Gespannte Intimität“

Die Künstlerin

Fasziniert bin ich vor allem von der „Riesenhose II, Gespannte Intimität“ von Michaele Brüll. Zwischen zwei Bäumen aufgehängt, erinnert das Objekt an einen riesigen Tanga und ist mit Ausmaßen von 2,30×2,50m wohl das größte auf der Straße gezeigte Kunstwerk. Michaele Brüll hat das Objekt extra für die Pohl-Position geschaffen. „Ich wollte Sinnlichkeit und Intimität auf die Straße bringen. Die Riesenhose besitzt eine bunte Tagesseite, die das Sinnliche, aber auch Fröhliche und Authentische der Sexualität zeigt. Die in schwarz-weiß gehaltene Nachtseite weist nicht zuletzt auf den Straßenstrich im Kiez hin und repräsentiert, mit Schwarzlicht angeleuchtet, das Verruchte und Verführerische der „Dunklen Seite“.“, erzählt sie mir.

Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke

Auch dem Schirmherrn der Pohl-Position, Bezirksbürgermeister Dr. Christian Hanke, laufe ich noch über Weg. Seine Rede hält er aufgrund technischer Probleme aus dem Polizeiauto heraus. „Hallo, hallo, hier spricht der Bezirksbürgermeister von Mitte.“, beginnt er. Die Leute bleiben überrascht stehen und beginnen zu schmunzeln. „Die Schirmherrschaft habe ich übernommen, weil ich es gut finde in Tiergarten-Süd ein niveauvolles Kunstfest zu veranstalten. Es zeigt das Potential & die Kreativität hier im öffentlichen Raum. Die Vernetzung der Galerien hat zahlreiche positive Effekte für die Szene.“, erzählt er mir fröhlich. „Ich glaube, dass die Pohl-Position das Lebensgefühl hier positiv beeinflussen kann und auf die Veränderungen in der Gegend hinweist – die Leute übernehmen hier Verantwortung.“

Dr. Christian Hanke und Andreas Kuhn hoffen, mit der ersten Pohl-Position den Auftakt für eine jährliche Veranstaltung gebildet zu haben. Als ich mich von der Potsdamer Straße aus noch einmal umdrehe und das bunte Treiben von Galeristen, Künstlern und Anwohnern sehe, dann wünsche auch ich mir nächstes Jahr wieder zurückzukehren.