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Ein Blick in die Nischen

Von einem HU-Gastblogger

Mitte Oktober. Die ersten kalten Tage des Jahres; es wird Herbst. Blätter bedecken die Bürgersteige der Potsdamer Straße. Der Wind zieht; Ich knöpfe die Jacke zu. In Gedanken bin ich schon in meiner Wohnung. Eine Tasse heißer Tee, eine Wolldecke und ein gutes Buch.

Nur noch ein paar Meter die Straße hoch bis zur Bushaltestelle. Immer noch ganz in Gedanken, fällt mein Blick auf die Königskolonnaden. In den langen Gängen bemerke ich eine Gruppe Jugendlicher, rauchend. In Pullovern sitzen sie in den Nischen, die Kälte scheint ihnen nichts auszumachen. Endlich kommt mein Bus. Die Fahrt führt uns noch einmal an den Kolonnaden vorbei. Die Zigaretten sind erloschen und die Jugendlichen scheinen nicht etwa in den Nischen zu sitzen, sondern vielmehr in ihnen Schutz zu suchen.

Königskolonaden

Königskolonaden

Man hat in den letzten Tagen einiges über Kinderarmut gelesen. Mir war jedoch nicht bewusst, dass sie im Alltag so präsent ist.

Nach einer kürzlich veröffentlichten Studie zum Thema Kinderarmut gelten all jede Kinder und Jugendlichen als arm, deren Familien staatliche Sozialleistungen beziehen. In Berlin sind das fast 172.000 Kinder und Jugendliche; jedes dritte Kind unter 18 Jahren. Die Stadt ist damit zum 5ten-mal in Folge trauriger Spitzenreiter in Deutschland. Besonders hoch sind die Zahlen in Mitte mit 26.453, Neukölln mit 25.541 und Tempelhof-Schöneberg mit 14.871 Kindern. Zum Vergleich dazu: In Steglitz-Zehlendorf leben 6.757 Kinder in sozial schwachen Familien.

Dies sind alarmierende Zahlen, besonders für den Bereich rund um die Potsdamer Straße; liegt sie doch sowohl im Bezirk Mitte, als auch in Tempelhof-Schöneberg.

Kinderarmut

Laut Europäischer Union gilt eine Person dann als arm, wenn sie weniger als 60% des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung hat und/oder Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt.

Für Deutschland heißt das: Familien mit zwei Kindern unter 15 Jahren leben von weniger 1.499 Euro im Monat; Alleinerziehende mit zwei Kindern mit weniger als 1.110 Euro und Alleinerziehenden mit einem Kind stehen weniger als 833 Euro monatlich zur Verfügung.

Von diesem Geld muss die Familie Miete, Nebenkosten, Lebensmittel, Kitabeiträge und alle sonstigen Kosten bestreiten.

Somit bleiben pro Kind nach Abzug der Ausgaben für jeden Tag etwa drei bist fünf Euro, für Essen, Kleidung, Nachhilfeunterricht, Spielsachen, Schulmaterialien, Ausflüge, Sportvereine, Monatskarten, etc.

Doch nicht nur diese offensichtliche, in Zahlen messbare Form der Armut ist präsent; als arm gelten auch jene Kinder, die nicht genügend Fürsorge von Eltern erfahren. So oder so, Kinder haben ein Leben lang mit den Folgen von Armut zu kämpfen: Durch mangelnde Ernährung und schlechte Wohnbedingungen ist die Gesundheit ständig gefährdet. Es kommt oft zu Spätentwicklungen und damit einhergehend, schlechten schulischen Leistungen.

Kampf gegen die Armut

Um diese Folgen direkt zu bekämpfen, fordert der Berliner Kinderschutzbund u.a. die besondere Berücksichtigung von Risikogruppen, wie Alleinerziehenden, kinderreichen Familien und Familien mit Migrationshintergrund. Des Weiteren verlangt der Bund kostenfreies Essen in Krippe, Kita und Schule. Generell sollte der Zugang zu Bildung erleichtert werden: Etwa durch kostenfreie Krippen- und Kitaplätze, Ganztagsschulen für alle Kinder ohne Bedarfsprüfung und kostenfreie Lehr- und Lernmittel.

Es handelt sich um Probleme, die nicht nur in der dritten Welt vorkommen. Kinderarmut betrifft immer mehr Kinder und Jugendliche in Deutschland. Ein Missstand der zum Handeln auffordert; denn keine Gesellschaft kann sich frierende Kinder leisten.

Lebendig, Schlag für Schlag

Von HU-Gastblogger C.M.

Die Potsdamer Straße pulsiert; sie lebt.

Mit jeder neuen Grünphase pumpen die Ampeln neue Bewegung in die Straße. Bewegung, die auf den Bürgersteigen und Fußgängerübergängen nicht einmal durch rote Männchen zum Stehen kommt.

Die Luft schmeckt bitter nach Stadt, dennoch brodelt das Leben.

Was diese Lebendigkeit ausmacht, ist schwer zu sagen; es mag daran liegen, dass in diesem Schmelztiegel verschiedenste Gruppen aufeinander treffen: Türken auf Deutsche, Araber auf Südamerikaner, Christen auf Muslime, arm auf reich, jung auf alt.

Hinter jedem Fenster scheint sich etwas Interessantes zu verstecken. Entlang der Potsdamer Straße werden einem diese Unterschiede bewusst: Die großen Flächen des Potsdamer Platzes und der umliegenden Museen und Bibliotheken bieten Platz für Bildungsbürgertum und Touristen aus aller Welt; so setzt sich das Straßenbild hier aus vielen Luxushotels und roten Teppichen zusammen.

Die Potsdamer Brücke öffnet nicht nur das Tor zum bewohnten Teil der Straße, sie birgt auch ein Geheimnis: Noch in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges wurde sie zur Bühne einer Heldentat, an die eine Gedenktafel am Brückengeländer erinnert.

Ein Stück weiter entstehen neue Ateliers und bieten einen interessanten Kontrast zu den öffentlichen Kunsteinrichtungen; nicht aber zu den Gemüsehändlern, die ihre Waren auf 10 Meter langen Holztischen feilbieten. Nur einen Katzenwurf entfernt arbeitet der Verein Goldrausch e.V., hier werden Frauen kostengünstige Kredite für die Existenzgründung ermöglicht. Das klingt nach Aufbruch, nach Veränderung. Dafür steht auch das soziale Wohnprojekt, Pallasseum. Dieser Wohnkoloss wurde auf dem Gelände des alten Sportpalastes erbaut. Joseph Goebbels stimmte hier die Deutschen auf den totalen Krieg ein; heute leben an diesem Ort viele verschiedene Nationalitäten friedlich miteinander.

In der Straße steckt noch mehr Geschichte: Auch Spuren der preußischen Herrschaft lassen sich finden. Die 1780 fertiggestellten Königskolonnaden wurden 1910 vom Alexanderplatz an den Eingang des Kleist-Parks versetzt und bietet einen Blick durch die Geschichte auf das alte preußische Kammergericht.

Der Kleist-Park markiert den Abschluss der Potsdamer Straße; und ob gewollt oder nicht: So verwoben und schön die Sätze des Altmeisters, so verwoben und schön stellt sich die Straße mit ihren Bewohnern vor.

Man kann die Potsdamer Straße als Beispiel für ganz Berlin verstehen; als kleinen Auszug, der einen Blick auf das große Ganze erlaubt: Hier treffen die unterschiedlichsten Menschen aus den verschiedensten Regionen auf die facettenreiche Geschichte der Stadt und kreieren eine neue Moderne; immer in Bewegung; immer im Geschehen; immer am Puls.