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Die vergessene Ära – Schönebergs Underground Szene

Von Gastblogger Alexander

Das Publikum kocht, der Boden bläht sich, die Wände rücken näher, die Luft ist dünn, Schweiß fließt in Strömen. Von der Bühne kreischt eine ewig junge Stimme der ersten Punkrock Generation, gesellschaftskritisch bis auf den letzten Knochen.

Der Bezirk Schöneberg war einst das Zentrum West-Berlins voll mit brodelndem Nachtleben und einer ergiebigen Kulturszene. In Klubs wie dem „Risiko“, der „Ruine“ oder dem „Dschungel“ spielte sich die Musikszene der 80er Jahre auf und ab. Die Westberliner Musikikone Blixa Bargeld gründete hier die Band „Einstürzende Neubaute“, Nick Cave formierte hier aufs Neue das Projekt „Nick Cave and the Bad Seeds“ und David Bowie fand hier zusammen mit Iggy Pop neue Inspiration für weitere Werke.

Der westliche Teil Berlins, eine westdeutsche Enklave inmitten der DDR, war dafür wie geschaffen, denn man wurde hier mit Subventionen regelrecht überschüttet. Es gab keinen Wehrdienst, geringere Steuersätze, niedrigere Preise und größere Freizügigkeit, welche man woanders so nicht kannte. Ausschlaggebend war jedoch die große Menge an Künstlern, welche der Stadt eine enorme Anziehungskraft verliehen. Gleichgesinnte aus aller Welt strömten nach West-Berlin, einem Kreativmekka der besonderen Art. Doch wie viel ist heute noch vom ruppigen Geist der wilden 80er in Schöneberg zu spüren?

Vereinsmitglied Jack an der Bar im Ex'n'Pop e.V.

Ex’n’Pop Vereinsmitglied Jack an der Bar im Ex’n’Pop e.V.

Der anarchistische Geist scheint nur noch im Gedächtnis geblieben zu sein, die Underground Szene ist so gut wie verschwunden und zahlreiche Klubs haben geschlossen. Nun säumen Matratzenläden und Apotheken all die glorreichen Ecken aus den alten Zeiten. Der zuvor stets in der Luft schwebende Nonkonformismus Westberlins scheint nicht mehr zu halten. „Der Staat ist nun viel präsenter geworden“, sagte Jack, ein Mitglied der damaligen Korona. „Das Parken auf dem Bürgersteig“, fügte er hinzu, „eine Lappalie nach damaliger Sicht und heute symbolträchtig für die ganze Entwicklung, ist nicht mehr möglich.“

Ein Stück jener Zeit wurde jedoch trotz zahlreicher Schließungen und Umzüge im Ex’n’Pop e.V. auf der Potsdamer Straße 157 erhalten. Ein Ort, den man heutzutage leicht übersehen kann, denn es finden sich hier keine großen Aushänge, offene Türen oder generell Fenster. Auffällig sind nur die auf dem Bürgersteig stehenden Badewannen gefüllt mit ungezähmter Natur. Nichts verrät jedoch über das wilde Treiben im Inneren. Der einzige Weg um hinter die Fassade zu blicken führt nach 22:00 Uhr an der Klingel, einer rabenschwarzen Schleuse und der Gesichtskon­t­rol­le vorbei.

Das Ex'n'Pop in der Potsdamer Straße 157

Das Ex’n’Pop in der Potsdamer Straße 157

Das Ex’n’Pop gibt es schon seit 30 Jahren und seit 2001 wurde daraus ein Verein. Die Betreiber sehen sich als eine Art Forum für alle möglichen kulturellen Veranstaltungen. Man bietet hier dem eingeweihten Publikum je nach Programm Musik, Theater, Kino oder Lesungen. Wenn jemand keinen Platz für seine Musik in der strikt kommerziell orientierten Nachbarschaft findet, kann er sich immer an den Verein wenden. So spielen hier freitags und sonnabends Bands aller Stilrichtungen und Gewichtsklassen. Von Anfängern über Underground-Bands bis Rock-Legenden, alle finden sie ihren Weg ins Ex’n’Pop.

T.V. Smith auf der Bühne im Ex'n'Pop.

T.V. Smith auf der Bühne im Ex’n’Pop.

So auch T.V. Smith, eine in Vergessenheit geratene englische Punkrockgröße. Dürr, eckig und kantig in eng anliegende Stofffetzen gehüllt, verbreitet er von der Bühne mit durchdringender Stimme eine ungewohnt vertrauenserweckende Atmosphäre. Die Worte fließen mal hypnotisch weich, mal zerrissen und scharf. Das Gesicht singt mit jeder Gesichtsfalte bis zur letzten Gefühlswallung mit. Nach fast 40 Jahren auf der Bühne scheint bereits jedes einzelne Wort mehrfach durchlitten und sorgfältig in Songs verpackt zu sein. Die rohe und ungeschliffene Wände des Ex’n’Pop bieten eine Lebensfülle, wie man sie woanders noch zu finden vermag. Punk’s not dead at Potsdamer Straße!

Zwischen Mauer, LPG und Kulturverein – Ein (fast) echter Berliner

Das Portrait ist entstanden im Rahmen des Sommerkurses “Online Journalismus – Recherchieren und Bloggen” des Career Centers der Humboldt-Universität zu Berlin.

Der Weg zum Kindergarten führte an der Mauer entlang. Auch an Geisterbahnhöfe kann er sich erinnern. „Wie hat sich das angefühlt?“ Ulrich kommt ins Grübeln. „War das nicht bedrohlich?“ – „Nein.“ Geboren in Tuttlingen bei Stuttgart, wuchs er im kreuzberger Wrangelkiez auf, keine 500 Meter entfernt verlief die Grenze. Als die Wende kam, war er acht Jahre alt. Gefragt nach seinen Gefühlen und Gedanken bleibt er wortkarg. Was heute seltsam und unvorstellbar erscheint, war wohl damals, für das Kind, Normalität.

Er zog früh aus, ohne Abitur, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. „Zeitungsträger, Kellner, Call-Center… Eine Zeitlang habe ich für ein Musikmagazin geschrieben. Manchmal hatte ich vier Jobs gleichzeitig.“ Schließlich arbeitete er in einem Biomarkt der LPG und wurde Mitglied im Betriebsrat. Das kam ihm später zu gute, als er sich um ein Stipendium bei der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung bewarb.

Das Kulturnetzwerk Neukölln bot ihm Raum für Engagement. Ziel war es, Einwohner mit Künstlern ins Gespräch zu bringen. „Die konnten auch ziemlich elitär sein. Wenn dann Kinder durch Ausstellungen führten und Werke interpretiert haben, das war schon etwas Besonderes.“ Sofort denke ich an Buschkowski, seine holzschnittartigen Thesen über inkompatible Kulturen. „Was hältst du davon?“ – „Der Kulturverein arbeitet vor allem im öffentlichen Raum, jede_r ist willkommen. Gruppen bilden sich dadurch nicht. Bei einem Projekt haben wir Einweg-Kameras an die Jugendlichen verteilt. Alle kamen wieder zurück.“ Offenheit und Vertrauen statt Paternalismus und Stigma. Das Konzept geht auf.

Heute studiert er, mit Anfang 30, Kulturwissenschaft. Wie sollte es anders sein? „In Kombination mit Soziologie und Politikwissenschaft, das gibt dem ganzen eine Richtung.“ Ich bin gespannt, wie es bei ihm weiter geht, welche Umwege ihn ans Ziel bringen werden. Spießig und langweilig wird es sicherlich nicht. Da ist er ganz der (fast) echte Berliner.

Von Christina Hirsch