Dieser Beitrag ist Teil des Artikels: Kunst an der Potsdamer Straße. Begegnungen mit Künstlern, Galeristen und Besuchern.
von Christian Kaiser
Neben dem Wintergarten Varieté liegt die elegant wirkende Krome Gallery, deren Eingang, drei Stufen erhöht, vollständig verglast ist, so dass jeder ungehindert von außen in den hohen weißen Innenraum hineinschauen kann. Ein klarer, etwas kühler Eindruck. Die ausgestellten Werke fallen dadurch umso mehr auf: Im Eingang steht ein Paar schwarzer Stiefel so zueinander versetzt, als machten die Stiefel soeben einen Schritt. An einer Wand hängt ein großer Flachbildschirm, auf dem vor schwarzem Hintergrund ständig ein weißes Ei sich dreht und dabei fortwährend sprudelnde Bläschen aufzuwirbeln scheint. Die Werke gehören zu einer Ausstellung des Künstlers Tarje Eikanger Gullaksen, die bis vor kurzem in der Krome Gallery zu sehen war.
Die Managerin der Krome Gallery, Selina Lai, wird – begleitet von ihrer Assistentin, Elisabeth Pallentin – im Folgenden erzählen, wie ihre Tätigkeit als Mitarbeiterin einer Galerie aussieht, was sie an ihrer Arbeit mit Kunst schätzt und warum die Krome Gallery gerade die Potsdamer Straße als Standort ausgewählt hat.
Wie würden Sie die Tätigkeit einer Galerie und Ihre Tätigkeit als Mitarbeiterin einer Galerie beschreiben?
Selina Lai: Eine Galerie ist der Schnittpunkt zwischen dem Künstler und dem Sammler, zwischen Künstler und Museum. Was der Besucher hier in der Galerie sieht, das fertige Produkt, ist aber nur die Oberfläche. Es geht nicht darum, eine Ausstellung zu eröffnen, man muss hinter der Kulisse weiterarbeiten. Vor allem muss es einen ständigen Fluss zwischen Künstler, Galerist und Käufer geben: Der Künstler profitiert von den Kontakten, die der Galerist hat, und umgekehrt genauso. Ziel der Galerie ist es natürlich, den Künstler so gut zu vermarkten, dass der Künstler von seiner Kunst leben kann.
Aber es geht auch darum, einen gewissen Wert zu schaffen: Man hilft dem Künstler, eine eigene künstlerische Position zu formen. Dazu gibt es einen beständigen Austausch, nicht nur bezüglich der Arbeiten, sondern über die eigene Weltanschauung. Die Beziehung zwischen Galerist und Künstler ist daher im besten Fall sehr menschlich: Viele Künstler und Mitarbeiter von Galerien werden sogar Freunde.
Ihre Tätigkeit besteht also darin, nicht abstrakt über die ausgestellten Werke zu sprechen, sondern vielmehr mit dem Menschen, der hinter diesen Werken steht?
Selina Lai: Ich glaube, was einen guten Galeristen auszeichnet, ist die Fähigkeit, den Künstler in seiner ganzen Persönlichkeit zu verstehen. Nur so können die Mitarbeiter der Galerie auch den Wert der Arbeiten einem Sammler oder einem Museumskurator vermitteln.
Elisabeth Pallentin: Kunst ist ja generell kein anonymes Produkt, es steckt immer der Künstler und seine ganze Persönlichkeit im Kunstwerk, darauf gründet die Beziehung zwischen Galeristen und Künstler.
Selina Lai: Es ist wie so eine Art Boutique, wo sich hinter der Mode eine Geschichte versteckt.
Wonach treffen Sie denn Ihre Auswahl, welchen Künstler Sie in das Programm der Krome Gallery aufnehmen? Entscheiden Sie das subjektiv oder haben Sie irgendein Schema bewusst im Kopf? Orientieren Sie sich vielleicht an einem Trend?
Selina Lai: Wenn man versucht, nach dem Trend zu gehen, ist man schon gescheitert. Natürlich ist man trotzdem auch davon beeinflusst, was man in den anderen Galerien sieht, aber eher unbewusst.
Was ist also stattdessen wichtig? Es ist das Gefühl, dass Galerist und Künstler auf der gleichen Ebene stehen, dass sie sich auch persönlich gut verstehen, dass man Gemeinsamkeiten findet. Dann ist es auch leichter, die Kunst des Künstlers zu verstehen. Der Unterschied macht auch, was man denn eigentlich in den Arbeiten sieht. Wenn man ein Werk ansieht, ist es zunächst wie eine geschlossene Schachtel. Aber du stellst keine geschlossene Schachtel einfach aus. Du musst erst mal die Schachtel aufmachen, verstehen, was drinnen ist, und dann entscheiden, ob du das ausstellst oder nicht.
Du musst die Kunst des Künstlers strukturieren, auseinandernehmen und verstehen.
Wie haben sich denn die Kontakte zu den Künstlern, deren Werke Sie ausstellen, ergeben?
Selina Lai: Man trifft Künstler bei Eröffnungen oder Events, etwa bei Biennalen oder bei Messen, man liest Magazine, Interviews in Blogs. Und plötzlich stellt man fest, dass man mit einem Künstler gemeinsame Freunde oder Bekannte hat.
Gibt es denn auch Gründe, dass Sie einen Künstler aufgeben? Ist das schon mal vorgekommen?
Selina Lai: Es gibt auch Sammler, die zum Beispiel einen Künstler aufgeben. Es ist eine Frage der Entwicklung. Das ist so wie in einer Beziehung: Manchmal leben sich die zwei Partner auseinander. Man kann dann nicht mehr eine gemeinsame Sprache finden. Das ist sicherlich traurig, muss es aber auch nicht sein.
Welche Rolle spielt das Interesse, Kunstwerke auch verkaufen zu wollen, für Ihre Tätigkeit als Beraterin eines Künstlers? Gibt es spezielle Erwartungen der Kundschaft, auf die Sie Künstler hinweisen müssen?
Selina Lai: Es ist klar, dass man nicht die Arbeiten von allen Künstlern auf dieselbe Art und Weise bzw. in derselben Menge verkaufen kann. Es gibt Künstler, die sich besser verkaufen, und andere weniger…
Elisabeth Pallentin: … aber das liegt einfach auch daran, dass es gut verkaufbare Kunstwerke gibt, und dann wiederum welche, die schlechter verkaufbar sind, Videoarbeiten zum Beispiel lassen sich nicht so leicht verkaufen wie etwa ein kleines Gemälde von dreißig mal dreißig Zentimetern oder eine Fotografie.
Selina Lai: Es gibt tatsächlich Kategorien, die leichter zu verkaufen sind, aber es ist immer eine Frage, an welches Publikum man sich wendet.
Aber es kommt immer eine Zeit, in der ein Künstler besonders viel Aufmerksamkeit genießt, so eine Art 15-Minuten-Ruhm und in diesem Moment ist es sicherlich einfacher seine Arbeiten zu verkaufen. Aber ob man es schafft, ist in erster Linie eine Frage der Vermittlung, wie und was man dem Kunden erzählt.
Man könnte diesen ‚15-Minuten-Ruhm‘ ja auch negativ verstehen. ‚15 kurze Minuten‘ berühmt sein und dann?! Dass es einfach nach ‚15 Minuten‘ vorbei ist…
Selina Lai: Vorbei ist es nur in dem Moment, wenn der Künstler aufhört zu arbeiten.
Und Ruhm ist auch nicht immer positiv. Es gibt viele Künstler, denen es lieber ist, ganz langsam zu wachsen, und immer ein wenig im Untergrund zu bleiben.
Visieren Sie denn ein spezielles Publikum, eine spezielle Kundschaft an? Hat sich die Krome Gallery deshalb gerade die Potsdamer Straße als Standort ausgesucht?
Selina Lai: Der Grund, warum wir hierher an die Potsdamer Straße gezogen sind, war mehr eine Frage der Synergie: Auf Grund der hohen Anzahl von Galerien in diesem Viertel kann man bei Eröffnungen von einem gemeinsamem Publikum profitieren. Es macht auch viel mehr Spaß, an einem Ort zu sein, wo zu gewissen Events viele Leute unterwegs sind, die einfach so in die Galerie kommen, die fragen und interessiert sind. So haben sich auch in vielen anderen Städten Kunstquartiere entwickelt. Es blieb nie eine Galerie alleine, es sei denn, die Galerie ist so stark, dass sie nicht diese Synergie braucht. Das ist aber eher die Ausnahme und nicht die Regel.
Aber es ist nicht so sehr das anonyme Laufpublikum, das eine Galerie eigentlich interessiert. Ich will jetzt dieses Publikum nicht abwerten, weil es auch schön für uns ist, uns mit genau solchen Leuten zu unterhalten. Aber das Publikum, die Kundschaft, die die Arbeiten der ausgestellten Künstler als Multiplikator weiterverbreitet, ist eine andere Art von Publikum, das nur bei ausgewählten Ausstellungen auftaucht und sich gezielt herauspickt, was sie interessiert.
Wer ist unsere Kundschaft? Das ist ganz unterschiedlich: Von Studenten bis Museums- oder Sammlerdirektoren. Je nachdem, kommuniziert man dann mit diesen Leuten auf eine andere Art und Weise.
Sie sprechen von Synergien mit anderen Galerien. Nun gibt es im Gebiet der Potsdamer Straße ja auch einige Ateliers. Arbeiten Sie denn auch mit lokal ansässigen Künstlern zusammen? Gibt es auch in dieser Hinsicht Synergien?
Selina Lai: Im Programm haben wir keinen Künstler, der hier auf der Potsdamer Str. ein Atelier hat. Denn es spielt eigentlich keine Rolle, wo der Künstler sein Atelier hat.
Hat sich denn das Profil der Krome Gallery durch den Umzug von der Karl-Marx-Allee an die Potsdamer Straße verändert?
Selina Lai: Das Programm der Galerie hat sich nach dem Umzug nicht verändert. Es entwickelt sich jedoch vielmehr ständig weiter. Das eigene Interesse des Galeristen verändert sich und deshalb ist es immer eine Art ‚Work in Progress‘.
Ihre Galerie ist ja seit April 2011 hier. Zu diesem Zeitpunkt gab es aber schon einige Galerien hier. Wie hat sich das Kunstquartier hier an der Potsdamer Straße aus ihrer Sicht entwickelt?
Selina Lai: Es waren, glaube ich, zwei Faktoren, die den Umzug von Galerien hierher verursacht haben:
Erstens der Umzug von Giti Nourbakhsch, die hier, in der Kurfürstenstraße, im Jahr 2005 oder 2006 als Erste eine Galerie eröffnet hat, die es heute allerdings nicht mehr gibt. Giti Nourbakhsch war schon davor in der Gegend um den Rosenthaler Platz eine der ersten überhaupt, die dort eine Galerie aufgemacht hatten. Berlin lebt ja gerade von solchen Orten, die an der Schnittstelle zwischen zwei Welten sind. Und die Potsdamer Straße ist so ein Ort: Man erreicht den Potsdamer Platz in fünf Minuten, aber gleichzeitig liegt der bekannteste Straßenstrich Berlins vor der eigenen Haustür. Es ist ein Ort mit einer widersprüchlichen Identität. Der Charme von Berlin, wenigstens bisher, war, dass es immer noch solche Orte gibt.
Elisabeth Pallentin: …die aber immer weniger werden.
Selina Lai: Der zweite Grund für den Umzug vieler Galerien waren wahrscheinlich die Mietpreise in den Jahren 2005 / 2006.
Mittlerweise hat sich aber eine feste Struktur von mitunter auch ziemlich großen Galerien gebildet, unter anderem im ehemaligen ‚Tagesspiegel‘-Gebäude. Dadurch wird es länger dauern, bis dieser Hotspot nicht mehr interessant sein könnte.
Abschließend würde ich gerne noch von Ihnen wissen, wie Sie eigentlich selbst Managerin einer Galerie geworden sind. Haben Sie Kunst in irgendeiner Weise studiert?
Selina Lai: Ich habe Kunstgeschichte studiert, auf eine sehr humanistische Art und Weise, sehr akademisch auch, in Italien und an der Humboldt-Universität in Berlin.
Ja, warum diese Arbeit? Es ist das Gefühl, jedes Mal neu in eine Welt einzutauchen, in der andere Regeln gelten, Regeln, die von den Künstlern geschaffen werden. Ich bin fasziniert von diesen Künstlerpersönlichkeiten, die eine Vision der Welt geben, die nicht unbedingt der entspricht, die man normalerweise sieht. Man fängt an, die eigene Welt anders zu sehen, dank dieser Visionen, die die Künstler haben.
Frau Lai, Frau Pallentin, ich danke Ihnen für das Gespräch.
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