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Halluzinogenes Kriterium und kritische Kunst

Geschrieben von Gastblogger Daniel 

Nomen est omen

Am 7. September 2012 eröffnete an der geschichtsträchtigen Potsdamer Straße die LSD Galerie Berlin ihre Räumlichkeiten. In der Hausnummer 65 wird seitdem unter dem Credo „Die Krise ist nicht nur politisch, ökologisch, energetisch oder ökonomisch. Sie ist philosophischer Art.“ mit künstlerisch-deskriptiven Mitteln versucht De- und Rekonstruktion zu betreiben. Es ist gerade kein Zufall, dass der Name der Galerie den synästhetischen bzw. halluzinogenen Zustand als Symbol für die grenzüberschreitende Erfahrung präsentierbar zu machen versucht. Dies soll genauso intentional stehen, wie die Proklamation im Statement der Webpräsenz, gängige Denkkonventionen und Annehmlichkeiten mit dem künstlerischen Ausdruck durchbrechen zu wollen. So dient die eigentümliche Konnotation im Namen zuerst als Aufruf zum Hinterfragen durch Transzendierung bzw. Rekombination von Sinnen und anschließend der Kommunizierung der dabei im Erblicken hinzugewonnenen Horizonte.

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LSD Galerie Berlin © 2013 – LSD Galerie Berlin

Insbesondere ist zu berücksichtigen, dass die Gegend um die Potsdamer Str./Potsdamer Platz als gefragtes Einzugsgebiet vieler Kunstschaffender auch für die LSD Galerie Berlin mehr als nur Standort ist, sondern ebenso eine glückliche Fügung, erklärt der Galeriebetreiber Gianni Hilgemann stolz und auch im Namen der Künstler der LSD Galerie Berlin. Man fühlt sich am Ort gut aufgehoben.

Betrachtet man die Umgebung rund um die Potsdamer Str. genauer, so sticht eine Parallele zumindest im Namenskürzel mit einem gewissen Etablissement Ecke Potsdamer Str./Kurfürstenstr. ins Auge (hier allerdings nicht stellvertretend für Lysergsäurediethylamid, sondern für LoveSexDreams). Absicht steckt dahinter laut Hilgemann allerdings nicht. Zwar ist dieser Umstand erst später mit einem gewissen Amüsement bewusst geworden, passt im Endeffekt jedoch  die Galerie gut in die Umgebung ein.

Dimensionen der Kunst

Hinter der Namensgebung verbergen sich national und international renommierte Künstler (Sabine Dehnel, Peter Freitag, Viola Kamp, Anna Lehmann-Brauns und Melissa Steckbauer), die sich mit diesem Konzept im September durch eine Gruppenausstellung „Lucy in the Sky with Diamonds“ als lose assoziiertes Kollektiv vorstellten. Thematisch exponierte diese Initiationsveranstaltung den Beatles-Evergreen als Repräsentant eines Bedeutungsfeldes in welchem sich scheinbare Begriffspaare wie „Realität und Fiktion, Imagination und Traum, Halluzination und Erinnerung“ einander annähern, um das Unerwartete zu evozieren und letztlich auch zu produzieren.

Für die organisatorische und wirtschaftliche Umsetzung zeigen sich hier der bereits oben genannte Galerist Gianni Hilgemann, der seinerseits in Amsterdam den Kunstbetrieb kennenlernte, und Wayra Schübel, studierte Sinologin, freie Kuratorin und Journalistin, zuständig.  Ein weiteres Kriterium ist somit auch die Wahrung der eigenen Unabhängigkeit und damit geht eine gesunde Distanz zum stark kommerzialisierenden Kunstmarkt einher. „Es erlaubt Experimentieren zu können, dass was Kunst jung hält“, so Hilgemann.

Sequenz und Individualität

Weitere Episoden der LSD Galerie Berlin folgten über die Wintermonate in drei Soloshows. Peter Freitag machte unter dem Titel “shocked, I had no idea that this world existed!” mit einer genuinen Dekonstruktion von Werbung in Collagen den Anfang. Mit Meslissa Steckbauer‘s – “A Sensuist’s Guide“ wurden neue Möglichkeiten zur Steigerung der Intensivität im Raum der Körper vermessen und eine Verlagerung der künstlerischen Akzente auf das Sensuelle möglich gemacht. In der Folgeexposition “Various Arists – Rapies Vol.1” von dem Marburger Moritz Stumm steht hingegen die Ikonographie von Gewalt, Protest und Macht im Vordergrund des Schaffensprozesses.

„contemporary“ 

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Viola Kamp © 2013 – LSD Galerie Berlin

Aktuell positioniert sich die in Tokyo geborene Künstlerin Viola Kamp gezielt provokativ und selbst-plakativ mit ihren kunstbetriebskritischen Arbeiten unter der Schlagzeile “Komplex 200X”. Sie zählt bei einigen auch zu den prophezeiten Aufsteigern im Kunstmarkt.

coming up

Als abschließendes Plädoyer bleibt zu sagen, dass die Originalität und Themenvarianz mit der die Galerie und ihre Künstler aufwarten können unbestreitbar ist und ein Besuch lohnt in jedem Fall, zumal die nächsten Künstler bereits auf der LSD Galerie Berlin-Website gelistet sind.

 

Marianne Breslauer Feilchenfeldt

Heute vor 10 Jahren starb die Fotografin und Kunsthändlerin Marianne Feilchenfeldt Breslauer. Erst im letzten Jahr widmete die Berlinische Galerie dieser unternehmungslustigen Frau eine Ausstellung, in der ihre Fotos zu bewundern waren.

2009 – zu ihrem 100. Geburtstag – erschien im Nimbus Verlag „Bilder meines Lebens“ , ihre hinreißend erfrischend geschriebene Autobiographie. Sie wurde posthum von ihren Söhnen Walter und Konrad herausgegeben.

Hier möchte ich einige Textstellen zitieren, die im Zusammenhang mit dem Gebiet um die Potsdamer Straße stehen.

Marianne Breslauers Großvater Julius Lessing starb 1908 – ein Jahr bevor sie selbst geboren wurde. Agathe und Julius Lessing lebten nach ihrer Hochzeit im Haus der Eltern Friedheim an der Potsdamer Straße. Dieses Haus ging später in den Besitz meiner Mutter und ihrer Geschwister über und gehörte der Familie bis zu Emigration. Lange Jahre hatte auch das Auktionshaus Lepke darin seine Geschäftsräume. (S. 9) Lepke hatte seine Räume in der Potsdamer Straße 122a (nach der Umbenennung bis heute 47) in der Nähe des Landwehrkanals.

Marianne Breslauer wurde 1909 in der Kurfürstenstraße 53 geboren, doch ihre Eltern zogen ein Jahr später nach Dahlem in die Rheinbabenallee. So bezeichnet sie sich selbst als „eine Art Kind vom Lande“ denn wir kamen nur relativ selten in die Stadt. Das war damals fast eine Reise.“ (bin mir gerade nicht sicher, ob da eine Umnumerierung stattgefunden hat, denn die Hausnummer ist heute die ehemalige Grips-Grundschule, die bereits 1886–1888 gebaut wurde)

Doch durch ihren Malerfreund Paul Citroen kam Marianne Breslauer zurück in die Gegend: „In den zwanziger Jahren wohnte Paul in der Derfflinger Straße, war noch gänzlich erfolglos und lag seinem Vater auf der Tasche. (S.60)

Dann lernte sie Walter Feilchenfeldt kennen, der sehr bald ihr Vertrauter und sehr sehr viel später ihr Mann wurde. Marianne Breslauer war 19, er 34 und die Situation für beide ungewohnt schreibt sie. Da er in der Galerie der Vettern Bruno und Paul Cassirer arbeitete lernte sie die Welt des Kunsthandels kennen. Die Galerie befand sich in der nicht mehr existierenden Viktoriastraße 35, nahe dem Kemperplatz. In der Galerie Cassirer bald ein- und ausgehen zu können war für mich ein besonderes Erlebnis. Trotz meiner Vorliebe für ältere Kunst war mir sehr wohl bewusst, welche Bedeutung diese Kunsthandlung besaß. Ich hatte dort die Munch-Ausstellung und dann, im Sommer 1928, die große van Gogh-Ausstellung gesehen, ……. Wie in einem Museum gab es dort einen Oberlichtsaal für die Ausstellungen, während sich die Handelsräume im ersten Stock befanden. In diesem privateren Rahmen traf man sich mit Kunden, zeigte ihnen Bilder und schloss Geschäfte ab. Feilchen lud mich bald dorthin ein, während das kleine Zimmer des Bilderlagers mir vorenthalten blieb.(S. 68/69).

Bruno Cassirer unterhielt außerdem einen Verlag in der Derfflinger Straße 15/16.

Marianne Breslauer konnte emigrieren. In ihrem Buch beschreibt sie die Wirren dieser Zeit, geht jedoch nicht mehr speziell auf die Gegend um die Potsdamer Straße ein.

Eine ausführliche Biographie über Marianne Breslauer Feilchenfeldt hat Annette Bußmann auf dem Portal fembio geschrieben.